Iwan Goll
Das Lächeln Voltaires
Iwan Goll

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Das Lächeln Voltaires

Gott

Wenn Gott nicht wäre, müßt man ihn erfinden!« Ich bin selten mit meinen Versen zufrieden: aber ich muß zugestehen, daß diesem meine ganze väterliche Liebe gehört. 14

 

Götter

Die Erkenntnis Gottes ist uns nicht von der Natur geschenkt, denn sonst hätten sie alle Menschen. Und übrigens wird keine Idee mit uns geboren, offenbart sich uns nicht, wie die Empfindung des Lichts, des Erdraums usw. sich unseren Sinnen einprägt. Ist Gott eine philosophische Idee? Nein. Die Götter haben vor den Philosophen existiert. Woher entsprang diese Idee? Aus dem Empfinden und der natürlichen Logik, die mit dem Alter auch der roheste Mensch empfängt. Es gab erschütternde Wunder der Natur: Ernten, Mißernten, Sonnentage, Stürme, Glück und Mißgunst: es mußte also einen Herrn geben. Man hatte Führer gebraucht für die Völker, und dann mußte man auch einen Herrn für alle diese neuen, von der menschlichen Schwäche erzeugten Herrscher haben: Wesen, deren oberster Machtwille die Menschen zittern ließ, welche nur ihresgleichen zu schaden vermochten. Ihrerseits festigten die ersten Herrscher dann ihre eigene Macht durch diesen Gedanken. So geschah das erste Werden 15 eines Gottes in einer kleinen Volksgemeinschaft. Diese Anschauung war grob wie damals alles. Man muß immer in Analogien denken.

Ein Volk mit einem Führer fand es sehr natürlich, daß der Nachbarstamm auch einen Richter und Herrn besaß, und also auch einen Gott. Aber da es in eines jeden Stammes Interesse lag, den besten Führer zu besitzen, mußte er wohl auch annehmen, daß sein Gott der beste, unübertreffliche sei. Daher die alten Fabeln, in denen Götter gegen Götter kämpften. Daher die vielen Stellen in den hebräischen Büchern, die zwar andere Götter anerkannten, aber den Gott der Juden als den mächtigsten, besten hinstellten.

*

In uns ist kein ebenbürtiges Empfinden der Gottheit. Wir kriechen nur von Verdacht zu Verdacht; wir stellen Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten auf. Gelangen schließlich zu sehr kargen Gewißheiten. Es existiert etwas. Also muß auch ein Ewiges existieren. Aus nichts wird nichts. Auf dieser sicheren Wahrheit ruhen wir aus. Alles mit Mitteln und Ziel Erschaffene hat einen Urheber: und diese Welt mit ihren bestimmtesten und zielvollsten Geburten und Geschehnissen muß ein sehr mächtiger und intelligenter Schöpfer erdacht haben. 16 Aber ist dieser unendlich? Ist er allgegenwärtig? Ist er ein Ort? Unser Geist ist so eng und unser Wissen so schmächtig für solche Fragen!

Nur mein Verstand sagt mir, daß ein Wesen die Dinge hier geordnet haben muß: aber mein Verstand ist nicht imstand, irgend etwas zu beweisen. Alle antiken Weisen haben ausnahmslos geglaubt, daß die Materie unvergänglich und in sich selbst substant sei. Ich, der ich kein Erleuchteter bin, kann also nichts anderes tun, als glauben, daß der Gott dieser Welt auch unvergänglich sei und aus sich selber existiere. Gott und die Materie bedeuten die Natur der Dinge. Gibt es noch andere Götter, andere Welten? Haben nicht philosophische Schulen und ganze Nationen immer an zwei Gottheiten geglaubt, eine gute und eine böse? Haben sie ihnen nicht ewigen unausgleichbaren Zwiekampf angedichtet? Aber die Natur kann gewiß im Unendlichen des Raums leichter mehrere voneinander unabhängige, in ihrem Reich jedoch unantastbare Herrscher ertragen, als zwei bornierte und machtlose Götter, von denen der eine nie Gutes, der andere nie Böses verüben kann.

