Johannes Gillhoff
Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer
Johannes Gillhoff

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Von Kirchen und Pastoren

Ich schicke dir das Bild von unserer neuen Kirche. Sie ist ein Jahr zurück fertig geworden. Sieht sie nicht ganz schmuck aus? Es liegen aber noch beinahe 2500 Dollars Schulden drauf. Die Ernte ist gut gewesen; so wollen wir es zu Neujahr glattmachen. Länger können wir nicht damit warten. Der liebe Gott könnte sonst denken: Was es doch für sonderbare Menschen hier im Busch gibt! Da haben sie mir ein neues Haus gebaut; da sitzen sie nun und singen: Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen – und dabei haben sie noch 2500 Dollars Schulden drauf liegen. – Ein bißchen kahl liegt sie ja noch da auf ihrem Hügel. Aber die Anlagen können noch ein Jahr warten. Für den Anfang ist eine schöne neue Kirche ohne Anlagen besser als eine schlechte mit hübschen Anlagen. Ein schlechter Rock und eine neue Schürze, das gleiche ich nicht.

Was hat sie für einen staatschen Turm! Wenn wir den am Sonntagmorgen sehen, dann freuen wir uns schon von ferne. Oben steht ein richtiger Wetterhahn. Der ist vergoldet, daß er man so blinkt. Das hat ein Turmhahn gern, wenn er vergoldet ist. Darum dreht er sich auch gern um sich selbst. Aber sonntags betrachtet er sich die Welt nach allen vier Winden. Da paßt er auf, ob auch alle kommen tun, die zu unserer Kirche belangen. Aber das Rufen besorgen die Glocken, denn siehe, er kann nicht krähen. Wir sind fröhlich darum, daß wir die neue Kirche haben, und es war eine sehr schöne Einweihungsfeier. Der Pastor predigte über das Wort: Bis hierher hat der Herr geholfen. Das paßte gut. Das haben wir uns aufmerksam ins Herz genommen.

Einen neuen Kirchhof haben wir auch gleich angelegt. Erst wollten wir unsre Toten auch da oben zur Erde bringen. Aber von der schönen Aussicht haben sie doch nichts, und dann war der Platz da oben auch man knapp. So haben wir ihn unten am Hügel angelegt. Die Glocken und die Orgel gehen da auch über ihr Grab. So haben wir einen Sammelplatz für die Toten und einen für die Lebendigen dicht beieinander, und wenn unsereins da sonntags so durchgehen tut, da weiß man gleich, wo man hingehört und wo man mal hinkommen wird. So wie die Menschen nun einmal getrachtet sind, ist es ihnen ganz gut, wenn sie dann und wann mal zwischen Gräbern stehen und sich mit den Toten bereden. Da spricht der eine: Wie geht es bei mir zu Hause? Siehst du dich auch mal um nach meinen Kindern und nach der Wirtschaft? Du hast es mir doch versprochen, als ich so krank war. Und der andere sagt: Du warst lange nicht bei mir. Wo bist du so lange gewesen? Du hast mich doch nicht vergessen? Aber der dritte meint: Dat is nett, dat du kümmst. Du wist di hier woll en paßrechten Platz utsäuken! – Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, man hat da sonntags genug zu tun, wenn man seinen Toten Rede und Antwort stehen will. Aber wenn der Mensch alt wird, muß er sich doch Zeit dazu lassen. Sonst kann er nicht verlangen, daß andre stehenbleiben und zuhören, wenn er selbst da auf dem Kirchhof wohnt und ihnen was zu sagen hat. Ich will dir davon ein Gleichnis machen. Das ist so, als wenn ich am Zaun stehe und da kommt ein guter Freund die Straße lang. Ich will ihn was fragen, aber er geht weiter und hört nicht zu. Hier auf der Farm kann ich ihm nachlaufen; auf dem Kirchhof geht das nicht gut. Da muß ich warten, bis die Freunde zu mir kommen. Aber sonst ist das ähnlich so. Das haben die Toten gern, daß man sie lieb behält und sich in der Stille so'n bißchen mit ihnen beredt. Und für die Lebenden ist das auch ganz gut, wenn sie sich mal über sich selbst besinnen.

 

Ein paar Wochen zurück hab ich dir von unserer neuen Kirche erzählt und vom Kirchhof. So will ich dir heute einen Bericht machen von unserm neuen Kirchenofen. Der kostet 264 Dollars, alles gerechnet. Der wird am Sonnabend angesteckt. Der mußte rein, denn wenn wir im Winter unsere fünf bis zehn Meilen gegangen, geritten oder gefahren sind, noch dazu bei unsern Wegen und bei unserm Wetter, dann wollen wir in der Kirche nicht in nassen Kleidern und Stiefeln sitzen und frieren. Der liebe Gott hat da auch kein Wohlgefallen an, wenn er sich die durchgefrorene Gesellschaft mit ihren roten Nasen und nassen Füßen besieht. Mit Klapperzähnen kann man Gott nicht lobsingen. Es ist schon der zweite Ofen, den wir haben. Der erste war billig, aber er war von der umgekehrten Weltordnung. Die Hitze ging zum Schornstein raus, dafür ging der Rauch rein. Da bin ich mit einem andern Gemeindevorsteher auf Reisen gegangen, Land anzubesehen, Freunde zu besuchen, Korn zu kaufen, Vieh zu verkaufen. Aber auf Kirchenofenreisen sonst noch nicht. Wir haben die Kirchenöfen in andern Gemeinden studiert, woans sie inwendig und auswendig getrachtet sind. Das war bald nach Neujahr, denn das ist dazu eine ganz paßliche Zeit. Da haben wir viel erlebt, und ich könnte dir sonderbare Geschichten von Menschen und Öfen erzählen. Aber ich will keine Namen nennen und dir bloß eine Geschichte erzählen.

