Paul Grabein
Die Herren der Erde
Paul Grabein

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Im großen Saalbau des Hauptorts fand das Jahresfest der Berg- und Hüttenleute des Reviers statt, stets ein Diner mit Damen, hinterher ein Ball. Heckes war für seine Person sonst fast regelmäßig diesen wie allen ähnlichen Veranstaltungen fern geblieben. Was sollte er auch da? Es genügte, wenn seine Damen dabei waren. Aber diesmal war er erschienen aus einem doppelten Grunde: die Rücksicht auf das neu verlobte Paar gebot ihm, sich mit der Tochter bei dieser Gelegenheit zu zeigen, und dann noch ein anderes – ein geschäftlicher Zweck.

So war denn Magnus Heckes mit dem Brautpaar und seinem Sohne Volkmar erschienen; Willibald war ja bald nach den Ostertagen wieder zum Regiment zurückgekehrt. Es war das erstemal, daß sich die Verlobten in der Öffentlichkeit zeigten – ein großer Tag für Regina, wenn auch ihre stolze, fast kalte Ruhe nichts von den Gefühlen heimlichen Machtgenusses und Triumphes ahnen ließ, mit denen sie, in einer kostbaren Robe, strahlend in Schönheit, am Arm des Barons Laach in den Festsaal trat – in der Haltung einer Königin, die die Cour abnimmt.

Die Familie saß an der Tafel zusammen. Magnus Heckes war schweigsam; er hatte seinerseits keine Dame geführt. Regina, links von ihm, unterhielt sich mit dem Baron, Volkmar zur Rechten mit seiner Dame, der Tochter des Berghauptmanns, die er nur auf des Vaters Wunsch zu Tisch geführt hatte. Viel lieber hätte er ja Hedwig Vermeren zur Nachbarin gehabt, die er nun dort drüben bei ihren Eltern sitzen sah.

Auch Magnus Heckes hatte bald Vermerens an der andern Tafel entdeckt, und seitdem weilte sein Blick viel da drüben – bei Frau Eleonore.

Ob sie ihn denn gar nicht bemerkte? Oder wollte sie nur nicht? Er wurde schließlich fast nervös über diesem Abwarten.

Endlich gewahrte sie ihn – oder tat wenigstens so, als ob sie ihn jetzt erst entdeckte. Jedenfalls zeigte sie keine Betroffenheit, höchstens ein flüchtiges Überraschtsein: Wie – er hier?

Magnus Heckes verneigte sich zu ihr hinüber; der Gruß war ja auch nur selbstverständlich. Sie dankte mit jener vornehmen Frauenwürde, die ihr eigen war. Dann wandte sie sich gleich wieder ihrem Tischherrn zu, und er wartete vergebens auf einen nochmaligen Blick von ihr.

Magnus Heckes aber ließ dafür um so länger sein Auge auf ihr ruhen. Ja – wahrhaftig, Volkmar hatte recht, die Frau war noch immer schön. Und sie hatte etwas bekommen, was sie damals in ihren Jugendjahren noch nicht an sich gehabt hatte: Eben jene reife, ruhige Würde, die ihr einen ganz besonderen Reiz verlieh.

Eine Frau – die erste die er kannte – auf die er nicht als ein Wesen minderer Art herabsah; eine Frau, die stolz Achtung ihrer Persönlichkeit beanspruchte, sei es von wem es sei. Und gerade ihm, dessen Macht sich so viele beugten, schmeichelnd oder in ohnmächtiger Schwäche, nahezu jeder, der seinen Weg kreuzte; ihm, der darüber zum kalten Menschenverächter geworden war – gerade ihm gefiel das. Endlich ein Mensch, ihm ebenbürtig! Und plötzlich war wieder derselbe Gedanke da wie neulich – das wäre eine Frau gewesen, wie geschaffen für ihn!

In seine Augen trat ein dunkler Glanz, wie sie sich so an ihrer Schönheit entzündeten; diesmal nicht nur in der Phantasie. Da saß sie wirklich vor ihm, leibhaftig mit ihrem lockenden Frauenreiz, und was damals schon in ihm aufgeweckt worden war, ein Sehnen und Begehren, das wurde jetzt unter dem Bann ihrer körperlichen Nähe zum leidenschaftlichen Verlangen.

