Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Das Burg-Theater.

Bevor ich zur Beurteilung dieser Bühne komme, ist es nötig, meine Meinung über die deutsche Bühne im allgemeinen auszusprechen.

Unsere jugendkräftige tätige Zeit wird auch das Theater nicht übersehen; sie wird die philosophische Diarrhöe der Dichter, den falschen Pathos und die Subjektivität der Schauspieler, die alberne Ängstlichkeit der Regisseure und den nichtswürdigen Schachergeist der Direktionen vertreiben. Das sind freilich pia desideria, aber es wird Frühling werden; die starre Eisdecke fängt schon an zu schmelzen, und bald werden die Bäche murmeln.

Ich muß bei einem so wichtigen Institute, wie das Burgtheater, viel umständlicher, detaillierter als in meinen andren Bildern werden; um es richtig darzustellen, muß ich fremde Schauspieler und Dichter vor die Feder fordern. Ich will alten vergelbten und vertrockneten Ansichten und Gesetzen entgegentreten, und – unbekümmert, ob ich im einzelnen Haß oder Wohlwollen erwecke, neben der Heiligkeit der Kunst auch die Interessen der Gegenwart berücksichtigen. – Ich werde loben, ohne Enthusiast zu werden, und Tadel aussprechen, ohne ihn in einen galanten Schleier zu hüllen.

Für den Dutzend-Menschen hat freilich keine Frage Wichtigkeit, welche über die Grenze seines Körpers hinausgeht, also auch die nachfolgenden nicht. Dem Gebildeten aber, den im einzelnen die Welt sieht, ist nichts ohne Wichtigkeit; er sieht tausend und abermal tausend Begebenheiten an sich vorüberrollen, aber keine große ohne die kleinsten, keine unbedeutende ohne die wichtigsten. Wie kein Sandkorn aus der physischen, weiß er, daß kein Gedanke aus der geistigen Welt kann, und er kombiniert die heterogensten Dinge durch einen einzigen gottseligen Gedanken, durch den Gedanken: es dreht sich alles, alles um das Wohl der Menschheit.

Es fragt sich nun zuerst, was haben wir für Dichter, und sind solche geeignet, das Volk zu bilden und sein Herz für Freiheit, Schönheit und Tugend zu entflammen; ist unser Theater die ästhetische Schule der Nation, ein Spiegel des Lebens, das lebende Denkmal großartiger, tatkräftiger Menschen, die Geißel der Schwächen unserer Zeit?

Um das Nein zu rechtfertigen, mit welchem ich diese Fragen beantworte, muß ich unsere lebenden Geister zitieren.

Zuerst tritt Raupach auf, jener Raupach, dem die neuere Zeit bereits seinen Lorbeer vom Kopfe gerissen, und den auch ich für einen schlechten, verderblichen Dichter halte, für einen Dichter, dem die Muse nie etwas anderes gewesen, als die Kuh, die ihn mit Butter versorgte. Er wohnt in Berlin neben Spontini auf dem Gensd'armenmarkte, auf dem Gensd'armenmarkte steht das Schauspielhaus, und auf dem Schauspielhause der Pegasus.

Es ist viel bezeichnender, daß das Berliner Schauspielhaus auf dem Markte der Gensd'armen, als daß der Pegasus auf dem Berliner Schauspielhause steht.

Raupach, der dramatische Schewa, kämmt sich alle Morgen einen Turm von grauen Haaren, setzt sich die Brille auf, die den spekulativen Kopf noch spekulativer macht; geht mit gekrümmtem Rücken hinüber nach dem Schauspielhause; setzt sich auf den Pegasus und reitet zu Herrn von Raumer, um »die Buß' dem Bankrottierer auszuschneiden«. Dann holt er den Regisseur Nawinsky ab; dieser setzt sich in eine Droschke, der Pegasus verwandelt sich in einen Bock, Raupach in einen Schneider, so kommt er mit seinem Gehilfen zur Wohnung der Madame Crelinger, um ihr Maß zu einer neuen Rolle zu nehmen. Von dort geht es zur Madame Unzelmann und zum Fräulein von Hagn, und nach diesen kommen die Herren Lemm, Devrient, Krüger, Grua, Rott, Weiß usw. an die Reihe. Jedem Schauspieler wird Maß genommen, und der poetische Schneider flickt und näht was Zeug hält. Jene Künstlerin bekommt ein leichtes Ballkleid, diese eine flimmernde Schleppe, jener einen modernen Frack, dieser einen Purpur und ein dritter den Sürtout. Und die ganze Garderobe aus leichtem, billigem Stoffe, leicht genäht; sie soll nur für den Augenblick blenden. Statt der Diamanten buntes Glas, statt des Goldes und Silbers Flittern; der Schneider bleibt immer der Jude Schewa.

