Iwan Goll
Das Lächeln Voltaires
Iwan Goll

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Lucian, Erasmus und Rabelais

(Neulich lernte Lucian Erasmus kennen, trotz seines Abscheus gegen alles Germanische. Nach seiner Meinung erniedrigte sich ein Grieche, wenn er mit einem Batavier sprach: aber dieser hier schien ihm so wohlerzogen, daß er ihn selbst anredete:)

Lucian: Sie haben also in Ihrem Barbarenland denselben Beruf gehabt wie ich in meinem zivilisierten: Sie haben sich über alle und alles lustig gemacht?

Erasmus: Ich hätte es wenigstens gern getan, und es wäre für mich armen Theologen ein großer Trost gewesen: aber man war bei uns nicht so frei wie bei euch.

Lucian: Das nimmt mich wunder. Im allgemeinen lieben es die Menschen, daß man ihnen ihre Dummheiten zeigt, wenn nur nicht ein einzelner mit Namen an den Pranger gestellt wird. Da schreibt jeder dem Nachbarn seine eigenen Fehler zu, und einer lacht über den anderen. War's bei Ihren Zeitgenossen nicht so? 169

Erasmus: Nein, es ist ein großer Unterschied zwischen Ihren Tölpeln und den unseren. Sie hatten es nur mit Göttern vom Theater zu tun, und mit Philosophen, die noch geringeren Kredit hatten als jene. Ich aber war von Fanatikern umgeben und mußte mich immer in acht nehmen, daß die einen mich nicht verbrannten oder die anderen mich nicht meuchelten.

Lucian: Und da konnten Sie noch lachen?

Erasmus: Allerdings wenig. Ich galt für viel humorvoller, als ich's in Wirklichkeit war. Man hielt mich für äußerst lustig und geistreich, weil damals alle Welt dumpf und trist war. Man gab sich nur mit hohlen Dingen ab, die den Menschen gallsüchtig machen. Wer z. B. glaubte, daß ein Körper gleichzeitig an zwei Orten sein konnte, war immer bereit, den totzustechen, der dasselbe auf eine andere Manier erklärte. Schlimmer noch: hätte sich ein Mann in meiner Stellung nicht zwischen den zwei Ansichten zu einer bekannt, würde man ihn für ein Monstrum gehalten haben.

Lucian: Seltsame Barbaren! Zu meiner Zeit waren die Geten und Massogeten doch sanftmütiger. Was für einen Beruf hatten Sie?

Erasmus: Ich war holländischer Mönch! 170

Lucian: Was ist das, ein Mönch?

Erasmus: Man verpflichtet sich durch unverbrüchlichen Eid, dem Menschengeschlecht zu nichts nütze zu sein, ein Hohlkopf und Sklave zu werden und bei den anderen zu schmarotzen.

Lucian: Schönes Geschäft. Wie konnten Sie mit soviel Geist so einen naturwidrigen Beruf annehmen! Schmarotzen geht noch: aber zu geloben, daß man den gesunden Menschenverstand aufgibt und seine Freiheit dazu!

Erasmus: In meiner Jugend, ohne Eltern und Freunde, ließ ich mich von solchen übertölpeln.

Lucian: Gab es deren viele?

Erasmus: Sechs- bis siebentausend in Europa.

Lucian: Heiliger Himmel: wie dumm und barbarisch ist die Welt seit meinem Abschied geworden! Ja, Horaz hatte es wohl vorausgesagt.

Erasmus: Mein Trost war, daß alle meine Zeitgenossen den letzten Grad des Irrsinns erreicht hatten. Einige von ihnen werden wohl wieder zur Vernunft zurückgekehrt sein.

Lucian: Daran zweifle ich sehr. Aber welches waren die Hauptverrücktheiten Ihres Zeitalters? 171

Erasmus: Ich habe eine Liste aufgestellt. Lesen Sie mal! (Lucian liest. Unterdessen erscheint Rabelais.)

