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Zehntes Kapitel

Wie Eisis Fortbildung zu Falle kömmt

Wenn die Leiche im Schoße der alten Mutter ruht, das Getümmel der Welt verrauscht, die Leidtragenden verlaufen sind, wie es da stille wird und öde im Hause, aus welchem man eine Leiche getragen. Erst jetzt klafft die Lücke, welche der Tod gerissen, in ihrer ganzen Größe, erst jetzt brennen die Wunden in den Herzen so recht heiß und tief, denn erst jetzt ist man so recht zu sich selbst gekommen und empfindet sie in vollem Bewußtsein. Wars der Hausvater, der nun draußen ruht, so sammeln, wie um die Henne die Küchlein, die Kinder sich um die Mutter, die mit verhülltem Haupte bitterlich weint. Sie fühlen alle, was sie verloren, sie fühlen, daß wie sie der Mutter Kummer, sie auch der Mutter alleiniger Trost sind. Sie können es der Mutter nicht sagen, daß sie ihr Trost sein wollen, aber sie drängen sich um die Mutter her in immer engerm Kranze, die Mutter soll es fühlen, was sie ihr sein wollen, wie eng und innig sie mit ihr zusammenhalten, ihr alles in allem sein wollen. Es ist wirklich, als ob dieser Trost der Mutter rinne ins Herz hinein, sie breitet die Arme aus wie die Henne ihr Gefieder, schließt noch näher ans Herz die lieben, treuen Kinder, damit mächtiger und inniger der Liebe Strom rinne von einem Herzen ins andere Herz, durch alle Herzen, daß die Liebe webe in dieser heiligen Stunde die Kette der Treue, die keine Zeit zerfrißt, keine Macht zerreißt, welche an des Vaters Statt seine lieben Häupter zusammenhält, eins am andern erstarken, sie aufblühen läßt in Gnade und Weisheit vor Gott und den Menschen, der Mutter zu immer süßerm Troste.

So wars leider auf der Gnepfi nicht. Es floß durch Eisi allerdings auch zum erstenmal ungestört und ungetrübt ein eigentümlich Gefühl; es war aber das Gefühl eines Kronprätendenten, der zum erstenmale die Krone, um welche gestritten worden, in seinen Händen hält, das Gefühl einer Königin, deren König endlich gestorben und die nun hofft, Königin sein zu können so recht nach Herzenslust. Die Kinder hatten an Speise und Trank sichs nicht mangeln lassen; gewohnt, daß man nicht um sie sich kümmere, hatten sie das Recht, zuzugreifen, und dessen sich weidlich bedient. Sie hatten auch von Gevatterleuten, die zLych gekommen, manchen schönen Batzen gekriegt und ob dem Gschauen derselben und dem Klimpern damit alles andere vergessen, hatten in ihrem Sinne einen recht glücklichen Tag gehabt. Der junge Bube, dem heute wieder einmal nichts abgegangen, hatte seinen Gram vergessen, sich gütlich getan und schlief längsten selig. Die andern Kinder hatten ebenfalls just kein Verlangen nach der Mutter, vermißten den Vater nicht, dachten so wenig an die Zukunft, welche ihnen wartete, als die Eltern an die Zukunft gedacht hatten, welche sie den Kindern bereiteten.

Nur das kleine Mädchen, Anne Liseli mit Namen, hatte keine Freude gehabt und jetzt noch nirgend ein Bleiben. Seit man aus der Kirche und es zu Hause erwacht war, hatte es niemand gefunden, welcher mit ihm für e Ätti beten wollte. Das drückte sein armes Herzchen gruselig, denn jetzt wärs grad am nötigsten, glaubte es, jetzt, won er bald im Himmel sy werd u me ne de nit yche lay un er de i dHöll müeß, wenn me nit für ihn no recht bete chönn; u wenn er einist i dr Höll syg, su sygs de ja z'spät, dert chönne me de nit meh use. Es hatte eine unaussprechliche Angst, schluchzte wieder, lief seinen Bekannten nach, sie sollten ihm doch helfen und beten. Endlich erbarmte sich eine alte Magd seiner und betete mit ihm einige alte Gebete ab. Da wohlete es Anne Liseli ein wenig, seine Angst verging. Als es aber Abend ward und stille im Hause, da kam die Angst wieder. Es hat die Nacht eine eigene Gewalt über des Menschen Gemüt, sie bringt den süßen Schlaf, den milden Tau, sie weckt die wilden Tiere des Waldes, aber auch die wilden Triebe in des Menschen Brust, sie weckt das schlummernde Gewissen, sie weckt das Ahnen der unsichtbaren Welt, in diesem Ahnen beben und zittern Gemüter wie Bäume im Sturmwinde, in diesem Ahnen wiegen Gemüter sich in seligem Vergessen, das wunderbare Auge der Seele hat sich aufgeschlossen, sie sehen den Himmel offen, sehen die Engel Gottes auf- und niedersteigen. Anne Liseli zagte und bebte. Es sei ihm, sagte es, der Vater könne nicht furtcho gegem Himmel, hing sich an die Mutter, gäb wie die es zur Ruhe wies; Eisi mochte nicht warten, bis es mit seinem Rechtsfreund Rat pflegen konnte.

