Paul Grabein
Die Herren der Erde
Paul Grabein

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Im Wirtshaus, im äußersten Arbeiterviertel der Industriestadt, saß trotz der vorgerückten Stunde noch eine Anzahl Männer beim erregten Disput beisammen, das Lokal war sonst leer.

»Und is dat würklich wohr, dat up Zeche Armin an dreihunnert Mann ehr Afkehr bekommen hewwt?«

»Klor, Mensch'k! Häft dat nicht lest in de Arbeterzeitung? Rund dreihunnert Mann – ohne jeden Grund.«

»So'n Schindluder – dreihunnert Familienväter sätt he mi nix di nix up de Strot.«

»Es hat schon seinen Grund!« mit eigenem Lächeln sagte es Maschinist Freukes, der mit am Tisch saß. Er galt hier ja, als Vertrauensmann ihrer Partei, als Respektsperson.

»So, dat hat sin Grund? So kür doch, Mensch'k!«

»Na, ihr wißt doch, drüben auf Armin waren fast lauter Organisierte, alles zuverlässige Genossen, gegen die die paar anderen in der Grube nicht aufkamen. Wenn's also da mal zu Lohndifferenzen gekommen wäre, da hätte alles wie ein Mann zusammengestanden, darum will er nun einen Keil zwischen treiben – die dreihundert Neuen, drüben von Ellerscheid. Die halten's nicht mit uns, lauter rückständige Kerls, keine intelligenten, zielbewußten Arbeiter, und außerdem – er hat sie alle an der Strippe. Sie haben ihren Grund und Boden in Ellerscheid, und Zeche Armin ist also die einzige Arbeitsgelegenheit für sie. Merkt ihr's nun, wie schlau die Geschichte eingefädelt ist?«

»Jo, dat is wohr. En verdammt schlaue Hund is he! Obers sallt wi us dat gefalln loten? Wi sind doch solidarisch mit use Kameroden drüben up Armin. Wi mött denn bistohn. Wat denn hüt passert, dat kann us morgen jüst so gut passieren. Wi willt us obers nich up de Strote schmiten loten.«

»Nee – dat willt wi nich, verflucht noch mol!« Und ein anderer donnerte mit der Faust auf den Tisch.

»Recht so!« nickte Freukes, mit einem geheimen Aufleuchten im Blick. »Kumpels, wir müssen zusammenhalten. Und darum müßt ihr alle werben unter euren Kameraden für unsere Sache. Es sollen große Protestversammlungen einberufen werden gegen diese Massenkündigung. Wir Arbeiter, die wir schwer unser bißchen Brot verdienen, dürfen kein Spielball sein für diese großen Herrn, daß wir einfach fliegen, wenn es ihnen grad' in den Kram paßt. Wir wollen verlangen, wir gesamten Arbeiter der Heckesschen Werke, daß diese Kündigung zurückgenommen wird. Wir wollen ihm zeigen, daß wir zusammenstehen, wenn's drauf ankommt, alle wie ein Mann – auch wir sind eine Macht!«

»Jo woll, dat sind wi. Un wi sallt den verdammten Kerl de Tänne all wisen. De mott dat trügge nemmen, of süst –«

Und abermals krachten die Fäuste auf die Tischplatte, daß die Gläser klirrten.

»Nur ruhig vorläufig,« mahnte aber Freukes jetzt, wo er sah, daß die Glut genügend geschürt war. »Keine Übereilung, keinen Lärm vor der Zeit. Der Schlag darf nicht verpuffen. Alle auf einmal wollen wir losschlagen, es muß eine imposante Manifestation werden. Darum heißt es jetzt, alles im stillen vorbereiten, jeder von euch werbe an seinem Arbeitsplatz unter seinen engeren Kameraden, daß, wenn der große Tag kommt, wo wir die Protestversammlungen abhalten werden, auf allen Heckesschen Werken gleichzeitig, alles zur Stelle ist, kein Mann fehlt. Und dann wollen wir doch mal sehen, ob wir ihn nicht klein kriegen können.«

»Dat sallt wi woll. Den sallt wi all unnerkrieg'n!«

Freukes nickte, und leiser redete er ihnen zu.

»Die Zeit ist günstig. Es sind Anzeichen da, daß das Geschäft wieder anzieht, die Förderung wird wieder größeren Umfang annehmen – also die beste Gelegenheit, ihn jetzt zu fassen. Er wird es da nicht auf einen Ausstand ankommen lassen um eines solchen Anlasses willen, um so mehr wo es ihn ja nichts kosten soll. Wir verlangen ja keine Lohnerhöhung.«

»Jo, worum doht wi dat obers nich? Dat wör jo doch een Kitt, un wi kregen dann ok glicks för us sölwst wat herut!«

»Dor hed he recht! Wo doch de Krom so gut paßt! Wer wöt, wenn dat as wehr so kumpt. Un bi de Hungerlöhnung van Dage wird wi doch nicht fett.«

Alle stimmten bei und sahen erwartungsvoll auf den Maschinisten. Der lächelte geheimnisvoll in sich hinein, dann tat er einen Schluck aus seinem Bierglas, aber sagte immer noch nichts. Da brannte die Neugier in den andern auf; sie merkten wohl, daß er noch etwas wußte, womit er aber nicht herausrücken wollte.

»Mensch'k! So mak doch dat Mul up. Do sitt doch noch wacht achter bi di!«

Sie drangen allesamt in ihn, und endlich gab er nach. Es kitzelte seinen Ehrgeiz, ihnen zu zeigen, wie gut er in die geheimen, großen Angelegenheiten der Partei eingeweiht war.

»Aber reinen Mund gehalten! Hört ihr? Daß mir keiner was ausschwatzt!«

Sie verschworen sich alle, keine Silbe zu verraten; da neigte er den Kopf näher zu ihnen und halblaut sagte er, mit gewichtigem Ton:

»Es ist was Großes im Gange – schon längst, wir sind doch nicht dümmer als ihr! Das jetzt mit dem Protest ist doch bloß der Anfang, der Vorwand. Gibt er wirklich nach – nun gut, so können wir nachher immer noch herausrücken mit den Forderungen für uns selber. Und der eine Erfolg, den wir dann errungen haben, garantiert uns den zweiten. Die Arbeiterschaft wird dann mit doppeltem Vertrauen auf unseren Sieg hinter uns stehen. Gibt er aber nicht nach, und –« ein grimmiges Lächeln zuckte um Freukes' Züge – »wie ich den Alten kenne, denkt der nicht daran! Nun, um so besser – dann haben wir das Recht auf unserer Seite, die Sympathie des Publikums, der öffentlichen Meinung. Alle Welt wird uns beistehen in dem Kampf für die gute Sache, man wird gegen die grundlose Massenkündigung, die dreihundert Familien brotlos macht, Partei ergreifen, und kommt es dann zum Ausstand, dann haben wir nicht nur alle unsere Genossen im Reich und Ausland hinter uns, nein – auch die Sympathie des Publikums, das unserer Streikkasse Beiträge schicken wird, wie es schon das letztemal gewesen ist bei dem großen Bergarbeiterausstand, Anno 1905. Diesmal kann's noch ganz anders kommen als dazumal. Ich darf euch nicht zuviel sagen, aber das kann ich euch doch schon verraten: es wird nicht bei einem partiellen Streik auf unseren Werken bleiben – es wird ein Massenkampf, in den wir die gesamte Kohlenindustrie hier im Revier ziehen werden! Und wir sind gerüstet auf der ganzen Linie. Der Feldzugsplan ist längst entworfen. Auch der Christliche Verband wird mit uns gehen, wenn's zum Losschlagen kommt – allein einhundertzwanzigtausend Mann Organisierte werden sich erheben auf unseren Ruf, um unser Kampfbanner geschart – es wird ein Ringen auf Leben und Tod, wir wollen den Zechenpotentaten, den Kohlenbaronen die Kehle zudrücken, daß sie quietschen und nicht eher wieder loslassen, als bis sie die letzte unsrer Forderungen bewilligt haben.«

»Dunderkiel! Is dat all so? Jo, dat is en annern Korn, seggt de Bur, do bet he in'n Museköddel. Hurra – to män, Jungens – wi sallt se all packen!«

»Mensch'k! Du bist doch en Düwelskerl! Prost!«

Und sie stießen mit dem Maschinisten an, dessen Augen erregt brannten in geschmeicheltem Ehrgeiz. Solche Stunden – das waren Lichtblicke seines Lebens, die ihn all die Misere daheim vergessen ließen.

»Prost, alle zusamm'!«

Freukes tat ihnen mit einem langen Zug Bescheid. Dann stieß er laut mit dem leeren Glas auf den Tisch.

»He – Johann!« Der Wirt kam aus dem Hinterraum herzu. »Ich geb' heut eins aus – noch eine Lage Bier!«

Mit lärmendem Hallo begrüßten die schon erhitzten Tischgenossen die Spende, und röter noch wurden die Köpfe, die sich nun wieder zusammensteckten im Disput über das gewichtige Thema, das sie allesamt fiebrig erregte.

Das war ja für sie alle das Höchste ihres Lebens – die heilige Sache des Proletariats. Nun sollte die große Kraftprobe kommen: wer war der Stärkere? Ihre Unterdrücker, denen sie so lange in stumpfem Ohnmachtsgefühl geduldig gefront hatten, oder sie selber, die zum Kraftbewußtsein Erwachten? Das gewaltige Problem der Zukunft – wer sollte in Wahrheit der Herr der Erde sein?