Aus Raupach hätte eine Größe werden können, aber es ist wenig aus ihm geworden. Ein Schewa, der das Messer schleift, aber nicht dazu kommt, das Herz zu treffen, Fleisch und Blut zu geben. Sein kostbarer Fond ist vergeudet, weil er ihn bei einem Kaufmanne untergebracht. Alle seine Gestalten, die er aus historischen Werken heraufbeschwört, entbehren der inneren, tiefen Lebenswahrheit. Was sie sprechen sind sie nicht. Es sind die Gespenster ihres Seins; sie haben sehr viel bunte Kleider mit shakespearschen und schillerschen Lappen an, aber es fehlt ihnen Fleisch und Blut; sie philosophieren, und möchten sich gern zu Wesen philosophieren, aber sie zerplatzen, bevor sie ihren Zweck erreichen.

Und was ist Raupachs gepriesene Dialektik? Eine fließende Sprache, aber keine schöne; nicht der Schaum macht das Meer, sondern die Tiefe. Aphorismen und Sentenzen hängen am Felsen und werden ans Ufer geworfen, aber es sind lauter Schlacken, selten eine Perle, ein Körnchen Gold; nichts als Bombast, philosophisches Geschwätz, vergoldeter Unsinn.

Grillparzer ist viel mehr Dichter, als Raupach, aber ist ebenso krank, er leidet ebenfalls an der philosophischen Diarrhöe, und seine Kraft, mit welcher er zuweilen auftritt, ist nicht Fülle der Gesundheit, sondern fieberhafte Anstrengung. Grillparzer ist ein Dichter, er hat Phantasie, Erfindung, Herz und Geist, aber die Gesundheit fehlt ihm, jenes frische Blut, das durch den Shakespeare rollt, jene welterschütternde Wahrheit, die immer mitten ins Herz schießt, ohne uns den Pulverdampf riechen, und die Zuckungen der sterbenden Glieder sehen zu lassen. Grillparzer wäre vielleicht ein gesunder, ein großer Dichter geworden, denn sein Herz ist groß wie der Stephansturm, aber der Stephansturm steht in Wien.

Immermann, Oehlenschläger und Zedlitz scheinen leider die Bühne an den Nagel gehängt zu haben, und der geniale Grabbe ist mit mehreren andern ein Opfer seiner Zeit, und wird erst von der Bühne herab wirken, wenn es wirklich Frühling geworden, und statt der einzigen weißen Farbe, womit der absolute Winter die Erde kleidet, Tausend und Millionen Farben aufatmen.

Ich verlasse nun die kranke Melpomene und gehe zur traurigen Thalia. Der Wiener Bauernfeld, die sächsische Prinzessin Amalia und der Berliner Blum sind die einzigen Dichter, denen die Muse ein freundliches Gesicht zeigt. Holbein schreibt nicht mehr und Töpfers letzte Arbeiten sind erbettelte Bühneneffekte, mit welchen er die geistige Blöße verdecken möchte.

Das Lustspiel ist immer an seine Zeit gebunden. Es soll die Interessen derselben berücksichtigen, ihre Schwächen geißeln, ihre Torheiten lächerlich machen. Nur einige wenige, die rein menschliche, ewige Interessen berühren, entreißen sich dem Strudel der Vergessenheit. Was heute feine und scharfe Satire ist, wird man nach fünfzig Jahren für abgeschmackt halten; was heute noch Witz ist, kann morgen schon albern sein; Figuren, die im vorigen Jahrhunderte durch ihre Wahrheit bezauberten, ekeln uns an. In jener larmoyanten Zeit, als Lafontaine alle deutschen Tränendrüsen ausdrückte, kam Kotzebue und Iffland gerade recht, und schon jetzt kriegt jede gesunde Natur einen Katzenjammer nach ihren Katzen-Jämmerlichkeiten. Diese unermeßliche Fülle von Tugend und Ehrlichkeit; dieser ungeheure Klumpen des gediegensten Lasters; dieser Mangel an Geld auf der einen Seite, dieser Überfluß auf der andern – ach! daran haben sich unsere guten Väter unendlich erbaut und manchen Platzregen von Tränen losgelassen; jetzt aber erbauen sich nur noch unsere Putzmacherinnen an solchen Elementen. Iffland und Kotzebue haben soviel Tugend gemacht, daß es eine Sünde und Schande ist, wie billig sie geworden! Ein neuer Tugendfabrikant kann gar nicht mehr aufkommen; er muß rein verhungern, läßt er sich nicht etwa ein Patent auf eine neu erfundene Tugend geben, und schickt einen Reisenden mit der Probekarte in die Residenz. Beim Apollo! es ist ein erschrecklich langweiliger Zustand, wenn so rings um einen her lauter Tugend ist! Man sehnt sich nach einem Stückchen Sünde, wie der Gefangene nach frischer Luft; es ist daher sehr erklärlich, daß die Anschauer in Produkten solcher Art erquickenden Atem schöpfen, sobald der einzige Nichtswürdige auftritt. Dieser ist immer ungeheuer nichtswürdig. Er ist ebensowenig Mensch wie jene Tugendhelden; sie erheben nicht das ästhetische Gefühl des Zuschauers, sondern kitzeln und quälen seine Sinne.

