Iwan Goll
Das Lächeln Voltaires
Iwan Goll

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Briefe

Es gibt kaum einen großen Mann, der so viele Briefe geschrieben hat wie Voltaire. Seine »Correspondance« nimmt in seinem Werk beträchtlichen Platz ein und hat bedeutenden Wert für die Kenntnis seiner Zeit wie seiner Persönlichkeit. Keiner hat je eine echtere und gründlichere Autobiographie verfaßt als Voltaire, dessen bestes literarisches Porträt in seinen Briefen zu suchen ist. In diesen irrlichtert seine Gestalt wie in tausend Spiegeln: von vorne, von hinten, von außen, von innen. Alles, was in diesem Menschen war: und es war alles Menschliche in ihm – wird dort sichtbar: seine Großmut, seine Listen, seine Konfessionen, seine Lügen, seine Belesenheit, seine Schwächen, seine Menschengüte, seine Feigheiten, sein Esprit und sein Ehrgeiz. Gut und bös: wie er den Menschen wußte und nicht anders wollte. Die folgenden Muster wurden mehr für den blendenden Esprit und Stil gewählt als für die dort ausgedrückten Ideen, die, in solcher Fassung, keineswegs ernst zu nehmen, sondern lediglich als Schmeicheleien und insofern auch als Beweise für Voltaires »diplomatischen« Charakter zu verzeichnen sind. 191

An Friedrich von Preußen

Cirey, 26. August 1736

Ew. Hoheit nicht für den Brief unendlich dankbar zu sein, den Sie mir zu senden geruhte, wäre ein ganz gefühlloses Benehmen. Meiner Eigenliebe ward sehr geschmeichelt; aber die Menschenliebe, die mir innewohnt und sozusagen zu meinem Charakter gehört, hat mir eine tausendfach reinere Freude beschert, als ich erkannte, daß es auf der Welt einen Fürsten gibt, der an die Menschen denkt, einen Philosophenprinzen, der der Menschheit Glück bringen wird.

Darf ich Ihnen gestehen, daß die Menschheit dafür Ihnen Dank schuldet, daß ein zum Befehlen geborener Geist durch gesunde Philosophie gütiger werden konnte. Nur solche Könige sind gut gewesen, die von Anfang an nach tiefer Bildung verlangten, Menschenkenntnis sammelten, nur die Wahrheit liebten und Verfolgung und Aberglauben verabscheuten. Jeder Fürst, der so dächte, könnte das goldene Zeitalter in seinen Landen heraufbeschwören. Warum versuchen das so wenig Könige? Ah, Sie ahnen es, Hoheit: weil alle mehr auf das Königtum als die Menschlichkeit bedacht sind; Sie aber machen es umgekehrt. Und das ist gewiß: wenn eines Tages das Geplärr der Geschäfte und die Schlechtigkeit der Menschen einen göttlichen 192 Charakter wie den Ihrigen nicht verdorben haben sollten, dann wird Ihr Volk Sie anbeten, die ganze Welt Sie bewundern. Alle Philosophen, die dieses Titels würdig sind, werden in Ihrem Land zusammenkommen; und wie die berühmten Werkleute in Scharen dahin ziehen, wo ihre Kunst am meisten begünstigt wird, werden die Denker Ihren Thron umringen.

Die berühmte Königin Christine ging aus ihrem Reich, um die Künste aufzusuchen; Eure Hoheit soll nur regieren, und die Künste werden zu Ihr hinströmen.

Aber möge der Streit der Gelehrten Ihnen die Wissenschaft nie verekeln! Sie wissen es selbst, daß die meisten Menschen sich wie die Höflinge benehmen: habgierig, neidisch, falsch und grausam; der ganze Unterschied zwischen den Hofratten und den Kathederratten besteht darin, daß diese sich noch dazu immer lächerlich machen.

Und es ist tieftraurig, daß gerade die sogenannten Vollstrecker der himmlischen Gesetze, die Dolmetscher der Gottheit, kurz: die Theologen, oft die allergefährlichsten sind; in Gesellschaft hinterlistig und wirr in ihren Ideen, haben sie eine Seele, die im gleichen Maß gallig und rachsüchtig wie unwahrhaftig ist . . .

Aber ich weiß, wie Ihr Herz auf das Gemeinwohl zuerst bedacht ist und wie sehr Sie zu unterscheiden wissen zwischen Menschen, die in Frieden nach 193 der Wahrheit forschen, und Leuten, die für einige unverstandene Worte immer Krieg machen müssen. Ihr Geist lehnt sich an Newton, Leibnitz, Bayle und Locke an, erleuchtete und behutsame Führer, und daß Ihnen hingegen alle anderen vergifteten und gehaltlosen Lehren zuwider sind.

