Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Das lärmende Wien.

Folge mir, lieber Leser; ich will versuchen, dich so schnell wie möglich in den Schauplatz hineinzuführen, aus dem ich meine Bilder entnehme. Du siehst riesige Häuser, aus denen alte, wunderbare Geschichten sprechen, und die mit ihrer hohen Stirn fast spottend auf das junge, spekulative Leben herunterschauen, das an ihnen vorüberzieht; du siehst große Plätze, in deren Mitte entweder eine Kirche steht, oder ein sprudelnder Brunnen, verziert mit schön gearbeiteten Figuren.

»Fahr'n mer Euer Gnaden?«

Die meisten Straßen sind zwar eng und krumm, aber ihr Pflaster ist regelmäßig und glatt; du darfst ruhig deine Augen umherschweifen lassen nach den schönen Frauen und den brillanten Kaufläden, denn du riskierst nicht wie in anderen Städten, über einen hervorragenden Stein zu stolpern, und durch komische Purzelbäume Gelächter zu erregen. Für das Wohl der Füße ist überall gesorgt; ja, diese Sorgfalt erstreckt sich weiter bis zum Magen. Gegen die Brust haben sich die Elemente verschworen; sie wird häufig durch einen schneidend kalten Gebirgswind, und durch schnellen Wechsel der Witterung inkommodiert; und was endlich den Kopf betrifft, – so findest du überall wasserdichte Hüte in der modernsten Façon.

Aber schauen wir das öffentliche Treiben näher an; zum Reflektieren wird sich Stoff genug finden. Schöne Frauen, sagte ich, und du schüttelst noch bedenklich den Kopf, während hier die lebenslustigen, kokettierenden Wienerinnen vorüberhüpfen? Ja, mein lieber Kritikus, du mußt deinen Reisepelz ausziehen, du mußt deine Empfindungen mit der Landkarte ändern, du mußt dich auch geistig akklimatisieren, wenn du alle Dinge richtig anschauen, und überall den Nagel auf den Kopf treffen willst. Man muß weder mit einer Weißbierseele Italien bereisen, noch den Nordpol im leichten Ballkleide; man muß weder mit Stubenmädchen über griechische Klassiker sprechen, noch das Rindfleisch mit dem Löffel essen; man muß überhaupt nicht dumm sein, das ist die erste Lebensregel.

Also, mein lieber Gefährte, du mußt keine kunstgemäßen Schönheiten fordern, wenn du hier empfinden willst; du mußt nicht dein Maß aus der Tasche nehmen und an die Nase legen, ob sie nicht etwa um eine Linie zu lang, oder zu kurz, oder zu stark ist! Wir sind hier nicht im kritischen Norden, wo man schon anfängt – wie Hegel – die Natur herunterzureißen, wenn sie in ihren Erscheinungen nicht dem alles überstrahlenden Menschenverstande huldigt, oder diese sich nicht in ein System hineinpressen lassen: hier ist die Natur genial. Sie wirft Schönheiten hin und lacht einen aus, wenn man die Bildung eines Fußes nicht ganz vollkommen findet, oder mit der Wölbung des Auges nicht einverstanden ist; sie bewegt die lieben, lieben Füßchen, und läßt aus den Augen die innere Glut, das lebendige Leben aufatmen, und alle ernsten Kunstrichter sind entzückt, und werden rot bis zum Scheitel.

