Paul Grabein
Die Herren der Erde
Paul Grabein

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Volkmar Heckes war beim Packen seiner Koffer, schon fast fertig damit, da überreichte ihm der Diener einen Brief, den soeben ein Bote für ihn abgegeben hatte – aus Bistorp, von Hedwig:

»Volkmar, ist es denn wahr, das schreckliche Gerücht, das hier eben zu uns dringt? Es wäre ja nicht zum Ausdenken! Ich bin in einer unsagbaren Angst – um Dich. Gib mir doch ein Lebenszeichen, gleich durch den Boten. Und wenn irgend möglich, komm noch heute, daß ich mit eigenen Augen sehe, wenigstens Dir ist nichts geschehen.

In fliegender Eile

Hedwig.«

Wie das wohltat – ein Herz, das sich um ihn sorgte! Und Volkmar fühlte, wie die Starrheit von ihm wich, die ihn seit Stunden befallen hatte.

Er warf ein paar Worte auf eine Visitenkarte, die er dann im Kuvert verschlossen dem Boten hinausschickte. Einen innigen Gruß, die Bestätigung, daß er in kürzester Frist bei ihr sein würde.

Als dann auch das letzte hier erledigt war, ging er aus dem Hause. Er nahm seinen Weg über den Zechenplatz. Dort war es jetzt leer – die Menge ganz zurückgedrängt. Ein starkes Aufgebot von Gendarmen hielt Wache am Portal, hinter dem man draußen im Freien noch alles schwarz von Menschen sah. Sie hielten die Zeche noch immer belagert.

Als Volkmar am Schacht vorbeikam, drang ein gewaltiges, dumpfes Tosen an sein Ohr: das Brausen der Wassermassen, die dort in die Tiefe stürzten. Er sah auch die in aller Eile gebauten Röhrenleitungen, die von hinten aus dem kleinen Flußlauf, der an der Zeche vorbeistrich, die Fluten herzuführten, die sich jetzt in die beiden Schächte ergossen.

Mit einem Schaudern wandte er sich ab. Seine Gedanken flogen zur Tiefe da drunten – ein letzter Gruß an den, für den es nun keine Wiederkehr mehr gab. So nahm er Abschied von dem Werke, von dem Hause seines Vaters.

* * *

»Gott sei gedankt!«

Und Hedwig umschlang Volkmar mit den Armen. Das erstemal, daß sie ihm eine Zärtlichkeit erwies.

Wortlos hielt er sie an sich gepreßt.

Dann bog sie den Kopf zurück, ihn immer noch haltend, und sah ihm so voll ins Antlitz:

»Und du bist selber mit drin gewesen, hast dein Leben aufs Spiel gesetzt für die andern – Volkmar!«

Der Stolz auf ihn, Bewunderung leuchtete aus ihren Augen.

Aber er machte sich frei von ihr, fast brüsk.

»Nichts davon, Hedwig!«

Da ward sie still in leiser Beschämung und nahm dann nur seine Hand, beinahe zaghaft.

»Verzeih, wenn ich im Augenblick nicht an die andern dachte. Wie viele Augen werden sich diese Nacht vor Verzweiflung nicht schließen!«

Er erwiderte nichts, aber plötzlich schlug er die Hände vors Gesicht. Wie ein dumpfes Schluchzen brach es ihm aus der Brust. Die unnatürliche Überspannung seiner Nerven machte sich Luft, nun bei der Frau, die er liebte.

Hedwig blickte im Innersten erschüttert auf ihn. Zum erstenmal sah sie einen Mann so. Und es war ihr etwas Heiliges in der Entblößung seines Schmerzes, den er vor jedem andern Auge verborgen hatte.

»Volkmar!«

Es bebte etwas in dem Worte, was er noch nie von ihr gehört hatte. Da griff er nach ihrer Hand, und wortlos hielten sie sich so gefaßt, bis er wieder Herr seiner selbst war.

