Adolf Glaser
Schlitzwang
Adolf Glaser

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Elfter Abschnitt.

Von Aachen nach Lorsch.

Auf der Reise nach Lorsch, die der Schreiber nach des Königs Befehl sofort antrat, kam er durch die herrlichen Rheingegenden, wo überall noch Reste der römischen Baukunst, Thore, Befestigungen, riesige Schanzwerke mit Türmen, die für die Ewigkeit gebaut schienen, emporragten. Alles befand sich in Aufregung und Furcht vor den Sachsen, denn die Straßen waren mit flüchtigen Franken bedeckt und die Klöster mit Verwundeten überfüllt. Im Kloster St. Goar, wo er Rast machte, fand er den Grafen Eschburg mit einigen Mannen seines Gefolges, die ihn dorthin gebracht hatten. Der alte Herr war schwer verwundet, aber die heilkundigen Mönche hatten ihn wohl verbunden und pflegten seiner in liebevoller Weise. Er befand sich bereits längere Zeit in dem Kloster; ein Eilbote war an seine Tochter abgesendet worden und man erwartete diese nun 158 täglich und stündlich. Schlitzwang ließ den Grafen wissen, daß er im Kloster sei, und da die Wunden des alten Herrn keine größere Besorgnisse mehr erregten, so ward der Schreiber vor ihn geführt.

Wie war dieser erstaunt über die Veränderung im Wesen des alten Mannes. Er hatte ihn zuerst bei gesundem Leibe und mit sterbensmatter Seele kennen gelernt und fand ihn jetzt zum Tode verwundet und wütend über die erlittene Niederlage, trotz alledem jedoch innerlich viel aufgeräumter und bei weitem lebenskräftiger als vormals. Es war in jener kriegerischen Zeit, wo niemand sich im ruhigen Besitze irgend eines Gutes sicher fühlen konnte, nichts Seltenes, daß ein großer Herr jahrelang von seiner Heimat und seiner Familie getrennt unter dem Kriegsvolke und im feindlichen Lande zubringen mußte; aber das Bewußtsein, daß zu Hause ein Weib, ein Kind oder irgend ein menschliches Wesen, welches durch die Bande des Blutes mit ihm verknüpft ist, auf seine Rückkehr harrte und hoffte und als Erbe des Ruhmes, der Ehre und des Gutes dereinst sein Gedächtnis fortpflanzen werde, verlieh der Seele einen frischen Mut, der sie in allen Widerwärtigkeiten stärkte und die Kraft der Hoffnung aufrecht hielt. Das fühlte Schlitzwang so recht deutlich, als er am Krankenlager des alten Grafen stand und von ihm erfuhr, daß er seine Tochter und seinen Enkel erwarte, die er in der ersten Befürchtung des Todes zu sich berufen hatte. Inzwischen war indes Besserung eingetreten, und Schlitzwang lebte der Überzeugung, daß die Wunden des alten Mannes, die unter der Einwirkung von Lebensüberdruß und Gram sicher tödlich geworden wären, nun durch den Einfluß freudigen Wiedersehens einer günstigen Heilung entgegengingen.

Graf Eschburg drang in ihn, so lange im Kloster zu verweilen, bis seine Tochter angekommen sei. Der Schreiber selbst hegte so große Freundschaft und Dankbarkeit für Gräfin Hedwig, daß er gern dem Wunsche des Grafen nachgab und die Gastfreundschaft der guten Mönche bis zur Ankunft der Erwarteten in Anspruch nahm.

Als Hedwig mit einem kleinen Gefolge am nächsten Tage eintraf, zog sich Schlitzwang anfänglich etwas zurück, um nicht die Aufregungen des Wiedersehens noch zu steigern. Nachdem er jedoch in Erfahrung gebracht, daß der Zustand des alten Herrn sich eher noch mehr gebessert als verschlimmert, und Frau Hedwig sich sofort mit Eifer der Pflege des Vaters unterzogen habe, wagte er es, sich bei der edlen Frau anmelden zu lassen.

Großvater hatte auch bereits dem Enkelsohn von der Ankunft des trauten Freundes erzählt, und Gottfried kam diesem freudig entgegengesprungen. Der Sachse freute sich über das frische Aussehen und die Anhänglichkeit des kräftig aufgeschossenen Knaben und ließ sich von ihm zu seiner Mutter geleiten, die ihn mit großer Herzlichkeit begrüßte und dadurch bekundete, daß sie ihm unverändert in aufrichtiger Freundschaft zugethan sei.

159 Sie fragte Schlitzwang, ob er irgend welche Nachricht aus seiner Heimat empfangen habe, oder vielleicht gar selber dort gewesen sei, und als er dies verneint und ihr erzählt hatte, wo und wie er die letzten Jahre verlebt, begann sie, ihm zu berichten, auf welche wunderbare Weise sie selbst mit Editha bekannt geworden war.

