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1852

Gregorovius

Bastia, Korsika, 4. 9. 1852

Am 2. April 1852 verließ ich die Stadt Königsberg, wo tags zuvor der letzte Sohn meines ältesten Bruders Rudolf, der herrliche Richard, im Alter von dreizehn Jahren gestorben war. Die Leiche sollte zum Vater ins Pfarrhaus nach Rogehnen gebracht werden, wohin ich zunächst ging. Auch der Bruder Julius kam von Graudenz dorthin. Es waren schwere, schmerzvolle Stunden. Wir erwarteten den Sarg. Es war Nacht. Wir gingen ins Freie auf die Chaussee, immer horchend, ob der Wagen komme. Es war Frühling in der Luft. Kraniche zogen über uns vom Süden her. Am nächsten Tage reiste ich ab von Neidenburg, wo ich von der Stiefmutter und der Schwester Abschied nahm, und ging über Posen nach Wien. Dort übergab mir Lenaus Schwester, Frau Schurz, die andere Todesnachricht. Mein Freund Ludwig Bornträger, ein junger talentvoller Maler, war zu Pisa am 5. April gestorben.

Zeichnung: Gregorovius

Calvi in Korsika, 22. 7. 1852

Am 19. April betrat ich das Land Italien, in Venedig. Von dort eilte ich nach Florenz, wo ich die Mutter des Freundes fand. Nach einigen Tagen brachte ich Frau Bornträger bis nach Trient, wo wir uns trennten. Ich kehrte sofort nach Florenz zurück. Ich wohnte dort in einem Privathause auf der Piazza Santa Maria Novella mehrere Wochen lang. Es war sehr heiß geworden. Alle meine Lebensgeister, so hatte ich mir eingebildet, sollten sich in diesem Lande steigern und schöpferische Ideen in Fülle sich in mir entzünden. Doch nichts regte sich in meiner Seele, und dieser öde Zustand machte mich sehr unglücklich. Ich verzweifelte daran, daß in mir noch etwas Zukunftsvolles lebe. Ich gab mich fast verloren.

Anfang Juli ging ich nach Livorno, wo mich Heinrich Hirsch empfing. Der Anblick der sonnigen Meeresweiten, der fernen Eilande und endlich die Erzählungen eines Griechen von der Schönheit seiner Heimatinseln erweckten mir das heftigste Verlangen, eine Insel zu sehen, und so beschloß ich, nach Korsika hinüberzufahren.

Am 14. Juli nachts landete ich in Bastia. Aus demselben Hafen kehrte ich am 5. September nach Livorno zurück. Korsika entriß mich meinen Bekümmernissen, es reinigte und stärkte mein Gemüt; es befreite mich durch die erste Arbeit, deren Stoff ich der großen Natur und dem Leben selbst abgewonnen hatte; es hat mir dann den festen Boden unter die Füße gestellt.

Am 23. September fuhr ich mit Hirsch nach Elba, wo ich ein paar Tage blieb.

Am Dienstag den 28. von Livorno nach Siena. Am 20. September von dort in einem Vetturinwagen nach Rom, in Gesellschaft der römischen Familie Serny. Erste Nacht in Scala, zweite in Bolsena, dritte in Ronciglione.

 

Zeichnung: Gregorovius

Capanne Timozzo, Monte Rotondo, Korsika, 28. 7. 1852

Rom, 4. Oktober 1852
Via Felice, Nr. 107

Von Ronciglione um 7 Uhr morgens abgefahren nach Monte Rosi. Um 10 Uhr erreichten wir Baccano. Man sagte mir, daß von den Hügeln droben Rom zu sehen sei. Ich stieg hinauf, allein, in großer Aufregung. Ich suchte Rom und fand es nicht, da ich den Weg verfehlte und große Schäferhunde mich zum Rückzuge nötigten. Herr Serny führte mich den rechten Weg und zeigte mir in der Feme Rom.

Weiter über La Storta, wo einst Veji lag. Ich bin in Rom eingefahren durch die Porta del Popolo, am 2. Oktober 1852, 4-1/2 nachmittags. Ich stieg ab im Hotel Cesari, am Corso.

Zeichnung: Gregorovius

Il »Frate di Monte«, Korsika, 29. 7. 1852

Mein erster Gang war aufs Kapitol und Forum; noch spät ins Kolosseum, darüber der Mond stand. Worte habe ich nicht zu sagen, was da alles auf mich einstürmte.

Zeichnung: Gregorovius

Napoleons Haus in Ajaccio, Korsika, 2. 8. 1852

Am Sonntag wanderte ich auf gut Glück umher, mich selbst zu überraschen, wenn ich dieses oder jenes mir aus Abbildungen bekannte Bauwerk plötzlich vor mir sah, wie die Trajanssäule, das Pantheon, den Vestatempel, die Pyramide des Cajus Cestius. Ein Teil des Tages wurde mit Suchen einer Wohnung hingebracht. Ich fand dies kleine Zimmer unter dem Dach, bei einem Bildhauer, Vincenzo. Von hier kann ich Rom übersehen. Ich bin heute darin eingezogen.

Zeichnung: Gregorovius

Ajaccio vom Castel Vecchio, Korsika, 10. 8. 1852

Noch eine Woche lang will ich Rom planlos durchstreifen, denn in das innere Wesen der Stadt kann ich mich noch nicht wagen.

Ich bin hier angekommen ohne Briefe an irgendeine Person, ich habe keinen einzigen Bekannten hier außer meinen Reisegefährten.

Im Kalender fand ich, daß der 2. Oktober, der Tag meiner Ankunft, dem Angelo Custode, Engel-Wächter, geweiht ist. Die Straße, in der ich wohne, heißt Via Felice. Dies sind glückliche Omina.

 

Rom, 10. November

Zu dieser Zeit habe ich Rom unablässig durchwandert. Ich schrieb eine zweite Reihe von Artikeln über Korsika nieder, und entwarf einen Plan zu einem Drama ›Sampiero‹. Rom ist so tief still, daß man hier in göttlicher Ruhe empfinden, denken und schaffen kann. 5000 Mann Franzosen halten die Stadt besetzt. Mit dem englischen Architekten Bandcher war ich am 24. Oktober zu Fuß nach Tivoli gegangen.

 

30. November

Ich bin jedem Morgen in der Bibliothek der Dominikaner. Mir fehlen Materialien zur Geschichte Korsikas. Ich habe deshalb nach Florenz geschrieben.


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