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1862

Rom, Dienstag, 21. Januar

Ich habe das Jahr tätig begonnen; das VII. Buch, Band IV, ging durch Gelegenheit an die preußische Gesandtschaft in Frankfurt am Main ab und von dort nach Stuttgart.

Die Witterung ist schlecht, und meine Gesundheit schlecht; ich habe die Bibliotheken aussetzen müssen.

Die hiesigen Zustände sind um nichts geändert. Franz II. und seine Generale werben Banden nach wie vor. Ich sehe den König oft auf dem Pincio unter der Menge; seine Persönlichkeit ist auffallend genug, sein Gang plump, seine Art unfürstlich. Bei Alertz treffe ich bisweilen den neapolitanischen Chef Lagrange, einen Deutschen, mit dem Zunamen Klitsche, eine herkulische Gestalt von rohen Formen.

2000 Neapolitaner sollen hier im Exil leben; darunter befindet sich der höchste Feudaladel. Diese Herren unterzeichneten eine Liste für das durch den Ausbruch des Vesuv verunglückte Torre del Greco, und so wurden ihre Namen bekannt: die Prinzen von Sanseverino (Bisignano), Colonna, S. Antimo, Monte Mileto, Scondita, Monterotondo, Sepino, Pignatello, Ruffo, Borgia, Riario, Caracciolo, Ripalda; der Kardinal Caraffa; die Marchesi Imperiale, Cosentino, Sersale, Strevi, Dragonetti, Brancaccio, Ruffo di Scaletta; die Herzöge von Ascoli, Castellaneta, Regina, Monteleone, Casalmaggiore, Graf Chiaramonte, Statella usw. Alle diese sind dem Könige gefolgt, dessen Schicksal sie teilen, während die Emigration in Paris eine mittlere Stellung einnimmt und noch auf Rückkehr hoffen kann.

Der wilde Chiavone hält sich noch bei Sora; er wohnt in Scifelli. Er ist geboren 1828. Sein Großvater war Adjutant des berühmten Bandenchefs Mannione.

Am 6. Januar brach eine bourbonistische Reaktion in Castellamare bei Alcamo in Sizilien aus. Viel Blut ist geflossen. Vorwand derselben: die Konskription.

Der Peterspfennig hat bisher die nicht kleine Summe von 3 800 000 Scudi eingetragen.

Im Juni hat die liberale Partei im Klerus ein Wochenjournal ›Il Mediatore‹ gestiftet, an dessen Spitze der Exjesuit Passaglia steht.

Der ganze Episkopat Italiens steht indeß wie ein Mann zum Papst. Das beweisen seine letzten Proteste gegen das Rundschreiben des Ministers Minghetti.

 

Rom, Dienstag, 28. Januar

Gestern wurde die lateinische Bahn eröffnet, ohne den Papst. Der provisorische Bahnhof an der Porta Maggiore war in ein Festlokal (Tempel und Hallen) umgewandelt; auf den Frontispizen wehten die gelb-weißen Fahnen über den Abbildern des Erdglobus, und die Lokomotive wie die Waggons waren reich geschmückt. Statt des Papsts weihte Hohenlohe, Erzbischof von Nisibis in partibus, die Bahn ein, an einem Altar. Auf Tribünen saßen der hohe Klerus, die Generalität, die Diplomatie, andere Körperschaften. Man fuhr ab gegen 11 Uhr, nach Velletri.

Es ist seltsam, daß das große Unternehmen gerade in der Epoche des Falls des Kirchenstaats vollendet wurde. Es ist ein Werk, welches das Mittelalter und das Dominium der Päpste vernichten hilft. Gregor XVI. nannte die Eisenbahn eine Erfindung des Teufels.

Die Dinge in Italien stehen schlecht; das Ansehen Ricasolis sinkt, Sizilien wird unruhig, und kurz, die italienische Einheit wird durch die unlösbare römische Frage selbst in Frage gestellt.

Ich arbeite jetzt am letzten Kapitel des Bandes IV. Im Mai hoffe ich, alles hinter mir zu haben und aufzuatmen.

 

Rom, Sonntag, 23. Februar

Italien wurde durch die Veröffentlichung der Note Thouvenels an Lavalette vom 11. Januar und dessen Antwort an jenen vom 18. Januar aufgeregt. Napoleon nahm darin die Miene an, die piemontesischen Forderungen wegen der Hauptstadt Rom zu unterstützen. In vielen Städten fanden Demonstrationen gegen das Dominium Temporale statt.

Franz II. ist völlig verarmt. Seine Einkünfte sind in Neapel fundiert und also eingezogen. Er hat für den verunglückten Brigantenkrieg alles ausgegeben. Borgès erhielt freilich nur 7000 Francs. Es heißt, daß zum Frühjahr ein Aufstandsversuch in größeren Dimensionen veranstaltet werden soll. Ein Franzose, Graf Bisson, ist hier und unterhandelt deshalb mit dem Exkönig. Franz II. ist von elenden Abenteurern umgeben. Diese Mysterien des Quirinals mögen traurig genug sein.

Schlechter Karneval. Nichts als Militär und Polizei. Im Monat Mai soll das Konzil zusammenkommen, welches die Märtyrer aus Japan zum Vorwande hat.

Am 20. langte der erste Korrekturbogen von Bd. IV an.

 

Rom, Sonntag, 2. März

Der Karneval hat Rom wieder in zwei Faktionen gespalten; die Legitimisten strengen sich an, ihn auf dem Corso in Gang zu bringen, die Nationalen feiern ihn auf dem Forum. Am Donnerstag gingen dort einige Tausende vom Kapitol aus zum Kolosseum schweigend hin und her; die großartige Trümmerwelt bot dazu die Kulissen dar, aber sie drückte die dürftig aussehenden Schauspieler herab. Wenn ich sie so durch den Titusbogen sich drängen sah und mir vorstellte, daß dies die Römer sind, welche heute nichts mehr begehren, als die Herrschaft eines ohnmächtigen Priesters abzuwerfen und ihre alte Weltstadt zur Hauptstadt Italiens zu machen, und daß sie diese Wünsche durch stummes Spazierengehen ausdrücken, so konnte ich mich eines Lächelns nicht erwehren. Als die demonstrierende Masse vom Kapitol wieder in die Stadt zurückströmte, stieß sie mit dem legitimistischen Karneval zusammen; es gab Verwundungen und Verhaftungen.

Am Freitag war im Werk, die Demonstration auf den Corso zu verlegen; aber Goyon sperrte diesen durch Militär ab. Gestern war der Corso fast ganz leer, die Balkone geschmückt, aber meist verlassen.