Es war während der ersten Zeit des Aufenthalts in Spanien, als noch Friede in den sächsischen Ländern herrschte und man sich dort scheinbar, wenn auch mit unverhehltem Widerwillen, den Anordnungen des Königs fügte. Tausende von Menschen wurden zu öffentlichen Arbeiten verwendet; denn der König ließ nicht nur Kirchen und Klöster bauen, sondern er ordnete auch an, daß der Lauf der Flüsse geregelt und Häfen angelegt sowie gute Fahrstraßen gebaut wurden. Er hatte Werkmeister und Aufseher dazu ernannt und namentlich war ihm daran gelegen, in möglichst kurzer Zeit eine gute Fahrstraße vom Rhein bis zur Elbe fertig zu stellen, um Handel und Verkehr im Lande zu heben. Graf Eschburg, der nur aus militärischen Gründen in Paderborn zurückgeblieben war, fand leicht Gelegenheit, den Lieblingswunsch seiner Tochter zu erfüllen und sie unter sicherer Begleitung mit ihrem Söhnchen nach Heinrode reifen zu lassen. Da sein Aufenthalt voraussichtlich noch ziemlich lange währen konnte, so hatte er die Absicht, Hedwig und Gottfried nach seiner Stammburg bei Heilbronn zu senden, um dort in seiner Abwesenheit zu schalten und zu walten, und Hedwig erklärte sich damit einverstanden. Aber vorher wollte sie das Gelübde erfüllen, das sie sich in ihrem Innern gethan hatte: sie wollte mit Gottfried an der Ruhestätte seines Vaters ein Gebet verrichten und den Versuch machen, das durch seinen Märtyrertod doppelt wertvolle Evangelienbuch als kostbaren Familienschatz in ihren Besitz zu bringen.

Schon unterwegs hatte sie erfahren, daß der Edeling Herr Krodo zu den verstocktesten Gegnern aller Anordnungen des Königs gehöre und sein Sohn durch seine Frau, die friesische Herrentochter Radegunda, zum förmlichen Widerstande gereizt werde. Ganz anders fand sie dagegen die Stimmung in Heinrode. Zwar war auch Herr Heino kein Freund der aufgezwungenen Neuerungen, aber da sie einmal eingeführt und der Friede mit dem Frankenkönige geschlossen war, so lieh er dem sanften Zureden seiner Schwester Witta und seiner Frau Ilse williges Gehör und legte der Einführung der christlichen Lehre keine Schwierigkeiten in den Weg. Witta, die von jeher dem Christentume geneigt war, hatte sofort an der Stelle, wo Anselmus begraben war, ein Kirchlein von Holzstämmen mit einem Wohngebäude dabei errichten lassen und gab von ihrem eignen Grund und Boden so viel ab, daß einige Mönche daselbst Unterkommen finden konnten.

Als Hedwig in Heinrode anlangte, wurde sie von der Herrschaft des Hofes mit Wohlwollen aufgenommen; denn so groß auch die Abneigung gegen das fränkische Wesen sein mochte, so konnte man sich doch der Ansicht nicht verschließen, daß von dorther höhere Bildung und feinere Lebensart komme. Namentlich machte 160 eine Frau aus dem Frankenlande immer einen Achtung gebietenden Eindruck, zumal diesmal, schon weil die edle Hedwig, durch Leiden und Erfahrungen gereift, Milde, Ernst und Nachsicht in ihrem Wesen vereinigte. Bei nicht wenigen Familien würde Hedwig samt ihrem Knaben nur sauersüße Mienen und geheuchelte Gastfreundschaft gefunden haben, auf dem Heinroder Hofe war dies nicht der Fall; man nahm sie mit wirklicher Herzlichkeit auf, und die Kinder befreundeten sich schon in der ersten Stunde mit dem lebensfrischen und klugen Gottfried.

Außer Frau Ilse befand sich aber auch deren jüngere Schwester Editha damals gerade in Heinrode. Sie war vor dem Zorn ihres Vaters zu der Schwester geflüchtet und trug in ihrem ganzen Wesen den Stempel frühgereiften Verstandes. Frau Hedwig konnte nicht genug rühmen, wie sanft und bescheiden, wie klug und tüchtig sie ihr erschienen sei. Was ihr den Aufenthalt auf dem Hofe des Vaters verleidet hatte, war das fortwährende Drängen, daß sie der Bewerbung des Herrn von Süpplingenburg Gehör schenken solle.

Editha empfand eine tiefe, unüberwindliche Abneigung gegen Wippo, den vertrautesten Freund ihres hartherzigen Bruders. Seit jenem Tage, wo der jüngere Krodo durch seine brutale Behandlung den Schreiber vertrieben hatte, schien in Edithas Herzen eine Wandlung vor sich gegangen zu sein. Es war wie ein Bruch zwischen ihr und ihrem Bruder; sie weigerte sich entschieden, Wippo ihre Hand zu reichen, und da ihr Vater durch den Bruder und dessen Frau zur Härte gegen sie aufgestachelt wurde, so gab Muhme Gerrita ihr schließlich den wohlgemeinten Rat, heimlich zu ihrer Schwester Ilse zu fliehen, von wo der Vater vorläufig nicht wagen werde, sie mit Gewalt zurückzuholen.

Als Hedwig in Heinrode ankam, verweilte Editha dort bereits geraume Zeit. Sie hatte vom Hause ihres Vaters nur die Kleider mitgenommen, die sie trug, und das Evangelium des erschlagenen Anselmus. Sie machte sich im Hause der Schwester bald sehr nützlich, überwachte die Mägde beim Garnspinnen und in der Milchkammer und war namentlich den Kindern eine willkommene Genossin. Jungfrau Witta hieß sie des Evangelienbuches wegen ganz besonders willkommen, und diese hätte nichts lieber gesehen, als wenn Editha das Buch der Kirche als kostbares Reliquienstück verehrt hätte. Dazu konnte sich aber Editha vorläufig noch nicht verstehen.