Zu denken, daß diese Frau da hätte sein werden können, ganz sein – konnte es einem nicht auch wirklich das Blut heißer durch die Adern jagen?

Unsinn! Weg mit solchen Torheiten. Was sollte das alles? Wie neulich rief er es sich wieder zu. Saß da drüben in ihrer Nähe nicht auch noch jemand anders? Der Mann, dem sie nun wirklich zu eigen geworden war. Und Heckes griff nach seinem Pokal. Seine Hand preßte sich um den Fuß des Glases, wie er es zum Munde führte – ein ungestümer Trunk bis zum Grunde; die Spannung in ihm suchte irgendwie nach einem Auswege.

Eines anderen Frau!

Mit einem stummen, inneren Auflachen stieß er den Römer wieder auf den Tisch. Und wie sein Blick jetzt plötzlich zu dem Bergrat Vermeren drüben hinüberzuckte, war es wie ein Drohen.

Eine Weile mied Heckes' Auge dann die andere Tafel. In sein Sinnen verloren saß er da; nur dann und wann – ganz achtlos, rein mechanisch – das Glas hinuntertrinkend und wieder nachfüllend.

Da stand er wieder wie neulich nacht vor der unüberwindlichen Schranke, die sich feindselig seinen Wünschen entgegenstellte – eines anderen Frau! Eine Schranke, an der das heißeste Begehren, das stärkste Wollen zersplitterte. Und wie er neulich, endlich des widersinnigen Anlaufens gegen das Hindernis müde, sich mit dem Unabänderlichen abgefunden hatte, so würde er es auch heute tun müssen.

Aber indem er es dachte und den Blick wie zu einem letzten Abschied von seinen Wünschen noch einmal zu ihr hinüberschickte, da sah er etwas, was diesen nur unvermutet neue Nahrung gab, was sie mit verstärkter Macht gegen das Hindernis anstürmen ließ und sieh' – mit einem Male erschien es ihm nicht mehr unüberwindlich.

Er sah Frau Eleonore drüben ganz still sitzen, in sich gekehrt und mit einem Ausdruck so freudeleeren, trüben Ernstes.

Das fuhr wie ein schwüler Blitz in sein schon aufgestörtes Inneres, daß darin eine rote Lohe aufschoß.

So sah eine Frau nicht aus, die glücklich war! Wenn sie es aber nicht war, wenn sie ihr Leben nur in einem Zwang neben dem ungeliebten Gatten hinschleppte – war es dann noch Frevel, die Hand nach ihr auszustrecken?

Würde sie dann im Gegenteil dem Starken nicht dankbar sein müssen, der sie mit furchtlosem Zugreifen den Banden entriß, von denen sie sich schon längst insgeheim frei ersehnt hatte?

Der Gedanke, den vielleicht nur eine einzige, unbewachte Sekunde bei der Frau da drüben in ihm geweckt hatte, ließ Magnus Heckes nun nicht mehr los. Wie viele Ehen waren nicht schon geschieden worden, warum nicht auch diese?

Mit dämonischer Kraft bohrte sich der Gedanke tiefer ein bei ihm. Gerade weil es unmöglich schien, weil es ein Kampf werden würde, weil die Welt sich auflehnen würde dagegen – darum reizte es ihn. Was fragte er auch nach dem Gerede der Menschen? Er verachtete sie viel zu sehr. Nur eines galt ihm – sein Wille, und über alles andere trat er hinweg, achtlos, ungerührt.

Aber der Bergrat Vermeren, ihr Mann? Würde er eine Frau wie Eleonore so leicht hergeben? Es hieß, die Ehe sei glücklich – wenigstens er liebte wohl die Frau sehr; doch in Magnus Heckes' Gesicht trat jener harte, unerbittliche Zug. Was tat's? Es war eben ein Kampf, ein offener, ehrlicher Kampf. Wer der Stärkere war, für wen sich Eleonore entschied, der blieb der Sieger. Lag der andere am Boden, gab es ein vernichtetes Glück – er zuckte die Achseln – so konnte er's nicht ändern. Er pflegte sich nie das Herz zu beschweren über Existenzen, über die er vernichtend hinweggeschritten war. Das war so der Sinn des Lebens – der Stärkere stieß den Schwächeren nieder. Hatte er dieses Fundamentalgesetz der Natur erdacht? War er dafür verantwortlich?