* * *

»Ortsältester!«

»Gefällig?« Und der Mann sah von der Arbeit auf. Der neue Hilfssteiger stand hinter ihm.

»An der Strecke hier muß mal was getan werden. Die ist an vielen Stellen schon nicht mehr schön.«

Volkmar Heckes sagt es zu dem Mann, zurückweisend in die Strecke, durch die er eben gekommen war. Dann blickte er sich prüfend in dem Ort selbst um. Die Leute waren schon ziemlich weit mit dem Abbau vorgedrungen, ohne entsprechend mit der Zimmerung, dem Abstützen der Gesteinsdecke gegen den Gebirgsdruck, nachgerückt zu sein, wie dies zu ihrer Sicherung vorgeschrieben war.

»Sie sparen überhaupt mit dem Holz, wie mir scheint. Sie müssen bauen hier,« und er schlug mit dem Fahrstock gegen die Decke. Das Hangende war obenein brüchig; es kam von dem leichten Anschlagen gleich ein Stück herunter.

»Da sehen Sie! Warum bauen Sie nicht?«

»Jo, wi willt jüst dorbi gohn.«

»Nicht immer wollen, lieber Freund – es auch tun.« Scharf faßte Volkmar den Mann ins Auge. Wo es sich um Nachlässigkeiten handelte, die die Mitarbeiter gefährdeten, konnte der sonst so Milde sehr energisch werden. »Sie sind doch verantwortlich für das Leben Ihrer Kameraden hier.«

Der Mann wußte nichts zu erwidern. Immer die alte Geschichte: die Leute wurden mit der Zeit gleichgültig gegen die Gefahr; um ein paar Groschen mehr zu verdienen, setzten sie lieber ihre gesunden Knochen aufs Spiel. Denn das Bauen hielt sie natürlich in der gewinnbringenden Förderung auf.

Volkmar aber sah sich des näheren in dem Ort um. Die ganze Sache hier kam ihm verdächtig vor: Hier und da war einer der Holzstempel eingeknickt von dem Druck der über dem Hohlraum lastenden Gesteinsmassen. Gewissenhaft prüfend kroch er zwischen den Stempeln herum. Das Ort war kaum meterhoch. Die Sache wollte ihm gar nicht gefallen.

»Haben Sie denn hier noch gar nichts Verdächtiges wahrgenommen?« fragte er zu den Leuten drüben zurück.

Diese waren grade beim »Kniefeln«; sie frühstückten auf dem Boden sitzend, das Butterbrot in der kohlschwarzen Hand, in der andern die Kaffeekanne.

»Nä.«

Aus vollem Munde kam die Antwort zurück.

Kopfschüttelnd rutschte Volkmar weiter, überall mit seiner Lampe hinleuchtend. Die Leute hätten nach seiner Ansicht längst einmal schon verdächtiges Geräusch hören müssen, alles sprach ja dafür. Aber freilich, bei ihrer Arbeit, beim Hacken und Schaufeln mochten sie manches überhört haben. Und abermals leuchtete er eine Stelle der Zimmerung ab. Aber halt – durch die tiefe Stille, die jetzt bei der Frühstückspause in dem Ort herrschte, scholl plötzlich ein leiser, aber unheimlicher Laut: Ein Knistern und Knacken, wie von einer unsichtbaren Bewegung, die durch alle die Hölzer hier ging.

Einen Moment hielt Volkmar den Atem an und lauschte, bis das seltsame, rätselhafte Geräusch wieder verhallt war. Da rief er zu den Leuten hinüber:

»Haben Sie's auch gehört?«

»Jawoll, dat Gebirge fängt an to arbeden.«

»Ja – es ist Gefahr im Verzuge. Sofort alles zurück, das Ort wird geräumt, – auf der Stelle! Ich mache Sie verantwortlich, Ortsältester. Und melden Sie die Sache gleich dem Steiger.«

Die Leute packten nun doch schnell ihr Gezäh, das Arbeitsgerät, und ihr Frühstück zusammen und brachten sich in Sicherheit. Auch Volkmar verließ, als letzter das Ort; er mußte noch zu einigen höher gelegenen Betriebspunkten.

Sein Weg führte ihn durch einen Stapel, einen blinden Schacht. Langsam stieg er in dem engen, stockfinsteren Raum, den ein wohlbeleibter Mann nur mit Mühe passieren konnte, die Fahrten hinauf. Jeder Griff an den Sprossen der Leiter brachte seine Hände mit dem klebrigen Schmutz in Berührung, der sie bedeckte. Fuß und Hand suchten ja beide hier ihren Halt.

Dies Klettern auf den Fahrten kostete Volkmar daher stets von neuem wieder, wie überhaupt so manches in der Grube, Selbstüberwindung. Aber dennoch tat er seine Pflicht unermüdlich. Wollte er doch seinem Vater zeigen, daß er es ernst nahm mit seiner Aufgabe, um bald vor Größeres gestellt zu werden. Es winkte ihm in dem Ziel ja auch ein hoher Lohn. Und mitten in der trostlosen Dunkelheit dieses häßlichen, feuchten Bergverlieses stand ihm plötzlich ein lichtes Bild vor Augen, das seine Seele froh erhellte – Hedwig, die heimlich Geliebte, die Seine! Sehnsuchtsvolle Grüße flogen aus der Tiefe der Erde, die ihn barg, empor ans Sonnenlicht, hin zu ihr.

An der Stelle, wo oben der Schacht mündete, hatte ein Haspel seinen Platz gefunden, der den Aufzug im Stapel nebenan bediente. Mit betäubendem Lärm stieß die Preßluftmaschine, die ihn antrieb, die komprimierte Luft aus – ein Zischen von bestialischer Wildheit.

In der Strecke nebenan standen eine Anzahl Schlepper dicht beieinander.

»Man dat kener vön Ju weg bliww,« mahnte der eine, »de Dag vön de Versammlung wed noch bekannt makt.«

»Dor wir man nich bange vör, Hinnerk, wi sallt al dorbi wirn, de Kerl sall sick wat wünnern!«

»Steckt ihr hier auch wieder die Köpfe zusammen? Was ist denn eigentlich los hier unten? He?«

Eine laute, tiefe Stimme rief die jungen Burschen an, und plötzlich stand mitten zwischen ihnen eine mächtige Gestalt und leuchtete ihnen mit der Lampe ins Gesicht.

»Muß mir euch doch mal ein bißchen näher ansehen, Freundchen.«

Der Fahrsteiger! Bei dem Spektakel des Haspels da war er ganz unbemerkt herangekommen, und rasch verschwand alles im Dunkeln.

»Verdammte Bande!«

Zornig rief es ihnen Jupp Freukes nach, ihnen mit hocherhobener Lampe nachleuchtend. Im Dunkeln schleichen und konspirieren, das konnte das feige Volk; aber wenn man ihnen ins Gesicht sehen wollte – weg waren sie! Vorhin auch schon mal so.

Und er wollte weiter. Da trat ihm ein einzelner Mann entgegen, er sah am Anzug: ein Steiger, Volkmar.

Sie hatten sich beide seit dem kurzen Zusammentreffen neulich nicht mehr gesehen. Der Fahrsteiger war dem Freunde geflissentlich aus dem Wege gegangen seit der Katastrophe. Mußte er schon noch eine Weile hier aushalten, wie schwer es ihm auch fiel – das wenigstens sollte ihm erspart bleiben. Und nun trafen sie hier aufeinander, in der engen, stillen Strecke, wo es kein Ausweichen gab.

Da hatte ihn auch Volkmar schon erkannt, und nun standen sich beide gegenüber – stumm, ohne den freundlichen Gruß, den doch hier unten in der Welt der Finsternis stets nach altem Brauch zwei sich Begegnende einander zurufen.

Endlich machte Freukes eine Bewegung. Es konnte ja doch nichts helfen, und so sagte er – es klang hart, weil er seine innere Bewegung nicht verraten wollte:

»Du weißt alles?«

Volkmar nickte nur stumm, aber die stille Gebärde war für den andern quälender als die leidenschaftlichste Anklage. Da brach er aus:

»Volkmar – ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, es tut mir leid was ich getan habe; ich täte es heut wieder so. Nur – das andere, das hab' ich nicht gewollt!«

Abermals schwieg der Freund. Mit starrem Blick sah er vor sich auf den Boden, in dem die Spitze seines Fahrstocks wühlte. Da entfuhr es Freukes dumpf:

»Versteh doch – ich konnte nicht anders!«

Es war etwas in dem Ton, das Volkmar traf. Jupp hatte wohl recht – nicht sein war die Schuld. Er hatte nur getan, was menschlich war; was einer eben tat, dem sein Glück zertreten war. Und wenn es auch den eigenen Bruder getroffen hatte – er mußte gerecht sein. Da sah er zu dem alten Gefährten auf, mit einem traurig ernsten Blick:

»Ja, Jupp, es war eine Kette von Verhängnissen. Er hat euch alle hineingezogen, der nun am schwersten hat büßen müssen.«

Und wieder ward es still zwischen den beiden, die jetzt langsam die Strecke entlang gingen. Ein trauriges Schweigen, dessen Bedeutung sie beide empfanden. Wenn auch Volkmar keinen Haß gegen den Kameraden trug, das alte Band zwischen ihnen war doch zerrissen – der Schatten des Toten stand zwischen ihnen. Auch ihre Freundschaft war in den verheerenden Strudel gezogen worden, der so vieles verschlungen hatte.

Dann fragte Volkmar, ohne zu dem Begleiter aufzusehen:

»Was wird nun mit dem armen Mädchen?«

Ein schwerer Atemzug kam aus der breiten Brust Freukes'.

