Ferdinand Gregorovius
Lucrezia Borgia
Ferdinand Gregorovius

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XVII

In jener Zeit reiste man von Rom nach Nepi, wie heute, auf der Via Cassia über Isola Farnese, Baccano und Monterosi. Die Straße war damals noch teilweise die antike, aber in dem schlechtesten Zustande. Nahe bei Monterosi lenkte man in die Via Amerina ein, deren altes Pflaster noch jetzt in weiten Strecken und bis unter die Mauern Nepis erhalten ist.

Wie fast alle etrurischen Städte liegt auch diese (Nepe oder Nepete) auf einer Hochfläche, deren steile Ränder sich in tiefe vulkanische Erdspalten niedersenken, und durch diese bahnen sich kleine Flüsse, Rii genannt, über Felsgetrümmer ihren Weg. Die nackten Tuffwände dienten zur natürlichen Befestigung, und wo sie minder hoch sind, half man ihnen mit Mauern nach.

Die südliche Stadtseite Nepis, wo der Rio Falisco durch ein minder tiefes Tal fließt, ehe er in die große Schlucht hinabstürzt, war schon im Altertum durch hohe Mauern befestigt worden. Sie bestanden aus länglichen Quadern von Tuff, die man ohne Zement übereinander legte, wie jene der Mauern des benachbarten Falerii. Noch stehen ansehnliche Reste dieser Mauern Nepis an der Porta Romana, während anderes Material derselben zum Bau der Burg und auch für die hohen Bogen der farnesischen Wasserleitung gedient hat.

Die Burg schützte die schwächste Seite von Nepi, und auch im Altertum stand wohl auf derselben Stelle die Arx der Stadt. Im 8. Jahrhundert war sie der Sitz eines mächtigen Dux Toto, der auch in der Geschichte der Stadt Rom namhaft geworden ist. Der Kardinal Rodrigo Borgia gab ihr diejenige Form, welche sie noch heute bewahrt. Denn er ließ das Schloß neu ausbauen, und die zwei inneren mächtigen Türme aufführen, von denen der größere rund, der kleinere viereckig ist. Später wurde dasselbe Schloß von Paul III. und seinem Sohn Pierluigi Farnese, dem ersten Herzog von Castro und Nepi, restauriert und durch Bastionen erweitert.

Die Burg war im Jahre 1500 nicht minder fest als jene von Civitacastellana, welche Alexander VI. gleichfalls ausbaute. Heute ist sie kläglich verfallen. Dichter Efeu umschlingt die Trümmer des Schloßpalastes und alle Außenwände. Nur die beiden Turmkolosse haben der Zeit getrotzt.

Man tritt von der Stadtseite in dieses zerstörte Schloß durch eine Pforte, über welcher in schöner Renaissanceschrift geschrieben steht YSV. VNICVS CVSTOS. PROCVL HINC TIMORES. YSV. Zunächst gelangt man in einen viereckigen Hofraum, welchen vermauerte und zerstörte Portiken umgeben und dessen ganze Fläche ein Gemüsegarten einnimmt. Vor sich hat man die verfallene Fassade des Schlosses, einen zweistöckigen Bau im Stil der Renaissance, mit Fenstern, deren Einfassung aus Peperin besteht. Auf dem Gesims des Portals zeigt die Inschrift P. LOISIVS FAR. DVX PRIMVS CASTRI auch hier einen farnesischen Umbau an.

Das Innere bietet nur noch einen Schutthaufen dar. Die Gemächer sind alle eingestürzt. Niemand hielt den Untergang dieses merkwürdigen Denkmals der Vergangenheit auf; und erst vor fünfzig Jahren brach der letzte Saal zusammen. Nur ein einziges Oberzimmer, zu welchem man auf einer Leiter emporklettern muß, ist erhalten. Man sieht darin noch die Stelle des Kamins und sogar die ursprüngliche Decke aus Holzgetäfel, wie man solches in der Frührenaissancezeit anzuwenden pflegte. Die Balkenenden bilden zierlich ausgeschnitzte Konsolen. Das ganze Holzwerk ist dunkelbraun angestrichen, und hie und da sind an die Decke Schilder von Holz angelehnt, auf denen das Wappen Borgia in Farben gemalt ist.

Auch an den Wänden im Innern, wie außen auf den Türmen der Burg erblickt man noch hie und da dasselbe Wappen in Stein. Zwei sehr gut gemeißelte Wappen, die man in der Vorhalle des Gemeindehauses von Nepi eingemauert sieht, sind dorthin aus dieser Burg gebracht worden, wo sie wohl Lucrezia hatte aufrichten lassen. Sie vereinigen unter einer Herzogskrone das Wappen Borgia mit dem des Hauses Aragon, und das letztere hatte Lucrezia als Herzogin von Biselli angenommen.

