Adolf Glaser
Schlitzwang
Adolf Glaser

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Dreizehnter Abschnitt.

Auf der Höhe des Lebens.

Diesmal war König Karl rascher an Ort und Stelle als die Sachsen vermutet hatten; er befand sich bereits in der Nähe des Teutoburger Waldes, als Wittekind mit seinen Scharen ihm gegenübertrat. Dem Könige war der Umstand günstig gewesen, daß er gar nicht hatte abrüsten lassen, während Wittekind doch manche Schwierigkeiten bei der Wehrbarmachung überwinden mußte. Karl hatte diesmal seine Ratgeber zur Seite und es war alles darauf eingerichtet, daß er Schritt für Schritt, wie er mit dem Schwerte sich den Weg bahnte, die sächsischen Länder vollständig im fränkischen Geiste verwalten ließ, um die Besiegten thunlichst rasch in den Genuß aller Vorteile höherer Bildung zu setzen. Es sollte hinfort nur ein großes Reich unter seinem Zepter bestehen, und da seine Einrichtungen sich überall bewährten, Handel und Gewerbe aufzublühen begannen und auch das niedere Volk durch öffentliche Arbeiten, wie große Bauunternehmungen, Straßen- und Brückenbauten, Verdienst fand, so befestigte sich die 184 neue Herrschaft immer mehr. Nur die trotzigen Edelleute sahen dieser Umgestaltung der Dinge mit Unwillen zu.

Die erste große Schlacht fand bei Detmold statt, führte jedoch zu keiner endgültigen Entscheidung, so blutig sie auch ausfiel. König Karl ging nach Paderborn zurück und es war für beide Heere nötig, daß ein kurzer Waffenstillstand zur Erholung diente. Etwas weiter nach Norden ward die zweite große Schlacht in der Nähe von Osnabrück bei dem Flüßchen Hase geschlagen. Diese zweite, noch blutigere Schlacht wurde entscheidend; denn das sächsische Heer erlitt eine solche Niederlage, daß Wittekind zurückweichen und sich nach den dichter bewaldeten Gegenden des Harzes wenden mußte, wohin Karl ihm verfolgte.

Wie klopfte Schlitzwang das Herz in immer rascheren Schlägen, als er nach langer Zeit und unter gänzlich veränderten Verhältnissen im Gefolge des siegreichen Frankenkönigs seiner Heimat sich näherte! Die Zeit des Frühlingsfestes war gekommen, und während in den letzten Jahren der Winter sich weit hinausgedehnt und fast dem Sommer im raschen Übergange die Hand gereicht hatte, lachte in diesem Jahre die Welt wieder einmal im schönsten Lenzesschmuck und lockte hinaus in das frischgrüne Revier. Wohl mochten die alten Waldweiber und was sonst vom Feldzuge in Hütten und Höfen zurückgeblieben war, auch in diesem Jahre dem gewohnten Brauche fröhnen, aber gewiß wagten sie sich nur heimlich und in still verschwiegener Nacht auf die Bergeshöhen, wo statt des früheren wüsten Heidenlärms jetzt wohl nur finstere Zaubersprüche und unheimliche Verwünschungen bei den lodernden Reisigfeuern ausgesprochen wurden.

Dem Könige war gar wohl bekannt, wie die größeren Herren im Lande sich gegen ihn verhalten hatten. Die vertriebenen Missionäre und christlichen Ansiedler hatten getreulich berichtet, daß Herr Wippo von Süpplingenburg und die beiden Herren Krodo sowie viele benachbarte Edelinge, zu den unversöhnlichsten Feinden der Franken gehörten, und ebenso war ihm bekannt geworden, daß der Gebieter von Heinrode zwar keine entschiedene Stellung gegen den Aufstand genommen, aber doch auch demselben sich nicht angeschlossen hatte. Manche christliche Flüchtlinge hatten auf dem Gebiete des Herrn Heino Schutz gesucht und waren dort durch Vermittelung seiner Schwester Witta geduldet worden. Der König hatte daher befohlen, daß die Gebiete der ihm feindselig gesinnten Herren nicht geschont würden, während er das Besitztum des Herrn Heino für unantastbar erklärte.