Wie soll ich Eurer königlichen Hoheit für das Büchlein über Herrn Wolf danken? Dessen metaphysischen Arbeiten machen dem menschlichen Denken größte Ehre. Es sind Blitze in unserer Nacht: und das ist alles, glaube ich, was man von Metaphysik verlangen darf. Die Urgründe der Dinge werden nie zu begreifen sein. Die Mäuse, die in kleinen Löchern eines großen Gebäudes hausen, wissen nicht, ob dasselbe ewig ist, noch wer der Architekt war, noch was dieser damit bezweckt hat. Ihre Sorge ist, sich ihr Leben zu erhalten, die Löcher zu bevölkern und den Feinden, die sie auffressen könnten, aus dem Weg zu gehen. Wir sind solche Mäuse. Der göttliche Architekt hat aber, soviel ich weiß, noch keinem von uns sein Geheimnis entdeckt. Wenn aber einer richtig geraten hat, so ist es Herr Wolf. Man kann ihn bekämpfen, aber man muß ihn ernstnehmen. Seine Philosophie ist keineswegs verderblich: kann man etwas Schöneres und Wahreres aussprechen als dieses, daß die Menschen gerecht sein sollen, auch wenn sie das Pech hätten, nicht an Gott zu glauben? 194

Aber daß Sie diesem Mann Ihren Schutz gewähren, beweist die Geradheit Ihres Geistes, die Menschlichkeit Ihrer Gefühle.

Eure Hoheit hatte die Güte, mir ein Exemplar von »Über Gott, die Seele und die Welt« zu versprechen. Welch ein Geschenk! Der Erbe einer Monarchie geruht von seinem Palast aus Lehren an einen Einsamen zu senden! O ich erwarte diese Gabe: meine Wahrheitsliebe ist das einzige, was mich deren würdig macht. Sonst haben die meisten Fürsten Angst vor der Wahrheit, und nun sind Sie es, die sie verbreiten.

Auch über die Verskunst haben Sie die gesündesten Ansichten. Nur diejenigen Verse, die den Menschen neue und rührende Wahrheiten beibringen, verdienen gelesen zu werden. Aber nichts ist verächtlicher, als sein ganzes Leben lang abgenutzte Gemeinplätze in Reime zu bringen. Und das schmutzigste aller Handwerke ist es, nur Satiriker zu sein und seinen Mitmenschen immer nur Böses nachzusagen. Diese Dichter sind auf dem Parnaß, wie in den Lehranstalten jene Herren Doktoren, die auf Wörtern herumreiten und gegen die zu Felde ziehen, die mit Tatsachen kommen.

Daß meine »Henriade« Eurer königlichen Hoheit gefiel, liegt an der Wahrheitstreue dieses Poems, und daß darin die Schmarotzer, die Streitsüchtigen, die Abergläubischen, die Tyrannen und die Rebellen 195 arg mitgenommen sind. Ein ehrlicher Mann hat es geschrieben. Ein Denkerfürst mußte es liebgewinnen.

Ich soll Eurer Hoheit meine anderen Werke schicken? Ich will gern gehorchen. Seien Sie mein Richter und mein Publikum. Ich will Ihnen alle meine philosophischen Versuche unterbreiten; Ihre Bemerkungen seien mein Lohn: so einen Preis kann nicht jeder Fürst zahlen.

Es würde mir ein kostbares Glück sein, Eurer Hoheit meine Aufwartung machen zu dürfen. Man geht nach Rom, um sich Kirchen, Gemälde, Ruinen und Reliefs anzusehen. Ein Fürst wie Sie ist eine kostbarere Rarität. Aber eine Freundschaft hält mich hier in meiner Einsiedelei zurück. Und Sie befürworten bestimmt Julians, dieses viel beschimpften, großen Mannes Spruch: daß man Freunde immer den Königen vorziehen muß.

Aber in welcher Ecke ich auch mein Leben enden mag: immerfort werde ich auf Eurer Hoheit Wohlergehen, und das bedeutet für das eines ganzen Volkes, eifrig bedacht sein. Mein Herz ist Ihr Untertan. Ich wünsche, daß Sie sich selber immer ähnlich bleiben, und daß die übrigen Könige Ihnen gleichen. Und bin Eurer Hoheit ergebenster Diener . . . 196

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