Das einsame Nepi, welches heute nur 2500 Einwohner zählt, war im Jahre 1500 kaum volkreicher: ein kleiner Campagnaort mit Straßen von gotischer Architektur, mit einigen alten Palästen und Türmen edler Geschlechter, von denen die Celsi die angesehensten waren; mit dem kleinen Stadtplatz, dem ehemaligen Forum, worauf das Kommunalhaus stand; mit dem alten Dom, der ursprünglich auf den Trümmern des Jupitertempels erbaut worden war, und noch im Jahre 1500 seine Basilikenform bewahrt hatte; mit einigen anderen uralten Kirchen und Klöstern, wie S. Vito und S. Eleuterio, und wohl noch mit manchen Resten des Altertums, die jetzt verschwunden sind. Denn nur zwei antike Statuen, Ehrenbilder von verschollenen Bürgern Nepetes, stehen noch an der Fassade des Gemeindepalastes, eines zierlichen Gebäudes aus der letzten Epoche der Renaissance.

Die Landschaft Nepis hat, wie die der meisten etrurischen Gegenden, einen ernsten und melancholischen Charakter, und diesen erzeugt die vulkanische Natur des Erdbodens zusammen mit der geschichtlichen Verstorbenheit, welche ganz Etrurien eigen ist. Diese zerrissenen und düsteren Schluchten mit ihren Felsblöcken und steilen Wänden bald aus schwarzem, bald aus dunkelrotem Tuff, diese in ihrer Tiefe brausenden Bäche bringen einen großartigen aber schwermutsvollen Eindruck hervor; und so ernst stimmen auch die weiten und stillen Hochflächen und die idyllischen Weidetriften, auf denen man fort und fort das klagende Blöken der Schafherden und die trauervollen Töne der Hirtenflöte hört.

Hie und da stehen dunkle Eichenwälder. Vor vier Jahrhunderten waren sie um Nepi her voller und dichter als heute, wo sie auf der Seite nach Sutri und nach Civitacastellana schon stark gelichtet sind; aber noch immer bilden sie prächtige Gebüsche. Vom Altan der Burg bietet sich den Blicken ein großes Panorama dar, welches noch umfassender ist als jenes, dessen Anblick das Schloß von Spoleto gewährt. Am Horizont erhebt sich hier der finstere Höhenzug der Vulkane von Bracciano mit dem Monte di Rocca Romana, dort der ciminische Bergwald vor Viterbo, auf dessen breiten Abhängen der farnesische Ort Caprarola deutlich sichtbar ist. Gegenüber steigt der inselartige Soracte auf. Nach Norden zu sinkt das Hochland leise zum Tibertal nieder, über welchem in der duftigen Ferne die blauen Bergreihen der Sabina sich mächtig darstellen, mit vielen Kastellen auf ihren Vorhöhen.

Die junge Witwe Alfonsos zog am 31. August in das Schloß Nepi ein, dessen Räume sich nun mit einem Teile ihres Hofstaates belebten; sie hatte mit sich ihr Kind Rodrigo. Aber alle diese sonst so ausgelassenen Kavaliere und Damen waren von wirklicher oder offizieller Trauer verdüstert. In der einsamen Burg konnte Lucrezia ungestört um den schönen Jüngling weinen, der zwei Jahre lang ihr Gatte gewesen war und mit dem sie kaum ein Jahr zuvor eben dieses Schloß bewohnt hatte. Nichts störte dort ihre düsteren Gedanken; vielmehr Burg, Stadt und Landschaft stimmten sehr wohl zu ihnen.

Wir besitzen aus der Zeit jenes trauervollen Aufenthaltes Lucrezias in der Burg Nepi einige ihrer Briefe, und diese sind außerordentlich wertvoll als die einzigen überhaupt, welche aus der ganzen römischen Periode der berühmten Frau erhalten oder doch bis jetzt entdeckt worden sind. Sie stammen aus ihrer Kanzlei in Ferrara. Lucrezia richtete sie an ihren vertrauten Diener Vincenzo Giordano in Rom, teils eigenhändig, teils durch ihren Sekretär Cristoforo. Sie unterzeichnete sich darin: »die unglückselige Prinzessin von Salerno«, doch hat sie dann die Worte principessa de Salerno selbst wieder durchstrichen und nur das Wort La infelicissima stehen lassen; nur in einem einzigen undatierten Briefe blieb die ganze Unterschrift.