Vor wenigen Tagen hob die Polizei eine Menge Korrespondenzen des National-Comités auf; der Fang wurde bei einem Maccaronaro auf dem Platz S. Apollinare gemacht und eine Dame Diotesalvi eingezogen. Man soll sich in Besitz der Liste der Comitémitglieder gesetzt haben; viele Verhaftungen haben stattgefunden.

Theodor Mommsen befindet sich hier. In seiner Erscheinung ist ein eigentümliches Gemisch von Juvenilität und von schulmeisterlicher Gewissenhaftigkeit. Dies erklärt mir vieles im Wesen seines durch kritische, destruktive Schärfe und Gelehrsamkeit ausgezeichneten Werks, welches aber eher ein Pamphlet als eine Geschichte ist.

 

Sonntag, 16. März

In Turin starb der Direktor der ›Armonia‹, Marchese Bisago, und vorgestern der Gründer der ›Civiltà Cattolica‹, Padre Bresciani. Die beiden Hauptblätter der klerikalen Presse haben ihre Führer verloren.

Großer Zudrang zu den Fastenpredigten, namentlich des Hyacinth Romanini, vom Orden der Dominikaner in der Minerva. Mit schamlosem Fanatismus werden dort die Eroberungen des Genies, selbst Gas, Telegraphie, Eisenbahnen, als Wunder des Teufels verdammt.

 

Palmsonntag, 13. April

Die römische Frage rückt nicht fort, obwohl Lavalette, mit Goyon im Zerwürfnis, nach Paris reiste, dem Kaiser Vorstellungen zu machen. Man erwartet ihn zurück, und der General bleibt.

Der Klerus hofft. Die Legitimisten sind in großer Tätigkeit. Der Bandenkrieg in Neapel erneuert sich. Chiavone führt wieder Guerillas bei Sora.

Am 25. März hielt der Papst eine Rede an die Geistlichkeit in der Minerva; er sprach sich dahin aus, daß das Dominium Temporale nicht ein Glaubensartikel, aber notwendig zur Unabhängigkeit des Heiligen Stuhles sei. Er betonte die Machinationen von Turin aus, den Klerus Italiens aufzureizen, daß er eine Erklärung gegen das Dominium Temporale unterzeichne. Diese Formulare sendete Passaglia aus.

Gestern große klerikale Demonstration und Beleuchtung, zum Jahrestag des Falls des Papsts in S. Agnese, und seiner Rückkehr aus dem Exil. Ein Transparent am Obelisken auf Popolo hatte die Inschrift: Al Pontifex Re il Popolo Romano, – und der Platz war gänzlich menschenleer.

Garibaldi reiste im Triumph durch die Lombardei. Er scheint sich aufzubrauchen.

In Preußen neue Wahlen zu einer hoffentlich bald überwundenen Reaktion.

Ich habe Liszt kennengelernt: auffallende, dämonische Erscheinung; groß, hager, lange graue Haare. Frau v. S. meinte, er wäre ausgebrannt, und nur noch die Wände ständen von ihm, worin ein gespenstisches Flämmchen herumzüngelte.

Ich habe auf der Vaticana gearbeitet, wo auch Mommsen, welcher in diesen Tagen nach Dalmatien reiste.

 

Rom, 27. April

Die Anzahl der Fremden betrug zu diesem Osterfeste 35 000; der St. Peter war überfüllt; die Benediktion am Ostersonntag machte wegen der unerhörten Volksmenge großen Eindruck. Die Girandola glänzender als sonst.

Zeichnung: Gregorovius

Ponte d' Anzio, 27. 6. 1854

Am 23. fuhr der Papst nach Porto d'Anzio, wo er 14 Tage bleiben will. Seine Truppen haben ein Zeltlager zwischen Albano und dem Meer bezogen. Am 26. ist ihm dort die Flotille vorübergefahren, welche Viktor Emanuel, den Salmanassar dieser römischen Gegenwart, nach Neapel führte. Mit einem guten Fernrohr hat Pius IX. die Trikolore auf den Masten sehen können. Der Klerus ist guter Dinge, und Franz II. hofft auch baldige Restauration; woher, ist unbekannt. Die Haltung Preußens, welches sich Österreich wieder nähert, mag mit unter die Ursachen dieser Hoffnungsfreudigkeit gehören. Franz II. hat sich von Napoleon losgesagt und nähert sich England. Arthur Russell sagte mir, daß der Exkönig seinen Bruder Odo, den hiesigen englischen Agenten, dringend zu sich eingeladen habe; darauf habe er ihm offene Bekenntnisse gemacht: daß er den Thron durch seine schlechten Räte in unreifer Jugend verloren habe; daß er die Zuversicht hege, bald in seine Staaten zurückzukehren, wo er konstitutionell regieren wolle, und an England einen Freund zu finden hoffe. Der Rat des Königs ist Marchese Pietro Ulloa. Im St. Peter sah ich die junge Exkönigin mit ihrer Schwester Trani; beide schwarz gekleidet (die Schwestern sind immer gleich gekleidet und immer unzertrennlich), beide sich fest aneinander haltend, saßen sie an einer Säule, umringt von neugierigen Zuschauern.

Vor wenigen Tagen warf der Oberst Lopez, der in Rom kommandiert, einen Teil der Chiavonischen bei Veroli auf das römische Gebiet zurück; die Franzosen wollten sie entwaffnen: sie feuerten; ein Handgemenge fand statt, in welchem mehr als 20 Franzosen geblieben sein sollen. Goyon hat Befehl erhalten, dem Bandenwesen Einhalt zu tun.

Die römische Polizei fing den berüchtigten Maremmenkönig Scoppa, einen toskanischen Räuber, der 14 Mordtaten verübt hat, vor dem Tor del Popolo. Dieser schreckliche Mensch kam auf einem arabischen Pferd und war im Begriff, nach Alexandria zu gehen. Ein Wechsel, den er bei einem Bankier dorthin ziehen wollte, verriet ihn, auch verfolgte ihn der Sohn Adamis, seinen von ihm ermordeten Vater zu rächen.

Ich habe den vierten Band fertig gemacht. Morgen gehen die drei ersten Kapitel des Buchs VIII nach Stuttgart.

Pietro Rosa, Intendant des Palatin, zeigte mir die dortigen Ausgrabungen. Er hat den Clivus Palatinus aufgefunden. Er sagte mir, daß Napoleon häufig an ihn schreibe, ihm die genauesten Fragen behufs seiner Geschichte Cäsars stelle, und er wundere sich, wie ein Monarch, auf dessen Schultern jetzt die so ungeheure politische Last liege, Zeit zu solchen Arbeiten übrig haben könne. Er schreibe und frage, als wäre er ein Professor, der nichts täte, als über Büchern sitzen.