Ein zweiter Mangel jener dramatischen Dichter, den übrigens auch die englischen, italienischen und von französischen namentlich Moliere mit ihnen teilten, lag in ihrer Charakteristik. Sie zeichneten zu schroff , mit zu grellen Farben; ihre Menschen waren mitunter trefflich geschildert, aber sie fielen mit ihren Leidenschaften ins Haus und warfen sie jedem an den Kopf; sie waren natürlich, wahr, aber nur für sich, nicht im Bilde. Sie forderten zu viel Dummheit von ihren Umgebungen, um für Menschen zu gelten; sie waren nicht abgeschliffen, ohne Berücksichtigung der sozialen Gesetze gezeichnet. Denselben falschen Weg gingen natürlich auch die Darsteller. Der griechische Bildhauer durfte seine Figuren nackt darstellen, sobald er es nur mit dem einzelnen Menschen zu tun hatte, denn dieser wird vollendeter, je mehr alles entfernt ist, was nicht zur Natur gehört. Jeder Künstler aber, der ein Bild von mehreren Figuren liefert, muß zuerst die Natur: den empfindenden Menschen; zweitens ihren Widerstand: den vernünftigen Menschen; drittens aber auch den Anstand: den zivilisierten Menschen berücksichtigen. Der Mensch ist nur der natürliche Mensch, solange er allein ist; sobald ein zweiter hinzutritt, treten auch Äußerlichkeiten hinzu, weil beide in irgendeinem Verhältnisse zueinander stehen müssen.

Diese Mängel sind es, die wir schmerzlich bei den früheren und späteren Dichtern, namentlich bei Anschauung ihrer Lustspiele empfinden, in denen der zivilisierte Mensch am meisten erfordert wird. Und diese beiden Klippen müssen neuere Dichter vermeiden, wollen sie an der kraftvollen und gesunden Zeit, deren Morgenrot schimmert, nicht scheitern und mit ihrem Talente untergehen.

Hier ist nun der Ort, wo Bauernfeld, Amalie von Sachsen und Blum, alle drei nach dem französischen Konversationsstück gebildet, aber doch voll deutscher Seelentiefe, ihre Lorbeeren pflücken. Sie sind die einzigen Dichter der deutschen Bühne, die unsere Zeit in jeder Hinsicht berücksichtigen, uns Menschen keine Kulissenwesen malen. Freilich sind die politischen Verhältnisse Deutschlands ihrem Geiste ein mächtiger Widerstand, allein Gott blickt durch die kleinste Ritze. Die Dichter sind sich übrigens nur in diesem Punkte ähnlich, sonst wesentlich verschieden. Amalie von Sachsen hat mehr Erfindung und mehr Gemüt als Bauernfeld und Blum; sie greift – wunderbar genug! – so wahr in das bürgerliche Leben hinein, daß jedes, auch noch so schlichte Wort, ergreift und wohltätig auf die Seele wirkt. Blum ist mehr Genie als Bauernfeld, dieser mehr Künstler; jener hat mehr Beweglichkeit des Geistes, dieser mehr Tiefe. An Witz und Bühnenkenntnis fehlt es beiden nicht.

Von unsern Übersetzungs-Fabrikanten spreche ich später – die Volkspoesie findet ihr eigenes Kapitel, jetzt treten nur noch drei Gestalten vor meine Feder, die ihre Würdigung und Darstellung verlangen: Carl von Holtei, Deinhardstein und Charlotte Birch-Pfeiffer.