Wenn Gott und der Stoff seit ewig bestehen, wie im Altertum gelehrt wurde, so sind diese zwei Urquellen gewiß nötig: doch wenn zwei nötig sind, warum kann es nicht auch dreißig geben? Dieser Zweifel genügt, um uns über unseren ungenügenden, 17 schwachen Verstand zu belehren. Cicero sagte: Wir müssen wenigstens unsere Ignoranz in göttlichen Dingen eingestehen! Und wir werden nie mehr als er selber erfahren. 18

 

Glaube

Ist Glaube: sich an das kehren, was offenkundig klarliegt? Nein, denn es ist klar, daß es notwendig ein ewiges, allwissendes, höchstes Wesen gibt. Und daran hält man nicht mit dem Glauben fest, sondern mit der Vernunft. Das ist meinerseits kein Verdienst, an den ewigen, grenzenlosen Schöpfer zu glauben, der die Tugend und Güte selbst ist und auch von mir Tugend und Güte verlangt! Glaube bedeutet: nicht an das Wahr-Erscheinende, sondern an das für unsere Begriffe Falsch-Klingende zu glauben. Die Asiaten glauben wirklich an Mahomets Reise zu den sieben Planeten, an die Menschwerdung der Götter Fo, Vistnu, Brahma, Sammonocodom usw. Sie urteilen nicht, sie fürchten sich zu prüfen; sie wollen weder gepfählt noch verbrannt werden – also sagen sie: »Ich glaube.«

Nun wollen wir im folgenden keineswegs an die katholische Religion rühren, die wir nicht nur achten, sondern selber pflegen: wir betrachten uns nur im Gegensatz zu den lügnerischen andern Völkern, die 19 einen Glauben haben, der kein Glaube ist, sondern nur Wortplänkelei.

Es besteht ein Glaube für Wunderdinge und einer für unwirklich-unmögliche Erscheinungen.

Vistnu ist fünfhundertmal wiedergekehrt, das ist sehr seltsam, aber immerhin physisch nicht unmöglich. Denn wenn Vistnu eine Seele besitzt, kann er sie ganz gut unter fünfhundert verschiedene Körper verteilt haben, wenn es ihm Freude macht. In der Tat hat der Inder keinen sehr starken Glauben. Er ist von den Metamorphosen nicht ganz überzeugt, aber zum Bonzen wird er folgendermaßen sprechen : »Ich glaube, daß wenn Sie behaupten, Vistnu habe sich fünfhundertmal vervielfacht, Ihnen das fünfhundert Rupien Rente einbringt. Gut. Wenn ich's nämlich nicht glaube, zeigen Sie mich an und ruinieren mein Geschäft. Da glaube ich's lieber doch und schenke Ihnen noch zehn Rupien dazu.« Der Inder kann schwören, er habe den Glauben, ohne darum meineidig zu sein. Denn immerhin ist ihm der Beweis noch gar nicht erbracht, daß Vistnu fünfhundertmal wiedergekehrt ist.

Wenn aber der Bonze von ihm fordert, an eine unmögliche Sache zu glauben, z. B.: 2×2=5, oder daß derselbe Körper an tausend verschiedenen Orten gleichzeitig sein kann, oder daß Sein und Nichtsein ein und dasselbe sind – wenn der Inder in diesen Fällen schwört, daß er den Glauben habe, so lügt 20 er und tut einen Meineid. Darum spricht er zum Bonzen so: »Heiliger Vater, ich kann's Ihnen unmöglich glauben, auch wenn's Ihnen diesmal zehntausend statt fünfhundert Rupien einbringt.« Und dieser erwidert: Nun wohl, mein Sohn, gib mir zwanzig Rupien, und Gott wird dir die Gnade tun zu glauben, daß du an ihn glaubst. 21

 

Aberglaube

(Kapitel, aus Cicero, Seneka und Plutarch zusammengestellt)

Fast alles, was über Anbetung eines höheren Wesens und Unterordnung des Herzens unter dessen ewige Gebote hinausgeht, ist Aberglaube. Ein sehr gefährlicher Aberglaube ist z. B. der an gewisse Zeremonien geknüpfte Ablaß für Verbrechen.

Et nigras mactant pecudes, et manibus divis
Inferias mittunt.
                          (Lucrez. III. 51–52).

Ah! nimium faciles qui tristia crimina caedis
Fluminea tolli posse putatis aqua.
    (Ovid. Fast. II. 45–46).