400 Bischöfe sind angemeldet, die Kanonisation findet am 8. Juni statt.

 

Rom, Montag, 12. Mai

Vorgestern gab ich die letzten vier Kapitel des vierten Bandes dem Kirchenhistoriker Stahl mit, der nach Jena zurückreiste.

Die Römer behaupten mit Zuversicht die nahe Lösung, aber ich glaube nicht an den Abzug der Franzosen. Die Hoffnung der Nationalpartei stützt sich auf die Abberufung Goyons (er ist gestern abgereist); auf die Broschüre Pietris; auf die Erklärung Viktor Emanuels beim Bankett in Neapel; auf die Reise des Prinzen Napoleon nach Neapel. Auch Hudson, britischer Botschafter in Turin, reiste dorthin, und zwar durch Rom. Kurz, es herrscht eine gehobene Stimmung in der Nationalpartei.

Man sagt, der Papst habe Befehl gegeben, alles zu seiner Abreise zu rüsten. Er wird nach Venedig gehen, selbst wenn die Franzosen bleiben, und eine piemontesische Garnison zulassen.

Die Bischöfe kommen an. Ketteler von Mainz ist schon hier; er predigte gestern in der Anima. Man erwartet etwa 310. Viele Franzosen; und wer nicht kommt, schickt einen Vikar.

Man rüstet den St. Peter oder verunstaltet ihn durch ungeheuerliche Überladung mit Schmuck für die Kanonisationsfeier. Fingierte Säulen tragen in den Pfeileröffnungen die Kanonisationsbilder: ein Fries aus buntem Papier, Engel, welche Blumengirlanden halten, läuft um die Kirchenschiffe, Mosaik nachahmend. Päpstliche Wappen. Viele 60 Fuß hohe Kandelaber von Holz und mit Goldschaum bezogen. Viele Kronenleuchter. Selbst die riesigen Pilaster mit gelbmarmoriertem Papier beklebt. Der St. Peter ist unkenntlich geworden.

Ich sah vor einigen Tagen einen gefangenen Briganten in das Kastell einbringen, geführt von französischen Soldaten. Er war halb als Ciocciare, halb als neapolitanischer Soldat gekleidet. Er ging stolz und frei einher, und mit ritterlichem Anstand verschwand er im Tor der Engelsburg.

 

Rom, Sonntag, 25. Mai

Vor acht Tagen reiste Goyon nach Paris ab; der nächstkommandierende General versieht seine Stelle. Lavalette ist noch nicht eingetroffen; ob er überhaupt zurückkehren wird, ist fraglich. Ereignisse in der Lombardei verwirren die Zustände noch mehr. Die Garibaldischen Freischaren beabsichtigen einen Einfall in Welsch-Tirol; die Regierung ließ viele verhaften, darunter den Oberst Cattabeni und den Colonel Nullo, den sie aus Garibaldis eigner Wohnung in Trescone abholen ließ. Die Mazzinisten suchten die in Brescia Eingesperrten zu befreien; das Militär gab auf das Volk Feuer; einige fielen. In Folge dessen droht zwischen der Regierung und der mazzinistisch-garibaldischen Fraktion ein Krieg auszubrechen.

Im Vatikan ist man ruhig. An Flucht wird nicht mehr gedacht. Täglich kommen Bischöfe. Den italienischen hat die Regierung die Reise verboten; die Portugiesen kommen nicht. Es sind schon viele aus Frankreich, 24 Bischöfe aus Spanien hier, Griechen, Dalmatiner, Kanadier, Engländer, Deutsche, Nordamerikaner. Die Kardinäle von Burgos und von Compostela nahmen den Hut im spanischen Hotel, wo große Feste gefeiert wurden. Das Sakrament ist in den Hauptbasiliken ausgestellt. Der Papst schwimmt in Wonne; man will ein förmliches Konzil halten und manche kanonische Gesetze erlassen. Kein Bischof kommt mit leeren Händen. Außerdem strömen Geistliche aller Grade nach Rom; es ist das große Priesterfest; in allen Gasthäusern und Cafés, in allen Straßen und Kirchen sieht man Pfaffen. Es ist eine kirchliche Okkupationsarmee, und 28 gen Himmel fliegende Heilige führen sie.

Pasquino sagt: der Papst wird bald abreisen, denn er packt schon den St. Peter ein (già incarta S. Pietro). Die Feier der Kanonisation soll 80 000 Scudi kosten; allein für 10 000 wird man Wachs verbrennen.

Am 22. ist Viktor Emanuel aus Neapel zurückgekehrt. Der Prinz Napoleon ist noch dort geblieben.

Am 19. wird die neue Kammer in Berlin eröffnet.

Gestern habe ich angefangen, in der Chigiana zu arbeiten.

Mein Manuskript, enthaltend die drei ersten Kapitel des Buchs VIII, ist noch nicht in Stuttgart angelangt. Dadurch wird der Druck unterbrochen.

 

Rom, 10. Juni

Am 8., dem Pfingstfest, fand die Kanonisation der 28 japanesischen Märtyrer statt. Die Prozession begann um 7 Uhr. Diese göttliche Komödie ist das größte Theaterstück, welches die Kirche seit langem aufgeführt hat. 13 000 Wachskerzen, die obersten 8 Fuß lang, brannten im Dom und verloren sich in dem herrlichen Raum wie Sterne vierter oder fünfter Größe am Himmelsgewölbe. Die Menschenmenge war zahllos.

Gestern hielt der Papst ein Konsistorium. Die Bischöfe (gegen 390) überreichten ihm eine Adresse, worin sie erklären, daß das Dominium Temporale notwendig sei. Ihr Veto wird den Sturz der weltlichen Gewalt des Papsts vielleicht einen Augenblick lang hemmen, doch verhindern schwerlich. Die Führer des bischöflichen Parlaments sind Dupanloup und Wiseman. Die Franzosen haben oft in den Kirchen gepredigt. Ein Bischof aus Limousin predigte vor Tausenden im Kolosseum, auf der Kapuzinerkanzel. Man agitiert auf jede Weise.

Lavalette kam vor einigen Tagen als Sieger zurück. Goyon bleibt in Paris, und die Okkupationsarmee wird auf die Hälfte, 10 000 Mann, reduziert. Man hofft, daß nun die Italiener den Kirchenstaat bis auf 5 Meilen vor Rom besetzen werden.