Wiederholt schon hatte der Herrscher die Erklärung und Beleuchtung einzelner Sitten und Gebräuche von Schlitzwang begehrt und dieser hatte ihm stets nach bestem Wissen berichtet. Daß die sächsischen Wehrmänner gewohnt waren, beim Heranrücken in die Schlacht fortwährend in ohrbetäubendem Geschrei den Namen ihres Herzogs zu rufen, ließ es den König ratsam erscheinen, in Zukunft, wenn die Sachsen dem großen Reichsheere einverleibt würden, diesen Gebrauch nicht 185 abzuschaffen, um sie nicht zu entmutigen. Da Schlitzwang die Vorurteile und Unwissenheit seiner Landsleute genau genug kannte, schlug er dem Könige vor, ihnen einen Schutzpatron zu geben und dazu einen recht hochstehenden und tapferen Heiligen zu wählen, dessen Name in Zukunft das Feldgeschrei abgeben könne.

»Nun«, meinte der König, »da wüßte ich keinen bessern als den Erzengel Michael, der zunächst an Gottes Thron steht und den bösen Feind selbst besiegt hat.«

Wirklich wurde darauf der heilige Michael zum Schutzpatron der sächsischen Heerhaufen auserkoren, und wenn sie in den nächsten Jahren gegen die Sorben, Avaren oder Wenden mit zu Felde zogen, so lautete ihr ohrenbetäubendes Kriegsgeschrei »Herzog Michel! Herzog Michel!« Es währte nicht lange, so ergriffen die Feinde in jähem Schrecken die Flucht, sobald sich die Kunde verbreitete: »Der deutsche Michel kommt!«

Ein andrer bei dem sächsischen Volke in hohem Ansehen stehender Gebrauch, war die Waffenweihe vor dem Auszug in den Kampf. Der König ordnete an, daß in Zukunft die Speere und Schwerter durch Berührung der Schwellen oder Pfeiler der Kirchenpforten geweiht werden sollten, wie dies früher mit feierlichem Ernste an den Gerichtssäulen geschah. Dieser Gebrauch erhielt sich jahrhundertelang und mancher alte Dom trägt Spuren davon für alle Zeit.

Wohl war dem Schreiber Art und Weise der fränkischen Truppen bekannt geworden, daher wußte er auch, daß sie durch die jahrelangen, unaufhörlichen Kriege an die Verwüstung in Feindesland gewöhnt waren und überall mit Feuer und Schwert sich gefürchtet machten. Von der Erbitterung, mit welcher der Krieg dagegen von den Sachsen geführt wurde, gab namentlich auch der Umstand Zeugnis, daß sich Frauen, sowohl aus dem Volke wie aus den edlen Familien, am Kampfe beteiligten, da sie lieber ihr Leben verlieren als den Untergang ihrer alten Einrichtungen mit ansehen wollten. Manche kühne Frauengestalt, die mit Waffen in der Hand hoch zu Roß vorbeisprengte, rief in Schlitzwangs Seele die Erinnerung an die edle Erscheinung der mutigen Editha wach. Im Kriege gilt der Kriegsgebrauch, hieß es hier wie überall, und mit Schrecken dachte er darum doch zuweilen daran, welches Los die Frauen auf der Krodenburg bedrohte. Wie sollten die fränkischen Anführer mit Erfolg ihre Mannen zügeln können, da sie alle doch wußten, daß gerade dort ein Hauptherd der Empörung sich befand! Die Greuel des Krieges sind immer entsetzlich, und es herrschte in jener Zeit geringer Unterschied, ob christliche oder heidnische Heere ein Land überschwemmten. Was nicht durch Feuer und Schwert zerstört und durch die Rosse zerstampft wurde, litt unter der Roheit und dem Übermut der Sieger; wer irgend Angehörige oder Freunde unter den Besiegten hatte, zitterte daher für sie und suchte alles zu ihrer Sicherheit aufzubieten.