Sie war jedoch fortwährend sehr viel mit Witta zusammen, und wenn diese irgend etwas im Interesse ihrer christlichen Gemeinde bei ihrem Bruder, der doch immer die Oberherrschaft über die Gegend übte, durchsetzen wollte, so übernahm Editha die Vermittelung und es gelang ihr meistens, den Schwager günstig zu stimmen. Hedwig hatte jedoch nicht gewagt, sie um Überlassung des kostbaren Vermächtnisses anzugehen, da schon die leiseste Andeutung genügte, ihr die Überzeugung zu gewähren, daß Editha in keinem Falle sich von dem Buche trennen werde.

161 Von der Familie hatte sich bis jetzt noch niemand taufen lassen, denn die Edelinge betrachteten den Übertritt zum Christentum noch immer als eine unwürdige Handlung.

Wohl fanden sich im Norden finstere abergläubische Begriffe und wirre Vorstellungen in bezug auf das Walten der Naturmächte, aber vor dem Christentum gab es dort überhaupt keine Spuren eines Gottesglaubens oder einer eigentlichen Götterlehre. Nur in Gegenden, in welchen die Römer gewohnt hatten und auf Inseln, die seit uralter Zeit von südlichen Seefahrern besucht wurden, bildete sich eine Art Mythologie aus. Wie der fremdländische Vogel nützlichen Samen zufällig nach öder Gegend trägt, so fiel dort das geistige Samenkorn aus dem Süden in die nordische Phantasie und entfaltete sich je nach der Eigentümlichkeit des neugewonnenen Bodens.

Hedwig erzählte weiter, daß Editha mit dem lebhaftesten Interesse die Nachrichten über das Schicksal des jungen Schreibers vernommen habe. Es fehlte ihr keineswegs an Verständnis für einen geistigen Beruf, und sie begriff vollständig, daß der König große Hoffnungen auf Schlitzwang setzte. Trotzdem konnte Hedwig nicht verschweigen, daß ihr die Kluft zwischen der stolzen sächsischen Herrentochter und dem vom König Karl begünstigten Gelehrten größer erschien, als sie sich gedacht hatte. Es gab eben Umstände, welche man nur verstehen konnte, wenn man die Verhältnisse des Sachsenlandes an Ort und Stelle kennen gelernt hatte. Dort gab es keinen König, der den Adel verleihen und die Menschen zu hohen Ämtern und Würden berufen konnte. Die Herren besaßen ihre Vorrechte aus grauer Vorzeit her und hielten daran zähe fest. Sie waren als bevorzugte, höher begabte Menschen in das Land gekommen, und der Abstand zwischen ihnen und dem einheimischen niederen Volke erschien von jeher unübersteiglich, ja er bildete sogar die Grundlage aller Einrichtungen, war die Wurzel des Stolzes. Daher kam auch ihr Haß gegen die christliche Lehre, denn in dieser mußte nach und nach jenes Vorurteil untergehen, welches ihnen den unbeugsamen Trotz und das mächtige Selbstgefühl verlieh.

Schlitzwang hatte das voraus gewußt. Er war ja selbst in diesen Anschauungen aufgewachsen und sah in Editha ebensogut ein unerreichbar hohes Wesen, wie sie zurückschaudern mußte vor seiner Niedrigkeit. Edle Geburt und die daraus abgeleitete, durch frühzeitige Übung in allen ritterlichen Künsten erlangte Vollkommenheit in der Führung der Waffen waren die unerläßlichen Bedingungen, um den Blick zu einer Herrentochter erheben zu dürfen. Alle andern Vorzüge gaben dazu kein Recht, und es wäre wie eine Beleidigung empfunden worden, wenn er die Hoffnung hätte durchschimmern lassen, daß Edithas Herz sich bis zu ihm verirren könnte.

Und doch! An der tiefen Niedergeschlagenheit, die den jungen Sachsen bei Hedwigs Mitteilung beschlich, konnte er erkennen, wie mächtig sein ganzes Wesen 162 sich gegen diese Zustände empörte. Liebte er denn Editha, weil sie die Herrentochter oder weil sie reich oder auch nur schön war? Zog ihn nicht vielmehr eine unwiderstehliche, ihm selbst unerklärliche Macht zu ihr hin, als sei es von Anfang an bestimmt gewesen, daß er nur an ihrer Seite oder niemals sein höchstes Lebensglück und das Ziel all seiner Hoffnungen erreichen könne? War es das Licht der christlichen Lehre, der erhabene Gedanke von der Unendlichkeit der menschlichen Seele, was dieses Gefühl in ihm gereift hatte? Jedenfalls trug er die tiefe Sehnsucht nach einer Vereinigung mit Editha längst im Herzen und bewahrte diese, konnte sie auch niemals gestillt werden. Schon diese Sehnsucht an sich wirkte läuternd und erhebend auf ihn ein, und er hätte sie nicht missen mögen, so viele herbe Schmerzen sie ihm auch bereitete.