Ihr glaubt daran, daß Gott euch euren Meuchelmord vergibt, wenn ihr im Fluß badet, wenn ihr ein schwarzes Lamm opfert oder wenn Sprüche über eurem Haupt gemurmelt werden. Ein zweiter Mord wird zur gleichen Bedingung verziehen, ein dritter auch, und hundert Morde kosten nur hundert schwarze Lämmer und hundert Waschungen. Aber besser wären, elende Menschheit, keine Morde und keine Lämmer! 22

Niederträchtigste Einbildung ist's, daß ein Priester der Iris oder der Cybele euch durch Cymbel- und Kastagnettenspiel mit der Gottheit versöhnen wird. Wer ist denn dieser Cybelepriester: ein irrender Eunuch, der von eurer Schwäche lebt, um als Mittler zwischen dem Himmel und euch aufzutreten. Hat ihm Gott ein Patent gegeben? Ihr gebt ihm Geld, damit er euch Worte hinmurmle, und bildet euch ein, daß der Geist der Geister dieses Quacksalbers Stottereien ratifiziere!

Es gibt auch unschuldigen Aberglauben: an Festtagen tanzt ihr zu Ehren Dianas oder Pomones oder sonst einer Gottheit zweiter Klasse, wie sie im Kalender wimmeln: gut. Tanz ist eine angenehme Beschäftigung, nützlich für den Körper, Genuß für die Seele, und unschädlich. Aber glauben dürft ihr nicht, daß Pomone und Vertumna euch großen Dank schulden oder im Gegenteil die Nichttänzer bestrafen werden! Die einzigen Pomones und Vertumnas, die es gibt, sind des Gärtners Spaten und Hacke. Seid doch nicht so dumm zu glauben, daß über eurem Garten der Hagel deshalb einbrechen wird, weil ihr nicht den »pyrrhischen« oder den »kordakischen« Tanz getanzt habt.

Es gibt vielleicht einen verzeihbaren und sogar zum Gutwerden anspornenden Aberglauben: wenn man große Männer, die des Menschengeschlechtes Wohltäter gewesen sind, den Göttern gleichstellt. 23 Freilich wäre es besser, sie nur als ehrbare Menschen zu achten und vor allem zu versuchen, sie nachzuahmen. Ehret ohne besonderen Kult Solon, Thales, Pythagoras. Aber verehret nicht den Halbgott Herakles, weil er den Stall des Augias gesäubert hat und mit fünfzig Weibern in einer Nacht schlafen konnte.

Vor allem aber betet nicht jene Kretins an, die nichts anderes waren als ein Gemisch von Ignoranz, Begeisterung und Niederkeit, und sich aus Faulenzerei und Schweinerei Tugend und Ruhm zusammenbrauten. Weil sie in ihrem Leben Schmarotzer waren, verdienen sie deshalb die Apotheose in ihrem Tod?

Übrigens: am abergläubischsten waren immer die Zeiten der schlimmsten Verbrechen. 24

 

Die Kraft

Was ist Kraft? Wo steckt sie, woher kommt sie, stirbt sie ab oder ist sie immer dieselbe? Man nennt Kraft jenen Druck, den ein Körper auf einen andern ausübt. Die Kugel von zweihundert Pfund, die auf dem Boden liegt, drückt darauf, sagt man, mit einer Schwere von zweihundert Pfund: und ihr nennt das eine tote passive Kraft. Widersprechen sich nicht in diesem Ausdruck die Worte: tot und Kraft? Warum spricht man nicht gleich von »lebendem Tod«!

Diese Kugel lastet. Ist ihr Gewicht eine Kraft? Wäre sie durch nichts zurückgehalten, fiele sie direkt bis zum Mittelpunkt der Erde. Woher kommt ihr diese Eigenschaft?

Mein Fußboden hält sie auf und ihr sagt von ihm, er sei eine leblose Kraft. Leblos bedeutet aber Impotenz, Untätigkeit. Wie also Kraft und Impotenz in einem Atemzug zusammen aussprechen?

Welches ist jene lebendige Kraft, die euren Arm und euer Bein bewegt? Wo ist deren Quelle? Wie 25 darf man behaupten, daß diese nach dem Leben weiterexistiert? Geht sie anderswohin, wie ein Mensch seine Wohnung wechselt?

Weder die Geometrie noch die Mechanik noch die Metaphysik werden darauf erwidern können. Will man zum allerersten Grundsatz der Bewegung der Körper zurückgehen, so muß man fragen: Warum gibt es etwas? 26

 

Seele

Es wäre schön, wenn man seine Seele sehen könnte. »Erkenne dich selbst«, ist eine herrliche Vorschrift, die aber nur von Gott allein befolgt werden kann: wer außer ihm kann sein eigenes Wesen erkennen?