»Fahr'n mer Euer Gnaden?«

Du findest auch wenig schmachtende Schönheiten hier; es sind fast lauter naive und muntere Schönheiten; sie springen so glühend in das Leben hinein, als ob sie ihren Tod kaum erwarten könnten; es sind Rosenknospen, denen es ängstlich unter den grünen Blättern wird, weil sie den Schmetterling mit Duft und Liebe umfangen wollen. Du wirst sie später näher kennenlernen, sobald ich mit ihnen plaudere und kose; jetzt sind wir nur in der Außenwelt und ich darf, aus Furcht vor den strengen nordischen Kritikern, dich nicht unter das leichte, flatternde Busentuch schauen lassen. Aber wie gefällt dir dieser Kontrast? Hier hüpft eben ein reizendes Mädchen, wundernett gekleidet, an uns vorüber, und läßt alle ihre schönen Formen hervortreten, während das Auge fragt, ob du sie auch bemerkst – und neben ihr watschelt ein brauner, langbärtiger Barfüßler-Mönch. Überhöre das indifferent ausgesprochene »Fahr'n mer Euer Gnaden?« des Fiakers, der hier auf einem Steine sein Pfeifchen raucht, und heiter in die Welt hinausschaut; höre lieber auf das Klagegeschrei der fahrenden Fiaker und weiche ihnen aus. Geschwind bei Seite! Sie schreien nämlich als Warnung so, wie ein Übergefahrner schreien würde, und jagen dabei mit einer Schnelligkeit und Sicherheit durch die belebten Straßen, daß man glauben sollte, einige aus dieser tobenden Menge müßten gerädert werden. Glänzende Equipagen folgen ihnen, und die tausend und abermal tausend Fußgänger winden sich wie die Schlangen neben den uns einladenden Kaffeehäusern vorbei, an dessen Fenstern die Journalleser sitzen und aus ihren langen Pfeifen Wolken blasen. Wer mehr Dampf macht, sie oder die Zeitungsschreiber, wollen wir jetzt nicht untersuchen. Schau hierher! Zwei ungarische Bauern mit ihren dicken Pelzen im heißen Sommer; starke, gesunde Menschen mit ihren braunen, determinierten Gesichtern. Mögen die Wiener spotten und spotten; ich habe sie doch lieb, diese Eisenmänner. Drüben gehen griechische und türkische Juden; sie gefallen dir in ihrer bunten Tracht, ihren kostbaren Schals; nicht wahr? Was mich betrifft, mir gefallen die Jüdinnen noch besser, die ihnen mit ihrem Kranz blanker Goldstücke um das zarte Köpfchen folgen. Das sind die besten Lorbeeren. O wie weiß ist ihr Teint, wie weich diese Züge, wie mild ihre Augen; ich möchte sie, bei Gott! gleich küssen und so lange küssen, bis ihnen die rosenroten Lippen wund geworden, aber da geht gerade ein kleiner, draller Schusterbube vorüber, und den muß ich dir wieder zeigen, neugieriger Leser, denn dieser »Schusterbua« ist der Gott der Wiener Volkspoesie; und um sein Haupt glänzt ein Heiligenschein von spaßigem Witz und witzigem Spaß. Wäre dieser Schusterbube nicht, –

»Fahr'n mer Euer Gnaden?«

– Die Fiaker, Ochse und Esel, dumme Jünglinge und putzsüchtige Mädchen, so müßte der Wiener Witz Herrn von Zedlitzky um gescheitere Gegenstände bitten, wenn er nicht sterben wollte.

Einen eigenen Reiz haben diese schönen Gemälde, mit welchen Kaufleute, Fabrikanten, Bierwirte usw. ihre Gewölbe schmücken und bezeichnen. Hier siehst du den »römischen Kaiser« in seinem Ornate, dort »den guten Hirten«; hier prangt eine »Hofdame«, dort watschelt eine »weiße Gans«; bald stehst du vor dem Bilde des »Königs von Bayern«, bald vor einem »Mönche«, und nicht weit von ihnen erblickst du einen »roten Stier«. Dort geht ein junger Ehemann »zur schönen Tänzerin«; er hätte lieber die »Stumme von Portici« wählen sollen, denn die erstere könnte plaudern. Wenn du nicht in das kleine Gewölbe zum »Polen« willst, so erfrischen wir uns in dem trefflichen Bierhause »Zu den drei Raben«. Schau' dir dort die »schöne Französin« an, aber versäume auch nicht den »Merkur«! Vor jener Apotheke werden dem »Tobias« die Augen ausgewischt; ein Advokat betrachtet das Bild mit vieler Teilnahme. Dem »Paganini« an jenem Laden fehlt das Gespenstige, Geisterhafte; viel besser ist der »Filzhut« hier gemalt. Hier ist ein »Ligurianer«, dort ein »Scheusal«. Dort heißt es »zum schönen Schauspieler«, hier »zum Hanswurst«, und »zum heiligen Geiste« geht soeben ein Freudenmädchen, und kauft sich ein Gürtelbändchen, das sie bald zu lösen wünscht. So berühren sich überall Heiligkeit und Spott. Porträts von Fürsten und Pfaffen sind in großer Menge vorhanden, aber Dichter, Gelehrte und Staatsmänner sucht man vergebens; die Zensur wird sie wahrscheinlich streichen.