Der erste Brief, datiert vom 15. September 1500 »in unserer Burg Nepi«, handelt von häuslichen Angelegenheiten, namentlich von Kleidern, deren sie benötigt ist, und so auch der zweite vom 24. Oktober. Am 26. Oktober schreibt sie, daß sie dem Kardinal von Lissabon, ihrem Gevatter, geschrieben habe zugunsten des Überbringers dieses Briefes, des Giovanni von Prato. Am 28. Oktober trägt sie Vincenzo auf, Kleider für den kleinen Rodrigo anfertigen zu lassen, und ihr dieselben schnell durch einen Boten zu senden. Sie befiehlt ihm ferner, in allen Klöstern von neuem Gebete halten zu lassen »wegen dieser meiner neuen Leiden.« Am 30. Oktober schrieb sie:

»Vincenzo. Weil wir beschlossen haben, daß das Totengedächtnis für die Seele des Herrn Herzogs meines Gemahls – die Glorie der Seligen sei ihm zuteil – gefeiert werde, so wirst du, im Angesicht dieses, dich zum Ehrwürdigen Herrn Kardinal von Cosenza begeben, welchen wir mit diesem Offizium beauftragt haben, und dasjenige tun, was Se. Ehrwürden dir befehlen wird: sowohl in bezug auf die Bezahlung des genannten Totenamts, als auch die Betreibung dessen was Se. Herrlichkeit dir befehlen wird, und du wirst zusehen was du von den fünfhundert ausgibst, die du hast: denn ich werde Befehl geben, daß sie dir wiedererstattet werden, so es nötig sein wird. Aus der Burg Nepi, am vorletzten Oktober 1500. Die Unglückselige Prinzessin von Salerno.«

Ein undatierter Brief Lucrezias mag derselben Zeit angehören, weil er von trauerfarbenem Zeuge handelt, welches sie begehrt, den Himmel über ihrem Bette damit zu versehen. Die letzten datierten Briefe sind vom 31. Oktober und vom 2. November, und enthalten unwichtige häusliche Aufträge; sie beweisen, daß Lucrezia noch im November in Nepi war. Auf ihre Rückkehr nach Rom bezieht sich ein anderes undatiertes Schreiben an denselben Vincenzo Giordano; es enthält absichtliche nicht mehr zu entziffernde Dunkelheiten und offenbar mit ihrem Diener verabredete Namen; auch die Unterschrift ist eine konventionelle Ziffer. Lucrezia sagt darin wörtlich: »Ich bin so mißmutig und so mit Verdruß erfüllt wegen meines Kommens nach Rom, daß ich nicht zu schreiben vermag; ich kann nur immerfort weinen. Und alle diese Tage, da ich sah, daß Farina mir nicht antwortete noch schrieb, habe ich weder essen noch schlafen können, nur immer weinen. Und Gott verzeihe Farina, der doch alles hätte zum Besseren wenden können, und es nicht getan hat. Ich werde zusehen, ob ich ihm Roble schicken kann, ehe ich abreise, denn ihn will ich schicken. Nichts anderes. Nochmals besorge wohl jene Sache. Und auf keine Weise lasse Rexa diesen Brief sehen.«

Es scheint, daß Lucrezia sich von Nepi fortsehnte und nach Rom zurückzukehren begehrte, was ihr Vater ihr anfangs verweigern mochte. Vielleicht ist Rexa in jenem Briefe Alexander, und der Name Farina mochte den Kardinal Farnese bedeuten, auf dessen Vermittlung sie hoffte. Vincenzo schrieb ihr endlich, daß er mit dem Papst selbst gesprochen habe, und Lucrezia drückte ihrem Diener in einem (undatierten) Brief ihre Freude darüber aus, daß alles besser gegangen sei, als sie selbst es gehofft hatte. Dies ist der einzige Brief, in welchem die Unterschrift »Die Unglückselige Prinzessin von Salerno« nicht durchgestrichen ist.

Wir wissen nicht, wie lange Zeit Lucrezia in Nepi blieb, wo gerade in der Sommerschwüle die aus den Felsenschlünden aufsteigenden Dämpfe eine tödliche Fieberluft erzeugen, welche noch heute jenen Ort und Civitacastellana ungesund macht. Ihr Vater mochte sie schon vor Weihnachten nach Rom zurückrufen, und alsbald wandte er ihr seine Gunst wieder zu, zumal ihr Bruder die Stadt verlassen hatte. Und kaum gingen Monate hin, so war die Seele Lucrezias von anderen glänzenden Bildern der Zukunft erfüllt, hinter denen die Schattengestalt des unseligen Alfonso in Vergessenheit sank. Ihre Tränen trockneten so schnell, daß nur nach einem Jahre in diesem jungen lachenden Weibe niemand die Witwe eines ermordeten und aufrichtig betrauerten Gatten würde erkannt haben. Lucrezia hatte von ihrem Vater, wenn auch nicht die unzerstörliche Lebenskraft, so doch jenen Leichtsinn geerbt, welchen die Zeitgenossen unter dem Namen eines immer heiteren Wesens sowohl an ihm wie an ihr ausdrücklich bemerkt haben.


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