Wir nennen Seele das Belebende in uns. Unser Verstehen ist so beschränkt, daß wir nicht mehr darüber aussagen können. Drei Viertel des menschlichen Geschlechts gehen auch darüber nicht hinaus und geben sich weiter keine Mühe, sowas zu erkennen. Das letzte Viertel sucht: aber noch niemand hat was gefunden und wird's auch nicht finden.

Armer Pedant: du siehst eine Pflanze ihr Leben dahin fristen, du sprichst von Lebewesen oder gar von lebender Seele. Du merkst, daß die Körper sich bewegen, und sprichst von Kraft. Du beobachtest deinen spürenden Hund und sprichst von Instinkten. Du kannst vielerlei Ideen verbinden und sprichst von Geist.

Aber was sollen dir all diese Worte. Gibt es in all 27 diesen genannten Lebewesen verschiedene Wesen, die die Vegetation, die Kraft, den Instinkt, den Geist bedeuten?

Wenn eine Tulpe sprechen könnte und dir sagte: »Meine Vegetation und ich sind zwei zusammengebundene Bestandteile«: würdest du da nicht lachen?

Zunächst, was weißt du sicher: du gehst mit deinen Füßen; du verdaust mit deinem Magen; du fühlst mit allen deinen Gliedern; du denkst mit dem Kopfe. Aber gibt dir dein bloßer Verstand die geringsten Anhaltspunkte dafür, daß du eine Seele hast?

Die ersten Philosophen bei den Chaldäern oder Ägyptern sagten: »Es muß in uns etwas geben, das unser Denken erregt, und dieses Etwas muß sehr zart sein: irgend ein Hauch, ein Feuer, ein Äther, eine Kraft, ein Trugschatten, eine Entelechie, eine Zahl, eine Harmonie. Oder, wie der göttliche Plato sagt, eine Mischung aus dem »Selben« und dem »Anderen«. »Die Atome in uns denken,« sprach Epikur zu Demokrit. »Aber Freund, wie soll denn ein Atom denken? Gib zu, daß du es nicht weißt!«

Was man allerdings annehmen muß, ist: die Seele sei etwas Unmaterielles. »Kannst du jedoch fassen, was dies Unmaterielle bedeutet?« »Nein, sagen die Gelehrten: wir wissen nur, daß ihr Wesen im Denken besteht.« »Woher wißt ihr das?« »Wir wissen es, weil sie doch denkt!« »O ihr guten Gelehrten, 28 ich fürchte sehr, daß ihr ebenso unwissend seid wie Epikur: Des Steines Wesen ist, zu fallen; und er fällt; aber wer läßt ihn fallen?« »Wir wissen,« erwidern jene, »daß der Stein keine Seele hat.« »Gut, es ist auch meine Meinung.« Eine Verneinung und eine Bejahung sind nicht teilbar, sind nicht Teile eines Stofflichen. Aber auch der Stoff hat nichtmaterielle Eigenschaften, die ebenfalls unteilbar sind: er ist von einem Zentrum angezogen, das ihm von Gott gegeben ist. Ist die Anziehungs- und die Bewegungskraft teilbar? Das Leben der organisierten Körper und ihre Instinkte sind ebenfalls keine besonderen und teilbaren Wesen. Ihr werdet weder das Leben einer Rose, eines Pferdes, oder den Instinkt eines Hundes, noch auch ein Gefühl, eine Bejahung oder Verneinung halbieren können. Da nützt also euer Argument von der Unteilbarkeit des Denkvermögens garnichts.

Was dann nennt ihr Seele? Wie stellt ihr sie euch vor? Ihr könnt doch aus eigenem Fühlen heraus nichts anderes annehmen als eine euch unfaßbare Kraft! Ist diese die gleiche wie die, mit der ihr verdaut und geht? Nein, denn ihr könnt eurem Magen nicht befehlen: Verdaue! sofern er krank ist.

Die Griechen haben es wohl erkannt, daß das Denken meist nichts mit dem Spiel unserer Organe zu tun hat; sie erfanden für diese einen animalischen Seelentrieb, und für das Denken eine feinere, zartere Seele, 29 den νοῦς. Und siehe, schon hat die denkende Seele bei tausend Gelegenheiten die Oberhand über die animalische. Jene ist es, die den Händen befiehlt zu nehmen; aber sie sagt nicht zum Herzen, daß es schlagen soll, noch zum Blut, daß es fließe. Und so hätten wir denn zwei sehr ratlose und wenig selbstbewußte Seelen.