Dann erzählte er ihr alles, wie er den Freund, den Retter seines eigenen Lebens, da unten hätte lassen müssen, ohne ihm Hilfe bringen zu können – wie es ihm auf der Seele brannte, daß er das Wort der Versöhnung nun doch nicht mehr hätte sprechen können – und dann das letzte: daß er nun seinen Weg allein gehen würde, ohne die Hilfe seines Vaters.

»Es wird schwer sein, Hedwig, es fordert Opfer, auch von dir – ehe ich nun einmal soweit sein werde, um dir die Stellung bieten zu können, die dir zukommt.«

Hedwig Vermeren war tief ernst geworden; aber auch in ihren Augen stand ein großer Entschluß.

»Ich hoffe, dir zu zeigen, daß ich deiner wert bin, Volkmar.«

Dann sprachen sie näher über seine Zukunftspläne. Er wollte auf einem fremden Werk Stellung suchen, als Beamter. Wenn ihm das Glück half, konnte er ja auch auf diesem Wege aufrücken in eine leitende Position.

Hedwig stimmte ihm in allem zu. Wenn es nicht wie ein Frevel gewesen wäre an diesem schwarzen Tage, der so viele arme Frauen zu Witwen gemacht, so hätte sie ein Gefühl tiefen Glücks empfunden: wie er so ganz anders geworden war, mit jedem Wort, mit jedem Gedanken! Der furchtbare Schlag hatte seine allzu weiche Natur gestählt – es war ein Mann, der da vor ihr stand. Ein Mann, der mit festem Schritt seinen Weg gehen würde, bis ans Ziel. Und wieder, wenn auch nur ganz heimlich, stand jenes Leuchten des Stolzes auf ihn in ihrem Auge.

* * *

Magnus Heckes blickte noch immer auf das Zeitungsblatt, das ihm Direktor Dircks hingereicht hatte, die Berichte über die Versammlungen, die die Arbeiter auf allen seinen Werken gestern abend gleichzeitig abgehalten hatten.

Überall dasselbe, maßlose Angriffe auf ihn, fettgedruckte, brutale, in die Augen springende Überschriften:

»Das Blutmeer von Willibrod« – »Die Opfer der Profitwut« – »Auf der Schlachtbank des Kapitalismus« und hier gar: »Der Massenmord auf Willibrod!«

Es war allen Ernstes von den Rednern in den Versammlungen behauptet worden, die Katastrophe auf der Zeche sei nur eine Folge schreiender Mißwirtschaft gewesen. Es sei dort systematischer Raubbau getrieben worden; um zu sparen, seien nicht genügend frische Wetter und Wasser in die Grube geschickt worden, so wäre es denn zu den verhängnisvollen Folgen der Explosion gekommen, die bei rationeller Bewirtschaftung der Grube sicher nur lokaler Art geblieben wäre. Und dies alles seine persönliche Schuld – hier hatte er es ja schwarz auf weiß:

»Kameraden, und wen anders trifft die Verantwortung für alles als ihn? Seine Beamten, wohl sind sie mitschuldig, aber wir wollen ihnen schließlich keinen Strick daraus drehen. Sie mußten ja tanzen, wie Herr Magnus Heckes pfiff. Auch sie sind Familienväter, auch sie riskierten ihr Brot, wenn sie sich widersetzt hätten. Wer nicht pariert, der fliegt! Jeder kennt ja diese seine Parole. Darum bleibt er uns einzig und allein verantwortlich für das Verbrechen an unsern toten Kameraden da drunten im Schacht. Und wenn er nun auch noch das letzte fertiggebracht hat, die Unmenschlichkeit, die zum Himmel schreit – die Grube zu ersäufen mit allem, was noch darin lebte – warum geschah es? Nur um die Spuren dieses Verbrechens zu beseitigen, die ihn ins Zuchthaus hätten bringen müssen. Ja, ins Zuchthaus! Oder wenigstens zunächst in Untersuchungshaft. Aber wo sitzt Herr Magnus Heckes statt dessen? Nach wie vor auf seinem stolzen Schlosse, das wir Proletarier ihm mit unserm Schweiß erbaut haben – unbehelligt, ungekränkt. Kameraden, das ist Gerechtigkeit! So schützt der Staat unsere Interessen! Drängt sich da nicht Hunderttausenden von Proletarierlippen der flammende Entrüstungsschrei auf: Wo bleibt der Staatsanwalt? Hinter Schloß und Riegel mit dem Massenmörder von Willibrod! Hin mit ihm, wo er hingehört – ins Zuchthaus!«

Magnus Heckes las es ohne mit der Wimper zu zucken, nun warf er das Blatt auf den Tisch.