 

Rom, 22. Juni

Die Versammlung der Bischöfe schloß mit einer Allokution des Papsts, worin die italienische Revolution aus der lutherischen und irreligiösen Richtung der Zeit abgeleitet, der Krieg gegen die Kirche beklagt und die Verdammung der Usurpation wiederholt wird. Die Bischöfe verlasen darauf eine Adresse: sie rühmen den Widerstand des Papsts, verdammen, was er verdammt, und erklären den Fortbestand des Dominium Temporale als Bedingung für die Unabhängigkeit des Papsts im Geistlichen.

Zustimmungsadressen sind eingelaufen von den umbrischen Bischöfen und von den neapolitanischen.

Das Turiner Parlament hat auf Grund dieser römischen Adresse eine öffentliche Erklärung an Viktor Emanuel erlassen.

Vorgestern traf der neue Befehlshaber der französischen Okkupationsarmee, General Montebello, hier ein. Einige tausend Mann Franzosen sind bereits in Civitavecchia nach Frankreich eingeschifft worden. 10 000 bleiben zurück.

Die Prälaten sind abgereist; einige wurden im Hafen von Marseille mit Zischen und Pfeifen empfangen; die französische Regierung hat daher den Befehl hieher geschickt, die Abfahrt der Schiffe, welche Priester als Fracht haben, so einzurichten, daß sie erst nachts in Marseille landen.

Ein spanisches Schiff liegt in Civitavecchia, die neapolitanische Königsfamilie aufzunehmen; der König Franz will, so sagt man, allein zurückbleiben.

Chiavone und Tristany haben ihre Banden vereinigt und setzen die Abruzzen in Schrecken.

 

Rom, 6. Juli

In diesen Tagen waren alle Truppen in den Kasernen konsigniert, und Patrouillen durchziehn die Stadt. Es ging das Gerücht, daß die Aktionspartei in ganz Italien sich erheben wolle; damit wird die Anwesenheit Garibaldis in Palermo in Verbindung gebracht. Ferner glaubte man, Viterbo wolle, nach dem Abmarsch einiger Kompanien Franzosen, aufstehen und die Piemontesen rufen. Die Stadt ist ganz still.

Der Papst hat seit sieben Tagen den Vatikan nicht verlassen. Er ist leidend. Die Königin Marie von Neapel reiste ab nach Deutschland, über Marseille. Legitimisten-Kongreß in Luzern. Hier ist man fest überzeugt, daß die Restauration von 1815 eine zweite Auflage erleben werde.

Beim Ausgraben für den Zentralbahnhof entdeckte man antike Malereien. Ich besuchte den in der Vigna Randanini bei S. Sebastian ausgegrabenen Judenkirchhof. Er ist höchst merkwürdig. Nur griechische und lateinische Inschriften. Selbst die Namen romanisiert, und nur der siebenarmige Leuchter verrät die Hebräer.

An der Porta Maggiore leitet man die Aqua Felice ab; man hat dort die Mauern bloßlegen müssen; sie standen so tief, als sie hoch sind, im Boden.

Gestern schloß ich die Arbeit auf der Vaticana; vorher die in der Chigiana. Rom ist so entzückend schön, auch nicht heiß, und meine Stimmung so friedlich, daß ich gar keine Lust habe wegzureisen.

 

Rom, 18. Juli

Das Ereignis des Tages ist die Anerkennung Italiens durch Rußland. Auch Preußen wird dasselbe tun. Die Heilige Allianz ist für immer gebrochen. Selbst in Spanien regen sich Stimmen, welche die Anerkennung verlangen. Rom totenstill, der Klerus erbittert, die Römer voll Hoffnung.

Ich habe Bogen 30 und 31 revidiert. Ich bereite mich zur Abreise nach Genua und der Schweiz; aber ohne innere Lust.

 

Rom, 20. Juli

Gestern kam die Nachricht, daß die Anerkennung Preußens Tatsache sei.

An der Küste von Corneto kreuzten verdächtige Schiffe. Ein Regiment Franzosen ging daher mit der Eisenbahn nach Civitavecchia ab. Eine garibaldische Landung wird gefürchtet. Nach andern sind es Reaktionäre, die von Neapel zurückgewiesen seien.

 

Mailand, 24. Juli Ai tre Svizzeri

Am 21. Juli fuhr ich nach Civitavecchia und weiter über Livorno nach Genua, wo ich gestern um 6 Uhr morgens eintraf. Ich blieb dort bis um 3 Uhr mittags und langte, über Alessandria, in Mailand gestern nacht an. Heute war ich auf dem Dom, im Palast Brera, in der Academia scientifico-letteraria, wo ich den Professor Nennarelli besuchte und die Professoren Conti und Brondelli kennenlernte. Der Widerwille, Rom zu verlassen, war groß, und noch heute kehrte ich sehr gern wieder um.

 

Mailand, 26. Juli

Ich habe auf der Ambrosiana den Katalog der Handschriften und mehrere Codices durchgesehen, finde aber nichts für meine Zwecke. Matalori und Sessi haben alles bereits ausgebeutet. Der Orientalist Ceriani und der Historiker Dozio erzeigten mir viel Gefälligkeit.

Gestern besuchte ich Cesare Cantù (Via di Tor Morigio Nr. 1). Ich erwartete, einen alten Mann zu finden, es trat mir in einem Bibliothekzimmer, welches auf den Garten hinausgeht, ein frischer Fünfziger entgegen, von kleiner Statur, mit geistreichen Zügen und funkelnden Augen. Cantù machte einen sehr angenehmen Eindruck. Seine Tätigkeit ist enorm und seine Popularität als Historiker für das Volk groß. Er schenkte mir eine Schrift über Beccaria. Seine politischen Ansichten sind der Einheit Italiens abgewandt. Er ist Föderalist und Papist. Er fällte das Urteil, daß die Piemontesen sich nicht einmal mit den Lombarden befreunden können, und sagte mir, daß sie in Mailand völlig abgeschlossen leben müssen. Das wissenschaftliche Leben hier schilderte er als sehr gering. Gegenwärtig liegen die Studien in ganz Italien darnieder; das ist freilich kein Wunder. Die Jugend läuft hinter den Waffen her; selbst Knaben sah ich auf der Piazza d'Armi Schießübungen machen. In den beiden deutschen Buchhandlungen fand ich viele Klagen und wenig Bücher.

Ganz Mailand ist voll von Gerüchten über eine garibaldische Landung in Rom. Die Bewegung der Italiener nach Rom hin ist seit der Anerkennung von Rußland und Preußen mächtiger geworden.