Heute war das Haus leer. Wo des Tages eine Leiche aus dem Hause getragen worden, dahin geht des Abends auch der durstige Bruder nicht gerne, er mißt lieber die lang gewohnten Schoppen, ja er geht nicht gerne beim Hause vorbei, er fürchtet, es möchte in einer Ecke der geschiedene Kamerad stehen, möchte ihm winken, daß es jetzt an ihm sei, eine Leiche zu werden, möchte ihn mahnen an sonst noch was. Heute konnte Eisi ungestört mit dem Freund abraten, was vorzukehren und wie es die geträumte Selbständigkeit, in der es ganz anders gehen sollte, sich erringen und sichern könnte. Der Schalk wußte wohl, daß es nicht gehen könne, wie er es Eisi glauben ließ, vielleicht wußte er bestimmt, was für eine Wendung die Sache nehmen werde, aber begreiflich hinderte das ihn nicht, Eisi in seinem Wahn zu bestärken, ihm nach dessen Sinn zu raten, es hätte ihm sonst nicht geglaubt und das Verdienstli wäre ihm entgangen. Wo viele Katzen sind und wenig Fleisch, ach wie genug gnagen sie doch die Beine, welche sie nicht ansehen würden, wenn genug Fleisch da wäre, und wie oft kehren sie wieder zurück, namentlich die Jungen, ans gleiche Bein in der Hoffnung, noch irgendwo in einer Ecke ein Fäserchen Fleisch zu finden! So eine junge hungerige Katze war auch Eisis Rechtsfreund, doch trotz seiner Jugend war er so gescheit, seine Grundsätze dem Grundsatz unterzuordnen, den Leuten immer so zu raten, wie er merken mochte, daß sie es gerne hörten. Er hatte gemerkt, daß sie bloß glaubten, was sie auch wollten, bloß denen trauten, die ihnen in den Kram reden konnten, wie dumm dieser Kram auch sein mochte. Der Glaube des Menschen an den Menschen wie überhaupt der Glaube ist ein gar wunderlich Ding und hängt von dem Boden ab, auf welchem er wächst, denn er wächst in jedem Herzen. Nicht umsonst sagt Christus: Nur wer aus der Wahrheit sei, höre seine Stimme, höre auf die Wahrheit, glaube der Wahrheit. Wer in sinnlicher oder geistiger Täuschung lebt, dem wird sein Glaube zu seinem Teufel, er jagt ihn allen Irrlichtern nach, aber die Sonne erträgt er nicht. Daher kömmts, daß so viele Leute jedem Lumpenhund glauben, aber nie einem rechtlichen Mann Vertrauen schenken werden. Die haben es mit den Reden ehrlicher Männer wie Kinder mit bitterm Doktorzeug, es schaudert sie darob, sie verbeißen das Maul.