»Was soll man gegen diese unerhörten Angriffe tun?«

Zitternd vor Erregung fragte es der Direktor. Seine Nerven hatten seit dem Unglückstage einen schweren Schock bekommen. Verwünschungen und haßerfüllte Blicke verfolgten ja auch ihn, wo er sich sehen ließ.

»Nichts, lieber Dircks – nichts. Wer Schmutz anfaßt, besudelt sich.«

Kalt erwiderte es Heckes.

»Aber man kann doch das nicht auf sich sitzen lassen!« Der Direktor dachte an die Beschuldigung der Mittäterschaft gegen ihn und alle die anderen. »Man ist das doch schließlich schon seinen Beamten schuldig. Und außerdem – eine öffentliche gerichtliche Verhandlung würde auch dem Publikum gegenüber klar beweisen, daß diese frivolen Anklagen gegen uns einfach aus der Luft gegriffen sind.«

Heckes zuckte die Achseln.

»Wenn Sie klagen wollen, in Gottes Namen – ich habe nichts dagegen.«

Direktor Dircks fuhr sich über die feuchte Stirn. Er sah auf den Zechenherrn. Wenn man doch auch die eisernen Nerven hätte wie der!

»Übrigens,« und Magnus Heckes blickte jetzt doch noch einmal auf das Zeitungsblatt; sein Finger wies auf die Namen der Redner, »wer da öffentlich aufgetreten ist gegen uns, diese Herren Grotjohann und Konsorten, wird selbstverständlich entlassen. Lohn auszahlen und herunter vom Zechenplatz – auf der Stelle!«

»Sehr wohl, Herr Heckes,« und der Direktor nahm das Blatt wieder an sich. Doch er zögerte noch, ehe er es einsteckte. »Von der Resolution da zum Schluß haben Sie wohl auch Kenntnis genommen?«

Heckes nickte kurz.

»Ja, es lohnt nicht, auf den Unfug einzugehen. Sticht die Kerls der Haber – nur zu!«

Und seine Gestalt richtete sich unwillkürlich höher auf. Ein Kampf jetzt um die Macht, ein Kampf bis aufs Messer – es wäre ihm gerade recht.

Und noch einmal wandte er sich an Dircks.

»Sie mögen nur kommen – ich bin bereit!«

Es klang schneidend scharf, wie ein schmetterndes Angriffssignal.

* * *

»Die Arbeiterabordnung, Herr Heckes.«

Mit den Anzeichen hoher nervöser Erregung überbrachte Direktor Dircks dem Werkherrn die Meldung. Ruhig streckte Heckes die Hand nach dem Papier aus, das Dircks in seiner Hand hielt.

»Die Namen der Leute?«

»Ja,« und der Direktor gab ihm die Liste.

Der Zechenherr überflog sie mit einem Blick. Dann nahm er einen Rotstift; drei der Namen wurden durchstrichen.

»Grotjohann, Thiemann und Golchewski empfange ich nicht.« Es waren die wegen der Hetzreden neulich Entlassenen. »Ich verhandle nur mit Arbeitern meiner Werke. Sagen Sie den Leuten das.«

Dircks ging. Es dauerte wohl zehn Minuten bis er wiederkam.

»Sie haben erst nicht gewollt. Alle empfangen oder keinen, war die Parole. Aber dann haben sie sich doch anders entschlossen – die sieben übrigen sind bereit, auch so zu kommen.«

Magnus Heckes stand auf.