 

St. Moritz im Engadin, 30. Juli

Am 27. fuhr ich von Mailand nach Como, dann über den See nach Chiavenna. Weiter durch herrliche Alpenlandschaften, dem verschütteten Plurs vorbei, über Silvaplana nach St. Moritz. Ich fand Aufnahme in der Pension Bavier.

Nun lebe ich hier, 6180 Fuß über dem Meer, zwischen den beschneiten Alpenhäuptern des Julier, des Langaro, Plaschurz und der Maloja – unten braust der junge Inn durch einen Alpensee, an Arvenwäldern vorbei. Dort liegt das Kurhaus. Die Landschaft ist groß, ernst und kalt, von einer versteinernden Erhabenheit. Wasserfälle, brausender Inn, ewiges Rauschen der Arven, Wolken und Schnee – Regen, bisweilen die Iris als himmlische Botin. Die Alpenwelt ist ein kaltes und stummes Wunder. Warum die Schweizer prosaische Menschen sind, lehren diese Berge. Sprache: lingua romanscha, wie altprovencalisch und katalonisch, im ganzen Engadin.

Gesellschaft: Mailänder, ein paar Engländer, meist Schweizer; in Pensionen zerstreut – etwa 60 bei uns an table d'hôte, wozu ein wandernder Musikant die Handharmonika spielt.

Der plötzliche Gegensatz der römischen Glut zu dieser kalten Alpenluft ist zu groß. Er bringt eine Revolution in mir hervor. St. Moritz, 13. August Erst häßliche Regentage, dann fiel am 10. August Schnee. Es ist bitter kalt. Ich trinke und bade. Die Kur strengt an.

Ich lernte hier die beiden Reisenden kennen, Moritz Wagner und den Weltumsegler Carl Scherzer von der Novara, beide Männer von liebenswürdiger Persönlichkeit.

Mit Cartwright und Dr. Erhardt erstieg ich die Furka, am Piz Corvatsch. Wir störten viele Murmeltiere auf; frühstückten auf einem Gletscher. Wir stiegen zu den herrlichen Rosetschgletschern hinab und weiter durch das schöne Tal nach Pontresina, dem reizendsten Ort der ganzen Gegend. Gewöhnliche Spaziergänge Campfer, Silvaplana, Cresta, Celerina, Samaden. Je länger man hier ist, desto mehr gewinnt man doch von dieser großen Bergwelt, mit ihren naiven Bewohnern, in kleinen, frostig reinlichen und wohlhabenden Dörfern. Das Inntal ist 19 Stunden lang, 7 Stunden davon nimmt Engadinôta (alta) ein. Ich habe die romanische Sprache zu lernen angefangen. Aber ernste Studien darf ich hier nicht treiben. Die ersten zehn Druckbogen vom Band IV sind hier von mir revidiert worden.

Nach den Äußerungen von Moritz Wagner zu schließen, möchte mich der König Max nach München ziehen wollen.

Die Ereignisse in Italien, wo Garibaldi sich nach der Proklamation des Königs von ihm losgesagt hat und an der Spitze von 10 000 Freischärlern in Sizilien steht, regen mich auch hier auf. »Rom oder der Tod« ist das Feldgeschrei in allen Städten. Garibaldi will die Küste Neapels gewinnen und auf Rom marschieren. Die Franzosen werden schwerlich mit ihm kapitulieren. Der Gedanke, bei einer möglichen Reformation Roms fern zu sein, beunruhigt mich.

Herr von Thile wird mich von hier abholen. Ich sehne mich zurück nach Rom.

 

St. Moritz, 18. August

Wir hatten wieder zwei Regentage; heute wird es hell. Mit Scherzer angenehme Nachmittagsgänge. Major von Wirsing aus Stuttgart kennengelernt und Dr. Sigmund aus Wien; Konsul Hirzel aus Palermo.

Die romanische Sprache teilt sich in zwei Dialekte, die vom Oberland und die vom Engadin. Das Deutsche absorbiert sie nach und nach; sie ist eine absterbende Sprache. Ich ermunterte Herrn Alfons von Flugi aus St. Moritz, einen der wenigen Dichter des Engadins (neben Anna Camenisch), die Volkslieder des Landes herauszugeben. Ihre Zahl ist nicht groß, und, wie er sagte, sind sie von italienischer und deutscher Poesie beeinflußt. Das neue Testament existiert in der Übersetzung von Menni (Pfarrer in Samaden). Etwa 60 Schriften im romanischen Idiom sind geschrieben. Eine romanische Zeitung: ›Fögl D'Engiadina (Organ del public)‹ erscheint in Zuoz.

Der Vater der Engadiner Geschichte ist Campell, dessen lateinisches Werk in Chur ungedruckt liegt. Es ist bearbeitet worden von Mohr (Advokat in Chur), welcher auch einen Codex Diplomaticus der Engadiner Geschichte herausgegeben hat. Eine populäre Geschichte als Kompendium für Volksschulen schrieb Kaiser.

Ein Wörterbuch und eine Grammatik verfaßte O. Carisch.

Die Auswanderung der Engadiner, bis nach Australien und Kalifornien, ist sehr stark. Es ist seltsam zu denken, daß aus einer so heroischen Natur Zuckerbäcker hervorgehen.

 

Zürich, 23. August

Am 20. St. Moritz verlassen. Fahrt über den Julier. Ankunft in Zürich am 21.

Ich habe gestern Wilhelm Rüstow besucht, der ehemals Offizier in Königsberg war, wo ich ihn im Jahre 1848 kennenlernte; er diente als Freischaren-Oberst unter Garibaldi und machte von sich reden durch seinen (mißglückten) Sturm auf Capua. Ich fand ihn im roten Garibaldihemde, schreibend. Er scheint wütender Mazzinist zu sein. Rüstow erklärte, die Unternehmung Garibaldis in Sizilien sei eine Dummheit.

Ich besuchte hierauf den Ästhetiker Vischer; ein kleiner, untersetzter Mann mit rotem Bart, in den Vierzigern, schwäbischen Dialekt redend; sehr natürlichen und einfachen Wesens, voll Wissen und Geist.

Jeder Schweizer sieht so aus, als trage er eine Hellebarde, die er nur irgendwo an die Wand gelehnt habe. Vischer bemerkte: es gäbe hier keine Damen, nur Frauen. Die Bildung in der Schweiz sei importiert; nachdem sich das Volk von der deutschen Kultur, der es angehört, losgerissen habe, besitze es nichts eigenes mehr.