»Sie ist fort – zu einem Pastor in Schlesien.«

Wieder das lastende Schweigen, dann abermals eine Frage Volkmars:

»Schürmann will auch weg?«

»Ja, zu Neujahr.«

»Wohin?«

Der Fahrsteiger zuckte die Achseln.

»Irgendeine Stellung, möglichst weit weg, wo ihn keiner kennt.«

Volkmar nickte langsam, schmerzlich . . . So mußte sich der Mann verstecken, der an dreißig Jahre hier treu gedient. Dann forschte er halblaut:

»Und du selber?«

»Ich gehe natürlich auch – ins Ausland.«

»Du hast schon etwas in Aussicht?«

»Ja – auf einer Kupfergrube in Texas.«

Volkmar blickte auf.

»Da unten sind doch aber die klimatischen Verhältnisse sehr schlecht; soweit ich weiß – Fiebergegend.«

Freukes zuckte die Achseln, aber er sagte nichts.

Stumm sah Volkmar in die düsteren Züge und dann auf die gewaltige Gestalt des andern. War es nicht ein Jammer? Und schwer legte es sich ihm auf die Brust. Er hätte dem einstigen Freunde gern ein paar herzliche Worte gesagt, aber doch brachte er sie nicht über die Lippen – der Schatten stand zwischen ihnen.

Sie waren inzwischen zu dem Querschlag gekommen. Da ergriff der Fahrsteiger noch einmal das Wort.

»Ich muß hier hinüber. Nur eins wollte ich dir noch sagen: Mir fällt seit einigen Tagen allerlei auf. Die Kerls hier unten stecken die Köpfe so verdächtig zusammen, habe sie schon ein paarmal dabei attrappiert – da ist irgendwas im Gang. Vielleicht gibst du deinem Vater beizeiten einen Wink.«

Volkmar horchte auf.

»Ich danke dir – ich werde es meinem Vater melden und selber ein Auge drauf haben.«

Und dann zögerte er, ob er Freukes nicht jetzt doch zum Abschied die Hand reichen sollte. Aber da war dieser mit kurzem Gruß schon um die Ecke gebogen.

Traurig und unzufrieden mit sich selber wandte sich Volkmar Heckes nach der anderen Seite. Wie töricht zwiespältig die Menschennatur! Da sprach der Verstand den Gefährten von jeder Schuld frei, aber doch konnte das Gefühl nicht seinen Frieden mit ihm machen.

Und dieses Empfinden steigerte sich schließlich zu quälenden Selbstvorwürfen, als habe er mit dem Unterlassen dieses Händedrucks eben bei ihrer Trennung selber eine schwere Schuld auf sich geladen.

Endlich zwang er sich aber gewaltsam wieder zur Ruhe. Das nächste Mal, da wollte er seine törichte Natur unterdrücken und das Versäumte nachholen. Der alte Gefährte seiner Jugendtage ging ja nun bald hinaus in die weite Welt, wer wußte, ob sie sich je wiedersahen – da wollte er wenigstens aufrichtig versöhnt von ihm scheiden.

* * *

»Wu lat mag dat wiern, Kadel? Is denn de Schicht noch nicht bold rüm?«

Gähnend fragte es der eine der beiden Anschläger auf der Hängebank am Schacht seinen Kameraden. Jetzt, während der Nachtschicht, wo in der Grube drunten keine Kohle gefördert wurde, sondern nur Gesteins- und Reparaturarbeiten ausgeführt wurden, standen auch die Leute hier oben am Schacht nicht unter der Hetzpeitsche der Arbeit wie am Tage. Es ging gemächlich zu. Nur dann und wann wurden ein paar Wagen Holz oder Berge hinuntergeschickt.

Der andere Anschläger zog die Uhr in der durchsichtigen Hornschutzkapsel aus der Westentasche.

»Halw fif.«

Wieder ein verdrossenes Gähnen bei dem Kameraden.

»Gottverdammich, noch annerthalw Stunden. Giw mi doch de Kaffeetröt' äs her.«

Mit einem Frösteln blickte der Mann sich um in dem kahlen, öden Raum, dessen einst weißgekalkte Wände dick mit Kohlenstaub bedeckt waren und so etwas Düsteres hatten. In den Winkeln und Ecken, wo das Licht der elektrischen Lampen nicht hindrang, lauerten allerlei geheimnisvolle Schatten. Es war jetzt so leer und still hier, wo tagsüber alles dröhnte vom eisernen Taktschlag der Arbeit. Und kalt war es. Unwillkürlich knöpfte sich der Anschläger die blaue Maschinistenjacke ganz zu, bis zum Hals hinauf. In der kühlen Spätherbstnacht, namentlich jetzt in den frühen Morgenstunden machte sich die niedrige Temperatur draußen doch schon bemerkbar, trotzdem sie hier in der Luftschleuse des ausziehenden Schachts durch festschließende Fenster und Türen gegen jeden Luftzug von draußen geschützt waren.

Der Mann nahm nun die blecherne Kaffeekanne, die ihm der Kamerad gebracht hatte, und wollte sie gerade an den Mund setzen, da ließ ihn plötzlich ein lautes Geräusch nebenan im Schacht zusammenschrecken. Rasch sah er sich um.

Die schweren eisernen Deckel, die für gewöhnlich den Eingang in die schwarze Tiefe verschlossen, schlugen auf und nieder, wie von einer unsichtbaren Gewalt da unten bewegt, und zugleich eben jenes laute, summende Getöse, das ihn aufgeschreckt hatte – ein paar Momente nur, dann war alles wieder still.

Aber trotzdem starrte der Mann den andern an, mit großen Augen.

»Du – wat wör dat?«

Der Kamerad sagte nichts. Noch immer blickte er nach den Schachtdeckeln. Das war ja eben wie ein Spuk gewesen, etwas ganz Unerklärliches. Und ein geheimes Grauen schlich plötzlich an ihm hoch. Da war irgend etwas nicht in Ordnung – da unten mußte etwas passiert sein!

In derselben Sekunde, wo hier die beiden diese Erscheinung wahrnahmen, hatten auch drüben im andern Schacht, wo die frischen Wetter einzogen, die Anschläger auf der Hängebank ein Erlebnis, noch unheimlicher, noch schreckhafter: Aus der gähnenden Tiefe schlug es plötzlich empor, eine ungeheure, dichte, schwarze Wolke von Kohlenstaub, die im Nu den ganzen Raum erfüllte – keine Luft mehr zum Atmen.

In Todesangst stürzten die Leute hinweg, die Treppe hinunter ins Freie, noch das infernalische Krachen im Ohr, das gleichzeitig den Schachtturm erschüttert hatte, als wolle er berstend zusammenstürzen. Als die Flüchtenden drunten über die Rasenhängebank liefen, sahen sie mit entsetzten Blicken: Die Schachttüren, der Bohlenbelag von den Nebentrumms weggerissen – fortgeschleudert.

»Explosion im Schacht!«

Schaurig gellte der Ruf der Männer über den nächtlich stillen Zechenplatz.

Eine Minute darauf nahmen ihn die sämtlichen Telephonleitungen der Zeche auf:

»Schlagwetterexplosion auf Schacht I.«

Alle höheren Beamten von Zeche »Willibrod« wurden in ihren Wohnungen durch die Schreckensbotschaft jäh aus ihrem Schlaf gestört.

Auch das Telephon, das Magnus Heckes neben seinem Lager auf dem Nachttische stehen hatte, schlug schrill an. Im Moment wach, hob er den Hörer ab – die gleiche Meldung auch ihm.

Ein Zucken in allen Fibern, aber trotzdem die beherrschte Antwort, sofort ein Befehl:

»Kopf oben behalten! Bin sofort drüben.«

Und er sprang vom Lager empor, schon strahlte unter seinem Fingerdruck das elektrische Licht auf. Da durchfuhr es ihn:

Schacht I! War nicht Volkmar heute nacht mit eingefahren?

Ja, gewiß – er hatte ihm ja selber noch gestern abend gesprächsweise erwähnt, daß er die Reparaturarbeiten an der Pumpenkammer überwachen wollte.

Volkmar –!

Einen Moment stockte Magnus Heckes das Herz. Auch sein zweiter Sohn – ein Grab drunten in der Grube, zerschmettert, von der Flamme zu Asche gebrannt.

Wie ein Wanken war es, als ob er zurück aufs Bett sinken wollte. Aber dann wieder ein Ruck – Fassung! Und die Hände streiften, wenn auch zitternd, die Kleider über.

* * *

Drunten in der Grube war alles wie immer seinen Gang gegangen.

Die Leute der Nachtschicht waren in dem weiten Grubenfeld zerstreut, in den Querschlägen und Strecken.

Volkmar war in der Nähe des Schachts auf der dritten Sohle geblieben, wo die Pumpenkammer lag. Die Reparatur dort an der Maschine war des vielen Wassers in der Grube wegen sehr dringlich und mußte über Nacht erledigt werden, damit die Förderung am Tage nicht litt. So blieb er denn bei den Schlossern, sie zur Eile anfeuernd.

Fahrsteiger Freukes lag die Oberaufsicht über die Arbeiten ob. Er hatte allenthalben schon revidiert, nun wollte er zum Schluß noch zur Pumpenkammer. Er wußte zwar, da war Volkmar; gern ging er also nicht, aber gleichviel, der Dienst forderte es.

Allein schritt Freukes so durch den Querschlag hin, schon nahe der Kammer. Still und einsam war es zu dieser Stunde hier unten, alles wie ausgestorben.