»Fahr'n mer Euer Gnaden?«

Aber was ist das? Dort vor dem Kriminalgebäude versammeln sich eine Menge Menschen. Wir sind hier auf dem »Hohen Markte«. Die grün-gräulichen Polizeimänner schließen einen Kreis, und stellen eine Verbrecherin zur Schau; wir wollen näher gehen und hören, was sie berechtigt hat, in die Öffentlichkeit zu treten. Die Buben und Mädchen schreien: »A Kupplerin, a Kupplerin! Mutter, Mutter, a Kupplerin! Schau her!« – Du mußt wissen, mein lieber Gefährte, daß dergleichen gerichtliche Ausstellungen hier nichts Seltenes sind; in Wien dürfen keine Bordelle existieren, und als man dem Kaiser Joseph die Notwendigkeit solcher Institute einleuchtend machte, indem man behauptete, ohne sie würde die Demoralisation befördert, soll er geantwortet haben: er wolle kein Dach über Wien machen lassen. Die Regierung drückt daher bei vielen solcher Körperverkäuferinnen ein Auge zu, – weil sie wohl weiß, daß es sogar Seelenverkäuferinnen, und gegen diese kein Gesetz gibt, und weil sie überhaupt an das Augezudrücken gewöhnt ist, – bestraft aber gerechterweise solche Weiber, die in eine feierliche, unentweihte Familie dringen, und ihr stilles Glück vernichten. Diese Scheusale schleichen sich in das Herz junger, unschuldiger Mädchen und legen dort ihr Gift nieder; sie führen sie ohne Wissen der Eltern mit lockeren Roués zusammen, bis sie, von Schmeicheleien und Geschenken bestochen, das Opfer der niedrigsten Gewinnsucht geworden und einen Weg betreten haben, der direkt in die Kloaken der menschlichen Gesellschaft führt. Da siehst du solch eine Bestie. Sie hat sich zusammengekauert und blickt zur Erde, als ob noch Scham in ihrem Busen wohnen könne, in diesem Lexikon aller Nichtswürdigkeit! Es ist nicht so viel Unterschied zwischen Mann und Mann, wie zwischen Weib und Weib. – Da steht neben uns eine blühende Jungfrau, über welche vielleicht fünfzehn Frühlinge ihren Zauber geschüttet haben; sie schaut unverwandt nach jenem Weibe, und aus ihrem reinen, himmelschönen Auge leuchtet die fromme Seele heraus. Sie weiß noch nicht, was eine Kupplerin ist, und ein Engel flüstert ihr zu, sich nicht zu erkundigen.

»Fahr'n mer Euer Gnaden?«

Fort von hier und drüben hinüber, wo ich ein Glöckchen klingen höre! Ein Priester geht unter dem »Himmel«, der von vier Kirchendienern getragen wird, und bringt die Monstranz, oder, wie der Wiener sagt: da kommen's mit unserm Herrn! Rings siehst du fast alle Leute auf die Knie fallen, oder sich beugen und Kreuz schlagen, je nachdem sie befangen sind, oder sich erhaben über diese Zeremonie dünken. Immer weiter, immer weiter, mein Freund, wir werden später noch mehr Religion sehen; du findest an jeder Ecke ein Stückchen! Wir treten hier auf den Stephansplatz. Das ist der riesenhafte Turm, der seinen alten ehrwürdigen Kopf hoch hinausstreckt über ganz Wien, und den Fremden von allen Bergen her freundlich entgegenblickt; die ewige Poesie Wiens. Jahrhunderte sind an ihm vorübergerauscht, und haben Lieder in seine Hallen eingeschrieben, tief ergreifende, humoristische Lieder. Jeder kann sie lesen, der die Sprache Gottes versteht; Gott schreibt mit Sternen, Blumen und Steinen. Der heilige Stephan hat Fürsten gekrönt und sie zu Staub gemacht, während er des Bettlers Gebet freundlich aufnahm und Trost in seine wunde Seele goß; Millionen geschichtlicher Tränen haben seinen Schoß gefeuchtet, denn die Unglücklichen flüchteten an sein großes Herz, wann der Krieg seine zündende Fackel schwang, und das donnernde Gebrüll wütender Belagerer sie zusammenschreckte; wann das scheußliche Gerippe des Hungers über ihre Fluren zog, und das furchtbarste aller Elemente Hab' und Gut verschlang; wann die gierige Pest ihren schwarzen Rachen öffnete und die Luft vergiftete, oder Tyrannei die Herzen zerriß; – o, St. Stephan hat vieles gesehen und gehört, mein lieber Gefährte, viele große Geschichten, und jetzt hört er Strauß und Lanner spielen, und sieht die Statue des heiligen Kaiser Joseph ein ernstes Gesicht machen.

Du willst wissen, wo heute die beiden politischen Figuren (ich werde dir später sagen, warum ich sie so nenne) ihre Geigen streichen. Dort an jener Ecke, wo Fiaker an Fiaker gereiht ist, findest du eine Unzahl von Affichen, unter denen auch sie gewiß die lebenslustigen Wiener einladen. Werfe hier noch einen Blick in die große berühmte Geroldsche Buchhandlung, und laß uns nun hinübergehen. Strauß bei Donmayer in Hitzing, Lanner im Paradiesgarten, Morelli, der dritte in ihrem feindlichen Bunde, seinem Talente nach wohl zu wenig beachtet, spielt draußen in Heiligenstadt.