Rabelais: Meine Herren, wo zwei lachen, da bin ich unter ihnen.

Lucian: Wer ist jener Bold?

Erasmus: Der war trotziger und lustiger als ich. Er war aber auch nur Priester und konnte sich mehr erlauben als ein Mönch.

Lucian: Haben Sie auch wie Erasmus gelobt, zu schmarotzen?

Rabelais: Ich hab es zweimal gelobt, als Priester und als Arzt. Ich war weise geboren und wurde ebenso gelehrt wie Erasmus. Aber als ich erkannte, daß Weisheit und Gelehrtheit nur zum Spital und Elend führen, und daß sogar so ein halber Komiker wie Erasmus oft verfolgt wurde, beschloß ich, verrückter zu sein als alle anderen zusammen, und schrieb ein dickes Buch voller Dummheiten, voller Schweinereien, in dem ich jeden Aberglauben, jede Zeremonie, alles was man im Lande verehrte, jeden Beruf, vom König bis zum letzten Doktor der Theologie lächerlich machte. Dies Buch widmete ich einem Kardinal. Und selbst die Verlachten mußten lachen.

Lucian: Was ist das, ein Kardinal? 172

Erasmus: Ein in Rot gekleideter Mönch, der hunderttausend Taler Renten kriegt, um nichts zu tun.

Lucian: Das war aber doch ein gescheiter Kerl: der scheint doch nicht verrückt gewesen zu sein!

Erasmus: Die Kardinäle hatten eine andere Art Irrsinn: die des Herrschens. Und da es leichter ist, Dummen als Gescheiten zu befehlen, töteten sie alle Vernunft. Herr Rabelais hier ahmte Brutus nach und stellte sich toll, um der Tyrannei und der Strafe zu entgehen.

Lucian: Da war's doch in meinem Jahrhundert angenehmer zu leben. Waren diese Kardinäle die höchsten Herren der Erde?

Rabelais: Nein, es gab noch einen Verrückteren über ihnen: den Babest. Dessen Irrsinn bestand darin, sich für unfehlbar auszugeben und selbst über den Königen stehen zu wollen. Er hat das so oft geschrien und wiederholt, daß Europa es schließlich geglaubt hat.

Lucian: Ihr überbietet unsere Zeit wirklich an Dummheit. Da waren bei uns die Fabeln von Jupiter, Neptun und Pluto ganz harmlos dagegen. Wie haben Sie es fertig gebracht, Ihre Zeitgenossen zu verspotten, wo Spott 173 schlimmer als Verschwörung sein mußte? Ich habe die römischen Könige nie angegriffen, und Sie verlachten den Babest? Wie ertrug das die Nation?

Rabelais: Unsere Nation war ein Gemisch von Ignoranz, Aberglaube, Dummheit, Grausamkeit und Spaßmacherei. Zunächst begann sie, alle, die gegen Pabst und Kardinäle sprachen, aufzuhängen oder aufzuspießen. Dann aber liebte sie tanzen, singen, trinken, posieren und lachen. Ich nahm meine Mitbürger bei ihren schwachen Seiten, ich sprach vom Trinken, trug Sauereien vor, und damit war mir alles erlaubt. Die klugen Leute merkten, was dahinter steckte, und wußten mir Dank; die Tölpel genossen die Schweinereien, und alle liebten mich, statt mich zu verbrennen.

Lucian: Ich hätte große Lust, Ihr Buch zu lesen. Haben Sie kein Exemplar in der Tasche? Und auch das Ihre, lieber Erasmus?

(Lucian vertieft sich in das Kapitel vom »Hintern-Wischen« und in das »Das Lob des Irrsinns«. Später kam Doktor Swift dazu, und sie gingen zu viert ins Restaurant Elysium speisen.) 174

 

Hagar

Wenn man seine Freundin, seine Bettgenossin, seine Mätresse von sich fortweist, muß man ihr doch wenigstens ein erträgliches Los sichern, will man nicht für einen sehr unfeinen Herrn gehalten werden.