Da plötzlich – eine ungeheure Detonation, ein Krachen, als wollte die ganze Erde bersten. Heiß schlug es ihm ins Gesicht. Im selben Atemzug auch schon Stockdunkelheit um ihn her – die Lampe war ihm aus der Hand geflogen.

Und dann ein seltsames Geräusch: Ein Zischen und Brausen. Blitzschnell kam es heran, da hinter ihm aus den Strecken. Und im Augenblick, wo er mit wild aufklopfendem Herzen das alles begriff, auch schon ein furchtbarer Stoß – er lag am Boden.

Zweimal, dreimal schleuderte es ihn hin und her, dazu immer jenes unausgesetzte Krachen und Dröhnen in der Ferne. Dann hatte er die Eisenschiene der Förderbahn gepackt und klammerte sich fest mit seiner ganzen Riesenkraft.

So lag er einige Herzschläge lang auf dem Boden, mit angehaltenem Atem, das Gesicht in die Arme gepreßt. Denn der erste furchtbare Luftstoß hatte die ganze Strecke mit aufgewirbeltem Kohlenstaub erfüllt.

Dann begann er zu denken, seltsam ruhig und klar:

Ein Gasausbruch – eine Schlagwetterexplosion – der Herd weit ab, so daß die Flamme noch nicht zu ihm gedrungen war. Rettung also möglich – er war nahe dem einziehenden Schacht, und der Rückstoß hatte frische Wetter mit heruntergebracht. Also auf – hinaus, um Meldung zu machen, Rettung herbeizuholen für die anderen.

Und er sprang empor, tastete nach dem Rohr der Wasserleitung an der Seite – es war ja alles, stockdunkel um ihn her – und ging, so schnell er konnte, dem Ende der Strecke zu.

Nun erst fühlte er etwas Warmes an Stirn und Schläfe. Die Linke faßte hin: Alles feucht. Ach so – Blut. Vom Aufschlagen vorhin da am Boden. Gleichmütig tupfte er mit dem Taschentuch das Gesicht ab; es half allerdings nicht viel, die Wunde schien doch nicht bloß so oberflächlich zu sein.

Dann aber begann er an anderes zu denken.

Wenn da etwa noch jemand in der Nähe lag, dem er gleich selber Hilfe bringen konnte? Die Flammen konnten ja leicht hier sein, ehe die Rettungsmannschaft herunterkam, und vielleicht brauchte mancher sofortige Hilfe, schwer verletzt?

Und nun schoß es ihm plötzlich wieder durch den Kopf: Da nebenan die Pumpenkammer – Volkmar!

Jupp Freukes' Schritt wurde zum Laufen. Ein paarmal stieß er im Finstern mit seinem blutenden Kopf gegen die Kappen der Zimmerung – ein heftiger Schmerz, aber er achtete nicht darauf. Nur vorwärts!

Und endlich war er dort.

Mit einem Blick übersah er alles: drei Menschen am Boden, wimmernd und stöhnend, blutüberströmt – sie waren offenbar durch den furchtbaren Schock gegen die Eisenteile der Maschine geschleudert worden – etwas abseits ein vierter, regungslos wie tot: Volkmar.

Mit einem Sprung war er bei ihm, äußere Verletzungen waren nicht sichtbar, vielleicht doch nur eine Ohnmacht, und im nächsten Moment hatte er ihn hochgehoben, trug ihn auf den Armen wie ein Kind davon. Den Zurückbleibenden aber galt sein Zuruf:

»Mut, Mut, Leute! Gleich bin ich wieder hier.«

Dann ein tolles Laufen mit seiner Last, die paar hundert Schritt bis hin zum Füllort. Dort waren schon andere, eine ganze Schar, wohl an zwanzig, dreißig – fast alle blutend, mit zerfetzten Kleidern gleich ihm, aber doch gerettet; darunter mehrere schwerer Verletzte, die von ihren Kameraden mitgeschleppt worden waren auf der Flucht vor dem Verderben.

Einer hatte bereits das Signal gezogen, aufgeklopft. Nun warteten sie alle mit zitterndem Herzen des Förderkorbs – jede Sekunde eine Ewigkeit. Wenn der Korb zu spät kam, wenn die Flammen, die tödlichen Nachschwaden sie vorher erreichten!

Vor furchtbarer Spannung keine Zeit ein Wort zu wechseln, ihre Eindrücke auszutauschen von dem eben Erlebten, – alle nur ganz Ohr, mit angehaltenem Atem hinauslauschend in den Schacht.

Da – endlich ein dumpfes, leises Geräusch.

»Der Korb!«

Und nun hielt der große eiserne Käfig still. Ein Mann sprang heraus – Betriebsführer Schürmann. Er war heruntergekommen, wie er ging und stand.

»Um Gottes willen, Leute – was ist geschehen?«

»Es brennt – eine furchtbare Explosion! Es liegt alles voll Armen und Beinen.«

Und die Leute drängten in den Korb, hinter ihnen dröhnte ja immer noch unausgesetzt das furchtbare Getöse – Explosionen, von Ort zu Ort springend. Das Verderben eilte heran. Nur hinauf, hinauf!

Jetzt erst erkannte Schürmann den Fahrsteiger mit dem anscheinend Leblosen im Arm.

»Freukes – Gott sei Dank! Aber wen haben Sie da?«

»Volkmar Heckes.«

Schürmann zuckte zusammen.

»Doch nicht tot?«

»Hoffe nur ohnmächtig. Hier – nehmen Sie ihn. Schaffen Sie ihn hinauf.«

Und er bettete mit des Betriebsführers Hilfe den Regungslosen auf den Boden des Korbs.

»So – jetzt nur schnell hinauf. Ich klopfe ab.«

Schon zog er den Griff des Signals.

»Wenn wir nur wieder glatt raufkommen.« Schürmann sagte es. »Eben ist der Korb an der zweiten Sohle entgleist, die Spurlatten sind zerschmettert vom Luftdruck.«

»Es wird schon gehen. Glück auf!«

Und der Korb setzte sich bereits leise in Bewegung, nach oben.

»Halt doch! Freukes, herein!«

Schürmann schrie es erregt.

Aber der Fahrsteiger schüttelte ruhig den Kopf.

»Muß erst nochmal in die Pumpenkammer. Da liegen drei – die brauchen Hilfe.«

Und schon war er dem Blick der aufwärts Steigenden entzogen.

Eine bange, stumme Fahrt im Stockdunkeln – von drunten stets das dumpfe Getöse der Explosionen.

Nun ein Ruck, der Korb schwankte hin und her, er hatte die Führung verloren – der Bruch der Spurlatten. Erwartungsvoll pochten die Herzen der Männer.

Jetzt ein Anschlagen, ein Stillstehen – es ging nicht weiter; der Korb hatte sich festgefahren.

Alles hielt den Atem an.

Aber droben an der Fördermaschine mußte man ahnen, was vorlag. Ein Wiederherabfallen des Korbes, ein neues Anziehen, aber ganz langsam und vorsichtig und da – Gott sei Dank! – ging es endlich weiter. Der Korb hatte sich von selbst wieder eingegleist.

Aufwärts ging die Fahrt im schaurigen Dunkel, und dann endlich: Licht, Luft – über Tag – gerettet!

Auf der Hängebank ein Gedränge von Menschen: Die Sanitäts- und Rettungsmannschaften des Schachts, die letzteren schon in voller Ausrüstung, mit Rauchhelmen, Atmungsapparaten und elektrischen Lampen, Beamte der Zeche, zum Teil ebenso ausgerüstet, bereit zum Rettungswerk, in ihrer Mitte Magnus Heckes.

Nun quoll es aus dem dunkeln Korbe, schrecklich anzusehende Gestalten, die Gesunden die Verletzten tragend, – zum Schluß Betriebsführer Schürmann, einen andern im Arm.

Mit einem Blick erkannte Magnus Heckes den Sohn. Ein Erlöstsein von furchtbarem Druck und doch gleich wieder neues Erschrecken: der Körper hing da so schlaff, so leblos in des Betriebsführers Armen. Aber dennoch verließ ihn die Fassung nicht.

»Er scheint unverletzt, vielleicht nur eine Ohnmacht.«

Und er selbst legte Hand mit an, dem Bewußtlosen, den die Samariter schon auf eine der bereitstehenden Bahren gelegt hatten, den Oberkörper zu entkleiden. Die Belebungsversuche begannen.

Unterdessen stieg die Rettungsmannschaft, an ihrer Spitze der Direktor der Grube, Dircks, in den Korb. Abermals trat dieser die Fahrt in die Tiefe an.

Die Bemühungen der Sanitätsmannschaft waren von Erfolg. Volkmars Brust begann wieder zu atmen – wenige Sekunden später schlug er die Augen auf.

Der erste, den er sah, über sich gebeugt, war sein Vater. In der Schwäche, die er noch empfand, überkam Volkmar Heckes ein wohliges, inniges Gefühl, wie in der Kinderzeit. Er hätte mit dankbarem Druck die Hand des Vaters ergreifen mögen.

Aber schon hatte sich Magnus Heckes wieder aufgerichtet, nun, wo der Sohn dem Leben wiedergegeben war, wieder ganz nur der Herr des Werkes, das von einer schweren Katastrophe heimgesucht war und seine Energie ungeteilt beanspruchte. Doch ja – eines war zuvor noch zu erledigen.

»Schürmann!« Er trat zu dem Betriebsführer hin, der schon dabei war, sich einen der Atmungsapparate umzuschnallen, die hier in Reserve lagen. »Ich danke Ihnen.«

Und seine Hand streckte sich ihm entgegen. Aber der lehnte ab.