Immerhin: die erste dieser Seelen existiert gewiß nicht. Aber gib acht, o Mensch: welche Beweise liefert dir deine Vernunft für die Existenz der anderen? Nur der Glaube kann sie dir geben. Du bist geboren, lebst, handelst, denkst, wachst, schläfst und weißt nicht wie. Gott gab dir die Fähigkeit des Denkens mit allem übrigen zugleich. Und wenn er es dir in den vom Schicksal gewollten Zeiten nicht selber offenbart hätte, daß du eine unmaterielle und unsterbliche Seele in dir trägst, hättest du keinerlei Handhabe.

Hier sind einige von den schönen Systemen, die die Philosophie über die Seele fabriziert hat:

Der Eine sagt, die Seele des Menschen sei ein Bestandteil der göttlichen Substanz selbst. Der Andere, daß sie ein Teil des Ganzen sei. Ein Dritter, daß sie seit Ewigkeit bestehe. Ein Vierter, daß sie gebildet, aber nicht geschaffen sei. Andere, daß Gott sie je nach Bedarf erschaffe, und daß sie beim Beischlaf entstehe. Dieser, sie wohne in den Samendrüsen. Nein, schreit jener, sie liegt im 30 Fallope-Rüssel. Unsinn, widerspricht einer, die Seele wird im sechs-Wochen-alten Fötus und setzt sich in die Zirbeldrüse, und wenn es ihr da nicht gefällt, geht sie wieder weg und wartet eine bessere Gelegenheit ab. Schließlich ist La Peyronie der Ansicht, daß sie an schwieligen Stellen wohnt: um das zu finden, mußte man schon erster Chirurg des Königs von Frankreich sein. Immerhin ist es letzterem mit dem schwieligen Leib nicht so gut ergangen wie dem reichgewordenen Arzt.

Nicht weniger Systeme wurden für das Nachleben der Seele nach Verlassen des Körpers erfunden: ob sie ohne Ohren hören, ohne Augen sehen und ohne Hände tasten könne. In welchen Körper sie dann schlüpfen wird, wenn sie den früheren bei zwei oder bei achtzig Jahren verlassen hat. Wie das Ich jener Person bestehen wird. Wie die Seele eines Mannes, der mit fünfzehn Jahren idiotisch wurde und erst mit siebzig starb, dann plötzlich wieder gesund werden wird. Endlich, wie eine Seele, der in Europa ein Bein und in Amerika ein Arm abgeschnitten wurde, jene wiederfinden wird, nachdem sie als grünes Gemüse in einen Tierleib geglitten war.

Man könnte die Systeme endlos fortsetzen, nach denen eine arme Menschenseele ihr Dasein zu fristen haben soll . . . . . . 31

 

Ist die Seele unsterblich?

Ihr fragt mich, ob ich glaube, daß unsere Seelen ebenso vergänglich sind wie alles, was lebt: ob sie in einen anderen Körper eintreten oder eines Tages wieder in den selben zurückfließen, oder sich gar in andere Welten verflüchtigen werden?

Ich antworte, daß mir nicht gegeben ist, die Zukunft zu schauen, nicht einmal zu wissen, was eine Seele ist. Gewiß weiß ich, daß eine der Natur vorstehende höchste Macht mir die Möglichkeit gab, zu fühlen und zu denken, und neue Gedanken auszusprechen. Wenn mich aber jemand fragt, ob diese Fähigkeiten noch nach meinem Tod bestehen werden, möchte ich ihm stets die Gegenfrage stellen, ob das Lied der Nachtigall noch besteht, nachdem der Vogel von einem Adler verzehrt wurde. 32

 

Zweck-Ursachen

Es scheint, man müßte toll sein, um zu leugnen, daß die Mägen zum Verdauen, die Augen zum Sehen, die Ohren zum Hören da sind.

Andererseits muß man für Zweckursachen eine seltsame Vorliebe haben, um zu behaupten, daß der Stein wegen des Häuserbauens erfunden sei, und daß China deshalb der Seidenwurm beschert worden sei, damit Europa Satinstoffe bekomme.