Unser Rechtspraktikant dachte gar nicht mehr an seinen Freund Steffen, sondern war bei einbrechender Dunkelheit eingeruckt; er dachte bloß, wie er die Sache unter der Hand so recht ins Lange drehen könne, um derweilen das Bein desto gründlicher abzunagen, und solange ein junger hungeriger Rechtspraktikant so ein Bein im Auge hat, fürchtet er sich vor Gespenstern gar nicht. Er saß in der leeren Gaststube, hatte seinen halben Schoppen vor sich, von wegen, er zählte sich auch zu den Gebildeten, und wartete geduldig auf Eisis Erscheinung. Eisi ließ nicht lange auf sich warten, das Benehmen der Verwandten hatte ihns voll Ärger gemacht. Es war überzeugt, daß dahinter was stecke, daß man ihns gerne da wegtreiben und dSach selbst an die Hand nehmen möchte. Nur war es noch nicht recht mit sich einig, ob sein Bruder oder sein Schwager auf die Gnepfi wollten. Beid seien Schyßkerlines gnue drzue, und allweg sei die Sach abgeredet unter ihnen, beim Mist hätte es sie zusammen reden gesehen. «Es ist gut, daß du kömmst», sagte es, «jetzt habe ich sehen können, wie du recht hast; wenns am ene Ort es Witfraueli git, so meint e jedere Donnstigs Schelm, da mangle es nichts als dFinger läng z'mache und z'stehle, was me näh ma.» «Hests jetzt gmerkt, du gute Frau,» sagte der Rechtsfreund voll Teilnahme und nahm einen Schluck, und zwar einen braven. Da nahm Eisi sein Schnupftuch und wollte schluchzen, da schoß es an die Türe, daß Beide hoch auffuhren, und etwas schoß durch die finstere weite Stube auf Eisi zu, das sie beim einzigen, düstern Lichte erst, als es ganz nahe war, als Anne Liseli erkannten, das der Kindermagd entronnen war und die Mutter suchte. «Geh doch ins Bett», schnauzte Eisi, «Bäbi söll dih drytue!» «O Müetti, Müetti, ih cha nit», wimmerte Anne Liseli, «du mueßt mit mr für e Ätti bete.» «Gang, Anne Bäbi soll mit dr bete, gang säg ihms.» Aber Anne Liseli ging nicht, schmiegte sich an die Mutter und bat: «O Müetti, Müetti, du glaubst nit, wies mr ist. Es düecht mih geng, ih gsech dr Ätti und er düt, daß me bete soll, wie dr Schulmeister gseit het, daß wer nit bet, nit selig werd, u du söllist o bete.» «Gang doch», sagte Eisi, «gang is Betti, du chönntist mr bal Angst mache, u bet de mit Anne Bäbi alles, was dr cheut!» «Ney, Müetti, ney», sagte Anne Liseli, «ha scho mit Anne Bäbi betet alles, was ih cha, un ha geng glych Angst gha, und es het mih düecht, ih müeß ersticke, du mueßt bete, Müetti, viellycht cha de dr Ätti z'völlmig ueche, sust cha er nit, u denk, wenn er i dHöll müeßt!» «Bist e Göhl», sagte Eisi, «u gang mr jetz, hest ghört, sust lue de!» «O Muetter, Muetter, dr tusig Gottswille bet, o bet, düechts dih nit, du ghörist dr Ätti süfze u gruchse? Denk o, wenn er nit i Himmel chönnt u müeßt umecho u ke Rueh hätt un i dHöll müeßt, wie si säge!» «Meitschi, wotsch schwyge oder nit,» sagte Eisi, «du chönntist eim bal z'förchte mache mit sellige dumme Sache.» «O Muetter, das ist nüt Dumms, Anne Bäbi seit, es müesse viel Lüt umecho, wil si de arme Lüte nüt gä heyge oder Steine vrsetzt heyge, oder cho nachebete, wil si nüt betet heyge, u de chömme si zletzt, we me se nit erlöse chönn, doch de no i dHöll. Es heyg scho mänge gseh und heyg einist e gschwullne Kopf übercho. O Muetter, denk, wenn dr Ätti nit ufechönnt, wenn er müeßt umecho cho nachebete; o Muetter, bet, bet für e Ätti, jetzt wärs no Zyt.»