»Drüben in das Konferenzzimmer! Bitten Sie auch Direktor Voßmann und sämtliche Betriebsführer dazu; der Sekretär wird das Stenogramm aufnehmen.«

Es geschah so, und als alle zur Stelle waren, trat Heckes selber in den Raum ein.

Langsam kam er heran und musterte schweigend mit durchdringendem Blick jeden einzelnen der Leute, die ohne einen Gruß verharrten, in offensichtlichem Trotz. Dann blieb sein Auge auf dem hageren, blassen Mann mit den finsteren Zügen haften, der ein wenig vor den übrigen stand, wohl ihr Wortführer.

Magnus Heckes faßte ihn scharf ins Auge. Er glaubte ihn zu kennen.

»Maschinist Freukes?«

Der Mann nickte nur; aber in dem Blick, der mit geheimem Aufglühen jetzt den Zechenherrn traf, war manches zu lesen.

Heckes' Auge glitt langsam von dem Gesicht da ab, das auch in ihm vieles wachrief. Er sah in die Liste in seiner Hand; dann legte er das Papier auf den Schreibtisch.

»Nun, was haben Sie mir vorzutragen?«

Eine kurze Pause, dann ließ Freukes sich hören.

»Wir sind gekommen, um Ihnen die Wünsche der Arbeiterschaft zur Kenntnis zu bringen, die geschlossen hinter uns steht. Noch ganz unter dem erschütternden Einfluß der furchtbaren Katastrophe, angesichts der verbrannten, noch ungeborgenen Gebeine unser verunglückten Kameraden –«

»Wir sind hier nicht in der Volksversammlung!« schnitt ihm Heckes das Wort ab. »Enthalten Sie sich aller Phrasen. Sagen Sie kurz und sachlich, was Sie mir zu sagen haben.«

In Freukes' Gesicht zuckte es auf.

»Phrasen? Mein leiblicher Bruder liegt mit da drunten, Herr Heckes.«

»Das weiß ich – aber auch das gehört nicht hierher. Ich wünsche nur die Forderungen der Arbeiterschaft zu hören, nichts weiter.«

Die Muskeln in dem hageren Gesicht des Maschinisten spielten leidenschaftlich; aber dann bezwang er sich.

»Gut – Sie sollen sie sofort hören, Herr Heckes.« Ein leiser schadenfroher Triumph klang aus den Worten. »Also, die Arbeiterschaft Ihrer gesamten Werke erklärt Ihnen durch mich, daß sie sich solidarisch fühlt mit den von Ihnen gemaßregelten dreihundert Kameraden auf Zeche ›Armin‹.«

»Ich habe niemanden gemaßregelt.«

»Aber entlassen haben Sie ja wohl doch diese dreihundert, ohne jeden Grund.«

»Jawohl, unter Innehaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist, wie dies mein gutes Recht ist.«

Freukes nickte höhnisch.

»Und unser gutes Recht ist es, gegen solche grundlose Massenkündigungen zu protestieren, die nicht eben durch schlechten Geschäftsgang erklärlich sind, sondern lediglich dem Zweck dienen, Ihnen unbequeme, weil organisierte Arbeiter durch Ihnen willfährige zu ersetzen. Und insofern müssen wir trotz Ihrer Ableugnung eben doch eine Maßregelung in dieser Entlassung erblicken.«

Eine Bewegung der Zustimmung ging durch die andern Männer, und mit geheimer Genugtuung blickten sie auf ihren Sprecher. Der verstand's, der ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen!