Übrigens brachte Gräfin Hedwig ihm auch eine erfreulichere Nachricht. Sie hatte sein Mütterchen auf der Heinburg gesehen und erfahren, daß die mildgesinnte Frau Ilse das alte Weibchen ganz in ihren Dienst genommen und ihr also gleichsam eine Zufluchtsstätte im Herrenhofe zu Heinrode gewährt hatte. Zwar hatte die alte Frau wenig von den großen Welthändeln begriffen, aber sie freute sich doch kindisch über die Nachricht, daß es ihrem Sohne wohl gehe und daß sogar der König Karl ihm zugethan sei.

So reiste Schlitzwang denn weiter mit den besten Segenswünschen für den schwerverwundeten Grafen Eschburg und begleitet von den herzlichsten Worten der Gräfin und den Liebkosungen ihres Gottfried. Auf der Reise hatte er weiter keine Fährlichkeiten zu bestehen und langte wohlbehalten im Kloster Lorsch an, wo ihm der Geleitsbrief aus des Königs Kanzlei bei den Mönchen die freundlichste Aufnahme bereitete.

Kloster Lorsch

Nun begann eine Zeit tiefer Ruhe für den Schreiber. Seine Tage waren nur der geistigen Thätigkeit gewidmet, und wenn er die Arbeit unterbrach, so geschah es der Tagesordnung wegen, da er sich in allen Dingen den Klosterregeln unterwarf. Die milde Luft der lieblichen Gegend, die man die Bergstraße nennt, that seinem Körper überaus wohl; seine Seele hatte genug zu thun, um die reichen Eindrücke der letzten Jahre in sich zu verarbeiten. Auch bot die kleine, aber wertvolle Büchersammlung des Klosters mancherlei Ausbeute, und zugleich hatte er Gelegenheit, dasjenige, was von Resten aus römischer und früherer germanischer Zeit vorhanden war, zu sammeln und zu durchforschen. Er konnte nicht recht einig mit sich werden, ob auch hier die heidnischen Göttersagen, von denen man ihm berichtete, wirklich germanischen Ursprungs oder durch spätere Zuthaten aus der römischen Mythologie versetzt und gefälscht waren. Wohl traf man hier und da noch die uralten heiligen Bäume, unter denen die germanischen Stämme ihre Volksversammlungen gehalten, auch ehrte man die wohlthätigen Quellen, und wahrscheinlich war es auch in dieser Gegend Sitte gewesen, daß 163 man den Wechsel der Jahreszeiten auf hochgelegenen Bergesspitzen feierte; es hatte sich jedoch inzwischen eine förmliche Götterlehre entwickelt, welche soviel fremdartige Elemente enthielt, daß sie nicht ganz echt erscheinen konnte. Es gab einen Donnarsberg und ein ganzer Gebirgszug hieß der Odinwald. Auch war die Sage vom wilden Jäger, die im Sachsenlande geglaubt wurde, im Odinwald gleichfalls verbreitet. Offenbar hatte eben die Phantasie hier wie dort in wilden Sturmesnächten, wo der Wind heult und die Baumstämme krachen, diese Sage ersonnen.

Auch von unheimlichen, fabelhaften Tieren, Lindwürmern und Drachen, die sich in feuchten Thalgründen aufhalten und die Gegend gefährden sollten, berichtete die Volkssage, und es war immerhin möglich, daß hier und da in abgelegenen Gegenden des Landes, in feuchten Schluchten, sich vor langer Zeit noch vereinzelte Reste untergegangener Tiergeschlechter von scheußlicher Form gezeigt hatten. Die menschliche Phantasie ist ja so geschäftig, alle rätselhaften Erscheinungen mit dem Schimmer der Übertreibung auszuschmücken!

Nachdem Schlitzwang die erste Zeit damit hingebracht hatte, alles zu durchstöbern und sich zu eigen zu machen, ging er aufs neue mit regem Eifer an seine poetische Bearbeitung des Evangeliums. Was war natürlicher, als daß die lichtumflossene Gestalt des göttlichen Erlösers, wenn er ihn als starken Kriegsheld 164 schildern wollte, mit der glanzumwobenen Erscheinung des großen Königs Karl sich in seiner Phantasie verschmolz? Er sah den Christ, wie er siegreich das Heilige Land durchzog und die eroberten Strecken seinen Jüngern als Lehnsgüter übergab. Was früher nur bruchstückweise in seinem Geiste aufgetaucht war, trat als abgeschlossenes Ganzes vor ihn hin und die Arbeit schritt rüstig vorwärts, so daß er hoffen durfte, den Winter über damit ein gut Stück weiter zu kommen.

Bevor jedoch der Winter völlig hereingebrochen war, erhielt der Schreiber noch den Besuch des Grafen Eschburg mit seiner Tochter und Gottfried, die auf der Heimreise nach der Stammburg am Neckar begriffen waren. Der Graf war so weit wieder hergestellt, daß er die Reise wagen durfte, doch den Anstrengungen eines Kriegszugs hielt er sich noch nicht gewachsen.