Äußerlich ganz ruhig, aber ein flackerndes Brennen in den Augen, die an dem Weinglas hingen, durchdachte Magnus Heckes das alles. Und die Finger, die mit dem Fuße des Römers gedankenverloren spielten, zitterten, nur ihm wahrnehmbar. Es war das Fieber in ihm, das stets in all seinen Nerven zuckte, wenn er vor einem großen Entschlusse stand.

Und weiter drängte er den vermessenen Gedanken bis unmittelbar vor die Entscheidung. Er war mit sich im reinen. Ja, es lohnte sich, den Kampf um diese Frau zu führen, die nach inneren Notwendigkeiten zu ihm gehörte und nicht zu jenem Dritten; er scheute nicht vor diesem Kampf zurück – aber da war noch ein anderes: Es kam in diesem Falle ja nicht allein auf ihn an. Wie würde Eleonore selber sich zu der Sache stellen?

Tiefer versank er in sein Grübeln. Da waren unbekannte Faktoren in der Rechnung. Ja, wenn sie nicht bloß äußerlich, wie der Augenschein ihm heut bestätigt, wenn sie auch innerlich die Alte geblieben war – dann brauchte er nicht zweifeln. Dann trat sie an seine Seite, einer Welt zum Trotze. Aber zwischen dem Einst und Jetzt lagen lange Jahre, in denen sie beide die Fühlung verloren hatten, und eines nicht zu vergessen – ihr Stolz! Würde sie, die damals vergeblich auf sein Kommen gewartet hatte, heute noch bereit sein, seinem Ruf zu folgen?

Das war es, das allein, was ihm innerlich noch eine letzte Hemmung anlegte, was ihn hinderte, nicht sofort mit dem ganzen, gewaltigen Vorstoß seiner Energie den eben geborenen Plan zur Tat zu machen. Was also tun?

Weiter saß er, im Kampf mit seinen Bedenken. Aber jeder heimliche, tastende Blick, den er zu der begehrenswerten Frau hinübersandte, die nun längst wieder ihr gewohntes, stilles Lächeln zeigte, brachte eine heiße Welle von ihr mit zurück, die leidenschaftlich gegen dieses letzte Bedenken aufbrandete und von ihm Stück um Stück abbröckelte. Und als man endlich die Tafel aufhob, da war er zu seinem Entschluß gekommen.

Er würde die Gelegenheit suchen, Frau Eleonore hier allein zu sprechen, und wenn es auch nur für einen Augenblick war. Wenige Worte und Blicke würden genügen für ihn, um zu wissen, woran er mit ihr war. Davon würde das andere abhängen. –

Das Diner war vorüber. Die Gesellschaft zerstreute sich in den Veranden, auf den Terrassen und im Garten des weitläufigen Baues, der heute ausschließlich für die Festgesellschaft reserviert war. Es war ein selten milder Maienabend, der ein Verweilen im Freien selbst den Damen im leichten Ballkleid erlaubte. So waren zahlreiche Gruppen auch in dem weiten Park zerstreut, der mit farbigen Leuchtkörpern geschmückt war. In ihrem gedämpften Lichtscheine sah man allenthalben die zartfarbenen Frauengewänder durch das Dunkel der Bosketts schimmern.

Auch die Heckes hatten sich nun voneinander getrennt. Das Brautpaar war der Mittelpunkt eines Cercles geworden, der seine Glückwünsche noch einmal persönlich anbringen wollte, Volkmar war zu Vermerens hinübergegangen und Magnus Heckes schritt mit einer Zigarre auf dem Promenadenwege im Garten drunten einher.

Seine Gedanken weilten bei dem Schritt, der sich nun entscheiden sollte; er wartete nur noch auf die Gelegenheit, um die Situation zu klären.

Und sie bot sich ihm. Wie er nachher durch einen der kleinen Räume des Saalbaues schritt, sah er dort Frau Eleonore mit ihrer Tochter und seinem Sohn gerade allein in einem der Festräume. Er kam heran, die Damen zu begrüßen. Die beiden jungen Leute gingen dann bald hinein in den Ballsaal, da schlug er Frau Eleonore eine Promenade im kühleren Garten draußen vor. Es war in der Tat sehr heiß hier drinnen, so nahm sie nach einem kurzen Zaudern seinen Arm an und schritt mit ihm die Stufen hinunter in den Park.