Auch Heckes sah auf den Maschinisten mit einem inneren Überraschtsein. Dies Auftreten verriet Schulung. Der Mann mußte schon lange berufsmäßig in Gewerkschaftspolitik machen – und er wußte nichts davon. Er war schlecht bedient durch seine Beamten. Nun, dieser Herr Freukes würde nicht mehr lange Gelegenheit haben, auf seinen Werken im stillen zu wühlen! Und mit all seiner Unnahbarkeit sagte er jetzt:

»Sie haben mir demnach also den Wunsch der Arbeiterschaft zu übermitteln, daß jene Kündigung von mir zurückzunehmen sei?«

»Jawohl, Herr Heckes.«

»So,« gelassen meinte es Heckes, mit unverkennbarer Ironie, »nun und was weiter noch?«

»Unsere andere Forderung ist veranlaßt jetzt durch die Katastrophe. Darum müssen Sie mir schon erlauben, wenn es Ihnen auch wohl nicht angenehm ist, doch noch einmal diese Angelegenheit zu berühren.«

Mit peinigendem Hohn sagte es Freukes; aber sein boshaft aufleuchtender Blick suchte vergeblich in dem stählernen Antlitz vor ihm auch nur nach einem nervösen Wimperzucken. So mußte er denn fortfahren:

»Die Arbeiterschaft Ihrer Werke sieht in der gegenwärtigen Ordnung des Betriebs auf Ihren Gruben keine genügende Garantie für ihr Leben und ihre Sicherheit. Da sie aber berechtigte Interessen in dieser Beziehung wahrzunehmen hat – es kann uns andern allen doch nicht gleichgültig sein, ob wir eines Tages nicht auch das Schicksal unsrer toten Kameraden da drunten teilen – so sehen wir uns veranlaßt, die Forderung an Sie zu stellen, selbst mit für unsere Sicherheit zu sorgen – in jedem Steigerrevier einen aus der Belegschaft zu wählen, einen Sicherheitsmann, der das Recht haben soll, zu jeder Zeit die Grube zu revidieren, ob auch alles geschieht, was Leben und Gesundheit der Arbeiter unter Tag erfordert.«

Wieder ein Zeichen lebhafter Beistimmung unter den Leuten.

Magnus Heckes hatte schweigend zugehört, nun fragte er spöttisch wie vorhin:

»Weitere Wünsche haben Sie nicht?«

»Für den Augenblick begnügen wir uns damit.«

Ein Echo seines eignen Tons.

Das Auge des Werkbesitzers durchdrang für einen Moment das des Maschinisten, der Blick verhieß nichts Gutes. Dann wandte er sich in absichtlicher Übergehung der Person Freukes' an die anderen Mitglieder der Abordnung.

»Wer von Ihnen hat von diesen Mißständen in der Grube, die angeblich derart sind, daß Sie kein Vertrauen mehr zur Leitung des Werks und seinen Beamten haben, selber etwas wahrgenommen?«

Die Leute schwiegen.

»So reden Sie doch! Ich verbürge mich Ihnen mit meinem Wort: Es geschieht niemandem etwas, der in sachlicher Weise eine Beschwerde vorbringt. Im Gegenteil – bestehen wirklich Mißstände, so werde ich es jedem danken, der sie mir aufdeckt. Also?«

Und abermals drang sein Blick in sie.

Die Leute sahen sich unschlüssig an. Endlich faßte sich einer ein Herz:

»Da soll einer mal den Steiger drauf aufmerksam gemacht haben, daß nicht genug Wasser in den Röhren gewesen ist zum Rieseln. Aber der Steiger hat gesagt: ›Ach was. Rieseln, Kerls! Denkt lieber ans Fördern.‹«

»So, und welcher Steiger ist das gewesen?«

»Das weiß ich nicht, Herr Heckes.«

»Und von wem haben Sie es gehört?«

»Von einem Kameraden, aber der weiß auch nichts weiter, es hat's ihm mal ein anderer Kumpel gesagt – – er kann sich auch nicht mehr besinnen, wer das gewesen ist.«

»Aha!«

Heckes nickte zu seinen Direktoren hin. Dann aber wandte er sich den Leuten wieder zu. Seine Mienen wurden scharf.