Nun erfuhr Schlitzwang denn auch aus zuverlässiger Quelle, was bereits als schwankendes Gerücht bis in die stillen Klostermauern gedrungen war. Auch diesmal wieder wie in früheren Fällen waren die Sachsen unter Wittekind nur so lange siegreich gewesen, bis der Frankenkönig selbst an der Spitze eines Heeres ihnen begegnete. Dann aber hatten sie sich zurückziehen müssen und waren vollständig überwunden worden. Eingedenk seines Wortes habe der König diesmal die größte Strenge walten lassen und mit unerbittlicher Härte diesen letzten Aufstand als Rebellion betrachtet. Zwar hatten die Edelinge, sobald sie ihre Sache verloren sahen, rasch völlige Unterwerfung gelobt, der König begnügte sich jedoch damit nicht. Mit klopfendem Herzen vernahm Schlitzwang, daß Karl die Auslieferung der Friedensbrecher verlangt hatte. Wußte er doch, daß gerade in seiner engeren Heimat, namentlich in Krodendorf, der Herd des Aufruhrs zu finden war. Was er indes nun hören mußte, trieb die Röte der Scham und der Entrüstung in seine Wangen. Anstatt die schuldigen Anstifter auszuliefern, hatten die sächsischen Edelinge gemeinschaftlich beschlossen, mehrere Tausend von den unschuldig verführten Wehrmännern hinzuopfern, und König Karl hatte in seinem Zorne an den Ufern des Flüßchens Aller sämtliche ausgelieferten Männer enthaupten lassen. Wer war mehr anzuklagen, der König in seinem Zorne, oder die sächsischen Edelinge, welche schuldlose, unfreie Männer, die von Jugend an nur blinden Gehorsam gegen ihre Herren kannten, in den Tod sandten, um sich vor der Strafe zu schützen? Trat hier nicht abermals jener entsetzliche Zustand der Nichtachtung des niederen Volkes in das grellste Licht? Wohl möglich, daß der König gerade deshalb die schauderhafte Strafe vollführen ließ, um dem sächsischen Volke zu zeigen, wie es um die Edelinge stand. Graf Eschburg und Hedwig erzählten, daß nun eine dumpfe Schwüle über den sächsischen Gegenden lagere; denn der König waltete mit eiserner Strenge daselbst und begann bereits überall die Männer zur Heeresfolge heranzuziehen und im ganzen Lande Abgaben und Steuern zu erheben, was den Leuten als unerträgliche Tyrannei 165 erschien. Ganz besonders sträubte sich auch das Gefühl der Sachsen gegen das Einscharren der Leichname und sie dachten mit Widerwillen an die ekle Verwesung im Grabe. Wie ganz anders erschien ihnen die Vernichtung der körperlichen Überreste durch das Feuer! Wohl sammelten sie die Knochenreste in Urnen und gruben diese ein, aber es war alsdann eben der unzerstörbare Körperrest, den sie dem Mutterschoß zurückgaben, und wenn es sich um tapfere Helden oder Mitglieder ihrer herrschenden Familien handelte, so fügten sie Schmuck und Waffen hinzu und errichteten auf den Grabhügeln gewaltige Haufen von Felssteinen. Alles dies geschah, um das Gedächtnis der Toten zu ehren und ihre Ruhestätte den Nachkommen zu bezeichnen. Der tote Körper selbst hatte bei ihnen keine Bedeutung mehr. Schlitzwang wußte, was die Neuerungen bewirken mußten und daß die sächsischen Edelinge es nie und nimmer in Güte dulden würden, wenn ein Höherer als sie über ihre Mannen befehlen und von ihrem Gute einen Teil beanspruchen wollte. Sein Gemüt war daher wiederum schwer belastet, und als die gräfliche Familie mit ihrem Gefolge abgezogen war, bedurfte es längere Zeit, bevor er die nötige Ruhe fand, um seine Arbeit fortzusetzen. Als er dann aber wieder daran ging, war er selbst erstaunt, wie fließend und rasch die Verse sich aneinander reihten. Er sah sein Werk viel schneller vorwärts kommen, als er anfänglich zu hoffen wagte.

Bald sollte der Sachse diesen Umstand jedoch als ein besonderes Glück erkennen. Kaum hatten sich die ersten Spuren des Frühlings gezeigt und die Welt aus ihrem starren Winterschlafe erweckt, als ein reitender Bote des Königs kam, der ihn sofort nach Aachen entbot.

Ohne Zögern begab er sich auf den Weg. Da der Bote noch andre Aufträge hatte, mußte derselbe ihn verlassen, und der Sachse fand kaum genügende Zeit, ihn um den Grund dieser unerwarteten Berufung zu befragen. Es werde abermals gegen die Sachsen gerüstet, war die Auskunft. Außerdem hatte der Bote ein Briefchen von Herrn Eginhard zu übergeben, worin dieser die überraschende und kaum glaubliche Mitteilung machte, daß er demnächst die älteste Tochter des Königs als sein Ehegemahl heimführen werde.

Dem Schreiber schwirrte der Kopf von diesen wichtigen und vorläufig nur halb begreiflichen Neuigkeiten. Wenn der König gegen die Sachsen rüstete, mußten diese sich abermals empört haben und es war alsdann von dem Zorne und der Wut des Königs das Schlimmste zu erwarten. Was aber beabsichtigte er mit Schlitzwang? Sollte seine Langmut zu Ende und er gesonnen sein, ihn unter die Reihen der Kämpfenden zu stellen? Und dann, die seltsame Nachricht von Eginhard! Hatte dieser selbst doch geäußert, daß an eine Zustimmung des Königs zu solcher Verbindung nicht zu denken sei. Die Ungeduld verzehrte Schlitzwang und er war in fieberhafter Aufregung, als er endlich am Ziel seiner Reise anlangte.