Ich habe Holtei in Baden bei Wien kennengelernt; wir gingen zusammen durch das wunderschöne Helenental und drückten uns herzlich die Hand; ich regte absichtlich alle seine Empfindungen auf, und tat einen tiefen Blick in sein Innerstes. Man muß Holtei persönlich kennenlernen, um ihn leicht zu erfassen; aus seinen Werken allein ist es schwierig, fast unmöglich. Es gibt wenige Menschen, die so innerlich zerrissen sind wie Holtei, so zwischen Himmel und Erde schweben, zwischen der reinsten Poesie und der nüchternsten Prosa. Es ist eine tief tragische Natur in der Hanswurstjacke; seine Späße triefen von Blut, seine Natürlichkeit geht auf Stelzen, und sein Ernst schneidet komische Fratzen; die Ironie ist das einzige, was sich in dem Chaos seiner Seele zu gestalten scheint. Es gibt keinen sensibleren Menschen als Holtei; ein Hauch erschüttert ihn, empört ihn, aber das Erhabene tut ihm weh, erdrückt ihn. Er will alles mit dem Verstande beherrschen, aber sein Herz behält gegen seinen Willen die Oberhand. Er glüht enthusiastisch für Goethe, und doch ist Goethe wenigen Naturen so verletzend wie der Holteischen; in ihm ist er untergegangen; Goethe war das Licht, um das er so lange flatterte, bis er sich die Flügel verbrannte. Sein Erscheinen in der dramatischen Literatur ist krampfhaft; er zuckt genialisch, aber er dichtet nicht; sein Schmerz ist ebenso unschön, wie sein Scherz, und ihre Wirkung verderblich.

Deinhardstein hat eigentlich nur vier Piecen geschrieben, durch welche er sich auf die Höhen der Menschheit gedrängt hat, und von seinen Freunden zu den Dichtern gezählt ist: »Maximilian's Brautzug«, »der Egoist«, »Hans Sachs«, und »Garrick in Bristol«. Einzelnes Gute in diesen ersteren Produkten soll der Feder des vortrefflichen Schreivogel (West) gehören, – namentlich soll der poetische Schuster viel Westliches haben – und dieses Gerücht verdient um so eher Glauben, als Garrick in Bristol ein mattes, geistloses Produkt ist, und nur durch Ludwig Löwes meisterhaftes Spiel Reiz erhält. Nichtsdestoweniger hat Deinhardstein ein schönes Talent, und er wäre sicher ein Dichter geworden, hätte er auch ein schönes Herz. Aber hier ist die Stelle, wo er sterblich ist. Der Liberalismus, den er in seiner Jugend laut werden ließ, war fremdes Eigentum, gehörte seinen Freunden; ihm selber hat nie etwas für das Wohl der Menschheit im Busen geschlagen; er hat nie den göttlichen Pulsschlag der Welt gefühlt; ihn konnte nur Gnade begeistern und ein Titel erheben. Er war schon ein österreichischer Regierungsrat, als er noch in der Wiege lag. Durch alle seine Arbeiten weht ein Aristokratismus, vor dem sich jedes gesunde Herz niederlegt, um nicht erstickt zu werden. Seine Figuren sind nur insofern Menschen, als sie Untertanen sind; sie lächeln nur, wo sie lachen sollten; sie winseln nur, wo sie Schmerz und Wut ergreifen müßte.

Tief unter diesen steht die Birch-Pfeiffer, die mit ihren gebirchpfeifferten Romanen in Deutschland umherzieht, und ihre Gefühls-Lappen und Poesielumpen zur Schau hängt. Von dieser großen dramatischen Heuschrecke, welche mit den kleinen dramatischen Heuschrecken Angely, Kurländer usw. die Felder des guten Geschmacks verwüstet, muß man nicht lange sprechen; man muß sie zu vernichten suchen.

Ungeziefer hat es immer gegeben; es ist nur zu beklagen, daß grade dieses Ungeziefer von unsern Direktionen gesucht wird, weil es viel und billigen Schmutz liefert.