Heiden, 27. August In St. Gallen traf ich Professor Ullmann aus Karlsruhe, ehedem mit Umbreit Herausgeber der ›Studien und Kritiken‹ – ein würdiger Herr von feinen, konsistorialrätlichen Manieren. In Heiden fand ich bei Herrn von Thile auch Gräfe mit seiner jungen Frau.

Die Nachrichten aus Italien beunruhigen mich. Garibaldi zog, ungehindert von den Königlichen, in Catania ein; er hat die Rebellenfahne aufgepflanzt; die Regierung sendet gegen ihn Cialdini, seinen erklärten Gegner, und gibt den Oberbefehl über die Flotte an Persano.

 

München, 3. September

Am 31. August fuhr ich nach Ragaz zur Großfürstin Helene. Ich fand bei ihr nur Fräulein v. Rhaden. Wir frühstückten und tafelten allein mit dem russischen Gesandten aus Bern, Herrn Uwaroff; später kam noch der Leibarzt Dr. Arneth. Ich ersah sehr bald, daß die Gerüchte, die Großfürstin sei exiliert, nichts als Erfindungen seien. Sie kehrt sehr bald wieder nach Rußland zurück. Bei ihr las ich die Depeschen, welche meldeten, Garibaldi sei am 29. August bei Aspromonte vom Oberst Pallavicini gefangen und verwundet worden. Der Unselige spielte an jenen Küsten die Ballade vom Taucher. Die Götter schonen kühner Einfalt nur einmal.

Augsburg war wiederum der Ort, welcher durch Heimatsgefühl auf mich wirkte. Eine protestantische Beerdigung, der ich herumwandernd beiwohnte, rührte mich tief. Diese Feier ist seelenvoll. Die deutschen Kirchhöfe und die deutschen Kinder sind es, welche am schönsten die unendliche Seelengüte unseres Volks offenbaren.

Ich frühstückte auf der Redaktion der Augsburger ›Allgemeinen Zeitung‹ bei Hermann Orges, mit dem Freiherrn v. Freiberg, den ich in Rom kennengelernt hatte. Auch sah ich Kolb, den Chefredakteur, welcher ganz gelähmt ist. Das Redaktionspersonal lebt seit Jahren in der tiefsten Zerfahrenheit: Altenhöfer und Kolb grenzen wohnend aneinander und machen seit etwa 15 Jahren alle ihre Geschäfte brieflich ab.

Um 2 Uhr nach München. Im Cottaschen Hause fand ich Band IV der ›Geschichte von Rom‹ vor. Abends sah ich ›Hamlet‹.

Heute besuchte ich Adolf v. Schack in seinem schönen Hause.

 

München, 8. September

Der Bruder Julius kam am 5. September.

Schack gab mir zu wissen, daß der König, welcher gegenwärtig in Berchtesgaden sich befindet, mich hier in München zu halten wünsche oder doch mich verpflichten wolle, drei Monate lang im Jahr an diesem Ort zu bleiben. Ich kann mich dazu nicht entschließen. Die Freiheit steht mir zu hoch, und zu lange habe ich sie an den Brüsten der römischen Wölfin eingesogen. Meine Arbeit verlangt mein Bleiben in Rom.

Kurz, ich legte diese Sache wieder in die Hände Schacks zurück.

Für Schack hat Genelli zwei schöne Bilder gemalt, die in seinem Hause sich befinden.

München ist die kulissenhafte Schöpfung einiger Könige. Das Fürstenhaus hat diese Stadt zu einer großen und schönen Residenz machen wollen. Riesige Entwürfe, voll Geist, sind hier verzwergt, weil sie außer dem Verhältnis zum Volk und dessen Bedürfnissen stehen. Man wollte die Münchener über Nacht zu Florentinern machen. Dieser Stadt fehlen drei Dinge: Phantasie, Vornehmheit, Grazie. Das Bier macht das Volk stumpf. Nicht weit von der Bavaria Schwanthalers steht ein Bierhaus; dies ist charakteristisch.

Immer aber wird es bewundernswürdig sein, was ein geistreicher Fürst hier geschaffen hat. Die Künste blühten hier wirklich: Cornelius, Schwanthaler, Schnorr, Rottmann, Klenze, Veit, Overbeck, Ohlmüller, Gärtner etc. Die Sammlungen in den Pinakotheken und der Glyptothek würden selbst Florenz und Rom zieren.

München, 10. September Bei Schack zu Mittage mit Julius v. Mohl, dem Orientalisten und Übersetzer des Firdusi ins Französische; auch war dort der Professor Julius Braun, geistvoller Archäolog und Kulturhistoriker.

München, 12. September Heute fuhr der Bruder über Salzburg nach Wien. Ich gehe morgen über Lindau nach Genf. Meine Bibliothek-Arbeiten schloß ich. Ich habe mich orientiert und einiges gesehen, was ich notwendig brauchte. Ich kehre, so hoffe ich, im künftigen Jahr hierher zurück. Meine Heimatsreise war zu kurz. Einst will ich doch wieder unter meinem Volke leben.

Hier ist kein Haß gegen Preußen. Aber eine Annexion ließe man sich nicht gefallen. Das Jahr 1859, oder die Politik der freien Hand, hat Süddeutschland von Preußen abgewendet. Um Österreich schwebt auch jetzt noch der Nimbus des Reichs. Dies wird man hier gewahr. Julius von Mohl sagte, der Rhein sei ein Axiom in Frankreich. Napoleon wird dort seine letzte Karte ausspielen. Dies fürchte ich auch. Schlimme Zeiten stehen uns bevor. Aber unsere Nationalkraft muß siegreich daraus hervorgehen.

 

Genf, 15. September

Am 13. über Lindau und Romanshorn nach Zürich, wo ich nächtigte.

Am 14. über Solothurn nach Lausanne.

Das Haus Gibbons ist jetzt ein Hôtel; man zeigt dort den Garten, in welchem er an seiner Geschichte schrieb.

Heute am 15. nach Genf.

Luxuriöse Straßen und Läden, herrliche Lage an der Rhone und am See. Köstliche Promenaden. Die Altstadt minder schön, aber ernst und streng im Stil. Die Kathedrale (St. Pierre), ein gotisches Gebäude mit romanischer Beimischung, verunstaltet durch eine Tempelfront im Renaissancegeschmack. Drinnen die Kanzel Calvins; vielmehr ist nur sein Stuhl und der Baldachin aus seiner Zeit und das Grabmal des Duc de Rohan – sonst keine Monumente.