Hätte man Schlitzwang gesagt, Editha habe am Kriege teilgenommen oder sie sei zu ihrer Schwester nach Heinrode geflüchtet, so würde ihm das Schicksal 186 des Krodoschen Gebietes ziemlich gleichgültig gewesen sein, denn trotz seines Christentums steckte doch noch etwas heidnische Rachsucht oder Schadenfreude in ihm. Waren nur seine alte Mutter und Editha in Heinrode geborgen, so konnten die fränkischen Krieger seinetwegen in Krodenburg thun und lassen, was ihnen gefiel. So aber ließ ihm sein Herz keine Ruhe, und er erwirkte sich vom Könige die Erlaubnis, dem Heere vorauszueilen und in Krodendorf den Frauen der Burg Schutz zu gewähren. Obgleich er, seinem Worte getreu, nirgends am Kampfe teilgenommen hatte, trug er doch die Rüstung eines Kriegsmannes und galt auch überall als ein solcher. Mit einigen Wehrmännern als Gefolge ritt er also nach Krodendorf, wo man vorläufig kaum etwas von der Niederlage des sächsischen Heeres wußte und jedenfalls noch völlig über die Tragweite der letzten Ereignisse sich im Unklaren befand.

Dennoch war gegen alle Erwartung ein versprengter Trupp fränkischer Wehrmänner ohne Anführer ihm zuvorgekommen, und trotz der Eile langte er erst in dem Augenblicke an, als das Gesindel, nach Beute lüstern, bereits in den Hof der Burg eingedrungen war. Mit donnernder Stimme rief er ihnen »Halt! hinweg von hier!« zu, und als sie ihn zuerst verblüfft anstarrten, dann trotzig, sogar Schelmenworte gegen ihn ausstießen, ergriff den sonst so friedliebenden Schlitzwang die richtige teutonische Wut, seine Augen sprühten Flammen und die alte Narbe auf seiner Wange leuchtete wie Feuer. Niemand würde in dem stolz aufgerichteten Manne, der das wallende Haar aus dem Gesichte warf und mit zuckenden, vom blonden Vollbarte umwogten Lippen, einer zürnenden Gottheit gleich, im Hofe der Krodenburg hielt, den demütigen Schreiberknecht wiedererkannt haben, der ehedem hier weilte. Und als die Plünderer nicht gehorchten, riß er dem ersten besten die Lanze aus der Hand und führte damit einen so wuchtigen Streich, daß der Lanzenschaft krachend zerbrach und der ungestüme Bursche zu Boden taumelte. Dann riß der entrüstete Schreiber sein Schwert aus der Scheide und hieb so gewaltig um sich, daß sich die Eindringlinge schleunigst aus dem Staube machten.

Schlitzwang erscheint als Retter der Frauen

Nun war Schlitzwang mit seinem Gefolge Herr der Burg. Wie seltsam ergriff ihn das Wiedersehen der bekannten Räume, in denen er vordem so viel Leid und doch auch so viel stille Wonne gekostet hatte! Die traulichen Abende am Herdfeuer der Kemnate kamen ihm in den Sinn und beschlichen sein Herz wie leise Klänge voll Lust und Weh.

Er erkundigte sich, wer von der Herrschaft zugegen sei. Nur die Schwester und die Tochter des Herrn, erwiderte man. Er verlangte Jungfrau Gerrita zu sprechen, aber diese mußte die Ankunft eines Trupps fränkischer Krieger bereits erfahren haben, denn sie erschien einen Augenblick am Eingang in die Kemnate und verschwand dann wieder, wie von plötzlicher Furcht ergriffen. Auch die Leute im Hofe schienen von Schrecken über Schlitzwangs Gebaren übermannt.

189 Ungehindert gelangte Schlitzwang in die ihm wohlbekannte Kemnate, wo er erwarten durfte, die Frauen zu finden. Im Hauptgemache traf er jedoch nur einige Dienerinnen, die vor Angst ganz bestürzt ihn sprachlos anstarrten. Indes bemerkte er alsbald eine mit schweren Riegeln versehene Thür, die eben erst geöffnet sein mochte. Aus dem inneren Raume, der sein Licht durch eine kleine Fensterluke erhielt, ertönten Stimmen, die ihm wohlbekannt waren und sein Herz derart erzittern ließen, daß er einen Augenblick stillstehen mußte. So wurde er unwillkürlich zum Lauscher und vernahm, wie Gerrita mit vor Angst erregter Stimme ihrer jungen Verwandten die Nachricht brachte, daß fränkische Wehrmänner heranrückten und ihr Anführer bereits in den Burghof gelangt sei. »So ist es also doch wahr«, setzte sie zum Schlusse hinzu, »daß unsre Männer besiegt sind und die Feinde das Land verwüsten? Was wird aus uns werden? Welches Schicksal erwartet uns?«