Es war gerade jetzt leer hier, nur einige Promenierende zerstreut in den weiten Anlagen; der Tanz fesselte die meisten drinnen im Saal, da begann er unvermittelt:

»Ich habe Sie hierher geführt, weil ich mit Ihnen ungestört sprechen wollte.«

»Ich wußte es.« Ihre Stimme klang mit ihrem vollen, tiefen Ton ruhig durch das Dunkel zu ihm. »Aber was hätten Sie mir zu sagen?«

Er hörte die kühle Abwehr heraus, und mit geheimer Bedeutung sagte er:

»Sie glauben nicht, daß es zwischen uns noch einmal etwas zu besprechen geben könnte?«

Eine kleine Pause des Befremdens, dann entgegnete auch sie in gleichem Ton:

»Doch wohl kaum so, wie Sie es meinen.«

Ein Schweigen auf seiner Seite. Entschlossen begann er hierauf:

»Sie haben ein Recht, verwundert zu sein, ich gebe es zu. Sie wissen ja von mir – ich meine, von meinem inneren Menschen – nichts mehr, schon seit lange nichts mehr. So können Sie denn auch nicht wissen, was jetzt in mir vorgeht.«

»Ist das meine Schuld?«

Zum erstenmal schwang in dem Ton ihrer bisher so ruhigen Stimme etwas mit, was ihm verriet, diese kühle Unnahbarkeit war doch nur Beherrschung. Das ließ auch ihn aus sich herausgehen.

»Frau Eleonore, ich weiß – Sie haben Grund, bitter zu sein gegen mich. Ich fühle mich schuldig Ihnen gegenüber – nein, das ist nicht das rechte Wort. Schuld! Wo ist da Schuld, wenn man so handelt, wie man muß. Es war ein hartes Muß – die Notwendigkeit, vor der ein jeder von uns sich beugen muß.«

»Auch ein Magnus Heckes?«

Das Wort traf ihn. Aber dann bejahte er fest:

»Auch ich! Ich bin nicht die Allmacht, kann die Dinge nicht zwingen wie ich will. Nur – ans Ziel kommen, wenn auch vielleicht auf Umwegen – das ist meine Kunst, mein Können, wenn Sie so wollen.«

Sie verstummte. Aber es wehte wie ein leiser, schmerzlicher Nachhall seiner Worte von ihr zu ihm herüber. Da versicherte er noch einmal, mit einem warmen Ton, wie man ihn ihm kaum zugetraut hätte:

»Ich mußte wirklich, Frau Eleonore, glauben Sie mir! Und es ward mir nicht leicht damals. Unser Werk stand vor dem kritischen Punkt seiner Entwicklung: Entweder so weiter vegetieren als guter Mittelbetrieb oder groß werden – ganz groß, Expansionspolitik größten Stils. Und da konnte es für mich, wie Sie mich kennen, doch nur eins geben.«

Ein schwerer Atemzug ward neben ihm hörbar, und dann sagte die tiefe, volle Frauenstimme, diesmal aber mit einem unverhüllten Ton des Wehs:

»Und so heirateten Sie denn die reiche Erbin, die Ihnen die Mittel zubrachte, Ihren Ehrgeiz zu befriedigen.«

»Nicht bloß meinen Ehrgeiz, Eleonore – meine innersten Bedürfnisse. Ich wiederhole: Es wäre nur ein Vegetieren gewesen sonst. Und wäre uns damit geholfen gewesen?«

Eine Weile blieb es still zwischen den beiden. Dann sagte die Frau:

»Nein, Sie haben recht; es war besser so.«

Es klang wieder die frühere Festigkeit aus ihren Worten, wenn auch zugleich ein Hauch von Resignation. Und dann fuhr sie fort:

»Das also war es, was Sie mir sagen wollten – ich danke Ihnen. Obgleich ich mir nie etwas anderes gedacht hatte; denn –«

Sie vollendete den Satz, den ihr der Frauenstolz diktierte, nicht – aus Rücksicht auf eine nun Tote.

Er aber ging auf ihre ersten Worte eben ein.

»Nicht allein das,« erwiderte er, und abermals klang eine geheime Unterbedeutung aus seinen Worten, die sie aufhorchen machte.