166 Bald wußte er, wie die Sachen standen. Der rasche Entschluß des Königs, als er die Tausende am Ufer der Aller hinrichten ließ, war nicht nur in seinen Folgen verderblich gewesen, sondern wurde auch von Alkuin, dem einzigen Manne, dessen Tadel der König achtete, schwer gemißbilligt. Überall in Sachsen war ein lauter Ruf nach der Rache des Blutes der Erschlagenen erschallt, und Wittekind stand schon wieder zum Heereszuge bereit. Diesmal aber hatte der König den eindringlichen Ermahnungen seines Freundes Alkuin Gehör geschenkt. Er gab zu, daß er sich übereilt und unbedacht gehandelt habe, denn auf diese Weise konnte es dahin kommen, daß er genötigt war, das ganze widerspenstige Sachsenvolk auszurotten und dann wäre allerdings der Lehre von der christlichen Liebe und Barmherzigkeit auf eigentümliche Weise der Sieg verschafft worden. Alkuins Vorstellungen hatten das Gemüt des Königs tief erschüttert, so daß er viele Tage in Unruhe und manche Nacht schlaflos verbrachte. Und gerade in einer solchen schlaflosen Nacht sollte er auch noch auf andre Weise erkennen, daß das Gemüt sich nicht zwingen läßt und die menschliche Natur überall ihre Rechte verlangt. Mit dieser Erfahrung stand die glückliche Wendung im Geschicke Eginhards in Verbindung.

Daß Eginhard die älteste Tochter des Königs von ganzem Herzen liebte, wußte Schlitzwang längst und er hatte auch bei verschiedenen Anlässen beobachten können, wie die lieblich erblühende Jungfrau diesem zugethan war. Der König ehrte Wissenschaft und Künste; Alkuin und Angilbert standen bei ihm fast in fürstlichem Ansehen, und Eginhard genoß seit frühster Jugend seine besondere Gunst. Was Wunder, daß die Frauen des königlichen Hauses dem schönen jungen Baukünstler wohl gesinnt waren und ihn viel und gern um sich hatten.

Während des Feldzugs in Spanien waren die Frauen lange Zeit genötigt gewesen, in stiller Zurückgezogenheit ihre Zeit mit weiblichen Handarbeiten und religiösen Übungen auszufüllen, und wenn sie am Webstuhle saßen oder geistliche Prachtgewänder mit kostbaren Stickereien bedeckten, gingen ihre Gedanken gewiß oft in die Ferne und vergegenwärtigten sich das Bild der teuren Helden, die im wilden Kriegsleben Gefahren bestanden und Abenteuer erlebten. So mögen wohl jene zwei Jahre des Fernseins im Herzen der aufblühenden Emma die Neigung für Eginhard zu inniger Liebe entwickelt haben, und als dieser aus Spanien heimkehrte, empfanden die beiden jungen Gemüter beim ersten Wiedersehen sofort, daß die Trennung sie nur unauflöslicher aneinander gekettet hatte.

Durch die Trauer um den Tod des tapfern Roland wurde dies Gefühl anfänglich zurückgedrängt. Als dann in der nächsten Zeit des Königs Zorn so mächtig entflammt wurde, daß er zum Rachezug gegen die Sachsen rüstete, blieb gleichfalls für die zarten Regungen des Herzens wenig Zeit und Stimmung übrig. Um so mehr aber fanden dieselben Nahrung und Pflege, als der König 167 mit seinem Heere ohne Eginhard fortgezogen war. Ob die Königin Hildegard bemerkte, wie es um die beiden liebenden Herzen stand, wußte Eginhard selbst nicht; er hatte in dieser seligen Zeit nur Aufmerksamkeit für Emmas zärtliche Blicke und Worte und sein Glück machte ihn blind für alles übrige. Es lag in der Natur der Sache, daß er oft und lange in der Kemnate verkehrte, denn er brachte den Frauen alle Nachrichten vom Kriegsschauplatze und es fand sich denn auch immer Gelegenheit zu einem traulichen Zwiegespräche zwischen ihm und Emma, entweder in einem der Gemächer oder in den lauschigen Laubgängen des ausgedehnten Burggartens. So floß die Liebe der beiden Herzen immer enger ineinander, und als der König vom Feldzuge heimkehrte, waren sie bereits völlig eins, und Emma hatte dem Geliebten den Schwur unerschütterlicher Treue geleistet.

Vorläufig war allerdings, das sahen Eginhard und Emma ein, an ein offenes Bekenntnis nicht zu denken, denn des Königs Stimmung war nicht die beste, und die Liebenden hatten beschlossen, eine günstigere Zeit abzuwarten. Es konnte Jahre dauern, bevor diese eintrat, aber es stand zu hoffen, daß das Heranwachsen der übrigen Töchter, und namentlich das Interesse für die Knaben aus der Ehe mit Hildegard, den Vater in bezug auf Emma weniger schwierig machen werde. Inzwischen gedachten die Liebenden jedoch keineswegs auf den trauten Verkehr miteinander zu verzichten, denn es lag nicht in jener gefahrvollen und unsicheren Zeit, daß man sich nur mit Hoffnungen tröstete und den gegenwärtigen Augenblick dabei übersah.

