Adolf Glaser
Schlitzwang
Adolf Glaser

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung.

Einige behaupten, daß die ältesten Bewohner der sächsischen Länder aus dem Süden oder Osten eingewandert seien. Andre sagen, sie hätten seit unvordenklichen Zeiten in ihren Wäldern gewohnt. So viel steht fest, daß wenn die zuerst erwähnte Behauptung wahr ist, ein ganz besonderer Umstand die Menschen veranlaßt haben muß, in jene vormals unwirtbaren, von Wäldern, Sümpfen und Moorflächen bedeckten Gegenden zu ziehen, um sich daselbst anzusiedeln. Entweder müssen sie gewaltsam aus ihren Wohnstätten vertrieben worden sein, oder die Furcht vor dem Elend der Sklaverei hat sie zur Flucht nach dem unbekannten Westen getrieben. Vielleicht auch entflohen sie verheerenden Krankheiten und zogen die feuchte Luft der Thäler und Berge im nördlichen Deutschland der vergifteten Atmosphäre ihrer eignen Heimat vor.

Was es aber auch gewesen sein mag, jedenfalls gingen sie einem Leben voll Elend und Entbehrung entgegen, oder versanken nach kurzer Zeit in ein jammervolles Dasein. Man hat natürlich keine sichere Nachricht von dem Leben, wie es in der Urzeit unzählbare Jahrhunderte hindurch von den ersten Bewohnern Sachsens geführt wurde; es ist jedoch nicht allzuschwer, sich ein Bild davon zu machen; denn auch später noch, als die allgemeine Ordnung und Gesittung schon einen gewissen Grad erreicht hatten und die Sonne eines neuen höheren Lebens im Geiste des Erlösers ihre ersten Strahlen in die Gemüter zu werfen begann, traf man noch immer Spuren genug, welche unzweifelhaft darauf schließen ließen, welch einen Weg der Entwickelung das menschliche Dasein dort gegangen war.

Während in den Dörfern und Ansiedelungen die armen und unwissenden Menschen unter dem Schutze ihrer Herren friedlich der Arbeit nachgingen und die Früchte ihres Fleißes genießen durften, gab es in den entlegeneren Strecken des 2 Landes und namentlich in den unzugänglichen Wäldern des Gebirges noch gar viele Bewohner, die den Anschluß an die Gemeinden verschmähten und lieber in der Freiheit und im Elend als in Abhängigkeit und in Ordnung leben wollten, Menschen, die kein Gesetz als die Not anerkannten, lieber in schlechten Zeiten verschmachteten und im Winter erfroren, als daß sie sich einem Herrn und seinem Willen fügen mochten.

Nur spärliche Nachrichten haben uns die Geschichtschreiber aus jener Zeit hinterlassen, und es ist ganz begreiflich, daß in den langen Jahren schwerer Kriege zwischen den Franken und Sachsen nur geringe Beobachtungen angestellt werden konnten. Erst durch die Franken kamen die Mittel zur Überlieferung der Beobachtungen in die sächsischen Lande, und die feindselige Stimmung, welche in den harten Gemütern lange anhielt, erschwerte und hinderte den Einblick in die herrschenden Gewohnheiten und Gebräuche so lange, bis diese fast gänzlich verschwunden und vertilgt waren.

Die Phantasie hat demnach vieles zu ergänzen, wenn man es unternehmen will, ein Lebensbild aus jener Zeit zu entwerfen. Der Geschichtschreiber begnügt sich damit, immer und immer wieder die spärlichen Quellen nachzuschreiben und damit seine Verantwortlichkeit zu decken. Wo es vorkommt, daß die Quellen sich widersprechen und denselben Gegenstand in verschiedener Weise behandeln, hilft sich der Forscher entweder damit, daß er beide Quellen dem Wortlaute nach anführt und dem Leser die Wahl überläßt, welche er für richtig halten will, oder daß er die eine Quelle aus irgend welchen Gründen für unantastbar, die andre aber für höchst unzuverlässig oder gefälscht erklärt. Ein andrer Forscher erklärt dann das Gegenteil, und so schleppen sich die verschiedenartigsten Anschauungen über einzelne historische Vorfälle durch Jahrhunderte hin.

Rufen wir also die Phantasie zu Hilfe, damit sie uns möglichst getreu ein Lebensbild aus jener grauen Vorzeit schauen lasse; mag dann die grämliche Weisheit dies und jenes zu tadeln finden, wir getrösten uns damit, daß ein völlig getreues Bild der Verhältnisse jener fernliegenden Zeit eine Unmöglichkeit ist und daß es sich in jedem Falle nur darum handeln kann, annähernd die Wahrscheinlichkeit der Schilderung zu erreichen. 3

 


 


 << zurück weiter >>