Aber man sagt: wenn Gott sichtlicherweise das eine mit bestimmtem Zweck geschaffen hat, hat er alles andere auch so geschaffen. Lächerlich, in dem einen Fall an Vorsehung zu glauben, im anderen sie zu leugnen. Alles Geschaffene war vorausbedacht und geordnet. Keine Ordnung ohne die Dinge dazu, keine Wirkung ohne Ursache. Also ist alles das Resultat, der Ertrag einer Zweckursache. Und es ist ebenso richtig, zu sagen, daß die Nasen geschaffen seien, um Brillen zu tragen, die Finger, um mit Diamanten geschmückt zu werden, als es seine Richtigkeit hat mit der Behauptung, daß die 33 Ohren zum Vernehmen der Töne, die Augen zur Aufnahme des Lichtes da sind?

Ich glaube, diese Schwierigkeit ist leicht zu lösen: Wenn die Wirkungen immer, überall und jederzeit die gleichen sind, und einander ganz gleichgeordnet, – sofern von den Subjekten, denen sie zukommen, abgesehen wird – dann ist von Zweckursachen zu reden.

Alle Lebewesen haben Augen: sie sehen; Ohren: sie hören; einen Mund: sie essen; einen Magen oder etwas Ähnliches: sie verdauen; einen After für die Exkremente und ein Fortzeugungsorgan: alle diese Gaben der Natur arbeiten ohne künstliches Dazutun. Das sind also klar erwiesene Zweckursachen. Es hieße unsere Denkfähigkeit leugnen, wenn man eine so allgemeine Wahrheit in Abrede stellen wollte.

Aber die Steine bilden nicht überall und jederzeit Wohngebäude. Nicht alle Nasen tragen Brillen, nicht alle Finger Diamanten, nicht alle Beine Seidenstrümpfe. Deshalb existiert ein Seidenwurm nicht, um Beine zu bekleiden, wie euer Mund da ist zum Essen und euer Hintern fürs W. C. Es gibt also zweierlei Wirkungen: solche, die einer Zweckursache entsprechen, und solche, die das nicht tun.

Und doch sind die einen wie die andern in den Plan der allgemeinen Vorsehung einbegriffen – nichts geschieht wider sie, nichts ohne sie. Alles, was der 34 Natur angehört, ist einförmig, unabänderlich, des Schöpfers direkt bewußtes Werk: von ihm stammt das Gesetz, daß der Mond drei Viertel und die Sonne ein Viertel Schuld trägt an Flut und Ebbe des Meers; er gab der Sonne ihre Drehbewegung, derzufolge dieser Stern sein Licht innerhalb 5½ Minuten in die Augen der Menschen, Krokodile und Katzen sendet.

Wenn wir aber nach Jahrhunderten endlich Scheren und Gabeln erfinden durften, die uns erlaubten, die Schafe ihrer Wolle zu berauben und dann aufzuessen, welchen anderen Schluß sollen wir aus solcher Weisheit ziehen als: daß uns Gott so geschaffen hat, daß wir eines Tages Krämer und Fleischfresser werden mußten?

Vielleicht sind die Hämmel nicht gerade deshalb erschaffen worden, damit wir sie braten und verdauen, da mehrere Nationen sich solcher Greuel enthalten; aber auch die Menschen sind nicht dazu geboren, um sich gegenseitig niederzustechen, da die Brahmanen und Quäker niemanden töten. Aber das Fleisch, aus dem wir gebildet sind, verursacht oft Mördereien, genau so gut wie Verleumdungen, Eitelkeiten, Verfolgungen und Frechheiten. Nicht, daß des Menschen Gestaltung gerade eine Zweckursache für unsere Zornausbrüche und Dummheiten wäre! – denn eine Zweckursache ist allgemein und unwandelbar jederzeit und überall – aber die 35 Greueltaten und Absurditäten des Menschengeschlechts gehören in die ewige Ordnung der Dinge. Wenn wir das Korn dreschen, so ist der Flegel die Zweckursache für die Loslösung des Getreidekerns. Wenn aber dieser selbe Flegel, der mein Korn drischt, tausend Insekten dabei erdrückt, so war das nicht mein bestimmter Wille, aber auch nicht Zufall: die Insekten mußten sich unter meinem Flegel befinden.

Folgerichtig ist dieser Satz: der Mensch ist ehrgeizig, manchmal unterdrückt er andere, ob er Sieger ist oder besiegt. Aber nie wird einer sagen dürfen: der Mensch ist von Gott erschaffen, um im Krieg niedergeknallt zu werden!