168 Da die Anwesenheit des Königs viel mehr Personen in die Gemächer und Gärten der Burg zog, so war es natürlich viel schwieriger für die Liebenden, sich ungestört zu sehen, denn unter den allezeit kampfbereiten Helden aus der Gefolgschaft des Königs befanden sich gar viele, die den Gelehrten und Künstlern abhold waren und gern eine Gelegenheit ergriffen hätten, um mit Eginhard Streit zu beginnen, oder dem Könige den Beweis zu liefern, daß er seine Gunst an unwürdige Menschen verschwende. Doch die Liebe ist allezeit erfinderisch gewesen, und da sie schließlich auch der Gefahr spottet, so hat sich ihr noch immer ein Mittel gezeigt, um zum Ziele zu gelangen. Emma wußte es möglich zu machen, Eginhard in verschwiegener Nacht, wenn alles im Schlafe lag, bei sich zu sehen und einige Stunden mit ihm zuzubringen. Eine geraume Zeit bemerkte niemand die nächtlichen Zusammenkünfte; es blieb verborgen, wie oft der glückliche Eginhard bei der Tochter des Königs weilte.

Der Spätherbst färbte das Laub der Bäume bunt und endlich fiel es ganz zu Boden. Was kümmerte es Eginhard, daß der Wind die raschelnden Blätter im Burghofe umherwirbelte und die Luft winterlich rauh zu werden begann. Im traulichen Gemach der Geliebten war es warm und behaglich, und wenn er des Nachts den Rückweg antrat, hatte er auf andre Dinge zu achten, als auf Wind und Wetter.

Aber, o weh! in seligem Getändel hatten sie nicht bemerkt, daß in einer Nacht der erste Schnee gefallen war, und als Eginhard die Traute nun verlassen will, blicken beide starr vor Schrecken auf die weiße Schneedecke, die über dem ganzen Hof sich lagerte und auf welcher sich unvermeidlich jeder Fußtritt genau abzeichnen mußte. Ein männlicher Fußtritt aus der streng bewachten Kemnate mußte unzweifelhaft den nächtlichen Besucher verraten. Was war zu thun? Wenn ihrer Liebe Gefahr droht, sind die Frauen erfinderisch und kühn. Eginhard muß sich den Anforderungen der rasch entschlossenen Emma fügen. Eine männliche Fußspur würde die strengste Untersuchung und härteste Bestrafung herbeiführen, ein weiblicher Tritt von der Kemnate bis zum Diensthause und von dort zurück, erweckte keinen Verdacht, da eine Dienerin noch spät am Abend für die Herrschaft eine Besorgung gehabt haben konnte. Da galt kein Zaudern, kein Überlegen; rasch mußte gehandelt werden, und so trägt die kühne Emma den Geliebten über den Hof. Die Augenblicke sind so kostbar, die Gefahr ist so groß, daß weder Eginhard, noch die Tochter des Königs darüber nachdenken können, welch einen wunderbaren Anblick sie dem Auge eines zufälligen Beschauers bieten würden. Atemlos gleitet Eginhards Fuß am Ziele zu Boden und atemlos eilt Emma in ihr Gemach zurück.

Eginhard und Emma

Der Zufall hatte es seltsam gefügt. Um die Späher zu täuschen, die dem Könige das süße Geheimnis verraten konnten, hatten die Liebenden das Wagnis unternommen, und nun wollte es ihr Verhängnis, daß der König selbst Zeuge 169 des Vorfalls war. Schlaflos hatte er auf seinem Lager gelegen und der schweren Schuld gedacht, die er kürzlich auf sich geladen, da trieb es ihn, die bedrückte Brust an der frischen Nachtluft zu kühlen und er trat hinaus auf die Laube, welche den Pallas umgab. Da regt sich etwas dort, von der Gegend der Kemnate her. Der König verbirgt sich hinter einer Säule und sieht nun ganz unzweifelhaft auf dem vom Monde hell beleuchteten Schnee des Hofraums eine Szene abspielen, welche ihn zu jeder andern Zeit in Zorneswallung versetzt haben würde.

Schwer fühlt er sein Gemüt belastet; indes die beiden von ihm deutlich erkannten jungen Leute sind seinem Herzen viel zu teuer, als daß er ihr Verderben hätte herbeiführen mögen.

Eginhard gab selbst zu, daß der König einen schweren Kampf durchgemacht haben müsse, bevor er zu dem Entschlusse kam, das Glück der Liebenden nicht zu vernichten. Die Überzeugung, daß er durch seine vielen Kriege und Regentenpflichten weder Zeit noch Gedanken für die inneren Angelegenheiten der Familie haben könne, und daß durch Verheiratung von Himiltrudens Töchtern mit Großen seines Reichs mancherlei Verwirrung und Streitigkeit hervorgerufen würde, mag ihm am Ende die Verheiratung seiner Tochter Emma mit Eginhard als klugen 170 Ausweg haben ansehen lassen. Kurz, er ließ das Liebespaar zu sich kommen, und nachdem dasselbe unter seinen Vorhaltungen eine Stunde tödlicher Angst verlebt hatte, versetzte er es durch seine Einwilligung auf den höchsten Gipfel der Glückseligkeit. Der Hof wurde von dem Entschlusse des Königs in Kenntnis gesetzt, und Schlitzwang kam gerade noch zur rechten Zeit in Aachen an, um den Vermählungsfeierlichkeiten beizuwohnen.