»Und auf solche leere Gerüchte hin wagen Sie es also, mir Forderungen zu stellen – wagen Sie es, meine pflichttreuen Beamten, mich selber zu beschuldigen, daß wir ein frevelhaftes Spiel mit dem Leben unserer Arbeiter treiben? Ja wissen Sie denn, was das heißt, daß Sie anderen Leuten damit die Ehre abschneiden, sie strafwürdiger Verbrechen beschuldigen?«

Heckes' Stimme war zum Donnern geworden, und sein flammender Blick, der sie alle gestreift hatte, die ganz verdutzt dastanden, blieb jetzt an Freukes hängen, wie er weiter sprach:

»Ich gab Ihnen mein Wort, daß Sie hier frei von der Leber reden dürften, und ich werde es halten. Es wird Ihnen nichts geschehen deswegen. Aber hüten Sie sich in Zukunft. Von wem mir das Verbreiten solcher Verleumdungen fortab zu Ohren kommt, der ist entlassen – unweigerlich!«

»Sagen Sie das auch Ihren Kameraden draußen,« er wandte sich nun wieder den andern zu, »und hören Sie nicht auf die Hetzer, die Sie aufreden gegen Ihre Vorgesetzten und Arbeitgeber. Gehen Sie ruhig nun wieder an Ihre Arbeit, voll Vertrauen, daß jeder meiner Beamten nach bestem Gewissen seine Schuldigkeit tut. Sein Leben steht ja ebensogut auf dem Spiel wie das Ihre. Denken Sie auch an die wackeren Beamten, die da unten zusammen mit Ihren Kameraden ruhen, deren Andenken wir allzeit in Ehren halten werden – sie sind ebenso Opfer ihrer Pflicht und ihres Berufs geworden wie jene. Und darum, weil schon jetzt alles von uns aus geschieht, was zur Sicherung des Betriebes irgendwie getan werden kann, darum kann ich Ihr Verlangen nach Sicherheitsmännern aus der Arbeiterschaft heraus nicht erfüllen. Sie haben ja so schon tagtäglich Gelegenheit genug, sich von den Zuständen in der Grube zu überzeugen, jeder einzelne von Ihnen. Fällt ihm was auf, so melde er es sofort. Die Sache wird stets aufs gewissenhafteste untersucht werden. Meine Herren,« – Heckes wandte sich an seine Beamten – »Sie haften mir dafür! – Aber eine andere Kontrolle ist nicht vonnöten. Wir haben nicht die mindeste Veranlassung, den Hetzern, die den Frieden zwischen Arbeitern und Arbeitgebern stören, auch noch auf unsere Kosten besondere Agitatoren zu schaffen« – ein Seitenblick blitzte zu Freukes hin – »also nichts davon! Sagen Sie das Ihren Kameraden. Und ebensowenig lasse ich mir Vorschriften machen, welche Arbeiter ich bei mir einzustellen habe und welche nicht. Die Kündigungen auf Zeche Armin, die gesetzmäßig erfolgt sind, bleiben also bestehen.«

Eine Pause. Die Leute sahen sich an und dann ihren Führer. Der zuckte die Achseln und wollte sich schweigend abwenden. Aber da rief Heckes den Männern noch ein letztes Mahnwort zu:

»Noch einmal – ich warne Sie vor den Hetzern! Lassen Sie sich nicht zu Unbesonnenheiten verleiten, unter denen nachher Ihre unschuldigen Frauen und Kinder leiden müssen. Die Kraftprobe könnte anders ausfallen, als sich das mancher vielleicht denkt!«

Wuchtig drangen die Worte zu den Leuten hin. Aber da sagte Freukes entschlossen:

»Kameraden, ihr habt die Antwort des Herrn Heckes gehört – eine glatte Ablehnung unserer Forderungen!. Das genügt uns. Auf Belehrungen verzichten wir. Wir sind keine unmündigen Kinder und wissen allein, was wir zu tun haben!«

Das gab den zum Teil unsicher gewordenen Leuten die Haltung wieder.

»Jawoll – das wissen wir!«

Trotzig versicherten sie es ihrem Führer vor den Ohren des Werkbesitzers, und so verließen sie, ohne ein Wort des Grußes, wie sie gekommen waren, auch wieder das Sitzungszimmer.

