Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Fabeln
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Tamerlan und seine Tochter.

        Die liebste Tochter Tamerlans,
Des Helden, welcher Furcht und Schrecken
Um sich verbreitete, hieb eines schönen Hahns
Geliebter Henne, – die zu wecken,
Der Hahn sein häßliches Kikri
Hochstehend jeden Morgen schrie, –
Nicht dieses harten Schicksals werth,
Den Kopf ab mit des Vaters Schwert.

Der Vater sah's. »Unschuldigen Geschöpfen
Haut man den Kopf nicht ab«, sprach er;
»Wer, Henker! lehrte dich des Hahns Gemahlin köpfen?
Unmenschliche Tyrannin! Wer?«

»Herr Vater, Sie!« – »Tyrannin, kniee nieder!
Gerechtigkeit muß seyn, du bist mir nicht zu lieb!«

Der Tochter zitternden, hinknieend, alle Glieder!
Der Vater nahm das Schwert und hieb
Den schönsten Mädchenkopf
Der liebsten Tochter ab,
Faßt ihn bei'm Schopf,
Und legt ihn sanft in's Grab!

Ob wohl mit ihrem Blut der große Tamerlan,
Der böse Thaten hat gethan,
Die Götter zu versöhnen meinte
Mit seinen Kriegen und mit sich?

»Gerechtigkeit muß seyn!« sprach der Barbar, und weinte
Zwei Thränen bitterlich.

 


 


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