»Nicht mir, Herr Heckes. Fahrsteiger Freukes!«

Heckes' Stirn bewölkte sich.

»Freukes – so.«

Und dann nach einer Pause, nur widerwillig, zögernd:

»Und wo ist er?«

»Noch drunten, bei ein paar Schwerverwundeten.«

Der Werkbesitzer schwieg. Aber Volkmar trat jetzt plötzlich heran, obwohl noch matt am ganzen Körper. Er hatte alles gehört, und die letzten Worte Schürmanns hatten ihn emporgetrieben. Mit einemmal stand ihm wieder all das Schreckliche klar vor Augen.

»Schwerverletzte! – Mein Gott, wie steht es denn da drunten?«

Der Betriebsführer zuckte die Achseln.

»Noch wissen wir es nicht; doch ich fürchte –«

In dem Schweigen lag viel.

Ein Schauer schüttelte Volkmar. Da unten waren Hunderte von Menschen in der Grube! Und er überwand mit eiserner Willensanspannung den Rest seiner Schwäche. Er machte eine Bewegung nach dem Schacht hin:

»Aber da muß man doch –«

»Schon alles geschehen. Die Rettungsmannschaften sind bereits unten.«

Mit starrem Blick sah Volkmar vor sich hin. Noch einmal durchlebte er den Augenblick vorhin da unten, dann blieben seine Gedanken bei Freukes hängen. Ihm dankte er sein Leben! Und Jupp war unten geblieben, zum Werk der Rettung, während er hier –?

Heiße Scham brannte in ihm auf, und er trat rasch zu der Stelle, wo die Reserveapparate lagen, seine Hand griff nach einem Rauchhelm.

Der Vater, der inzwischen drüben den Beamten Anordnungen gegeben hatte, sah zufällig herüber – höchst verwundert, der Sohn hatte schon den Helm auf dem Haupte.

»Was soll das?«

»Ich will mit hinunter.«

»Unsinn!« Und nach einem Moment mit Rücksicht auf die Anwesenden. »Du bist noch viel zu schwach.«

»Ich fühle mich wieder ganz wohl.«

Fest entgegnete es Volkmar aus dem noch offenen Helm heraus und winkte einem der Leute, der ihm den Atmungsapparat umschnallen sollte. Er mußte sich beeilen; Schürmann nebenan war gleich fertig.

Magnus Heckes sah scharf auf den Sohn. Zum erstenmal, daß dieser einem Befehl von ihm nicht auf der Stelle gehorchte. Immerhin – der Grund war ein besonderer. Und schließlich, es gefiel ihm: endlich einmal zeigte der Junge Muck.

Doch wenn es nur nicht gerade bei dieser Gelegenheit gewesen wäre!

Unschlüssig stand er noch so, da klang das Hammersignal, ein paar Sekunden später rasselten die Schachttüren beiseite – der Korb war wieder heraufgekommen.

Langsam kam es diesmal aus dem gähnenden Dunkel heraus: zwei Mann der Rettungsabteilung, die einen Schwerverletzten ans Licht trugen. Volkmar erkannte ihn mit einem Grausen: der eine der Leute, der da unten dicht neben ihm gearbeitet hatte.

Und so trugen sie noch den zweiten, den dritten herzu – ihn allein hatte es wie durch ein Wunder verschont. Was würde er da drunten zu sehen bekommen, was für Bilder des Entsetzens?

Aber ganz gleich! Und er trat entschlossen Schürmann nach, zum Förderkorb.

»Wie sieht's drunten aus?«

Magnus Heckes fragte es den einen der Leute, der ohne seinen Atmungsapparat wieder heraufgekommen war.

»Wir haben nicht viel sehen können, Herr Heckes. Wir haben hier bloß die Leute gleich 'raufgebracht, sie lagen schon am Schacht. Fahrsteiger Freukes hatte sie von der Pumpe vorgetragen.«

»Und wo ist der Fahrsteiger jetzt?«

Gespannt sah Volkmar den Mann an.

»Wieder 'rein in die Grube. Ich habe ihm meinen Apparat geben müssen. Er hat weiter hinten Hilferufe gehört. Es scheint, die Strecke ist dort zu Bruch gegangen und es liegen welche unter den Trümmern.«

Volkmar erblaßte.

»Also vorwärts!«

Und er sprang in den Korb, in dem Schürmann schon stand.

Magnus Heckes machte eine Gebärde des Einspruchs, aber da senkte sich der Korb schon abwärts.

Mit starrem Blick sah er ihm nach. Es tauchte da plötzlich ein Bild vor ihm auf – Willibald, wie er auch damals so regungslos vor ihm gelegen hatte.

Aber dann riß er den Kopf empor.

»Wo bleibt die Feuerwehr? Noch immer nicht hier?«

Einer der Beamten sprang sofort ans Telephon.

Drunten fuhr indessen der Krankenwagen mit den ersten Opfern der Katastrophe schon vom Zechenplatz.

Schürmann und Volkmar waren unten am Füllort angelangt. Er lag öde und verlassen, die beiden Anschläger hatten sich ja mit dem ersten Korb heraufgerettet.

Gleich hier, in nächster Nähe des Schachtes, sahen sie die Spuren der furchtbaren Gewalt der Explosion: geborstenes Mauerwerk, aus der Schachtwandung gerissen, das nun den Weg versperrte. Sie mußten über die Trümmer klettern.

Ebenso sah es im Hauptquerschlag aus: allenthalben Barrikaden von herausgeschleuderten Stempeln und Gesteinsmassen. Dann und wann krachte jetzt noch ein loses Stück vom Hangenden hernieder – ein dumpf drohendes Warnsignal.

Endlich aber ein Stück freier Strecke, und sie konnten schneller vorwärts schreiten.

Aber plötzlich – was war das?

Der Boden unter ihren Füßen zitterte und schütterte, und nun, vor ihnen aus dem Dunkel ein dröhnendes, donnerndes Tosen, daß ihnen das Blut stockte – als wären sämtliche Geister der Hölle losgelassen.

Eine neue Explosion?

Schürmann hatte die Lampe hochgerissen. Aber da schrie er:

»Die Pferde!«

Der Schreckensruf drang durch den Helm an Volkmars Ohr. Und nun sah dieser selbst:

Da kam es angerast wider sie – ein dichtes Gedränge der riesigen Tiere, drüben im Stall von den Flammen aufgeschreckt, von den Ketten gerissen, wie von Furien gehetzt – eine Attacke, die der Tod ritt. Wehe, wen sie auf dem Wege traf!

»Zurück!«

Und Schürmann sprang vor den Sohn des Werkherrn, mit weitgebreiteten Armen sein Licht schwenkend.

Aber was würde es helfen gegen die Tiere, toll vor Angst? Im nächsten Moment – und Volkmar schloß instinktiv die Augen.

Aber da ein dumpfes Krachen, ein einziger, wiehernder Schrei, markerschütternd, wie er ihn nie im Leben gehört, und dann Totenstille.

Er sah auf mit einem Zittern – ein furchtbarer Anblick:

Wenige Schritte vor ihnen ein wirrer, ungeheurer Knäuel von Pferdekörpern, fast bis hinauf zur Firste des Querschlags. Eins der Tiere mochte gestürzt sein über ein Hemmnis am Boden und war so zur Wegsperre geworden für alle andern. In der rasenden Wucht des Anpralls hatten sich die Riesenleiber förmlich ineinandergekeilt zu einer einzigen zerschmetterten, noch zuckenden Masse – ein Bild unbeschreiblichen Grauens.

Volkmar biß die Zähne aufeinander. Dann wandte er sich ab mit Schürmann, wieder zurück den alten Weg. Sie mußten nun versuchen, im Nebenquerschlag vorzudringen.

Nur langsam kamen sie dort vorwärts, Trümmer überall. Tief gebeugt, suchten sie mit der Lampe den Boden ab. Aber sie fanden hier niemanden.

Dann hörten sie plötzlich dumpfe Laute wie von Tritten. Lichtschein brach um die Ecke aus einer Strecke – ein Teil der Rettungsabteilung. Eilig kamen die Männer heran, so schnell es die Umstände erlaubten; denn zwei von ihnen trugen auf dem Schleifbrett aufgeschnallt einen Verwundeten.

Schon von weitem winkte der Führer des kleinen Trupps den beiden aufgeregt ab: »Zurück! Zurück!«

Nun waren sie heran. Unheimlich anzusehen, wie sie sich nun im grellen Licht der Lampen scharf abzeichneten von dem gähnenden Dunkel im Querschlag, mit ihren gleißenden Helmen.

»Was gibt's denn?«

»Alles in Flammen dahinten!«

Mehr durch Zeichen, durch das erregte Mienenspiel hinter der luftdicht angeschraubten Gesichtsscheibe machten sie sich einander verständlich als durch die dumpfen, unartikulierten Laute, die nur hinter dem Helm hervordrangen – es war, wie wenn Taubstumme miteinander sprachen.

Alles in Flammen – Volkmar erschrak bis ins Herz. So war verloren, was noch da hinten war.

Aber dann durchzuckte es ihn; Freukes! Und er wollte vorwärts, geradenwegs der Gefahr entgegen.

Im selben Moment packte ihn Schürmann. Ein stummes Bitten, Beschwören, aber die starken Hände hielten den dagegen Anringenden. Volkmar sah, es war vergebens. Da schrie er verzweifelt aus nächster Nähe dem Betriebsführer zu:

»Lassen Sie mich – er muß mit hinauf!«

Und er wies nach der Strecke hin, wo der Fahrsteiger zu den Verschütteten vorgedrungen war. Aber der Führer der Rettungsabteilung bedeutete durch Zeichen:

Ganz unmöglich! Dort schon alles voll Feuer.