Mit ernsten, sorgenvollen Mienen sahen die Direktoren und Beamten den Abgehenden nach: das war der Anfang des Kampfes – der Streik war unvermeidlich. Dann blickten sie auf den Zechenherrn.

Auch Magnus Heckes' Mienen waren ernst, aber voll hochgespannter Energie. Schärfer als sonst traten in seinem Gesicht die starken Muskelpartien am Kinn hervor. Und nun wandte er sich an seine Direktoren:

»Herr Dircks und Voßmann – in einer halben Stunde bitte zur Konferenz. Richten Sie sich darauf ein, wir werden eine längere Sitzung haben.«

* * *

Als Antwort auf seine Abschiedszeilen an den Vater war Volkmar ein Brief von dessen Bank zugegangen, der ihm mitteilte, daß ihm im Auftrage des Herrn Magnus Heckes ein bestimmter monatlicher Kredit eröffnet sei – eine beträchtliche Summe, etwa das, was er bisher im Durchschnitt verbraucht hatte.

Aber Volkmar lächelte beim Empfang dieses Bescheids nur bitter. Geld, ja – das hatte der Vater für ihn übrig. Natürlich, der Träger des Namens Heckes mußte standesgemäß auftreten; das war der Vater sich selber schuldig.

Und ohne Besinnen griff Volkmar zur Feder. Nur ein paar Zeilen an den Vater – ein förmlicher Dank für den eröffneten Kredit, doch er werde diesen nicht in Anspruch nehmen. Er wolle ganz auf eigenen Füßen stehen, sich sein Brot selbst verdienen.

Es erfolgte keine Erwiderung auf dies Schreiben. Aber daß es in Magnus Heckes' Hände gekommen war, das konnte Volkmar bald auf andere Weise merken.

Er sprach auf den Direktionen mehrere Werke vor und bot seine Dienste an. Aber überall dasselbe: Ein kaum verhehltes, höchstes Erstaunen – der Sohn des Magnus Heckes als Arbeitsuchender? – ein höfliches Hinhalten, man wolle sehen, ob sich ein Plätz fände, und schließlich stets der gleiche Bescheid: das lebhafteste Bedauern, aber leider zurzeit keine Möglichkeit zu geeigneter Beschäftigung für ihn.

Als Volkmar das fünfte, das sechste Schreiben dieser Art erhielt, hatte er nur noch ein verächtliches Achselzucken dafür. Allzu durchsichtig die Motive! Man hatte inzwischen herumgehorcht und Rücksprache mit den maßgebenden Persönlichkeiten gepflogen, und das Resultat: lieber nicht! Sich nicht ohne Not einen Magnus Heckes zum Feind machen, denn es war ja kein Geheimnis mehr, daß der Sohn im Unfrieden vom Vater gegangen war. Wozu sich also in diesen Konflikt mit hineinziehen lassen? Magnus Heckes war ein guter Hasser.

Volkmar fühlte das alles nur zu gut heraus, und die Bitterkeit in ihm wuchs. Der Einfluß des Vaters trat ihm also selbst jetzt noch feindselig in den Weg.

Und was sollte nun werden? All seine Pläne, seine Hoffnungen mit Hedwig, sie brachen ja mit diesen aussichtslosen Bemühungen zusammen.

Seine Stimmung ward sehr ernst. Hedwig, die er dann und wann, wenn auch stets nur flüchtig sah, gewahrte es mit wachsender Sorge, und schließlich drang sie in ihn. Da erfuhr sie alles.

Am selben Abend sprach sie noch mit ihrer Mutter, vertraute ihr die Sorge um Volkmar an und dessen Not. Wohl verschwieg sie, ihrem Übereinkommen mit Volkmar getreu, noch das letzte; aber Frau Eleonore Vermeren hätte nicht sie selbst sein müssen, hätte sie nicht auch das alsbald herausgehört. Doch sie behielt es in ihrer vornehmen Weise für sich.

Sie hatte der Tochter nur zugesagt, daß sie für ihren Freund tun werde, was in ihren Kräften stand.

