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Vierundzwanzigstes Kapitel

Wie die Nachzügler sich glücklich machen und Eisi den Schweiß austreiben

Die Hauptsache war versteigert, und wie es Eisi war beim Zusehen, wie ein Stück nach dem andern dahingetragen wurde und verschwand, kann man sich vorstellen. Doch die Pürzlete der Speisewirtin, an welcher Eisi wirklich nicht unschuldig war, hatte es erfrischt, es brachte eine gute Nacht zu. Als es hell erwachte, dachte es nicht, daß der dritte Tag der peinlichste werden sollte. Das Wertvollste war fort, und mit diesem verschwanden auch die glänzenden Ersteigerer und Ersteigerinnen; aber wenn die Geier weiterfliegen, so stellen sich die Würmer ein. In bitterem Zorne hatte es die gesehen, welchen es früher gleichstand oder über die Meisten sich erhaben glaubte, welche ihns jetzt nicht mehr kannten oder höchstens im Vorbeigehen mit einem verächtlichen Gruße es beehrten. Heute waren diese alle nicht mehr da, sie waren verschwunden, wie die Störche verschwinden, alle den gleichen Abend, und Eisi atmete frei auf, es meinte, jetzt sei die Sache vorbei.

Aber Eisi kannte die Sache nicht, Erfahrung alleine bringt hier Wissenschaft. Schon die Tage vorher hatte man Weiber herumstehen sehen in dünnen Kleidern, die Hände unter den Scheuben, mit gierigen Augen, aber sie stunden meist im äußern Ringe, nur hier und da schlichen sie sich näher, beguckten, betasteten einzelne Stücke mit verwunderten Mienen, aber bieten hörte man sie nicht; was versteigert wurde, ging über ihre Finanzen. Heute kamen sie auch, einzeln erst, gleich schüchternen Krähen auf einem späten Kornacker. Wie von diesen Krähen bald eine, bald die andere wegfliegt, wenn sie sich sicher sieht, einige Trompetenstöße durch die Lüfte schickt, dann bald mit vielen wiederkömmt, bis von allen Seiten es schwarz daherkommt, es Krähen zu schneien scheint, so auch hier. Wie die dünnen, mageren Weibchen davonbeinelten, dann wiederkamen mit der Mutter, mit ihren Eltern, mit einer Tochter, mit einer Nachbarsfrau, das hätte man an selbem Tage sehen können. Die guten Weibchen hätten von den Herrlichkeiten auch gerne was gehabt, aber die glänzenden Weiber, die teuern Stücke waren ihnen im Wege, aber darob wuchs ihr Durst nach denselben, und je länger, je mehr kam es ihnen vor, als ob man alles verschenke ums halbe Geld.

Heute waren die hoffärtigen Weiber verschwunden, und zu versteigern stunden Dinge da, ach herrliche, prächtige, das heißt ganz ihren Kräften und Wünschen angemessene: gespaltene Kacheli mit schönen Blumen, Kaffeekannen, welche ehedem dreibeinig gewesen waren, in des Lebens Schlacht aber einige Beine verloren hatten, ungestielete Pfänni, sonst noch ganz schöne, Porträli, wo den einen das Glas fehlte, andern der Rahmen, andere, wo beides hatten, leider aber das Kunststück darin nicht mehr war, Spiegel, kleine, schöne, an denen gar nichts fehlte als das Quecksilber hinter dem Glase, Werkzeuge, treffliche aller Art, Bschüttbücki, herrliche, denen nichts als der Boden fehlte, dreizinkige Gabeln, an denen nicht mehr als drei Zinken fehlten, eine prächtige Kaffeemühle, welcher leider der Hals abgedreht und verloren gegangen war, Heurechen, an welchen nur das Haupt fehlte, dann Lein- und Bettzeug aller Art im schönsten Zustande, mit und ohne Löcher, mit und ohne Federn, gsaumet und ungsaumet, kurz es waren da Herrlichkeiten, die nicht zu beschreiben sind, alle dem Finanzzustande des Publikums angemessen. Es war also kein Wunder, daß das Gedränge groß war, wie es ja auch bei den Sechskreuzerkrämern groß ist, das Gedränge von sechskreuzerigem Publikum. Je geringer ein Gegenstand im Preise steht, desto größer wird die Zahl der Zahlungsfähigen, der Konkurrenten, wie bekanntlich die Kühheimetli viel teuerer sind als die großen Höfe, weil es viel mehr Leute gibt, welche hundert Kronen zwegbringen, als solche, welche hunderttausend Pfund besitzen. Und wie das flutete und strömte, Haus auf, Haus ab durch alle Stuben, und wie das steigerte! «Wer gibt mehr als drei Kreuzer um den Blasbalg, ganz gut noch, wenn man die Löcher verschoppet'» Tiefe Stille. Der Blasbalg geht von Hand zu Hand, Augen beginnen zu glänzen, die Herzen schlagen lauter, die Erkenntnis dämmert immer klarer: Ach, wer so einen Blasbalg hätte, könnte ds Maul sparen! Ach, und wer weiß, ob nicht auch irgend eine bereits bestandene Seele seufzte: Ach, mir fehlte schon lange was, ich wußte nicht was, ach, ists ächt e Blasbalg, ach, wenn ihs gwüß wüßt, füf Krüzer reute mih nit. Endlich kommt aus tiefem Hintergrund bebend der Ruf: «Vier, wes si mueß!» «Vier Krüzer sy bote», ruft der Weibel, «wer git meh als vier Krüzer? Vier zum ersten, zum zweiten, zum – vier zum –» Da sprengte die Sehnsucht den Riegel; «füf!» kam es noch viel bebender aus der Ecke, wo die bestandene Seele weilte. «Fünf zum dritten!» tönte laut des Weibels weitschallende Stimme; ach und sie hatte ihn, den Blasbalg, sie legte ihn auf den Arm, sie ging mit ihm süßen Hoffens voll. Scheele Blicke folgten ihr, und manch böses Wort ward von den Lippen nur halb verdrückt. «Eine Tellerkräze», ruft der Weibel, «ganz wie neu, wenn man neue Stangeli hineinmacht; wer gibt mehr als sechs Kreuzer?» Ach, wer doch eine Tellerkräze hätte! denkt eine junge Frau, welche zwei Teller hatte und gestern eins davon zerbrochen. Sie hofft, wenn man so eine Kräze hätte, so sei Brechen nicht mehr möglich. Eine Andere denkt, es werde nicht gesagt sein, daß das eine Tellerkräze bleiben müsse, wenn man sie schon so ausrufe; wenn man es recht fürnähm, so könnte man vielleicht eine Hühnerkräze daraus machen. Eine Dritte hat noch andere Gedanken, und ds Bieten geht wieder an, wird grusam hitzig, und um drei ganze Kreuzer wird die Tellerkräze, die nur noch in einer Ecke zusammenhängt, hinaufgetrieben und um neun Kreuzer versteigert, und glücklich geht die Besitzerin von dannen, werweisend, ob sie die Tellerkräze in eine Hühnerkräze umschaffen oder Tellerkräze wolle bleiben lassen oder ob es nicht möglich wäre, sie einzurichten, daß man sie für beides brauchen könnte, abwechselnd.