Volkmar wußte kaum noch, wie ihm geschah. Wie von Sinnen rang er mit den beiden, auch der andere hatte ihn jetzt mit angepackt. Aber den beiden Männern war seine Kraft nicht gewachsen. Mit Gewalt zogen sie ihn fort, den übrigen nach, die schon am Schacht waren.

So ging es nach oben, so brachten sie dem Herrn der Zeche den Sohn glücklich wieder.

Droben war die Zechenwehr inzwischen zur Stelle gekommen. Sie sollte sofort einfahren, den Grubenbrand zu löschen, um dann zu den hinten Eingeschlossenen vordringen zu können. Man wollte nur noch das Heraufkommen der anderen Rettungsmannschaft unter Führung des Direktors abwarten. Sie hatten eben aufgeklopft, ein dringendes Signal – das Feuer war ihnen wohl auf den Fersen – und eilends war ihnen der Korb hinuntergeschickt worden.

Mit qualvoller Spannung harrte Volkmar, ein letztes Hoffen im Herzen, Jupp Freukes möchte von dieser Abteilung mit heraufgebracht werden. So starrte er auf das Drahtseil vor sich im Schacht. Wie langsam es sich heraufwand und da – jetzt stand es still. Die Stelle, wo die Spurlatten zerstört waren; der Korb war entgleist, mitten im Schacht.

Mit fieberhaft jagenden Pulsen sah er den Versuchen zu, ihn wieder in die Führung zu bringen, ein beständiges Senken und Wiederanheben – aber stets wieder der Ruck, der Korb glitt nicht mehr in die Bahn. Was zweimal geglückt war, zum drittenmal versagte es. Gerade jetzt, wo alles davon abhing. Hier oben stand die Löschmannschaft, bereit zur Rettung, zur Dämpfung des Brandes – und sie konnte nicht hinab.

Den Männern allen zitterten die Nerven; Volkmar brach der Angstschweiß aus. Es schüttelte ihn wie im Fieber. Da unten rang vielleicht in diesem Augenblick der Freund mit dem Tode, und er, der ihm sein Leben dankte, er stand hier zur Untätigkeit verdammt.

Magnus Heckes allein bewahrte seine Ruhe. Laut klang plötzlich seine Stimme in die bange Stille:

»Es hilft nichts. Die Wehr die Fahrten hinab! – Holt die Leute aus dem Korb.«

Und schon wollten die Wehrleute in den seitlichen Schachttrumm einsteigen, um auf den Notleitern hinabzusteigen, da plötzlich ein Ruf:

»Es geht – der Korb kommt wieder!«

Und wirklich, die Fahrt gelang noch dies drittemal. Glücklich kamen auch die letzten der Rettungsmannschaft nach oben.

»Keine Möglichkeit vorzudringen,« meldete der Direktor Heckes. »Alles steht in Feuer bis dicht an den Schacht. Mit Mühe und Not sind wir wieder herausgekommen.«

Und er wies auf seine und seiner Leute Kleider, die zum Teil schon Brandspuren aufwiesen.

Volkmar hörte nicht auf seine Worte. Er sah nur in den Korb, wie dort einer nach dem andern herausstieg – der, den er suchte, war nicht dabei.

»Haben Sie Freukes nicht gesehen?«

Dumpf klang seine Frage zu dem Direktor hin.

Dircks drehte sich zu dem Sohn des Chefs um und zuckte nur ernst die Achseln; dann fügte er, wie entschuldigend hinzu:

»Wir haben getan, was wir konnten, Herr Referendar.«

Magnus Heckes' Blick ruhte einen Moment lang auf dem Antlitz des Sohnes, in dem sich die Verzweiflung malte.

Konnte er es wirklich verantworten, noch einmal den Korb so hinunterzuschicken? Die ganzen Rettungsarbeiten waren in Frage gestellt, wenn er wieder stecken blieb. Schacht II mit dem ausziehenden Wetterstrom war ja durch die todbringenden Schwaden nicht passierbar, selbst mit Rauchmasken nicht. Hier stand also das Interesse der vielen da unten, die es vielleicht noch zu retten galt, gegen das des einen und wenn dieser auch der Retter seines Sohnes war.

Da war es entschieden:

»Leute in den Schacht – die Spurlatten wieder herstellen!«

In dumpfer Erschlaffung sank Volkmar auf der Bank zusammen, die neben der Schachttür stand. Bis die Reparaturen beendet sein würden, konnte längst alles zu spät sein.

Endlich war die Ausbesserung des Schachts erfolgt, die Zechenwehr stieg auf den Korb mit ihren Löschapparaten. Auch Volkmar griff wieder nach seinem Rauchhelm. Aber wie er sich erheben wollte, taumelte er. Da merkte er einen festen Griff an seiner Schulter.

»Du bleibst.«

Es war sein Vater.

Wortlos sank Volkmar auf seinen Platz zurück. Wenn er auch gewollt hätte, er fühlte selbst: die Kraft ließ ihn im Stich. Die giftigen Gase, die er vorhin beim Ausbruch der Explosion da unten geatmet, äußerten jetzt erst ihre Wirkung.

So verharrte er in todmatter Erschlaffung, den Oberkörper an das Schachtgitter gelehnt, oftmals in halber Ohnmacht. Der Zechenarzt, der inzwischen auch herbeigeeilt war, drang in ihn, nach Haus zu gehen, sich zu legen. Aber er verweigerte es mit zähem Widerstand. Er wollte hier bleiben, wenigstens Gewißheit haben.

Fast zwei Stunden währte es, bis die Zechenwehr wieder heraufkam. Der zu Ende gehende Sauerstoff in den Apparaten zwang sie zur Auffahrt.

Mühselig hatte sich Volkmar aufgerafft. Sich am Gitter festhaltend, blickte er in den Korb.

Da kamen sie, und ein tiefes Schweigen entstand auf der Hängebank unter all denen, die dort dichtgedrängt standen. Auf einer Bahre trugen sie einen dunkel verhüllten, regungslosen Körper heraus – den ersten Toten. Und sechsmal wiederholte sich der schreckliche Anblick.

Das Gitter begann unter Volkmars Händen zu zittern.

Dann brach Magnus Heckes das lautlose Schweigen; nur ein kurzes, aber erwartungsbanges Wort:

»Nun?«

Direktor Dircks, der ebenfalls mit unten gewesen war, hatte den Helm abgenommen. Sein bleiches Gesicht zeigte sich nun frei den Blicken, und tief holte er Atem. Wieder frische Luft, das tat wohl! Dann erwiderte er langsam:

»Am Füllort sind wir des Feuers Herr geworden, auch ein Stück im Querschlag hinauf; da fanden wir die Leichen hier. Aber in die Strecken hinein kamen wir nicht. Mit unsern Löschapparaten kommen wir dagegen nicht an, alles ein Flammenmeer.«

»Aber Ihre Schläuche – Sie haben doch Wasser unten.«

»Die Leitung ist durch die Explosion zerstört, bis in den Schacht hinauf.«

Eine dumpfe Stille entstand – das war das Todesurteil für alles, was da unten etwa noch lebte.

Magnus Heckes hörte hinter sich ein Geräusch. Er sah herum, Volkmar war bewußtlos zusammengebrochen, von dem hinzuspringenden Schürmann aufgefangen.

Heckes' Brauen zogen sich zusammen. Er winkte einigen Beamten, und man trug seinen Sohn beiseite.

Trotz der geringen Aussicht, helfen zu können, rüsteten sich inzwischen doch andere Mannschaften zum nochmaligen Einfahren in die Grube. Sie waren von benachbarten Zechen zur Hilfsleistung herbeigeeilt. Im ganzen Kohlenrevier war ja schon die furchtbare Kunde verbreitet: auf Willibrod Hunderte verunglückt – eine Katastrophe, wie sie Deutschland noch nicht gesehen hatte.

Mit den Wehrleuten schickte sich auch der Revierbeamte, der Vertreter der Bergpolizeibehörde, der gleichfalls auf der Unglücksstelle erschienen war, zur Einfahrt an. Er hatte inzwischen mit dem Zechenherrn und seinen Beamten die Grubenbilder studiert.

»Ich werde Sie selber führen, Herr Bergrat.«

Magnus Heckes sagte es kurz entschlossen und ließ sich eine Rauchmaske reichen.

»Was gedenken Sie zu tun?«

»Wir müssen versuchen, von untenher vorzudringen, von der vierten Sohle aus.«

»Unmöglich, Herr Bergrat.« Dircks ergriff noch einmal das Wort. »Daran habe ich natürlich auch gedacht; aber es ist drunten alles zu Bruch gegangen – kein Durchkommen.«

Der Bergrat zuckte die Achseln.

»Vielleicht findet man doch noch eine Stelle –«

Und er trat auf den schon besetzten Korb, Heckes ihm nach.

Abermals fast zwei Stunden nervenfolternden Harrens. Von Zeit zu Zeit klang das Hammersignal am Schacht; dann kamen jedesmal ein paar der Rettungsmannschaften herauf, aber nur um schweigend ihre traurige Bürde abzuliefern – verkohlte Leichname. Dann kam auch die zweite Hilfsexpedition wieder herauf.

Immer größer war inzwischen die Zahl der Harrenden auf der Hängebank geworden: Ärzte, Polizeibeamte, Vertreter der Regierung.