»Welches Schicksal?« entgegnete Editha. »Du Glückliche kannst noch fragen, während für mich jeder Zweifel längst überwunden ist. Was auch geschehen mag, für mich gibt es keine Hoffnung als der Tod.«

»Du redest verwirrte Worte«, entgegnete Gerrita zürnend, »anstatt mit mir zu überlegen, wie wir uns schützen und retten können.«

»Wozu?« hörte er Editha erwidern. »Suche du dich zu retten und zu schützen und überlasse mich meinem Elend. Tage und Wochen lese ich hier im Evangelium der Christen und grüble und sinne und kann es nicht fassen. Da steht von Wundern geschrieben, und dann wieder heißt es: »Kommt her, die ihr mit Mühsal beladen seid, ich will euch helfen!« Ich weiß wohl, der einzelne Mensch verschwindet bei dieser Lehre, die allen gleiche Rechte zuerkennt und selbst im Knechte den Funken göttlicher Abkunft ehrt, aber wessen Seele kann mehr mit Mühsal beladen sein, als die meinige? Somit habe ich wohl auch ein Recht zu der Frage: Wo ist denn der Helfer und Retter und wer führt mich zu ihm?«

Da trat Schlitzwang in die Thür.

Editha saß an einem Tische, auf welchem vor ihr das von dem guten Anselmus geschriebene Evangelium aufgeschlagen lag. Auf ihre letzte Frage erhob sie, wie von einem plötzlichen Schreck durchzuckt, den Kopf, und als sie das Gesicht wendete, sah sie jenen in der Thür stehen. Einen Augenblick starrte sie ihn an, als habe sie eine Vision, dann hatte sie ihn erkannt. Es gab für beide nichts mehr außer ihnen auf der Welt. Editha fuhr empor, und indem sie mit einem Tone, der ihm das innerste Mark durchrieselte, »Du! Du!« rief, stürzte sie auf ihn zu, und er eilte ihr mit offenen Armen entgegen.

Aber noch bevor sie ihre Arme um seinen Hals schlingen konnte, verließen sie die Kräfte, und indem sie noch einmal wie sterbend »Du!« hauchte, glitt sie zu Boden und würde zu seinen Füßen gelegen haben, hätte er sie nicht mit den Armen aufgefangen und an seine Brust gezogen.

190 Wie lange ihr Kopf an seinem Herzen und sein Gesicht auf ihren weichen Haaren ruhte, sie wußten es nicht, denn wie aus seligem Traum erwachend, hob sie endlich langsam den Kopf und neigte ihn etwas zurück. Da begegneten sich ihre Blicke zum erstenmal in vollster innigster Liebe, und was später immer und immer wieder, in Worten ausgesprochen, beide beseligte, in diesem einen Blicke war es voll enthalten: das Geständnis, daß sie im Innern längst einander angehört hatten und daß all die Wirrnisse, das Elend und die wandelvollen und schrecklichen Erlebnisse der letzten Jahre vor der unendlichen Wonne dieses einzigen Augenblicks in nichts versanken.

Gut, daß Jungfrau Gerrita lange Zeit bedurfte, um den ihr völlig rätselhaften Vorfall zu begreifen. Stumm und bewegungslos starrte sie den Fremden an, und als ihr endlich in der Erinnerung sein Gesicht aufdämmerte, war sie ganz zufrieden in dem Gedanken, daß sie in diesem angstvollen Augenblicke, wo sie ihre Ehre schon von wilden Kriegerhorden bedroht wähnte und an schreckliche Mißhandlungen dachte, durch seinen Schutz gesichert sei.

»Du! Du!« wiederholte Editha noch einmal, und ihr Herz jauchzte in dem Tone: »Ich frage nicht, wie das alles gekommen ist und was dich herführt, ich fühle nur, daß du da bist, daß ich mich an dich festklammern kann und wieder leben darf! Du bist der Bote eines neuen Daseins, der mir in der Stunde der höchsten Verzweiflung zugesandt wurde, und dir gebe ich mich mit allem, was ich bin und habe. Ich frage nicht, denn ich weiß es, daß du mich gesucht hast, weil du nicht glücklich sein konntest ohne mich, und so wollen wir denn gemeinschaftlich deinem Gott dienen und ihm danken, daß er uns auf wunderbaren Wegen zusammengeführt und mich aus der tiefsten Not durch dich errettet hat.«