Ich fuhr nach Ferney. Man erreicht den Sitz Voltaires in 30 Minuten. Das Schloß in einem Park, von alten Bäumen umgeben, die Voltaire selbst mochte gepflegt haben. Ein restauriertes und modernisiertes Gebäude, zweistöckig, im Renaissancestil. Voltaires Schlafgemach, worin sein Bett, und ein kleiner Salon davor. Darin einige Gemälde. Die Einrichtung ohne Luxus, in Rokoko. Heute wohnen reich gewordene Baumwollenkrämer fürstlicher.

Ein Porträt Friedrichs des Großen (sehr schlecht) hängt dort, wahrscheinlich ein Geschenk, und das Porträt Katharinas von Rußland in Lebensgröße, wie die Inschrift sagt ihr Geschenk. Zwei Bilder, Endymion und Diana vorstellend; ein Gemälde, welches ein Hoffest vergegenwärtigt, bei dem Voltaire selbst figuriert. Ein Relief und ein Porträt von ihm. Seine Zeitgenossen, Diderot, Delille, Washington, Franklin etc. Neben dem Schloß (oder vielmehr Landhaus) die kleine Kirche mit der bekannten Aufschrift: Deo Erexit Voltaire.

Ich habe demnach die zwei Wiegen der französischen Revolution gesehen, Ferney und das Haus Rousseaus in Genf.

 

Genua, Donnerstag, 18. September

Von Genf am 16. abgefahren durch einen Teil Frankreichs (Departement de l'Ain).

In Culóz beginnt die Eisenbahn »Viktor Emanuel«, welche über Chambéry, St. Jean de Maurienne bis nach St. Michel reicht. Das schöne Savoyen durchjagten wir im Fluge. Von St. Michel Post über den Mont Cenis bis Susa. Wir kamen an dem Ort vorbei, wo der Berg durchgraben wird. Man sagte mir, daß man in sieben Jahren mit diesem riesigen Unternehmen zu Ende sein werde. Lange eiserne Tuben führen längs der Straße den Arbeitern Luft zu.

Großartig ist die Lage der Festung Exilles; sie steht auf einem Kalkgebirg von roter Farbe. Unten braust die Isère in schwindelnder Tiefe, an deren Rand der Wagen hinrollt.

Dann kamen wir nach Loras le Bourg und über den Gipfel des Passes um Mitternacht.

Um 2 Uhr in Susa; am 17. um 4 Uhr in Turin.

Turin ist ganz modern, prächtig, voll fürstlicher Paläste. Sein Charakter, daß es keinen Charakter hat. Es erinnert an Berlin. Doch sind die Höhen über dem Po, wo die Superga steht, malerisch. Ich besuchte den Saal im Palast Carignano, wo das Parlament seinen Sitz hat; er ist neugebaut, ohne Luxus und klein.

Im königlichen Schloß, welches denselben dürftigen Eindruck macht, rüstete man die Säle zur Vermählung der Prinzessin Pia mit dem König von Portugal. Man gestattete dem Publikum den Zutritt.

Carl Promis führte mich auf die Bibliothek des Königs und in die der Universität, wo ich den Vize-Präfekten Abbate Peyron kennenlernte. Für meine Geschichte von Rom ist dort keine Ausbeute.

Seitdem ich dies schöne, aber kalte, unhistorische Turin sah, erkannte ich auch, daß Italien von hier aus nicht zu regieren ist.

Alle Monumente, die Turin besitzt, sind modern und piemontesischer Nationalität angehörig.

Promis sagte mir, in Turin herrsche die Ansicht, daß Garibaldi und der König in Bezug auf die kalabrische Expedition einverstanden gewesen seien. Der König zeige sich gar nicht mehr, es sei denn nachts, wo er nicht fürchten dürfe, erkannt zu werden. Promis schien mit Widerwillen von ihm zu reden. Hoffnung für die Einheit Italiens hatte er nicht.

Ich fuhr mit dem Schnellzug um 5 Uhr nach Genua und traf hier um 11 Uhr abends ein.

Heute abend will ich mit dem Schiff »Solferino« nach La Spezia fahren.

 

Florenz, 20. September Fontana

Auf dem Schiff befand sich Elpis Melena, d. h. Frau von Schwartz, welche zur Pflege ihres Freundes Garibaldi nach Varignano ging. Wie Fliegen eine Wunde, so umschwärmen Frauen den wunden Helden.

Ich landete in Spezia um 3 Uhr morgens und suchte Lindemanns auf und Frau Schwabe, von welcher ich schon in den Turiner Blättern gelesen hatte, daß sie Garibaldi pflege. Sie erzählte von seinem Zustand, da sie den gestrigen Tag bei ihm verbracht hatte. Der verwundete Löwe liegt im Fort Varignano; ich konnte vom Ufer aus das Fenster seines Zimmers sehen. Von drei hohen Gebäuden nebeneinander, bestimmt zu Lazaretten und der Wohnung des Gouverneurs, ist es das äußerste, worin er sich befindet. Galeoten liegen im alten Kastell auf der Spitze der Landzunge und in dem Wrack eines Kriegsschiffes. Der Volksheld befindet sich unter Galeerensklaven. Eine sonderbare Ironie hat es gefügt, daß das Linienschiff, welches vor Varignano ankert, »Garibaldi« heißt. Jetzt ist der Zutritt zu Garibaldi freier; am Anfange waren die Befehle Ratazzis sehr streng. Seine beiden Söhne, ein paar gefangene Offiziere sind bei ihm. Man sendet ihm Erfrischungen aus vielen Teilen des Landes; aber anfangs war er vom Nötigsten entblößt; das erste frische Hemde ließ ihm Frau Schwabe nähen.

Der Chirurg Partridge erklärt sich über seine Wunde zweifelhaft. Knochensplitter gehen ab. Man weiß noch immer nicht, ob die Kugel heraus sei. Sitzt sie noch im Knochen, so wird eine Amputation nötig sein. Der Verwundete schweigt fast immer; über Politik äußert er sich nie. Er liest Tacitus, wie Cola di Rienzo Livius im Gefängnis las.

Spezia ist leer. Der Anblick des Hauses, wo Garibaldi liegt, verbreitet dort eine melancholische Lazarettatmosphäre, die alles durchdringt und auch die Menschen am Ufer stille zu machen scheint.

Auch hier herrscht die Ansicht, daß Garibaldi anfangs mit dem König einverstanden gewesen, aber dann preisgegeben sei. Man ist aufgebracht, daß der König kein Zeichen von Mitgefühl für den Mann kund gab, dem er die italienische Krone verdankt. An einen offiziellen Prozeß glaubt niemand.