»Sie haben mir also noch etwas anderes zu sagen?«

Er nickte langsam. Dann richtete er das Auge auf sie, und so erklärte er mit schwerem Nachdruck:

»Ich sagte Ihnen eben: Ans Ziel kommen – wenn auch auf Umwegen – das ist der Grundsatz meines Lebens.«

Sie verstand, und voller Erschrecken zog sie den Arm zurück, an dem er sie bisher immer noch geführt hatte.

»Wie denn? Sie wollen doch nicht sagen –«

»Doch!« Unbeirrt entfuhr es seinen Lippen, und näher neigte er sich nun zu ihr, sein Ton dämpfte sich. »Warum soll heute nicht noch möglich sein, was damals – leider! – unmöglich war?«

»Ich verstehe Sie nicht –« man hörte es ihrer Stimme an, wie sie innerlich erstarrte. »Vergessen Sie denn ganz, was inzwischen aus mir geworden? Die Frau eines anderen!«

»Den Sie nicht lieben!«

Sie zuckte zusammen.

»Wer sagt Ihnen das?«

»Ich, der Sie kennt. Einen Mann wie Vermeren können Sie wohl achten, wenn's hoch kommt, ihm Freund sein – aber mehr nicht!«

Sie wollte erwidern, ihm laut widersprechen, aber sie schwieg. Aus der harten, herrschgewaltigen Männerstimme flog etwas zu ihr hinüber, das sie lähmte, sie wieder in ihren Bann zog wie in alten Tagen und – sie konnte nicht lügen vor ihm, der ja doch mit seinem hohnvollen Lächeln ihre angstvolle Bemäntelung weggerissen hätte. Und es wäre eine Lüge gewesen, wenn sie bekannt hätte, wie sie wollte: Ich liebe meinen Mann.

So schwieg sie, und er hörte mit geheimem Frohlocken aus diesem Schweigen das Bejahen heraus, ahnte seinen Sieg. Das ließ ihn vorwärts drängen mit all der Mannesrücksichtslosigkeit, die ihm eigen war. Ein zartes Werben kannte Magnus Heckes nicht – er nahm auch hier mit fest zupackendem Griff, was ihm gehören sollte, und so sagte er:

»Sie wissen nun, wie es um mich steht, Eleonore. Ich bin in der Lage, Ihnen heute den Platz an meiner Seite zu bieten, der Ihnen immer gebührt hätte – wollen Sie ihn einnehmen?«

Aber dieser kalte Eroberersinn, der nach nichts fragte, der brutal nur auf sein Ziel zudrängte, entriß die Frau der Betäubung, der sie im ersten Moment verfallen war.

»Sie wissen nicht, was Sie sprechen,« fuhr sie auf. »Ich soll Mann und Kind verlassen –?«

»Ihre Tochter ist erwachsen, wird selber bald heiraten, und Ihr Mann wird darüber hinwegkommen. Schließlich – jeder ist sich selber der Nächste. Sie haben ihm lange genug Ihr Glück geopfert.«

Aber es war etwas in seiner kaltherzigen, alles zerschneidenden Art, die keine Berechtigung altgewohnter Bande anerkannte, das sie mit einem leisen Grauen erfüllte, und außerdem: ihr Stolz regte sich. Wie er einfach über sie verfügte! Mit einemmal, nach langen Jahren beliebte es ihm so, und nun hatte einfach alles so zu geschehen, nun hatte sie sich willig ihm zu fügen, als sei sie ihm hörig, ihm verfallen. Da bäumte es sich in ihr auf, und der Bann, in dem sie vorher einen Augenblick lang gelegen, wich ganz von ihr.

»Nein, Sie irren! Ich bin das willenlose Geschöpf nicht, wie sie wähnen – dem man winkt, und es kommt, als wäre mit einem Schlage nicht mehr, was zwanzig Jahre gewesen. Ihre Zumutung ist für eine Frau von Charakter – eine Beleidigung.«

Magnus Heckes zuckte im Dunkeln zusammen; doch seine Stimme klang kühl, ja hatte einen Anflug von Ironie, wie er sich nun leicht zu ihr hin verneigte:

»Ich danke Ihnen. Ihre Erklärung läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Sie haben recht: ich irrte mich in der Tat. Allerdings in einem anderen Punkte – hinsichtlich der Tiefe und Treue des Empfindens, das ich in Ihnen voraussetzte – noch aus alter Gewohnheit her. Aber ich sehe, ich war damals wohl doch ein starker Optimist.«