Die lange Nacht hindurch hatte Frau Eleonore in ernsten Gedanken gelegen. Wie sie das getroffen hatte! Nun liebte die eigene Tochter den Sohn des Mannes, dem ihr Herz einmal gehört hatte – würde vielleicht den Namen tragen, den sie sich selber einmal so glühend ersehnt hatte!

Dann aber waren ihr Bedenken gekommen. Würde diese Verbindung auch ein Glück für ihr Kind werden? Wo sich Konflikte drohend schon an der Schwelle erhoben?

Lange hatte Frau Eleonore gekämpft. Aber dann hatte sie sich doch entschieden. Wenn Hedwig Volkmar wirklich liebte – was wog alles andere dagegen? Nur nicht wie sie, eine Ehe ohne Liebe! Und da war es beschlossen: am Morgen wollte sie ihren Mann bitten, daß er Volkmar einen Platz auf seinem Werk einräumte.

Und Frau Eleonore hatte den Gatten richtig eingeschätzt. Gerade weil all die andern in ängstlicher Vorsicht sich hüteten, dem Gefürchteten störend in seine Zirkel zu kommen, darum regte sich in dem Bergrat Vermeren ein ritterliches Gefühl, er müßte dem Sohn beispringen, der da vergebens anrang gegen den übermächtigen Einfluß des Vaters. Und aus diesem warmherzigen Regen heraus schrieb er sogleich an Volkmar:

»Mein lieber Herr Heckes! Von meiner Frau höre ich soeben, daß Sie auf Schwierigkeiten stoßen bei dem Bestreben, den Anfangsgrund zu einem selbständigen Wirkungskreise zu legen. Da ich die Gesinnung, aus der heraus Sie zu diesem Entschlusse gelangt sind, nur aufrichtig hochschätzen kann, so biete ich Ihnen ohne viele schöne Redensarten, hoffend daß Sie mich so verstehen, wie ich Sie, an: Kommen Sie zu mir. Ich habe Platz für einen Mann, der ernstlich arbeiten will. Es würde mich freuen, wenn Sie kämen.

Ihr sehr ergebener

Vermeren.«

Volkmar war tief betroffen von diesem Schreiben, ahnte er doch sofort den Zusammenhang. Konnte er aber eine solche Hilfe annehmen? Ein peinigendes Gefühl quälte ihn: das war doch nicht mehr ein Weg, aus eigener Kraft gebahnt, wenn Frauenhände ihn geebnet hatten!

Und er ging schließlich zu Vermeren, aber nur um ihm das zu sagen und ihm zugleich persönlich aufs wärmste zu danken.

Aber der Bergrat erwiderte:

»Mein lieber Herr Heckes, Ihre Bedenken ehren Sie, doch sie sind nicht stichhaltig. Ich gebe Ihnen die Versicherung, trotz unserer persönlichen Bekanntschaft würde ich Ihnen nie mein Anerbieten gemacht haben, wenn ich nicht damit glaubte, auch meinem Werk zu dienen, ihm einen befähigten und gewissenhaften Beamten zuzuführen, der ihm nützen wird.«

Da leuchtete es in Volkmars Augen auf:

»Geben Sie mir darauf Ihr Wort, Herr Bergrat?«

»Hier, meine Hand!«

»Dann nehme ich an – das heißt,« und eine leise Röte färbte Volkmars Wange höher. Er durfte das Vertrauen dieses Mannes nicht schlecht lohnen; nun gebot es ihm die Ehre, Hedwigs wegen zu sprechen – schon jetzt. Und so sah er denn dem Bergrat voll ins Gesicht, wie er nun fortfuhr:

»Es wird ganz von Ihnen abhängen. Ich bin Ihnen zuvor noch eine Eröffnung schuldig.«

Vermeren hörte ihn schweigend an, er war ernst geworden. Volkmar sah sich auf seinem Antlitz widerstreitende Empfindungen spiegeln. Dann aber ergriff er Volkmars Hand.

»Nun, wo Sie Ihren Weg allein zu machen entschlossen sind – kommen Sie zu uns, Volkmar, trotzdem!«

* * *


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