Langsam leerten sich die Etagen des Förderkorbs, die völlig erschöpften Rettungsmannschaften traten heraus – sie hatten bis an die Grenze ihrer Kraft gekämpft, als letzter der Bergrat und Magnus Heckes.

Rasch nahm man ihnen die Ausrüstungen ab, und der Landrat trat auf den Zechenherrn zu, mit tiefernstem Gesicht.

»Ich bin erschüttert von der furchtbaren Katastrophe, die Ihr Werk heimgesucht hat. Erlauben Sie mir, Ihnen für all die Betroffenen mein aufrichtigstes Beileid auszusprechen.«

Magnus Heckes dankte nur mit einem stummen Händedruck, die Lippen fest zusammengepreßt. Noch standen vor seiner Seele zu lebendig all die Bilder des Grauens dort unten in der Tiefe.

Der Vertreter der Regierung nahm dann den Bergrat auf die Seite:

»Ist denn noch irgendeine Aussicht –?«

Der Gefragte schüttelte den Kopf.

»Nichts mehr zu hoffen. Der Aufenthalt von Rettungsmannschaften in der Grube ist nicht länger mehr zu verantworten, wegen der hohen Gefahr von Nachexplosionen. Zudem ist bei der Ausdehnung des Brandes im ganzen Grubenfelde jeder Versuch einer Hilfsaktion illusorisch. Ich habe daher sämtliche Mannschaften zurückgezogen und mit mir herausgenommen. Was wir an Leichen finden konnten, haben wir geborgen. Was die übrigen anlangt –« eine schwerlastende Pause, ein Achselzucken – »es ist wohl kaum anzunehmen, daß sich noch ein Überlebender drunten befindet. Schwaden und Brandqualm dürften ihr Werk getan haben.«

Und abermals ein Schweigen; dann langsam, zögernd die Frage des Landrats:

»Sie meinen also –?«

Der andere nickte.

»Die Grube abdämmen und unter Wasser setzen – das einzige Mittel, um wenigstens die Leichen später noch bergen zu können.«

Der Landrat holte hörbar Atem. Es blieb ja wohl nichts weiter übrig – aber trotzdem!

Das Antlitz des andern zeigte eine feste Entschlossenheit. Er war sich der Verantwortlichkeit für das, was da geschehen sollte – mußte, voll bewußt; aber der Kampf mit seinem menschlichen Empfinden lag schon hinter ihm, da unten in der Grube. Jetzt sprach in ihm nur noch die Stimme der unerbittlichen Notwendigkeit; er mußte tun, was seines Amtes war. Doch er wollte sich dabei wenigstens in Übereinstimmung mit den Fachleuten wissen. Und so wandte er sich nun an Heckes:

»Darf ich bitten – die Herren vom Grubenvorstand, zu einer Konferenz.«

Eine endlose halbe Stunde da drinnen im Direktorenzimmer hinter der verschlossenen Tür. Keiner von denen, die dabei waren, würde sie je vergessen. Dann kamen die Männer wieder heraus, mit blassen Gesichtern und todernsten Mienen, und Betriebsführer Schürmann ging hinüber zu der Halle, wo die gewaltigen Maschinen arbeiteten, die die Wasserhaltung im Bergwerk bewältigten.

Der Bergrat hatte sich von dem Werkbesitzer verabschiedet; seine Aufgabe hier war nun erledigt. Allein blieb Magnus Heckes in seinem Bureau zurück. Den Kopf in die Hand gestützt, starrte er vor sich hin.

Nachdem er, ohne sich selber zu schonen, getan, was in Menschenkraft stand, um den Unglücklichen drunten vielleicht noch Rettung zu bringen, drängte sich jetzt, wo ja doch alles verloren war, ein anderer Gedanke bei ihm empor: Da war etwas gekommen, stärker als er, und hatte mit einem Streich all seine Pläne und Berechnungen zuschanden gemacht. Sein Hauptwerk, seine beste Grube – in ein paar Tagen würde sie ersäuft sein. Die Arbeit von Jahren war dahin.

Ein heftiges Aufreißen der Tür ließ ihn emporfahren. Volkmar kam ins Zimmer gestürzt, mit einem Antlitz zum Erschrecken.

»Vater, ist es wahr? Du willst die Grube unter Wasser setzen?«

Nur ein stummes Nicken.

»Aber die Leute drunten – Freukes?«

Ein Schauder zitterte aus dem Aufschrei.

Magnus Heckes hob langsam die Hand, dann fiel sie dumpf auf den Tisch zurück.

»Nach menschlichem Ermessen lebt in dieser Stunde keiner mehr da drunten.«

»Das denkt ihr! Aber wer sagt es euch?« Wie ein Irrer schrie Volkmar den Vater an. Die Verzweiflung riß ihn über alle Grenzen seiner Natur hinweg. »Vater, das kann doch dein Ernst nicht sein? Laß mich sofort den Befehl widerrufen, drüben an den Pumpen.«

Magnus Heckes hatte sich erhoben.

»Volkmar – nicht den Ton!« Scharf bohrten sich seine Augen in die des Sohnes. »Im übrigen, es handelt sich hier um eine Anordnung der Bergpolizei.«

»Aber mit deinem Einverständnis! Hättest du widersprochen, so hätte sie nie erfolgen können. Und wenn selbst? Hier bist du Herr! Wer kann dich hindern? Sie können dir die Maschinen doch nicht mit Gewalt abstellen.«

»Du sprichst wie ein Toller.«

»Verzeih – aber jede Minute Verzögerung bedeutet ja vielleicht ein Menschenleben. Vielleicht haben sich einzelne doch gerettet, an einen sicheren Punkt, und es gelingt noch, sie zu bergen. Ich selbst will noch einmal hinunter mit Freiwilligen – setz' ihnen hohe Belohnungen aus, sichere ihre Angehörigen für den Notfall – ich finde Leute, die es noch wagen. Sie werden ihre Kameraden drunten nicht im Stich lassen. Ich beschwöre dich, Vater!«

»Volkmar – deine Gesinnung macht dir Ehre, aber es ist Unvernunft in jedem deiner Worte. Ich wiederhole: Ihr findet niemanden mehr, dem ihr Rettung bringen könnt. Willst du dein Leben und das der anderen nutzlos aufs Spiel setzen?«

»Ob nutzlos oder nicht – das weiß weder ich noch du. Aber geschehen muß es.«

»Genug!« Hart fiel das Wort. »Ich hatte Geduld mit dir. Aber sie ist nun zu Ende. – Laß mich allein.«

»Vater –!«

»Ruhe! Verstehst du nicht mehr?«

Und die Rechte wies zur Tür.

Da wurde Volkmar plötzlich still. Mit großen Augen starrte er den Vater an, dies kalte, eherne Antlitz, in dem nichts sich rührte. Ein Grauen schlich in ihm empor: Der da hatte nichts mehr gemein mit menschlich schlagenden Herzen. Und dann sagte er langsam, mit einer seltsamen, schweren Betonung:

»Ja, Vater – ich gehe.«

Magnus Heckes sah ihm nach. Diese plötzliche Ruhe hatte etwas Unnatürliches an sich. Aber schon hatte sich die Tür hinter Volkmar geschlossen. Da zuckte er die Achseln und klingelte dann seinem Sekretär. Jetzt war anderes zu tun.

* * *

Im ganzen Umkreis der Zeche war ein aufgeregtes, wimmelndes Leben. Schon eine Stunde nach dem Auftreten der Katastrophe ging es wie ein Lauffeuer durch die Gegend: Ein schreckliches Unglück auf Willibrod – Feuer im Schacht – die gesamte Belegschaft in der Grube eingeschlossen!

Wie ein Blitz schlug es in die stillen Häuser der Arbeiterkolonie, die friedlich im ersten Morgenschein dalag, störte hier und da die Frauen mit dumpfem Erschrecken auf: Die gesamte Belegschaft? Auch ihr Mann war ja mit drinnen! Und in fliegender Eile, schnell nur ein Umschlagetuch übergeworfen, stürzten die Frauen aus dem Haus, zur Zeche hin.

Und sie waren nicht die einzigen. Bald belebten sich die Landstraßen. Aus allen Richtungen kam es herangeströmt: Eilende Fußgänger, Radler, Wagen, Automobile – Hunderte, Tausende schließlich. Auch die Eisenbahnzüge führten alsbald viele herzu; die furchtbare Kunde war durch den Draht schon im ganzen Kohlenrevier verbreitet.

Je näher die Zeche, desto dichter das Gedränge der heranströmenden Massen, desto aufgeregter die Unterhaltung, die Mienen. Düster ragte die Silhouette der Zeche mit ihren beiden Schachttürmen in den bleifarbenen, grauen Herbsthimmel; der Zechenplatz war eingeschlossen von einer dichten, schwarzen Menschenmauer.

Kaum vermochte die Polizei, deren Helmspitzen hier und da aus dem Gedränge aufblitzten, wenigstens den Hauptzugang zur Zeche notdürftig offen zu halten für die immer noch herbeieilenden fremden Feuerwehren, Ärzte, Sanitätskolonnen und Beamten.

Die großen, eisernen Torflügel des Portals waren fest verschlossen, ebenso die kleine Nebenpforte. Ein halbes Dutzend Zechenbeamte und Polizisten hatten dort Posto gefaßt. Nur, wer sich legitimieren kann, wurde durchgelassen.

Durch die Gitter des Tores starrten Hunderte von Augen hinein auf den Zechenplatz, voll zitternder Erwartung oder lüsterner Schaubegier, nach den beiden Krankenwagen hin, die da vor dem Schachtgebäude hielten.