So gings scharf her und immer hitziger, denn der Gerichtschreiber pressierte, die kreuzerige Einnahme machte ihm Langeweile. Er wollte ganze Grümpelhaufen en gros verkaufen, aber potz, das duldete das Publikum ihm nicht, es ließ sich nicht in seinen Rechten verkürzen. Der Weibel wollte nachhelfen mit Pressieren, aber je mehr er pressierte, desto hitziger ward das Publikum, desto mehr Leute schien seine Hitze herbeizuziehen, es war, als ob es nie mehr gut zu steigern wäre als gerade heute, ja als ob man sichere Nachricht hätte, daß vor dem jüngsten Tage keine Steigerung mehr statthaben werde. Unter den Händen dieser Menge verschwand der Grümpel, wie Schnee schwindet in der Sonne, wie Gras schwindet und Kraut, wo die Heuschrecken sich niedergelassen.

Als der Grümpel zu dünnen begann, wards dem Publikum angst, es zerstreute sich durchs Haus, wie Ameisen sondieren, wo was für sie sei, wie sie in Tirailleurs sich auflösen, um zu suchen, und in Haufen sich konzentrieren, wenn sie gefunden. Denn es raubte das Publikum nicht, sackte nicht ein, es war da, um zu steigern, suchte Gegenstände, um zu ersteigern, riß alles Mobiliar zusammen, ramisierte zusammen in der Küche alte Pfannenstiele, alte Besen, halbverbrannte Ghüderschaufeln, Ofenzieher, Steinkratten ohne Handhebe, die Nägel aus den Wänden, die Fensterstängli, kurz alles, was nicht niet- und nagelfest war. Sie schossen auf Eisis bereits ersteigerte Sachen, rissen sie von neuem in die Steigerung, mit größter Mühe konnte es eine seiner schönen Tassen retten, die ein hoffärtig Meitschi bereits in Ausruf gebracht hatte. Sie rissen die Riegel aus den Schäften, die Böcke unter den Tischen weg, sie hantierten wie die Ameisen in Indien, welche, einmal in ein Haus gebrochen, es nicht verlassen, solange noch etwas zu beißen und zu fressen darin ist, solange noch ein Span Holz zum Zernagen ist, solange noch ein Geräte vorhanden ist, das nicht aus Stein gemacht ist.

Endlich, als es Abend geworden war, da verrann die Menge, verschwanden Schreiber und Weibel, öd und leer war das Haus, drinnen waren bloß noch Eisi mit seinen Kindern, mit zwei Betten, zwei Stabellen, einem Tischlein, seinem schönen Geschirr und wenig anderm; erst aus Verblendung, dann aus Trotz hatte es ums Notwendigste sich nicht bekümmert. Da war es nun alleine mit seinen Kindern. Auch der Vogt hatte, da er nichts Vernünftiges mit ihm reden konnte, es verlassen. In angestammter Kaltblütigkeit hatte er gedacht, die müsse man murben lassen; wenn die nichts mehr zu essen hätte und nicht wüßte wo hinein, so komme die schon zum Kehrumtürli und werd dann selbst kommen und es sagen; jetzt helf rede nüt. Die Kinder weinten und wimmerten, wollten von der Mutter wissen, was sie jetzt anfangen sollten, klagten über Hunger, fragten, wo sie jetzt schlafen sollten, so viel ihrer und nur zwei Betten!

Es war ein trostloser Anblick, die unglückliche Familie im ausgeweideten Hause, jammernd die Kinder, mit starrem Blick die Mutter, und wer hinter dem Blick die freveln Gedanken hätte lesen können, der wäre erschrocken.


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