Doch wird erzählt, daß Abraham in der Wüste Gerara sehr wohlhabend war, obwohl er kein Fingerbreit Landes sein eigen nannte. Und verläßliche Gelehrte haben uns gesagt, daß er die Heere von vier großen Königen mit dreihundertachtzehn Lämmerhirten geschlagen habe.

So hätte er seiner Mätresse Hagar doch mindestens eine winzige Herde schenken können, als er sie in die Wüste schickte. Ich spreche hier zwar nur wie alle Welt, verehre indes zutiefst die überirdischen Pfade, die nicht unsere Pfade sind.

Ich für meinen Teil hätte der alten Freundin Hagar ein paar Schafe, ein paar Ziegen und einen edlen Ziegenbock geschenkt, auch einige wenige Kleidungsstücke für sich und ihren Sohn Ismael: eine gute 175 Eselin der Mutter, ein hübsches Eselein für unseren Sohn, noch ein Kamel für die Lasten, ferner zwei Diener, die sie vor den Wölfen auf der Landstraße hätten beschützen müssen.

Aber der Vater aller Gläubigen schenkte seiner armen Konkubine und seinem Kind nur einen Krug Wassers und einen Laib Brot, und schickte sie damit in die Wüste.

Darum haben einige gottlose Gelehrte zu behaupten gewagt, Abraham sei kein zärtlicher Vater gewesen, sondern habe seinen unehelichen Sohn Hungers sterben lassen wollen, nachdem er seinem legitimen Kind den Hals abschneiden wollte.

Aber ich wiederhole: diese göttlichen Bahnen sind nicht die unseren. Und dann macht man uns weiß, die arme verlassene Hagar sei in die Wüste Bersabe gewandert. Die hingegen bestand noch gar nicht damals; man entdeckte sie erst viel später: aber das ist Nebensache.

Wahr ist dagegen, daß Ismaels, des Sohnes der Hagar, Nachkommenschaft an Isaaks Nachkommenschaft, der Sara Geschlecht, sich ordentlich gerächt hat und diese vertrieb. Die Sarrazenen stammen in direkter Linie von Ismael ab. Sie nahmen das von Isaaks Volk eroberte Jerusalem ein.

Es hätte mir Freude gemacht, wenn in Anbetracht einer weniger komplizierten Etymologie die Sarrazenen von Sara abstammten. Nein, man behauptet, 176 das Wort komme von Sarrac: »Dieb.« Nun glaube ich kaum, daß sich ein Volk je mit Dieben verglichen habe, obwohl die meisten gerade sehr räuberisch sind. Sarrazen, von Sara, hätte meinem Ohr süßer geklungen! 177

 

Salomo

War Salomo so reich, wie es die Sage will?

Die Paralipomena behaupten, daß König David, sein Vater, ihm ungefähr 20 Milliarden unserer Goldwährung hinterlassen habe: und das sei bescheiden gegriffen. Indes, es gibt auf der ganzen Erde nicht so viel Geld, und es ist schwer anzunehmen, daß David diesen ganzen Schatz in dem kleinen Palästina anhäufen konnte.

Nach dem dritten Buch der »Könige« soll Salomo vierzigtausend Ställe für seine Zugpferde besessen haben. Hätte jeder Stall nur zehn Pferde geborgen, so macht das vierhunderttausend, und dazu zwölftausend Reitpferde. Das ist sehr viel für einen jüdischen Melech, der nie Krieg geführt hat. Dieser Reichtum ist ohne Beispiel für ein Land, das nur Maulesel heute beherbergt. Scheinbar haben sich die Zeiten geändert. Aber es mag sein, daß so ein weiser König, der tausend Frauen hatte, ganz gut vierhundertundzwölftausend Pferde für seine Ausflüge mit diesen brauchte, sei es längs am See 178 von Genezareth, oder auch am Sodomsee, oder gar am Kidronbach, der einer der reizvollsten Plätze der Welt ist, obgleich er in Wahrheit neun Monate des Jahres ausgetrocknet und sein Ufer sehr steinig ist.