Sein Hohn schnitt ihr ins Herz. Das ihr, die nie ganz verwunden, was sie damals unter dem Schlage gelitten! Aber freilich, was wußte er davon? Hatte ihr Stolz es sie doch niemandem zeigen lassen, am allerwenigsten ihm. Und dieser Stolz gab ihr auch jetzt wieder die Kraft, ruhig zu entgegnen:

»Sie haben wohl schwerlich ein Recht, mir Mangel an Gesinnung vorzuwerfen. Vergessen Sie doch nicht: Es gibt Handlungsweisen, die auch den andern Teil jeder Verpflichtung entbinden.«

Er verstummte.

Der Groll fraß an ihm, daß er sich so blindlings dazu hatte verleiten lassen, auf seine alte Macht über sie zu bauen, daß er sich nun als der Besiegte zurückziehen mußte. Wie hatte er nur diese Frau so falsch einschätzen können – sie, die da kalt und ungerührt neben ihm herging, wohl gar noch voll geheimen Triumphes, daß endlich die Stunde der Abrechnung mit ihm gekommen war.

Wenn er geahnt hätte, wie es in diesem Augenblick in ihrer Seele wirklich aussah, wie da all das bittere Weh noch einmal aufbrannte! Gewiß, sie hatte ihm so antworten müssen, wie es geschehen – sie war es sich und dem Mann schuldig, dessen Namen sie trug. Aber was sie heimlich dabei empfand, das wußte nur sie! Und so hörte sie ihn denn nun sagen, fast rauh, aus seinem Gedankengang heraus:

»Nun, dann wären wir ja quitt miteinander und hätten uns wohl nichts mehr zu sagen.«

»Quitt – ein häßliches Wort, das nicht zutrifft,« mit Würde erwiderte sie es, »im übrigen aber haben Sie recht, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich wieder zurückführen wollten.«

»Wie Sie befehlen,« und er kehrte mit ihr um, wieder nach dem Saalbau hin.

Schweigend gingen sie nebeneinander her. Sie fühlte seinen Groll, seinen gekränkten Stolz, und plötzlich stieg es heiß in ihr auf wie Tränen. Aber ihre stolz blickenden Augen verrieten nichts davon, und als er dann im vollen Lichterglanz des Saales sich tief vor ihr verneigte – sie waren nun an ihrem Platz angekommen, wo sich inzwischen auch ihr Mann wieder eingefunden hatte – da dankte sie mit ruhiger Höflichkeit. Aber innerlich rief etwas in ihr, all ihrer Ruhe zum Trotz: Und doch liebst du ihn! Und dann ein dumpfes Bewußtsein: Jetzt hast du ihn dir zum zweitenmal verloren! – nun für immer.

So saß die schöne Frau Eleonore Vermeren bei ihrer Gesellschaft am Tisch, zur Seite ihres Gatten; ihr Mund lächelte und sprach Liebenswürdigkeiten – lustig klingende Worte, von denen das Herz nichts wußte.

* * *

Volkmar und Hedwig waren in den Ballsaal getreten. Der erste Andrang der tanzenden Paare war groß, so standen sie zunächst und blickten nur als Zuschauer in das frohe Treiben. Als sich allmählich aber die Reihen lichteten, bat auch Volkmar um einen Tanz. Doch Hedwig sah ihn an:

»Wenn Ihnen nicht wirklich ganz besonders am Tanzen gelegen ist – und ich kann es mir eigentlich kaum von Ihnen vorstellen – dann lassen Sie uns lieber plaudern.«

Er sah sie doch ein wenig verwundert an.

»Halten Sie mich für so gänzlich passionslos oder für einen so schlechten Tänzer?« scherzte er, aber es lag doch etwas Ernst dahinter.

»Keines von beiden, das letztere wenigstens auf keinen Fall,« fügte sie ehrlich hinzu.

»Aber mit dem Mangel an Passion – das stimmt schon eher!« drang er in sie, während er sie langsam aus dem Tanzsaal führte.