Da ward Eisi doch bang, es schlotterte, was es lange nicht getan, eine tiefe Angst preßte ihm das Herz zusammen. «Aber du Tröpfli», sagte es kleinlaut, «was sött ih de bete? Bet du, ih will lose, wieds chast, u de gang de is Bett!» «Ney, Muetter», sagte Anne Liseli, «du mueßt jetzt, es bschüßt bas, u was de witt, ds Unservater oder dr Glaube. Aber Müetti, o Müetti, doch recht enangerenah!» In Eisi werchete es, die Angst rang mit der Scheu, zu beten, es hatte so lange nie daran gedacht, es nicht getan, und jetzt sollte es beten in Gegenwart seines Rechtsfreundes. Wenn eine zarte Pflanze durchbrechen soll die harte Rinde der Erde, so bedarf es unaussprechlicher Anstrengung, Gott muß da helfen, möchte man sagen. Aber wenn jemand beten soll, der jahrelang nicht gebetet hat, dessen höherer Mensch im Starrkrampfe liegt, dem die Rede mit Gott eingerostet ist, was da für Anstrengungen notwendig sind, bis das Wort sich losringt aus dem Herzen, bis man es über die Lippen bringt in einem verständlichen Laut, und wie man bei diesem Laut erschrickt, sich dessen schämt und entweder schweigt oder neu ansetzen muß zu einem zweiten Laut, Laut um Laut Erdstößen gleichen, in denen die Erde erbebt und zittert, und alles Lebendige noch bebt und zittert, wenn längst kein Stoß mehr empfunden worden, das erfuhr Eisi, als es das Unservater zu beten beginnen wollte. Es war ein Kampf, wie es ihn vielleicht nicht erlebt hatte, und wenn die heimliche Angst nicht gewesen wäre, keine menschliche Gewalt hätte es dazu gebracht, und besonders noch in Gegenwart seines Rechtsfreundes. Dieser jedoch, sowie das erste Wort des Gebetes über Eisis bebende Lippen kam, entfernte sich in größter Stille, er vermochte das Beten nicht zu ertragen, wie es bekanntlich Geister gibt, die kein Gebet vertragen und weichen und fliehen müssen, sobald gebetet wird irgendwo.

Es heißt, am folgenden Morgen hätte er den Kopf verbunden gehabt und niemand sagen wollen warum. Später soll er einmal hinterm Glase offenherzig geworden sein und bekannt haben, er hätte e Gruse gha, u drvo syg er gschwulle. Wo er das Gstürm (Bete!) nit hätte hören mögen, sei er use, u da syg ihm grad gsi, wie wenn Steffe vor der Türe stünde u losti. Da sygs ihm nimme z'helfe gsi, u wie er heycho syg, wüß er nit, un am Morge heyg er e Gring gha wie es Mäß. Mi wüß bim – bal nimme, was me glaube söll! Eisi hatte sein Weggehen kaum bemerkt, betete unter Zittern und Beben das Unservater, betete den Glauben und noch einen Abendsegen auf des Kindes Bitte. Aber ganz weich und schwach ward es darob, wie es seit Jahren nie gewesen war. Als Anne Liseli endlich beruhigt und getröstet, weil jetzt ds Müetti o für e Ätti betet heyg un er jetzt wohl z'völlmig uechemöge heyg, zu Bette gebracht war und Eisi ins Stübli kam und zu Bette wollte, da erfaßte ihns plötzlich ein Grausen, es durfte nicht hinein, es war ihm, als höre es Steffen drinnen schnürfeln und schnupen, um kein Lieb, kein Geld hätte es die Nacht dort zubringen können, auch nirgends alleine in einem Bette. Es flüchtete sich zur Köchin und schlotterte dort noch lange schlaflos trotz seiner körperlichen Ermüdung, die Angst vor dem Unerforschlichen, dem unsichtbaren Geheimnis, welches uns umrauscht, hatte es zu gewaltig erfaßt. Dieses Unsichtbare war jahrelang für ihns gar nicht dagewesen, es hatte sein Leben unberührt gelassen, sein Leben schaukelte sich auf den Wellen des alltäglichen Wechsels, nichts Bedeutsames, weder eine Idee noch eine Erfahrung, hatte in diese schaukelnden Wellen sich hineingestellt.