Da der König das junge Ehepaar nicht sofort nach der Hochzeit wieder zu einer längeren Trennung verurteilen wollte, war der sächsische Schreiber ausersehen worden, an Eginhards Stelle bei dem bevorstehenden Feldzuge in das Sachsenland im Gefolge des Königs zu sein, und zu diesem Zwecke hatte Karl ihn berufen lassen. Als der Schreiber seine Ankunft meldete, gab der König ihm die Versicherung, daß er auch ohne diese besondere Veranlassung diesmal seine Begleitung gewünscht haben würde.

»Denn«, so sagte er, »ich habe Alkuins Vorstellungen nachgegeben, und dieser Heereszug soll im vollen Sinne des Wortes nicht nur mit den Waffen des Krieges, sondern auch mit allen friedlichen Mitteln geistiger Überlegenheit das endliche Ziel völliger Unterwerfung erstreben helfen. Ich weiß, daß hauptsächlich die rohen und aller Bildung abholden Elemente unter den sächsischen Edelingen fortwährend gegen den Anschluß an die Franken und das Christentum zu wirken suchen, aber ich will alles aufbieten, um sie in ihrer Herzenshärte dem Volke zu zeigen. Sie haben die Macht meiner Waffen gefühlt, nun soll das gesamte Volk die Segnungen kennen lernen, welche sie in ihrem Trotze von sich weisen. Schritt für Schritt soll diesmal mit der Eroberung auch die Befestigung meiner Macht und die Ausbreitung der Gesittung gehen, wie sie das Gefolge der christlichen Lehre ist. Es ist alles mit Alkuin beschlossen und beraten. Schulen und Kirchen, Straßen und Brücken sollen überall gebaut werden, und in allen Einrichtungen, sowohl weltlichen wie geistlichen, werde ich die vorhandenen Gewohnheiten als Grundlage nehmen und nicht den ganzen Stamm eures nationalen Lebens zerstören, sondern die edleren Pfropfreiser höherer Bildung mit kunstvoller Vorsicht darauf verpflanzen.«

König Karl beschließt für die Sachsen eine neue Zeit hervorzurufen

Als der König dies sagte, mußte wohl ein Strahl freudiger Zustimmung aus des Schreibers Blicken leuchten, denn Karls ernstes Gesicht wurde mild und freundlich, als er die Frage an jenen richtete:

»Hast du dein Gedicht vom Leben des Heilandes vollendet?«

Jener entgegnete darauf, daß er eben um die Erlaubnis hätte bitten wollen, einen Teil des Werkes dem Könige zu Füßen legen zu dürfen.

Karl war darüber sichtlich hoch erfreut und erklärte, daß er mit Alkuin die Verabredung getroffen habe, das Gedicht, soweit es vollendet sei, in mehreren Exemplaren abschreiben zu lassen und dafür Sorge zu tragen, daß es soviel als möglich bei jeder Gelegenheit öffentlich vorgetragen werde. Der König fragte 171 dann, welche Lieder und Heldengedichte in Schlitzwangs Heimat verbreitet seien, und ob das Volk dort viel auf dergleichen halte.

Schlitzwang entgegnete ihm darauf, daß die Bewohner des Sachsenlandes nicht soviel vom Singen und Sagen hielten, wie dies im Frankenlande der Fall sei. Ihm seien nur drei Arten von Liedern bekannt. Einmal die Trutz- und Spottlieder, wie sie namentlich bei den Sommernachtfeuern und den übrigen Jahresfesten gesungen würden. Diese waren aber zum großen Teil sehr unsauberer Art, denn das Volk verhöhnte damit alle möglichen Vorgänge und Verirrungen, die nicht gerade zur öffentlichen Rüge geeignet waren. Dann hatten sie auch eine Art von Zaubersprüchen oder Beschwörungsliedern, die aber zum großen Teil den entsetzlichsten Unsinn enthielten. Das Beste waren noch die Leichengesänge, in welchen die Vorzüge und Tugenden der Verstorbenen gepriesen wurden. Unter diesen hatten sich einige aus der Vergangenheit erhalten und förmlich eingebürgert. Es waren die Leichengesänge auf große Helden des sächsischen Stammes.

Der König gab ihm nun den Auftrag, alles niederzuschreiben und zu sammeln, was er von volkstümlichen Gesängen und namentlich von Heldenliedern auffinden könne. Er war der Ansicht, daß in der Form dieser allgemein verbreiteten und überall gesungenen Dichtungen das Volk am besten zu belehren sei. Man dürfe sie deshalb nicht außer Augen lassen, müsse das Schlechte darunter ausscheiden und durch Neues verdrängen. Namentlich aber müsse man die neuen Begriffe in der Form von alten Liedern einbürgern. In diesem Sinne hielt der König auch die weiteste Verbreitung des Evangeliengedichtes für das wirksamste Mittel, um dem Geist der christlichen Lehre den Weg zu bahnen.

Die nächste Zeit ging in Vorbereitungen zum neuen Feldzuge hin. Seinem Schwiegersohne Eginhard gab Karl den Auftrag, mit seiner jungen Gemahlin eine Reise die Ufer des Rheins entlang zu machen und an verschiedenen Orten die Anlagen von königlichen Pfalzen und Abteien in Angriff zu nehmen. Nichts konnte Eginhard willkommener sein, als eine Frühlingsreise in so herrlicher Gegend, in Begleitung seines geliebten Weibes und mit dem Auftrage, seinen schöpferischen Geist in neuen Bauwerken zu bethätigen. 172


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