Die uns zuteil gewordenen Instrumente der Natur sind nicht immer auf eine bestimmte Wirkung zielende Zweckursachen. Die Augen, mit denen man sieht, sind nicht immer offen. Jeder unserer Sinne muß auch ruhen. Es gibt sogar Sinne, die wir nie gebrauchen. Z. B. jenes arme blöde vierzehnjährige Mädel, das man in ein Kloster einsperrt, schließt auf ewig die Pforte, aus der eine neue Generation sprießen sollte; dennoch bleibt die Zweckursache bestehen: und die wird wirken, sobald sie frei ist. 36

 

Über Descartes

Aristoteles sagte zuerst, daß der Unglaube der Anfang der Weisheit sei. Descartes hat diesen Gedanken verwässert, und beide haben mir den Unglauben an ihre eigenen Worte eingeflößt. Vor allem dieser Descartes, der sich anfangs als großen Zweifler hinstellte und doch so bestimmt Dinge behauptet, von denen er nichts versteht. Auf physikalischen Irrtümern besteht er mit einer Sicherheit! Seine Welt ist so imaginär, seine drei Elemente dermaßen lächerlich, daß ich seinen Aussagen über die Seele sehr mißtrauen muß, nachdem er mich über das Körperliche so falsch unterrichtet hat.

So glaubt oder gibt er vor zu glauben, daß wir mit metaphysischen Gedanken auf die Welt kommen. Das klingt so, wie wenn man sagen würde: Homer ist mit der Ilias im Hirn geboren worden. Wahr ist, daß Homer ein derart gebautes Hirn besaß, daß er, nach Aufnahme mehr oder weniger poetischer, schöner, zusammenhängender oder übertriebener Gedanken endlich die Ilias schaffen konnte. Wir bringen 37 bei unserer Geburt den Keim mit uns, der sich später entwickelt. Aber wir haben ebensowenig eingeborene Ideen, als Raphael oder Michel Angelo bei ihrer Geburt etwas von Pinseln und Farben wußten.

Descartes behauptete, der Mensch denke immer. Als ob man sagen dürfte, die Vögel hören nie auf zu fliegen, die Hunde laufen immer, weil sie die Fähigkeit haben, zu fliegen und zu laufen!

Bei tieferer Betrachtung erkennt man nur das Gegenteil. Niemand ist so verrückt, behaupten zu wollen, daß er sein Leben lang »gedacht« habe, ununterbrochen, Tag und Nacht. Diejenigen, die diesen Roman aufstellten, behaupteten dann, man denke auch ohne es zu merken. Ißt, trinkt, reitet man, ohne es zu wissen? Wenn ihr nicht merkt, daß ihr denkt, wie wollt ihr es da behaupten? Gassendi machte sich über dies übermütige System lustig. Und was geschah?

Gassendi wie Descartes wurden als Atheisten verschrien, weil – sie dachten. 38

 

Anbetung

Ich sann diese Nacht. Ich betete die Natur an. Ich bewunderte das Unendliche, die Bewegung und den Lauf jener zahllosen Sterne, die das Volk nicht zu bewundern versteht.

Mehr noch bewunderte ich den Geist, der diesem großen Mechanismus vorstand. Und ich dachte: Blind muß der sein, der von solchem Schauspiel nicht gepackt ist; stumpfsinnig, wer dessen Schöpfer nicht anerkennt; verrückt, wer ihn nicht anbetet. Wie aber soll ich ihn anbeten? Müßte es nicht überall in der Welt auf die gleiche Weise geschehen, da doch überall ebendieselbe Macht obwaltet?

Wenn es irgendein denkendes Wesen auf einem Stern der Milchstraße gibt, ist dieses ihm nicht dieselbe Verehrung schuldig wie ein denkendes Geschöpf dieser Erde? Das Licht gehört ebensogut dem Sirius wie uns. Die Moral soll dann auch gleich sein.

Wenn auf dem Sirius ein denkendes und fühlendes Geschöpf von zarten Eltern geboren und in Liebe 39 gepflegt wird, schuldet es ihnen den gleichen Dank wie hienieden. Wenn einer auf der Milchstraße einem Lahmen begegnet, und er kann ihm helfen, tut es aber nicht: so ist er vor allen Sternen schuldig.

Das Herz hat überall die gleichen Pflichten: am Throne Gottes (wenn er auf einem Thron sitzt) wie in der Unterwelt. 40

 


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