Aber hat dieser weise Salomo wirklich all die schönen Bücher geschrieben, die man ihm unterschiebt? Ist es z. B. wahrscheinlich, daß er der Autor jener jüdischen Schrift sei, die man das »Hohe Lied« nennt?

Möglich ist es schon, daß ein Monarch, der tausend Frauen sein nannte, zu einer von diesen geflüstert habe:

»Sie soll mir einen Kuß mit ihren Lippen schenken, denn ihre Brüste sind süßer als Wein.« Wenn es sich um einen Lippenkuß handelt, drücken sich König und Hirt auf gleiche Weise aus. Überdies ist es seltsam, daß man behaupten konnte, an dieser Stelle spreche das Mädchen und wolle im Gegenteil die Brüste ihres Geliebten verherrlichen.

Auch will ich nicht leugnen, daß ein galanter König seiner Mätresse folgenden Ausspruch untergeschoben habe: »Mein Freund ist wie ein Bündel Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten hanget.« Ich verstehe hier nicht recht die Analogie mit »Myrrhen«. Aber ich verstehe ganz gut, daß eine Herzgeliebte ihrem Herzgeliebten sagt, sie wolle ihn mit der linken Hand umarmen und mit der rechten Hand . . . 179

Man könnte den Autor des Hohen Lieds auch wegen dieser Stelle befragen: »Dein Schoß ist wie ein Becher, dem immer Getränke mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen.

Deine zwo Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge.

Dein Hals ist wie ein elfenbeinerner Turm.«

Ich muß sagen, daß die Lieder des Vergil von einem ganz anderen Stil sind: aber jedem der seine, und ein Jude muß doch nicht gerade wie Vergil schreiben.

Dies auch ist eine schöne Redewendung: »Unsere Schwester ist klein, und hat keine Brüste. Was sollen wir mit unserer Schwester tun?

Ist sie eine Mauer, so wollen wir ein silbern Bollwerk drauf bauen. Ist sie eine Tür, so wollen wir sie festigen mit Zedernbohlen.«

Gott sei gedankt, daß Salomo, der Weiseste unter den Menschen, so lustige Schnurren geschrieben hat: sie waren, sagt man, seine Morgengabe bei seiner Heirat mit der Pharaonentochter. Aber war es denn auch natürlich, daß des Pharaonen Eidam seine Heißgeliebte nachts im Stich lasse, um in der Nußbaumallee spazieren zu gehen, daß die Königin ihm barfuß nachfolgte und dafür von den Stadtwachen geprügelt wurde, so sehr, daß sie ihr die Kleider vom Leibe rissen?

Hätte eine Königstochter sagen dürfen: »Braun bin 180 ich und schön wie Salomos Pelzmantel«? Solche Aussagen kann man einem Hirten unterschieben, obwohl es zwischen der Schönheit eines Mädchens und einem Pelz wenig Berührungspunkte gibt. Immerhin, vielleicht wurden Salomos Pelzmäntel seinerzeit sehr bewundert, und ein Jude aus dem Mob, der auf seine Geliebte Verse schrieb, konnte in seinem jüdischen Dialekt ganz gut behaupten, daß keines jüdischen Königs gefütterte Mäntel je so schön gewesen sein mochten wie sie. Aber Salomo selber mußte von seinen Staatskleidern sonderbar entzückt sein, um sie mit seiner Mätresse zu vergleichen. Wenigstens würde ein König, der heutzutage so ein Machwerk der Tochter eines königlichen Nachbarn widmen wollte, kaum für den besten Dichter in seinem Reich gehalten werden.