Schlitzwang konnte nichts erwidern, als immer und immer wieder ihren Namen zärtlich flüstern und sie an seine Brust zu ziehen. Aber endlich mußte er doch daran denken, daß er gekommen war, um den Frauen Schutz zu gewähren. Die wenigen Leute, die er bei sich hatte, im Vereine mit dem Ansehen, welches er im Heere besaß und den einzelnen Anführern gegenüber geltend machen konnte, genügten, um die Frauen vor persönlichen Kränkungen zu schützen und ihnen das Notwendigste zu sichern. Er wußte, was er in diesem Falle wagen konnte, und so blieb er denn in der Burg und gab Editha und Gerrita das Versprechen, sie keinen Augenblick wieder zu verlassen.

Der Siegeszug des Königs dehnte sich bald bis nahe zu den Ufern der Elbe hin; überall errichtete er befestigte Lager und gründete Bistümer, von welchen aus die kirchliche Zucht und Ordnung überwacht wurde. Wittekind und seine Gefährten konnten sich nicht mehr halten, und da der König Karl gern die Hand zum Frieden bieten wollte, so sandte er Boten an das jenseitige Ufer der Elbe und forderte den Herzog der Sachsen zur unbedingten Unterwerfung auf. Was blieb dem tapferen Manne anders übrig?

191 Er unterwarf sich und gelobte, die Taufe empfangen zu wollen. Alle übrigen Edelinge wollten seinem Beispiele folgen, aber der König behielt sich die Entscheidung vor, da er entschlossen war, diesmal den Sachsenkrieg völlig zu beenden und die Taufe des Herzogs zu gelegenerer Zeit und unter großer Feierlichkeit vorzunehmen. Einige der widerspenstigen Herren, darunter Wippo und die beiden Krodo, mußten sich als Gefangene stellen und wurden sofort unter starker Bedeckung in das Innere des Frankenreichs abgeführt.

Dann begab sich der König nach Paderborn, um von dort aus weitere Maßregeln zu verfügen. Kaum hatte Schlitzwang solches erfahren, so machte er sich mit Editha, ihrer Muhme und seinem Gefolge auf den Weg zum königlichen Hoflager. Er stattete zuerst dem Könige einen genauen Bericht ab und bat ihn dann um die Erlaubnis, ihm Editha als seine Braut vorstellen zu dürfen.

Der König war offenbar überrascht beim Anblick ihrer Schönheit, und in der That hatte sich Editha so wunderbar verändert, daß Schlitzwang selbst sie oft staunend betrachtete und seine Blicke an dieser Vereinigung von Hoheit und Milde in ihrer Haltung und im Ausdruck ihres Gesichtes weidete. Sie hatte das Beste von Gewändern und Schmuck, was sie unter seinem Schutze vor den beutegierigen Kriegern retten konnte, mitgebracht, und wie sie jetzt, einen Goldreif auf dem lang herabwallenden goldblonden Haare, die edlen Formen ihres Körpers in schön durchwirkte Gewänder gehüllt, sich vor dem König verneigte, konnte sie wirklich mit der zierlichsten fränkischen Edelfrau in die Schranken treten.

Der König redete sie sehr gnädig an.

»Ihr erzeigt mir eine Ehre, edle Jungfrau«, sagte er, »daß Ihr diesem Manne, der sich freiwillig in meinen Dienst begeben hat, Eure Hand reichen wollt. Ich kenne den Stolz der sächsischen Edelinge und weiß, daß jeder einzelne sich im Range dem größten Fürsten gleichdünkt. Nichts könnte mir willkommener sein, als wenn Euer Beispiel Nachahmung fände, und da ich meine eigne Tochter mit meinem Geheimschreiber Eginhard vermählt habe, so mögt Ihr daraus erkennen, wie hoch ich solche Männer schätze. Euer zukünftiger Gatte soll Euch im Range so nahe gerückt werden, als es in meiner Macht steht, und es soll meine Sorge sein, ihn zu den Edlen meines Reichs zu erheben, bevor er Euch als Hausfrau heimführt.«

Bescheiden entgegnete Editha: »Nehmt meinen Dank, erhabener Herr und König, aber wenn Ihr gnädigst gestattet, so verzichte ich gern auf einen höheren Rang und bescheide mich damit, das Weib des Mannes zu sein, den ich achte und liebe und der durch Eure Gnade bereits die höchste Auszeichnung, Euer Vertrauen, besitzt.«

Diese Antwort erfreute den König in hohem Maße und in seiner Herablassung erbot er sich, an dem Tage, an welchem Edithas Übertritt zum Christentum und die Vermählung gefeiert werden sollte, selbst als Zeuge dieser heiligen Handlung zugegen zu sein.