Der Grund alles Übels der deutschen Bühnen liegt in ihren Direktionen. Jeder Schuster muß sein Meisterstück machen, bevor er sein Geschäft betreiben darf; die Fähigkeiten eines Lampenputzers und Nachtwächters untersucht man, bevor ihnen ihre Ämter anvertraut werden, aber die Fähigkeiten eines Mannes zu untersuchen, dem man öffentlich Einwirkung auf Sitten und Bildung des Volkes zugesteht, haben die Machthaber weder Zeit noch Lust. Die Schädlichkeit der sogenannten Wunder-Medikamente medizinischer Scharlatane wird sogleich von wachsamen Ärzten bekannt gemacht, und doch gilt es hier nur dem Leibe; wenn aber Direktoren, die keinen Begriff von Kunst und Ästhetik haben, die Seelen mit miserablen Essenzen vergiften, da schweigen wir, und lassen frisch drauflos dergleichen Kunst-Quacksalber ihr Wesen treiben. Das Schwert der Gerechtigkeit zieht Beutelschneider und Industrie-Ritter zur Strafe, junge Schriftsteller, die ihre Liebe zur Freiheit dokumentieren, Leute, die vor zehn, zwölf Jahren auf der Universität einer Verbindung angehörten, welche oft nur den Namen einer Verbindung hatte, werden der Freiheit beraubt, aus den Armen ihrer Weiber und Kinder gerissen und mit der grenzenlosesten Strenge verfolgt; aber den elendesten Subjekten gibt man Konzessionen zu Theatern, damit sie cum privilegio Unheil stiften können!

In den Residenzen ist die Theater-Direktion eine Hofcharge. Hält es irgend ein Freiherr v. d. nicht unter seiner Würde, sich mit gemeinen Leuten, mit Künstlern und Künstlerinnen abzugeben, so wird weiter kein Bedenken getragen, ihm das Amt zu geben. Es handelt sich ja nicht um die Kunst, sondern den Lüsten des Hofes und seinen politischen Prinzipien zu huldigen. Der Hofmann wird Intendant, und nun mag es gehen, wie es will; er mag die Kunst auf den Hund bringen, die Seele des Volkes vergiften, die Künstler malträtieren, durch seine Kabalen und Albernheiten tausend Kabalen und Albernheiten erwecken, das ist alles gleichgültig! Nimmt er nur keine neuen Stücke an, in denen Fürsten und Minister schlecht oder dumm sind; vernichtet er nur aus den Meisterwerken unserer großen Geister diejenigen Gedanken, welche Freiheit atmen; pfuscht er nur mit seiner diplomatisch-knechtischen Feder in die Gebilde des Genius.

Für die Provinzen gibt man die Privilegien so gleichgültig, wie zu einem Branntweinschank oder zu einem Bierhause. Das ist Staatspolizei-Maxime.

Hier nimmt ein verdorbener Kaufmann die Überreste seines schiffbrüchigen Vermögens, rafft eine Menschenmasse zusammen, die sich Schauspieler nennen, weil sie mit allen Lastern bekannt sind, und errichtet Thalien einen Tempel mit ebensoviel Kenntnis und Geschmack, als ob er einer Artemisia ein Mausoleum bauen, oder den Einwohnern zu Kroton eine Aphrodite liefern sollte. Rechnen kann der Mann und gibt weder einem Pythagoras noch Palamedes Lehrgeld, aber von dem, was Geschmack ist, weiß er ebensoviel wie ein Wiener Schusterbube von Hegelscher Philosophie.

Ein anderer legt sein Kapitälchen bei Thalien auf Interessen. Er führt das Publikum in Wüsten umher und mag schlagen wohin er will, an seinen Kopf oder an sein Herz, so gibt es Wasser. Er hat nur Sinn und Gefühl für seine Kasse, und sollte er einmal so glücklich sein, die Musen mit ihren strahlumkränzten Häuptern zu sehen, so bedauert er gewiß, solchen Nimbus nicht in den Schmelztiegel werfen zu können.

Plutarch erzählt, daß Philipp von Mazedonien, als er sich einst mit seiner Armee an einem bequemen Orte lagern wollte, – und ihm gesagt wurde, daß es nicht sein könne, weil hier kein Futter für die Lasttiere zu finden sei, ausgerufen habe: O des elenden Lebens, wenn man sich sogar der Esel wegen genieren muß!

Der größte Teil des deutschen Theater-Publikums ist berechtigt, in eben diese Klage auszubrechen.

Die Direktionen sind schuld, daß sich so wenig talentvolle und geistreiche Schriftsteller der Bühne widmen. Teils streicht man ihnen das Beste aus ihren Werken, teils sind sie den Kabalen der gemeinsten Kulissenreißer bloßgestellt, und endlich bezahlt man dramatische Produkte wie die Juden alte Kleidungsstücke. Da ist es denn natürlich, daß Gastwirte, Krämer, schlechte Schauspieler usw. in ihren müßigen Stunden ohne Sinn und Verstand französische Piecen ins Deutsche übertragen, auf diese Weise die geistige Luft unseres Landes verpesten und unsere Dichter zurückdrängen.

[...]


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