Ich verließ Spezia um 11 Uhr auf einem Wägelchen und fuhr über Sarzana, Luni (heute das elende Avenza) und Massa nach der Station Querceta und von dort über Pisa und Lucca nach Florenz, wo ich gestern um 10 Uhr abends ankam.

 

Florenz, 20. Oktober

Über vier Wochen bin ich hier gewesen. Ich wohnte im Palast der Caroline Ungher, und habe viel gearbeitet, sowohl auf der Magliabecchiana als im Staatsarchiv. Kurz vor mir war Moritz Hartmann im Palast zu Gast gewesen. Ich las einige fünfzig lateranische Urkunden und kopierte viele andre Aktenstücke.

Es kam Lindemann und brachte mir die Nachricht von der schweren Erkrankung des Dr. Alertz in Luzern; sie bestätigte Reumont, der zur Fürstin Rospigliosi fuhr. Ich schrieb nach Luzern, habe aber keine Antwort.

Jeden Sonntag fuhr ich mit Michele Amari bis zur Lastra und dann auf die Villa. Auch Villari sah ich mehrmals.

Sabatier ist noch in Frankreich.

Thouvenel hat seine Entlassung gegeben, Drouyn de Lhuys nimmt seine Stelle ein. Die Garibaldi-Amnestie wurde stillschweigend aufgenommen. Doch die Einheit Italiens ist gesichert.

Ich gehe morgen zu Schiff nach Rom.

 

Rom, 25. Oktober

Nach einer guten Seereise kam ich hier an, am 22. Oktober 3 Uhr nachmittags.

 

Rom, 20. November

Ich habe die ganze Zeit tüchtig gearbeitet, auch in der Vaticana.

Am 27. Oktober stürzte in Griechenland der Thron Ottos I. zusammen. Am 16. September starb mein armer Bruder Gustav in New York, einst Philhellene, und im Heer unter jenem Könige. So viel schwere Schicksale, so viel Ungunst im Leben und so viel Leiden hat selten jemand so männlich bekämpft als er.

 

Rom, 30. November

Buoncompagni und die Garibaldischen, selbst Männer von der Rechten, greifen das Ministerium Ratazzi mit großer Heftigkeit an. Anklagepunkte Aspromonte, Brigantaggio, Unfähigkeit, Rom zu nehmen, die Note Drouyns, welche Durando sich mußte gefallen lassen, die Abhängigkeit von Frankreich.

Vor einigen Tagen fiel der preußische Gesandte hier, von Canitz, in Wahnsinn; er erschien in dem Zimmer, wo der Kronprinz von Preußen, die Kronprinzessin und der Prinz von Wales bei Tafel saßen, gekleidet in sein türkisches Morgengewand, worin ich ihn so oft gesehen habe. Man hat ihn ins Palais des Herzogs Caetani gebracht, dessen Frau seine Schwägerin ist. Canitz war ein Ehrenmann, obwohl von nur wenigen geistigen Interessen, mit einziger Ausnahme der griechischen Philologie.

Passaglia hat viele Priester gewonnen, die Adresse zu unterzeichnen, welche den Papst auffordert, dem Dominium Temporale zu entsagen. Vor wenig Jahren hätte auch der beredteste Prophet nicht vermocht, ein paar Pfaffen unter die Fahne der Rebellion gegen einen von der Kirche sanktionierten Zustand zu versammeln. Die Zeit schreitet vor. Der Keim eines Schismas politischer Natur ist sichtbar. Das Dogma freilich bleibt aus dem Spiele; die Italiener wie unsere Zeit überhaupt, sind indifferent gegen die Religion.

Ich war bei Don Vincenzo Colonna. Er stellte mir das Archiv seines berühmten Hauses zur Verfügung. Er sagte: unter Paul III. und Paul IV. habe dies Archiv viele Plünderung erlitten; es sei sprungweise ausgestattet. Ganze Epochen fehlen, zumal die früheste. Valesius habe eine Geschichte der Colonna geschrieben, die im Original auf dem Kapitol, in Abschrift in jenem Archiv sei. Die Dokumente, welche er dafür mit sich nach Hause nahm, seien leider nach seinem Tode verschwunden. Erst nach dem Sacco di Roma beginne die Vollständigkeit der Urkunden.

Ich werde dies Archiv am Donnerstag besichtigen.

Ich arbeite rüstig am fünften Bande. Das Material ist riesengroß, und ich möchte oft verzweifeln, diesen Ozean zu durchschwimmen. Aber es muß geschehen.

 

Rom, 14. Dezember

Der Kronprinz und die Kronprinzessin von Preußen sind vor etwa zehn Tagen abgereist. Sie verlangten mich zu sehen; ich ging in den Palast Caffarelli und wurde gütig aufgenommen, auch nach Berlin eingeladen. Der Kronprinz hat ein offenes und einnehmendes Wesen; seine Gemahlin ist schlicht und einfach, voll klaren Verstandes. Man hat es dem Kronprinzen verdacht, daß er beim Exkönig Franz II. einen Besuch machte; aber dies war gut und menschlich. Der Papst erwähnte bei seinem Abschiedsbesuch der alten Kölner Angelegenheit; der Kronprinz sagte mir davon und daß er etwas erwidert habe, um »das Andenken seines Großvaters nicht kränken zu lassen«. Er sprach die Hoffnung aus, daß die jetzige Krisis in Preußen sich bald beschwichtigen werde; da er mich um meine Ansicht über die römischen Dinge befragte, sagte ich sie auch unverhohlen.

Hier ist auch Gisela von Arnim mit ihrem Manne Hermann Grimm. Die Tochter Bettinas hat etwas von ihrer Mutter; wenigstens etwas vom »Kinde« ist in ihrem Wesen. Ihre zusammenhanglose Art mißfiel mir anfangs; jetzt erkenne ich, daß sie einen liebenswürdigen Geist besitzt.

Die Eisenbahn nach Neapel ist am 1. Dezember eröffnet worden. Die Zentralstation ist nach den Bädern des Diokletian verlegt. Ein großes Ereignis in den Annalen der Stadt.

Das Ministerium Ratazzi ist erlegen. Farini hat ein neues Kabinett gebildet; darunter ist auch Freund Michele Amari als Minister des Unterrichts.

Am Donnerstag traf hier der neue französische Botschafter ein, Latour d'Auvergne; mit ihm sind Baron Baude und Graf Chateaubriand, welche das Gesandtschaftspersonal bilden.

 

Rom, 31. Dezember

Den Abend des Weihnachtsfestes brachte ich sehr schön bei Lindemann zu, wo die norwegischen Mädchen Volkslieder ihrer Heimat sangen. Das Jahr war gut. Meine Arbeit ist grenzenlos.


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