Und jetzt ging eine dumpfe Bewegung, wie eine Welle durch das Meer von Menschen, ein Murmeln von Tausenden von Lippen: Da brachten sie die ersten Opfer angetragen, zum Wagen hin – drei menschliche Körper, dicht in Decken gehüllt. Was mochten sie verbergen!

Der Wagen, unhörbar auf seinen Gummirädern heranrollend, nahte sich dem Portal, die großen Flügel taten sich auf, mit stummem Grauen sah man den verschlossenen Wagen dicht an sich vorüberfahren – klang nicht ein Stöhnen von da drinnen? – und im selben Moment, ehe sich noch die Torflügel wieder geschlossen hatten, drängte die Menge auf den Zechenplatz. Vergebens kämpften die Wächter am Tor dagegen an. Was wollten die paar gegen die Flutwelle der Tausende, die plötzlich hereinbrach durch die Lücke? In wenigen Minuten war der Zechenplatz dicht bedeckt mit Menschen.

Man drängte hier- und dahin, zu den Bureaus, den Maschinenräumen, der Kaue. Wo ein Beamter gesehen wurde, immer dieselbe, aufgeregte Frage aus Hunderten von Kehlen zugleich:

»Wie steht's? Wird man sie glücklich herausbringen?«

Und immer dasselbe Achselzucken zur Antwort.

Die Unruhe wuchs.

Gruppen, Kreise schlossen sich zusammen um die Frauen, manche mit ihrem Kind auf dem Arm, die nach ihren Männern forschten. Erst stumpf oder geduldig, voll Hoffnung – er würde ja nicht dabei sein, es konnte ja doch nicht sein! Gleich mußte er ja herauskommen, die Rettungsmannschaften waren ja unten, die würden schon Hilfe bringen und die meisten glücklich wieder heraufbefördern.

Aber Viertelstunde auf Viertelstunde verrann – halbe Stunden – ganze Stunden – und noch immer hörte und sah man nichts.

Da begann es in der dumpf harrenden Menge – meist Arbeiter der Heckesschen Werke – zu gären, das erste Kräuseln der dunkelfarbenen See, wenn sie die Fittiche des herannahenden Sturmes streifen.

Einzelne Stimmen wurden laut, voll Ungeduld, voll Schärfe. Tat man wohl auch da drunten seine Pflicht? Geschah alles, was sollte? Wo blieben die Geretteten?

Und Gerüchte schwirrten plötzlich durch die Menge – niemand wußte, woher – über die Ursache der Katastrophe.

»'n Wunner is dat nich. Dat moßt ja all lang so kommen.«

»Jo, man feste drup los fördern, Geldmaken – obers für use Sicherheit doht se nix.«

»Wisserwoll, dat stimmt. De Wetterführung was unner ale Kanone, un ok mit Water hewwt se sport. De Röhren hadden oft kin natt Dröppken, un in de Nachtschich dor gaw dat vön't Rieseln erst rech nix.«

»Verdammt jo! – Wenn dat alles hier so wör äs dat sall, dann konn doch so wat nümmer nich vörkommen. Ober Wetterführung un Wasserleitung, dat kost Geld – doch Berglüde, de sind billig to kriegen. Krepiert useener, so giw dat satt annere.«

»So is't – ene Menschenschlächterei! Mit use Blot mästen wi den Kohlenbarons den dicken Wanst!«

Und dumpf drohend schwoll das Gemurmel der Menge an, ein Echo der wilden Hetzreden der einzelnen.

Dann aber plötzlich ein jähes Schweigen in den Massen. Nur hinten ein Hälserecken und halblautes Fragen:

»Wat giw dat dor?«

»Still, Kerl – se brengt ja 'nen Doten!«

Es war das erste der Opfer; die Trägler der Sanitätskolonne schafften es hinüber in die Ambulanzwache.

Aber nur einen Moment diese Stille, dann eine heftige Bewegung in der Menge, nach der Wache hin. Eine Anzahl Frauen drängten sich aufgeregt durch, man machte ihnen Platz – sie wollten sehen, ob es sie getroffen hatte.

Aber der völlig verkohlte Leichnam ließ kein Erkennen mehr zu. Ein schriller Aufschrei gellte über den Platz; die eine der Frauen war bei dem furchtbaren Anblick von einem Weinkrampf befallen worden.

Schnell führten sie die Samariter hinweg, aber der gellende Laut war von ansteckender Gewalt. Bei den Frauen, die bis jetzt still und gefaßt gewesen waren, brach nun die Erregung aus, geschürt von aufreizenden Zurufen aus der Menge.

»Kik – so goht se mit ju üm! Bedankt ju bi de Direktion!«

Und da schrie es eines der Weiber, die aufgestachelten Instinkte des Hasses ließen sie die Brandfackel in die Massen schleudern:

»Jo, min Mann hed dat ja altid seggt: ›Hier passiert noch äs wat! Ik fahr jeden Morgen bloß mit Angst in den Schacht in.‹«

Das zündete mit infernalischer Gewalt. Es ging erregt von Mund zu Mund:

»Ha – hewwt ji dat hört? Se hewwt dat all ale wüßt: et moßte so kommen. De Zeche heb mit ehr Lerwen spellt, de Zeche hed se ale tosammen up't Gewissen.«

Der heraufziehende Sturm wühlte das Meer immer tiefer und tiefer auf.

Und dann das letzte. Wie ein Blitzschlag zuckte es plötzlich hinein in die Massen.

»De Rettungskolonnen vön de fremden Zechen rücken all af – nu is Schluß – de Grube wird afdämmt un sall ersupen!«

Was – ersäuft? Mit all den Hunderten, die noch da unten eingeschlossen waren? In der erhitzten Phantasie der Menge auf dem Zechenplatz lebten sie ja noch, wenigstens zum größten Teil – lagen sie da in der Tiefe, unter Gesteinsmassen verschüttet, oder in Todesängsten in irgendwelchen Zufluchtswinkeln hockend, ihrer Retter harrend, die sie ja nicht im Stich lassen würden. Und nun wollte man sie ersäufen durch die in die Grube geleiteten Wassermengen!

Wie ein Orkan brach es los. Ein Tosen und Brausen – ein vieltausendstimmiger, einziger Schrei der Empörung.

Und die Massen drängten vorwärts, nach dem Direktionsgebäude hin, nach den Maschinenhallen – und wenn man es mit Gewalt hindern sollte, das durfte nicht geschehen!

Aber die Sicherheitsbehörden hatten den Ausbruch der Erregung vorhergesehen. Alle Zugänge zu den Zechengebäuden waren verschlossen, und Dutzende von Gendarmen und Polizisten wehrten die herandrängende Menge mit ruhiger Entschlossenheit ab – der Ansturm war mißlungen: alles vergebens, das Schicksal der Unglückseligen da unten war besiegelt.

Die Menge hatte zurückweichen müssen, aber ihre Erbitterung loderte mit maßloser Glut empor. Es war jetzt die Person des Zechenherrn, Magnus Heckes, gegen den sie sich wandte. Jeder wußte es ja plötzlich: nur er allein war schuld an dieser Maßregel, er hatte sie angeordnet gegen den Einspruch seiner Beamten – er hatte das Todesurteil gesprochen über die Hunderte da unten. Und überlaut gellten die Rufe der Verwünschung gegen ihn, namentlich aus dem Munde der armen Frauen, die nun – wo sie ihre Männer wirklich verloren geben mußten – jede Besinnung verloren. Kreischend schrien sie es mit irren Augen in die Menge:

»De Mörder! De Mörder! He murt se in, he lött se verbrennen bi lebendigem Liw.«

Und in die Massen klang die furchtbare Anklage weiter.

»Bloß ut gemeine Geldgier! Weil he sine Kohle nich will utbrennen loten, sett he de Grube unner Water – versüpp he Hunnerte vön Arbetern!«

Das Getobe drang deutlich hinauf zu den Räumen der Direktion, zu dem Zimmer von Magnus Heckes. Er war gerade allein; der Sekretär war in die Registratur gegangen, ein Aktenstück zu holen.

Der Herr der Zeche wußte, wem das Tosen da drunten galt, was es zu bedeuten hatte, und er trat mit festem Schritt ans Fenster.

Er war bleich, aber nichts regte sich in seinem Antlitz. Nur um die Mundwinkel stand verschärft der ihm eigene Zug kalter Verachtung.

So blickte er starr hinunter auf die tobende Menge.

Ein Klopfen an der Tür, und der Sekretär trat wieder ein, das Aktenbündel in der Hand, zugleich überreichte er ihm einen Brief.

»Ich nahm ihn dem Diener draußen ab.«

Magnus Heckes sah auf den Umschlag: die Handschrift Volkmars.

Befremdet öffnete er, sich zugleich von dem Überbringer der Botschaft abwendend, wie mehr dem Licht zu. Nur ein paar Worte seines Sohnes:

»Von dieser Stunde ab trennen sich unsere Wege. Ich verlasse Dein Haus.«

Nichts weiter.

Einen Augenblick sah Magnus Heckes auf das Schreiben in seiner Hand, und der Zug um seine Mundwinkel wurde noch schärfer. Wie wenn er plötzlich den eigenen Sohn mitten zwischen denen da draußen erblickt hätte. Dann zerriß er den Brief langsam in kleine Stücke.

»Haben Sie die Akten?« Er kehrte sich wieder dem Sekretär zu, der ihm das Faszikel hinreichte. »Gut – so schreiben Sie also.«

Und er begann alsbald, in den Schriftsätzen suchend, zu diktieren.

* * *


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