Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Fabeln
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Der arme Mann. Sein Kind

An einen reichen Mann

            Ein armer Mann, gedrukkt von mancher Noth,
Nahm in die Hand sein lezztes Brod,
Und schnitt davon ein Stükkchen ab,
Das er dem kleinen Kinde gab,
Das bey ihm stand, und, GOtt! ach GOtt!
Seufzt er dabey.
                          Beweglich bot
Das kleine Kind das Stükkchen Brod
Dem Vater wieder. – – Nehmt es doch,
Sprach es, ich bin euch, ich will noch
Wohl warten, Vater, weint nur nicht!

Der Vater wendet sein Gesicht,
Und sagt: Ich schneide noch ein Stükk
Behalt es, Kind!

                            Mit nassem Blikk,
Sieht er auf seinen Sohn herab
Auf seinen Trost, und schneidet ab,
Doch, wie erschrikkt er!
                                        Plözzlich fällt
Ein Haufen glänzend Silbergeld
Aus seinem Brodt.
                              Ach! was ist das!
Sagt er erschrokken, Söhnchen laß
Die Thaler liegen, ich will gehn
Der Bekker soll sie liegen sehn.
Vermuthlich hat der Mann das Geld,
Das aus dem lieben Brodte fällt
Hineingebakken, der muß es
Auch wieder haben, bleib indeß
Dabey, ich will geschwinde gehn.

Er geht, des Kindes Augen sehn
Ganz starr die blanken Thaler an,
Allein es rühret nicht daran.

Der Bekker kommt, sieht sie, und spricht:
Freund, das sind meine Thaler nicht,
Nein, glaubt es mir. Doch, wißt ihr was?
Ein reicher Mann macht euch den Spaß.
Denn hört, das Brodt, das ihr geholt,
War nicht von mir, ihr aber sollt
Nicht fragen, und, von wem es ist
Auch nicht erfahren. Dieses wißt:
Daß gestern Abend einer kam
Der mir das Brod gab, das ich nahm,
Und sagte:
                  Wenn ein armer Mann,
Der krank ist, nichts verdienen kan,
Ein Brod holt, Freund, so gebt ihm dis!

So sagt er, ja, das ist gewiß!

Drauf kamt ihr, und ich gab es euch!
Seht, wie Gott sorgt, nun seyd ihr reich!
Das Geld hat einen rechten Glanz.

Der arme Mann verstummte ganz
Und auch sein Kind. Er nahm das Brod
Und seufzt' und sagte nur: ach GOtt!
Und schnitt sich noch ein Stükchen ab
Und sprach:
                    Den Mann, der mir es gab
Den segne Gott! Ach lebte doch
Sprach er: nun deine Mutter noch,
Du liebes Kind!

                          Das Söhnchen spricht:
Weint, Herzen-Vater, weint doch nicht.

 


 


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