Mehrere Rabbis haben behauptet, daß diese Dichtung nicht nur nicht von Salomo herrühre, sondern überhaupt nicht authentisch sei. Dieser Meinung war Theodor de Mospsueste, und der berühmte Grotius nennt das Hohe Lied frivol: flagitiosus. Und doch ist es heilig und wird immerzu als eine Allegorie für Christi Vermählung mit der Kirche gerühmt. Man muß zugeben, daß die Allegorie etwas gewagt ist, und nicht sehr ersichtlich ist, wie die Kirche das zusammenreimt, daß das Schwesterchen keine Brüste hat, und daß, wenn es eine Mauer ist, man darauf bauen soll. 181

Das Buch der Weisheit ist etwas ernster, aber ebensowenig von Salomo geschrieben wie das Hohe Lied. Es wird allgemein Jesus von Sirach oder auch Philo von Biblos zugeschrieben. Wie auch der Autor geheißen haben mag, anzunehmen ist, daß man zu jener Zeit noch keinen Pentateuch besaß, denn im Kapitel X. wird gesagt, daß Abraham Isaak zur Zeit der Sintflut habe opfern wollen, und eine andere Stelle sieht im Patriarchen Joseph einen König von Ägypten.

Die Sprüche sind Jesaias, Elzia, Sobna, Eliakim, Joakim und mehreren anderen zugeschrieben. Wer diese orientalischen Aphorismen aber erdacht haben mag: nirgends ist es ersichtlich, warum sich gerade ein König diese Mühe gemacht hätte. Hätte ein solcher auch gesagt, daß »der Schrecken des Königs wie das Brüllen des Löwen« ist? So spricht nur ein Sklave oder ein Untertan, der vor des Herren Zorn erzittert. Hätte Salomo soviel von schamlosen Weibern geredet? Und hätte er gerufen: »Nicht seht in den Wein, wenn er klar scheint: seine Farbe glühe im Glas!«?

Ich bezweifle sehr, daß es zu Salomos Zeiten Trinkgläser gegeben habe: sie sind eine spätere Erfindung, im ganzen Altertum trank man aus hölzernen oder metallenen Schalen. Und diese einzige Stelle beweist, daß die ganze Dichtung von einem Juden aus Alexandria herrührt, lange nach Alexander. 182

Bleibt noch der »Prediger«, der nach Grotius unter Zorobabel geschrieben wurde. Man kennt alle die Freiheiten, die sich der Autor erlaubt: »daß die Menschen den Tieren nichts voraus haben; daß es besser ist, nicht geboren sein, als zu leben; daß es kein anderes Leben gibt; daß es kein anderes Glück gibt, als das Dasein zu genießen mit der Geliebten.«

Salomo kann mit einigen Weibern so gesprochen haben. Man gibt an, das seien Widersprüche, die er sich selber zuflüstert. Aber diese Maximen sind doch etwas zu frei gehalten und sehen gar nicht wie Widersprüche aus. Überhaupt ist es ein Unsinn, bei einem Autor das Gegenteil herauszulesen dessen, was er schreibt.

Aber schließlich: einige Kirchenväter haben behauptet, Salomo habe Buße getan. Also wir können ihm ruhig verzeihen.

Und daß seine Bücher von einem Juden stammen, was geht's uns an! Unsere christliche Religion fußt auf der jüdischen Religion, aber nicht auf allen von Juden geschriebenen Büchern. Warum sollen wir das Hohe Lied heiliger halten als den Talmud? Weil wir ihn aus der Lehre der Hebräer übernommen haben sollen. Was bedeutet diese Lehre? Eine Sammlung authentischer Schriften. Ist eine Schrift schon göttlich, weil sie authentisch ist? Ist eine Geschichte der Könige von Juda oder Sichem 183 mehr denn eine Geschichte? Welch seltsames Vorurteil. Wir hassen die Juden, und wir wollen, daß alles von ihnen Überlieferte etwas Göttliches sei. Hat es je einen größeren Widerspruch gegeben?