192 Wenn Schlitzwang später manche Abendstunde am traulichen Herde des Hauses verlebte, konnte er oft gar nicht begreifen, wie schnell die Zeit dahinschwand. Freilich wer im Dienste eines so gewaltigen Monarchen steht, behält wenig Zeit übrig, um sie dem Glücke, welches der Besitz eines geliebten Weibes gewährt, widmen zu dürfen. Manchmal war Schlitzwang Wochen und Monate von Editha und den Kindern getrennt, und wenn sie dann wieder vereinigt waren, so reichten die Stunden für ihn nicht aus, um sich an den lieben Augen seines schönen Weibes und an der kräftigen Entwickelung seiner Kinder zu erfreuen. Des Königs Gnade hatte ihm in seinem Landsitze zu Höxter an der Weser einen bleibenden Wohnsitz verliehen, und da Karl öfter dort selbst oder in Paderborn Hof hielt, so traf es sich nicht selten, daß der angesehene Schreiber an großen Jagden und andern Festlichkeiten teilzunehmen veranlaßt wurde, bei welchen Gelegenheiten Edithas Anstand und Anmut sowie ihre Sicherheit im Umgange stets neue Triumphe feierte.

Im zweiten Jahre nach ihrer Verheiratung hatte der König ein großes Hoflager in Paderborn abgehalten und viele Bischöfe, Grafen und sonstige Großen des Reichs dahin entboten. Man kann es niemals allen Menschen in der Welt recht machen, und so fanden denn auch derartige Festlichkeiten bisweilen Tadler, weil die Menschen nicht einsehen wollten, daß ein Mann, der wie König Karl fortwährend von den Geschäften des Reichs in Krieg und Frieden in Anspruch genommen war, auch einmal im Kreise heranblühender Töchter und Söhne sich freudigem Genusse überlassen und dem Mutwillen der Jugend sein Recht vergönnen wollte. Außerdem wurden durch solche Festlichkeiten die Großen aus verschiedenen Gegenden des Reichs zusammengeführt und auf diese Weise vieles zur besseren Verständigung und zur Ausgleichung der Gegensätze beigetragen.

Damals ward auch Schlitzwang in Paderborn die Freude zu teil, die trauten Beziehungen zu dem Grafen Eschburg erneuern zu können. Völlig geheilt, erschien er gleichsam verjüngt, und hochbeglückt von der Liebe seiner Tochter Hedwig, die mehrere Bewerber um ihre Hand abgewiesen hatte, um nur ihrem Vater und ihrem Sohne zu leben.

An Gottfried konnte man erkennen, welche guten Folgen der Aufenthalt in der Waldwildnis während seiner Kindheit für ihn gehabt hatte. Er war nicht nur ein Bild der Kraft und Gewandtheit, sondern die Frische und Kindlichkeit seines Wesens bezauberte alle Welt. Im Scherze wurde er bereits als der »Zukünftige«, von Edithas Töchterchen, das damals kaum ein Jahr alt war, betrachtet, ihm aber damit keine Mißheirat zugemutet, denn der König hatte als Taufgeschenk für das Töchterchen ein Dokument erlassen, in welchem sämtliche Nachkommen aus Schlitzwangs Ehe mit der sächsischen Herrentochter Editha in den erblichen Grafenstand erhoben wurden.

Auch Eginhard und seine Gemahlin erschienen in Paderborn, und die Frauen wurden rasch ebenso befreundet wie die Männer es von jeher waren. 194 Eginhard lebte meist auf einem von seinem Schwiegervater erhaltenen Gute unweit des Odinwaldes. Dort hatte er ein anmutiges Landhaus nebst einer Stiftskirche erbauen lassen, ein wahres Kleinod der Baukunst. Jene sagenreiche Gegend, in welcher Held Siegfried mit seiner Kriemhild gelebt haben sollte, wurde für Eginhard eine wahre Stätte des Glückes. Der König gab seine Zustimmung, daß jene Ansiedelung, wo seine Tochter mit ihrem Gatten die glücklichsten Tage verlebte, den Namen »Seligenstadt« erhielt.