Heiligenstadt ist ein hübsches Badeörtchen am Fuße des Kahlenberges; Grillparzer und Bauernfeld essen gewöhnlich dort zu Abend, solange die Schwalbe durch die Blätter streicht, und du hast Gelegenheit diese beiden Männer kennenzulernen. In Wien fragt man nämlich selten nach der Wohnung, sondern nach seinem Erholungsorte, wenn man Bekanntschaft mit jemand machen will. Überhöre also künftig nichts, lieber Gefährte, wenn ich auch en passant spreche!

Da ist schon wieder Religion! Ein Kirchendiener trägt die Muttergottes-Fahne, und singend und blökend folgen ihm Männer, Weiber und Kinder; es ist eine Wallfahrt nach Mariazell. Dort, zwei Tagereisen von Wien, befindet sich nämlich ein Marienbild, das unendlich viel Wunder tut, und bei dem lieben Gott in großem Ansehen steht. Es macht Blinde sehend, Schwache stehend, Lahme gehend und Frauen schwanger; es sorgt, daß die Felder blühen und reichen Segen tragen, damit die Bauern ihre Abgaben entrichten können und von den Exekutoren nicht geprügelt werden, wie es denen geschieht, die es nicht liebt; es wischt Sünden aus dem Schuldbuche, das Jesus Christus im Himmel führt, es tut alles mögliche Unmögliche, aber man muß glauben; man muß einen sehr starken Glauben haben. Ohne diesen kann man alle seine Wunder nicht sehen, ausgenommen die Heilung der Jungfrauen; von diesem Übel werden die jungen Mädchen gewöhnlich schon im ersten Nachtlager der Prozession befreit.

»Fahr'n mer Euer Gnaden!«

Folgen wir derselben jetzt die Kärntnerstraße hinauf bis zum Hofoperntheater. Eine enge Straße und die lebhafteste Passage! Dränge dich nur recht dicht an die Kaufläden, damit sie dich nicht überfahren, diese rasselnden Equipagen, diese wilden Fiaker. Solltest du ja eine Scheibe eindrücken, so bezahle sie nicht; nur immer vorwärts! Links und rechts siehst du die berühmtesten Gasthäuser Wiens, den »wilden Mann«, den »Erzherzog Carl« und den »Schwan«; in allen dreien ist es enorm teuer, aber man speist in ihnen vortrefflich. Merke dir, was ich von Speisen spreche, damit man nicht sogleich in jeder Gesellschaft weiß, daß du ein Fremder bist.

»Na, i dank'! – Schaun's doch auf!«

»Ja, lieber Mann, ich konnte nicht dafür; man stieß mich auch!«

Holla! aus dem Wege, Gefährte, damit du dich nicht beschmutzest. Zwei – treten uns hier mit ihren langen, schwarzen Kutten entgegen; wenn du sie näher anschauest, wird es dir klar werden, daß der Teufel Familienvater ist. Die Heuchelei grinst aus ihren blöden Augen heraus und lacht sich ins Fäustchen, wenn ein Mensch der untersten Volksklasse noch so einfältig ist, den Hut vor ihrem Neste zu ziehen. Die Gebildeten speien aus, sobald sie diese heiligen Schurken, das schwarze Ungeziefer des Himmels auf der Erde herumkriechen sehen, einen Leichnam suchend, an dem sie sich satt fressen können. Sie erschleichen Erbschaften und sind die Priester der Dummheit und der Finsternis; scheu, wie alle Verbrecher, gehen sie selten allein auf die Straße hinaus, wann sie ihre Raubhöhle verlassen müssen, sondern schleichen sich paarweise durch die Menschen, von deren Feinden sie protegiert werden.

Und jetzt hinauf auf die Bastei, welche das eigentliche Wien umschließt, und die reizendste Aussicht auf die Vorstädte darbietet. Zwischen beiden sind schöne Anlagen: schattige Alleen und Wiesenplätze und der Spaziergang hier oben ist ein immer wechselndes Panorama. Jeder Schritt eröffnet dem Auge eine neue Perspektive, ein anderes Gemälde, eines überraschender, als das andere! Dicht vor uns hohe Pappeln, über deren Gipfel wir hinabschauen, dunkle Kastanien, duftige Nußbäume, und ein buntes Gewirr von Fußgängern und Equipagen; weiter hinten die prächtigen Gebäude und Kirchen der Vorstädte, und ganz hinten, die Rotunde beschließend, die grünen Gebirge mit ihren Dörfern und Lustschlössern! Man möchte gleich hinüberspringen aus dem tollen Geräusch der Städter in die stille, wonnige Natur.


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