Für Eisi war also nichts Unsichtbares mehr da, weil nichts der Art in ihm sich regte, sein Leben berührte, und weil es nur leiblichen Hunger und Durst fühlte, aber keinen geistigen Hunger und Durst, so dachte es gar nicht daran, daß auch etwas Unsichtbares, Wunderbares in seinem eigenen Leibe sei, eine lebendige Seele, ein göttliches Geheimnis, kurz Eisi war ungeheuer aufgeklärt und gebildet, und wenn es guter Laune war, so half es seinen Halbschoppengästen weidlich alle auslachen, welche geistlich waren und noch was glaubten, zPredigt gingen oder gar zum Abendmahl. Wenn es schon seine Gäste nicht frug, wie einst ein langbeiniger Herr einen kürzer gebeinten im Kaffee frug: «Hest dys dix heure o i dr große Kilche gno?», so gab es doch die gleiche Geistesrichtung in Witzeleien kund, welche seiner Sprachkenntnis angemessen waren. Wenn man es gehört hätte in seinen guten Tagen, so hätte man glauben sollen, Eisi würde mit Tod und Teufel dr Narre trybe, bis einist der Tod käme und es streckte. Und jetzt, in wenig Minuten, brachte es ein klein Kind zum Schlottern, daß es nicht alleine schlafen durfte, daß es Gespenster sah, während das Licht noch brannte und ehe es Mitternacht geschlagen hatte. So war Eisis sogenannte Starkgläubigkeit oder Freigeisterei oder Aufklärung beschaffen, so heblich war sie, und gerade so heblich ist sie in manchem Andern, der nicht Eisi heißt, und das Ding geht ganz mit natürlichen Dingen zu, aber unsere sogenannten Aufklärungsritter begreifen es halt nicht.