Da Schlitzwang den König wiederholt auf seinen Reisen begleitete, so sah er von Zeit zu Zeit die Freunde wieder. Auch war er zugegen, als das bedeutungsvolle Ereignis der Taufe Wittekinds und seiner Gemahlin Gera bei Attigny im Frankenlande stattfand. Viele Edelinge waren Wittekinds Beispiele gefolgt, aber unter denjenigen, welche sich starrsinnig der Annahme des Christentums widersetzten, befanden sich die beiden Krodo und Wippo von Süpplingenburg. Getreu seinem gefaßten Entschlusse, schickte der König Frau Radegunda zu ihrem Vater nach Friesland zurück und wies den widerspenstigen Edelingen einen entfernten Ort an der fränkischen Meeresküste zum Aufenthalte an. Krodo Vater und Sohn wußten sich jedoch dieser Verbannung durch die Flucht zu entziehen, und begaben sich nach Friesland an den Hof des Herrn Radbod, wo sie mit Radegunda und ihren Kindern wieder zusammentrafen. Von dort aus wurden dann unablässig feindselige Pläne gegen Karl und das Christentum ausgeheckt und Bündnisse mit andern heidnischen Völkern des Nordens geschlossen. Es war ein bitterer Tropfen in dem süßen Kelche des Glückes, daß immer von Zeit zu Zeit wieder die nächsten Angehörigen Edithas als wütendste Gegner ihrer neuen Heimat genannt wurden.

Übrigens machte das große Werk des Königs Karl stetig weitere Fortschritte, und da der Nachfolger des Papstes Hadrian in dankbarer Anerkennung des Schutzes, den die viel bedrohte Kirche bei dem mächtig gewordenen Frankenherrscher fand, diesen später zum Kaiser oder Nachfolger der römischen Cäsaren salbte, so hatte bald seine irdische Herrlichkeit ihren höchsten Gipfel erreicht.

Karl der Große zum Kaiser gekrönt

In der engeren Heimat Edithas fand das Christentum nur langsam Boden und stieß bei dem hartnäckigen, jeder Neuerung schwer zugänglichen Volke auf außerordentliche Schwierigkeiten. Mit größter Umsicht, aber auch mit unbeugsamer Strenge verfolgte der König seine Absichten. Die großen Volksfeste mit ihrem wüsten Treiben wurden verboten, und da sich trotzdem in der Frühlingszeit eine Menge Gesindel und alte Weiber, die noch an den früheren Gebräuchen hingen, auf dem Blocksberge einfanden, um die großen Feuer tollten und sich an Stechapfelgebräu berauschten, so ergingen die strengsten Erlasse, um solchen Unfug zu verhindern. Bei den besserdenkenden Bewohnern der Gegend hatten diese sinnlosen Belustigungen längst Abscheu erregt. Im Volke aber erzählte man sich, der böse Feind, der ewige Widerpart des Christentums, erscheine alljährlich auf dem Blocksberge, um die alten Frauen zu einem Bündnis gegen die Lehre des Heils zu verlocken.

195 Zur Schonung der herkömmlichen Gebräuche in den sächsischen Gegenden befahl der König, daß die Gerichtssäulen auch später an den Orten verblieben, wo Recht gesprochen wurde, ja er ließ sogar neue Bildsäulen aus Stein anfertigen und da damals der Tod des edlen Roland im Liede hochgefeiert und viel besungen wurde, brachte das Volk diese ganz verschiedenen Dinge zusammen und nannte das Sinnbild der Gerechtigkeit häufig den »steinernen Roland« oder die »Rolandssäulen«, als seien sie zum Gedächtnis des vielbetrauerten Helden von Roncesvalles errichtet.