»In keinem kränkenden Sinne jedenfalls,« erklärte sie ihre Antwort. »Nur in der Tat – ich kann mir nicht denken, daß Sie sich aus einem so rein äußerlichen Vergnügen wirklich etwas machen.«

Er nickte vor sich hin, es konnte Zustimmung bedeuten, doch dann wandte er sich zu ihr, in einem Entschlusse:

»Fräulein Vermeren – Sie haben schon neulich ähnlich zu mir gesprochen – nun seien Sie einmal auch ganz ehrlich: Sie halten nicht viel von Leuten, die so völlig passionslos sind?«

»Aber ich bitte Sie!«

Eine leise Verwirrung stieg in ihr auf. Sie war ihm aber nur eine Bestätigung dafür, daß er das Richtige getroffen hatte. Und ernst erwiderte er:

»Sie brauchen mir nichts weiter zu sagen – ich weiß genug.«

Da blieb sie stehen.

»Nein! Das dürfen Sie wirklich nicht von mir denken. Ich weiß, Sie sind enttäuscht von mir – schon seit neulich – Sie halten mich für oberflächlich, genußsüchtig, und ich kann es Ihnen im Grunde nicht verdenken. Ich muß ja so wirken auf jemanden, der mich nicht mehr näher kennt. Aber das sollen Sie doch nicht denken, daß ich Menschen von Ihrem Ernst nicht aufrichtig hochschätzte.«

Und sie sah ihn mit einem ehrlichen Blick an.

»Hochschätzen – ja!« Er lächelte, doch es lag ein leiser Scherz in seinem Ton. »Aber man zieht den Umgang mit amüsanteren Menschen vor.«

Etwas Gequältes trat in ihre Züge.

»Mein Gott, ich leugne es nicht, ich bin gern unter lustigen Menschen – ja, ich gebe es Ihnen sogar zu: Ich meide, wenn möglich, schwerwiegende Unterhaltungen, aber nicht aus Flachheit. Nein – aus ganz anderen Gründen!«

Er sah sie fragend an.

Doch sie schüttelte den Kopf, und plötzlich sagte sie, mit einem gewaltsamen Aufraffen zur Lustigkeit:

»Es ist ja auch alles Unsinn – es kommt ja bei solchen tiefgründigen Debatten doch nie etwas heraus. Kommen Sie, wir wollen doch lieber tanzen. Launenhaftigkeit – dein Name ist Weib!«

Und sie lachte, während sie ihn nun mit leisem Druck des Armes wieder hin zum Ballsaal drängte, ihn schelmisch an. Sie sah reizend so aus, aber doch war in Volkmar nur Trauer. Ja, sie hatte recht: Er kannte sie nicht mehr; sie war ihm in den Jahren der Trennung fremd geworden – ein Rätsel.

Hedwig erriet seine Gedanken.

»Ich komme Ihnen wie die Sphinx vor, nicht wahr?« Sie behielt den Scherzton bei, wie, um sich gewaltsam vor dem Rückfall in eine ernste Stimmung zu schützen. »Nun, wer weiß – vielleicht löst sich Ihnen doch einmal das Rätsel?«

In seinen Augen glänzte es auf.

»Dürfte ich darauf hoffen?«

Sie nickte.

»Vielleicht – ja – ich weiß nicht?«

Doch dann wieder mit einem plötzlichen Lachen:

»Seien Sie doch nicht immer so schrecklich ernsthaft! Tanzen Sie lieber mit mir!«

Und mit einer leisen Bewegung kam sie ihm nahe.

Die flüchtige Berührung, doch voll starken Reizes, machte ihn innerlich aufzucken. Mit einem schnellen Griff legte er den Arm um sie und tanzte an.

»Ja – so!«

Mit geschlossenen Augen sagte sie es, ganz leise, wie zu sich selbst – mit einem Ton voll geheimer Befriedigung und enger schmiegte sie sich in seinen Arm.

Volkmar verstummte. Aber es durchschoß ihn plötzlich ein Gefühl süßen Glücks und zugleich einer werbenden Kraft, das er noch nie an sich gekannt hatte. Als ob die leise Berührung mit ihr da eben etwas in ihm geweckt hätte. So tanzte er ohne Aufhören mit ihr, bis zum letzten Walzertakt; dann erst gab er sie wieder frei.

»Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut – daß Sie so tanzen können!«

Mit einem eigenen Ausdruck blickte sie unter den Wimpern her, tief atmend zu ihm auf, als sähe sie ihn plötzlich mit ganz andern Augen. Doch dann wandte sie rasch den Blick von ihm ab.

»Kommen Sie – zu den Eltern.«

* * *


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