Im Menschen lebt der Glaube an das Unsichtbare, an das große göttliche Geheimnis unvertilgbar, er bricht im kleinen Kinde hervor, gibt sich kund auf kindliche Weise, und das kindliche Gemüt nimmt am liebsten und gierigsten alle Erzählungen, die Kunde geben von diesem Geheimnis, in sich auf, und je kindischer, wunderbarer diese Erzählungen sind, um so lieber hört es sie, so tiefer wurzeln sie in seinem Gemüte. Der Christ verklärt sich diesen angebornen Glauben durch das göttliche Licht zu dem Bewußtsein, ein unsterbliches Kind des ewigen Vaters im Himmel zu sein. Die neue Aufklärung, die in Wirtschaften und Aufklärungsanstalten von allen Sorten spukt und von da in die Häuser getragen wird wie aus Kasernen die Krätze, verklärt diesen Kinderglauben nicht, sie bricht ihn überm Knie entzwei, läßt die Stücke liegen und überkleistert die Seele mit neuer Aufklärung, das heißt sie leugnet alles, was sich nicht mit der Nase riechen, den Fingern greifen oder mathematisch beweisen läßt oder in Formeln ausdrücken, deren Sinn kein Teufel faßt, die aber eben in Mode sind. Diese neue Aufklärung rottet, wie sie vorgibt, allen Aberglauben aus, und wo ein Stück sogenannter Aberglauben (unter den jedoch Viele den Glauben an einen persönlichen Gott und den Glauben an das Fortbestehen der eigenen Seele rechnen, akkurat gleich wie den Glauben, daß Irrlichter feurige Manne seien, Marksteine versetzen) zum Vorschein kömmt, da schreit sie grimmiglich über die verfluchten Pfaffen, tut, als ob sie dieselben fressen wollte, weil sie schuld seien an diesem Aberglauben, indem sie ihn teils selbst pflanzten, teils längst hätten ausrotten sollen, wenn sie einen Batzen wert gewesen wären. So schreien die Aufgeklärten, eben weil sie kreuzdumme Leute sind, allerlei plappern können, aber doch nichts gründlich kennen, am allerwenigsten die menschliche Natur, wie sie sich im Völkerleben oder im einzelnen Menschen entwickelt; ja die guten Leutchen wissen gar nicht, was ihnen selbst noch alles unter dem neuen Kleister steckt, und wenn sie meinethalb drei Alphabete gründlich kennten, keinem einzigen ihrer inwohnenden Triebe könnten sie seinen eigentlichen Namen geben, geschweige dann seinen Einfluß auf ihr Denken und Reden und Handeln ermessen. Ja die Alleraufgeklärtesten täten es nicht begreifen, auch wenn jemand sich die Mühe nehmen würde, es ihnen mathematisch zu beweisen, daß nämlich nicht ihr Kopf, sondern ihr Bauch Jahresregent ist bei ihnen, der Kopf eigentlich nichts ist als ihr Handwerkszeug, was Nadel und Hand beim Schneider, Finger und Geige beim Geiger. Sie begreifen es also natürlich nicht, daß gerade sie den verschrienen Aberglauben einbalsamieren, daß ihre sogenannte Aufklärung nichts anders ist als der Branntwein, in welchem man unreife Geburten aufbewahrt in ihrer ganzen ursprünglichen Scheußlichkeit, aus welchen, wenn sie lebendig geblieben wären und sich hätten fortbilden können in der Sonne Gottes, das schöne Menschenbild erwachsen wäre. Sie sind es eben, welche den Menschen in das Gebiet zurückführen, aus welchem der eigentliche Aberglaube stammt, ins öde, selbstsüchtige Heidentum, da sie dem Menschen eine Selbständigkeit predigen, welche im Leben sich zur Selbstsucht gestaltet, in seiner Einbildung ihn zum Gott macht, ihm den schönen Glauben zerstört an das wunderbare Geheimnis, an welchem auch er ein wunderbares Glied ist und ein um so glücklicheres, je mehr es die andern Glieder liebt und treu dem Ganzen ist. Sie übertünchen alle Eindrücke der Kindheit und bauen nicht darauf fort, sie wollen den Menschen praktisch machen, bilden ihn praktisch aus, sagen ihm: «Lehr brav, so wirst öppis, chast brav vrdiene, chast einist e brüehmte Ma werde un e ryche, e gebildeti Tochter, un e gueti Partie mache.» In diese Schranken wird die Phantasie des Kindes gebannt, auf solche Ziele richtet sich sein Augenmerk, es wird praktisch, es treibt sich im Wirbel des Zeitlichen, es nährt sich von den zufälligen Bildungsstoffen, welche der Strom der täglichen Bewegung zufällig an ihm stranden läßt. So geht es fort, hoch einher auf den Schwingen der Zeit, verflucht gebildet und zu oberst auf der Leiter der Aufklärung, bis – eine Kuh krank wird oder man keine Kälber mehr am Leben behält, dann läßt man hexen; bis einem ein Tuch gestohlen wird oder Strümpfe, dann schickt man zur Wahrsagerin; oder der Senn schlechte Käse macht, dann kriegen die Kapuziner Zieger und Anken, daß das ganze Kloster zu glänzen anfängt, wie Moses glänzte, als er vom Berge kam; oder bis einem der Finger weh tut, dann schickt man sein Wasser einem Gütterler oder hängt gar ein Bündelchen an; und wenn einem endlich das Gewissen weh tut, so wird man Neutäufer oder katholisch oder läßt einige alte Weiber für sich beten, alles von wegen der Aufklärung, die keinen Trost hat, keinen Halt gibt. Wird durch die Umstände das gewohnte Leben, die übliche Behaglichkeit zerrissen, wird dem Menschen irgendwie seine Schwachheit, sein Unvermögen handgreiflich zum Bewußtsein gebracht oder sonst ein Klupf in seine Seele geworfen, so sucht er einen Halt äußerlich, zur Erkenntnis Gottes ist er nie gekommen, Gott hat er nicht, da taucht denn das alte kindische Heidentum der alten Kindsmutter wieder auf, die Gebildeten und Aufgeklärten fangen an zu hexen, zu Wahrsagern zu laufen, heidnische Künste zu treiben, fürchten die Nacht, dürfen nicht alleine schlafen usw. Das ist der Grund, warum es zur alten bekannten Wahrheit geworden ist, daß des gröbsten Unglaubens nächster Nachbar der gröbste Aberglaube sei.

Jedoch müssen wir ausdrücklich bemerken, daß bei Eisi durchaus keine innere Umwandlung vorging, sein ganz altes Wesen, seine religiöse Leichtfertigkeit blieben, der alte Aberglaube erschien bei ihm nicht anders als ein Totenbein, das aus einem Grabe hervorragt, von dem jemand die Erde weggescharrt. Auch betete es zuweilen, namentlich wenn Anne Liseli bat; es ging jetzt Eisi afe ringer, und es dachte, für neuis könnte es doch gut sein, und nütze es nichts, so schad es doch auch nichts.

Viel Zeit dazu hatte es aber nicht, denn es hatte jetzt so viel Weltliches zu verwerchen, daß es ihns düechte, es müsse erworgen daran, wie es sich nämlich ausdrückte.


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