Das Gebiet, welches früher unter Krodos Herrschaft stand, hatte der König mit der Herrschaft Heinrode vereinigt, und Herr Heino, der in der Taufe seinen Namen in Heinrich umwandelte, wurde zum Grafen und Herrn des ganzen Gaues ernannt. Besonders dankbar erwies sich der König gegen Jungfrau Witta, des Herrn Heino unverheiratete Schwester. Durch sie war er auf einen Umstand aufmerksam gemacht worden, dessen Berücksichtigung für die weitere Entwickelung des Christentums im Sachsenlande von Wichtigkeit sein konnte. Bei dem Dünkel der sächsischen Edelinge kam es häufig vor, daß die Töchter aus edlen Häusern unvermählt blieben und auf den Burgen ihrer Väter oder Brüder ein wenig beneidenswertes Dasein führten. Da mußte es zum Segen gereichen, daß der König Klöster stiftete und diese zur Versorgung edler Jungfrauen bestimmte. Gern ergriff Karl diesen Wink und machte sofort den Anfang mit der Stiftung eines Klosters, welchem er Jungfrau Witta als Vorsteherin gab. Auch für Gerrita fand sich eine ähnliche Versorgung, und Editha war nicht traurig darüber, als die Muhme ihren Familienkreis verließ, um die neue Würde anzutreten.

Der König verlieh diesen Stiftungen hinlänglich Land, damit sie unabhängig bestehen konnten; außerdem war es eine feststehende Bestimmung, daß nur Töchter aus den edelsten Familien daselbst Aufnahme fanden.

Die Räte des Königs hatten längst eingesehen, daß das Volk sich erst nach vielen Menschenaltern von der uralten Gewohnheit unbedingten Gehorsams gegen seine angestammten Herren befreien werde; es galt daher, vorerst die Edelinge soviel als möglich mit den neuen Einrichtungen zu versöhnen. Bei dem klugen und nüchternen Sinne dieser Nordlandsrecken war nur durch Nützlichkeitsgründe etwas zu erreichen. Niemals würden sie Klöster als Zufluchtsstätten für beschauliche Schwärmerei geduldet haben, während ihnen dieselben als Schulen und Erziehungsanstalten für ihre Sprößlinge oder als Versorgungshäuser für die alternden Töchter vornehmer Familien verständlich und genehm waren. Die Bistümer und Abteien als Entschädigung für die jüngeren Söhne der herrschenden Geschlechter hinzunehmen, bereitete ihnen noch weniger Kopfzerbrechen.

Als Schlitzwang nachmals in Begleitung Edithas Herrn Heinrichs neues Gebiet besuchte, wurden sie von allen Gliedern der Familie herzlich begrüßt. Auch hatte der Schreiber die Freude, sein altes Mütterchen noch wohl am Leben zu finden. Sie selbst begnügte sich mit dem Bewußtsein, daß es dem Sohne wohl gehe.

196 Doch konnte sie sich nicht entschließen, ihr Heimatsdorf zu verlassen, und da der Schreiber sie gut aufgehoben wußte, ehrte er ihren Willen und entzog sie nicht der gewohnten Ruhe in ihren alten Tagen.

Der älteste Sohn der Frau Ilse, der gleichfalls Heinrich getauft war, schien sehr schwächlich. Daher ward sein jüngerer Bruder, Bruno genannt, der mit einer Tochter des Herzogs Wittekind vermählt war, später zur Nachfolge bestimmt. Er war ein aufgeweckter, ganz im Geiste der neuen Zeit erzogener junger Edeling, der sich mit vielerlei Plänen zur Verbesserung des Landes trug.

Das Evangelienbuch des guten Anselmus hatte Schlitzwang seiner ältesten Tochter bestimmt, und da sie sich später wirklich mit dem jungen Grafen von Eschburg vermählte, so kam das kostbare Vermächtnis des frommen Märtyrers doch noch in den Besitz seiner Nachkommen.

Große wohlverdiente Freude erlebte Schlitzwang an seiner Bearbeitung der heiligen Schriften des Evangeliums, die er nach einer Reihe von Jahren völlig beendete. In der Sprache seiner Heimat wurde das Wort Heiland wie Heliand geschrieben, aber die Aussprache war dieselbe. Davon erhielt sein Werk den Namen. Wie der Heliand als Abkömmling der jüdischen Könige das Land seiner Väter durchzieht und mit begeisterten Worten und wunderbaren Thaten das Volk für sich gewinnt, bis einer seiner Gefolgsleute ihn verrät und dem Tode überliefert, aus welchem er dann siegreich wieder ersteht, das alles wurde bald auf allen Edelhöfen und bei den Volksversammlungen vorgetragen und mit großer Begeisterung von alt und jung angehört. Gott würdigte den Dichter, den Erfolg seines Werkes an der Seite eines lieben Weibes und im Kreise blühender Kinder zu erleben.


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