 

Hiob

(Gedanken eines Kranken am Aachener Brunnen)

Grüß Gott, Freund Hiob! Du bist einer der ältesten Eigenbrödler in den Büchern. Jude warst du nicht. Die Dichtung, die deinen Namen trägt, ist älter als die Bücher Moses. Du wohntest an den Grenzen Chaldäas. Ein paar würdige Kommentatoren geben zu, daß du an die Auferstehung geglaubt hast, wegen dieser paar Worte, die du im 19. Kapitel, auf dem Mist liegend, gemurmelt haben sollst: Einst werd' ich mich erheben! Muß ein Kranker, der auf Gesundung hofft, deshalb immer an die Auferstehung glauben? Immerhin: ich wollte dich etwas ganz anderes fragen:

Gib zu, daß du ein großer Schwätzer warst! Aber deine Freunde waren es noch viel mehr. Du sollst 7000 Schafe, 3000 Kamele, 1000 Ochsen, 500 Eselinnen besessen haben. Ich berechne daß sie ungefähr 562 500 Livres wert waren. Dazu noch die Möbel, Schmuckgegenstände und Edelsteine.

Ich war reicher als du. Und obwohl ich einen 185 großen Teil meines Vermögens verlor und jetzt auch krank bin, habe ich Gott nicht verflucht, wie deine Freunde es von dir behaupten wollen.

Mit Satan bin ich keineswegs zufrieden, der, um dich zur Sünde zu bekehren und, zur Verleugnung deines Gottes, die Erlaubnis einholt, dir dein Hab und Gut wegzunehmen und dir die Galle aufzuladen. Aber nur in solchem Zustand denken die Menschen an Gott: die Glücklichen vergessen ihn gern. Satan kannte eben die Welt nicht. Er ist seitdem in die Lehre gegangen. Wenn er heute eines Individuums sicher sein will, ernennt er es zum Landrat oder zu noch viel besserem, wenn's geht.

Deine Frau war ein böses Weib. Aber deine Freunde waren noch viel unerträglicher. Sie mahnen dich zur Geduld mit Worten, die das zarteste Geschöpf rasend machen müßten.

Ich gebe zu, daß du gar nicht weißt, was du sprichst, wie z. B. »Mein Gott, bin ich ein Meer oder ein Walfisch, daß du mich so in ein Gefängnis sperren konntest!« Aber deine Freunde sind des Sinns ihrer eigenen Redensarten ebensowenig bewußt, wenn sie dir so entgegnen: »Der Tag kann ohne Tau nimmer grünen, das Wiesengras ohne Wasser nicht wachsen.« Einen schöneren Trost kann ich mir nicht denken.

Sophar von Nahamath schimpft dich einen Schwätzer. 186 Aber schenkt dir einer der Freunde nur einen Groschen? Ratgeber gibt es viele, Helfer wenige. Da hat einer drei Freunde, und bekommt nicht einmal ein Löffelchen Bouillon geschenkt! Aber ich kann mir vorstellen, wie kleinlaut sie waren, als Gott dir Reichtum und Gesundheit wieder geschenkt hatte: »Hiobs Freunde« sind nicht umsonst sprichwörtlich geworden.

Bitte, sag mir noch, Hiob, ob du wirklich noch hundertundvierzig Jahre nach dieser Prüfung weitergelebt hast: es freut mich, daß die Gerechten lange leben. Aber wie schlecht müssen meine Zeitgenossen sein, deren Leben so kurz ist! 187

 

Anekdote über Karl V.

Hat Karl V. mit seiner Schwester Margarete geschlafen? Und war deren Sohn Don Juan d'Austria? Es ist ebensowenig erwiesen, wie das Gerücht, nach dem Karl der Große mit allen seinen Töchtern geschlafen haben soll. Wozu auch darin wühlen! Wenn die heilige Schrift mich nicht versicherte, daß Loths Töchter Kinder von ihrem eigenen Vater empfingen, und Thamar von ihrem Schwiegervater. . . .

Aber wir wollen doch diskret sein! 188

 


 << zurück weiter >>