Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Erster Traum.

Es war Nacht, finstere Nacht. Ich sah eine ungeheure Wiege, rings von Bergen eingeschlossen, darinnen lag ein gutes, kräftiges Volk. Und auf einem dieser Berge saß der hohe Beamte und wiegte, und sang eine Hymne, damit das Volk schlafe. Und wann dort oben ein Stern hervorblitzte, so stieg er hinauf und löschte ihn aus, auf daß die funkelnden, lieblichen Strahlen nicht in die Augen der Kinder fielen, und er löschte alle Sterne aus, bis es finster war und ruhig wie im Grabe.

Aber von ferne kamen Wolken gezogen, Wolken mit rosigen Träumen, und drinnen erklangen süße Lieder von Freiheit und Weltliebe; und es war, als ob die Kinder horchten, denn sie bewegten sich und lächelten; und die Lieder klangen immer süßer und wonniger, bis die Kinder erwachten und mit den Händen hinauflangten nach den rosigen Träumen.

Da ward der hohe Beamte zornig und band sie alle fest in der Wiege, und rief viele Männer herbei, die hatten finstere, grauenhafte Gesichter und trugen lange, schwarze Kleider.

Und die finsteren Männer stellten sich rings um die Wiege, jagten die Wolken mit den rosigen Träumen fort, und sagten den Kindern, sie sollten beten und schlafen, und schlafen und beten, denn solches sei der Wille des Herrn, der sie gesendet.

Und die Kinder fürchteten sich vor den schwarzen Gestalten, und machten ihre Augen zu.

Da erhoben die Männer ihre Stimmen, und sangen in dumpfer, geisterhafter Weise:

Wir verfluchen die Wissenschaft
Und des Menschen Geisteskraft,
    Wir verfluchen das Licht!
Schlafe und bete du Erdensohn,
Bete für deines Herrschers Thron,
    Fluch! wer die Ketten bricht.

Die Gedanken kommen von Gott,
Aber nicht die voll Hohn und Spott
    Über die Tyrannei!
Ein Gedanke nur ist erlaubt,
Der für des Regenten Haupt.
    Nur der Eine ist frei!

Droben über den schwarzen Höh'n,
Erwartet die ewige Rache den,
    Der hier fröhlich und frei!
Selig, die nicht denken und tun,
Die, wie wir, nur beten und ruh'n,
    Und preisen die Tyrannei!

Und die Kinder fürchteten sich immer mehr vor den gespenstigen Männern, drückten ihre Augen fester zu, schliefen wieder ein und träumten von den süßen und wonnigen Liedern. Und als die Männer sahen, daß das Volk schlief, grinsten und lachten sie höhnisch und verspotteten es, und der hohe Beamte wiegte wieder und sang die Hymne.


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