In einer Kirche kamen wir bei großer Kälte an, und der Ofen war auch geheizt, und er rauchte auch, denn das Rohr war geplatzt. Aber der Pastor stand auf der Kanzel und tat eine Predigt vom Hauptmann von Kapernaum und von seinem Knecht, und alles war blau. Er mußte da oben gewaltig husten, und seine Stimme war wie eine Stimme aus den Wolken. Da stand der Kirchenvorsteher auf. Das war nach seinem Herkommen ein Mann aus Schwaben und aus Pennsylvanien zugezogen. Aber sonst ist er ein ordentlicher Mann und belangt auch zu unserer Synode. Meist sind da sonst auch Plattdeutsche. Der war es. Der sah, daß das nicht ging. Er dachte: Das wollen wir schon fixen! Da stand er auf. Da sprach er durch den Rauch und das blaue Wolkenwerk nach der Gegend hin, wo der Pastor auf der Kanzel hustete und predigte: Please. Preacher, stop a little! Mer müsse erscht das Ofenrohr fixe! – Da hörte der Pastor auf mit dem Predigen und hustete bloß noch. Der Mann aus Schwaben aber rief zum andern Mal. Er rief in die Kirche hinein: John, tu mal 'ne Bench angreife! Dann machten sie das Rohr wieder dicht, und wir sahen zu und paßten auf. Sie machten ihre Sache ganz gut, und wir konnten ihnen anmerken, daß es nicht das erstemal war, daß solches in der Kirche vorkam.

Als der gröbste Rauch abgezogen war, da war der schwäbische Mann ganz zufrieden mit seinem Werk. Er sprach: So, Preacher, now kanscht weiter schwätze! Und dann predigte der Pastor weiter vom Hauptmann von Kapernaum und von seinem Knecht. Als aber die Kirche aus war, da hatten wir genug gesehen und fuhren nicht mehr weiter. Ich sprach zu Schröder: Schröder, sprach ich, soll ich dir ansagen, was meine Meinung ist? Er sprach: Sage an! Ich sprach: Der Hauptmann von Kapernaum ist schon lange tot, und der andere war man bloß ein Knecht. Aber es paßt sich doch nicht, daß sie beide so lange warten müssen, bis das Ofenrohr wieder gefixt ist, denn es sind heilige Leute. Wenn wir nun weiterziehen, dann kann es am nächsten Sonntag dem heiligen Apostel Paulus oder einem andern passieren, daß er auf der Kanzel auch so lange warten muß, bis das Ofenrohr wieder gefixt ist. Was ist deine Meinung? Schröder sprach: Deine Meinung ist meine Meinung. – So sind wir wieder zurückgefahren und haben in der Gemeindeversammlung Bericht getan. Da haben sich alle sehr gewundert. Sie haben gesagt, woans so was möglich wäre. Siehe, so haben wir jetzt den neuen Ofen zu 264 Dollars.

Unser Pastor ist seinem Herkommen nach aus Pommern, wovon bei uns die Mädchen auf der Straße sangen: Pommerland ist abgebrannt. Daher stammt er auch. Darum ist er auch ein Plattdeutscher und paßt zu uns. Sein Vater ist ein Bauer gewesen, darum paßt er erst recht zu uns. Das ist mit ihm so, wie mit dem alten Pastor Timmermann in Eldena. Der verstand seine Leute auch, weil er ein Bauernsohn aus unserm Dorf war. Unsen Preister geiht dat Plattdütsch bannig fix von'n Mund weg. Aber auf der Kanzel ist er hochdeutsch. Da predigt er Gottes Wort lauter und rein nach der Schrift und dreht nicht lange dabei herum. Achterkorn und Spreu und Menschenwort ist nicht dazwischen. Er gibt uns das auch ein wie mit einem Eßlöffel, immer einen ordentlichen Schluck, so wie der alte Doktor Steinfatt in Ludwigslust es machte. Der verschrieb seinen Kranken auch gleich eine ganze Kannbuddel voll. Das ist für uns Schlag Menschen auch besser als so ein paar Tropfen, die nicht den Weg über die Zunge finden. So ist das mit Gottes Wort hierzulande auch. Wenn wir unsern langen Kirchgang hinter uns haben, dann wollen wir auch nicht, daß der Pastor nach zwanzig Minuten beim Amen ankommt. Wenn wir sitzen, dann sitzen wir fest. In der Kirche auch. So predigt er meist eine klockenigte (geschlagene) Stunde. Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, er posaunt mit großer Kraft und herrlichen Wörtern auf der Kanzel. Seine Wörter sind wie ein richtiges Donnerwetter und haben keine Handschuhe an. Damit fährt er uns über die Ohren und Herzen, daß sich eine Ehrfurcht auf unsre Seelen setzt. Das ist, als wenn Gottes Gericht mit Blitz und Donner kommt. Damit predigt er uns so zusammen, daß wir vor lauter Angst der Seelen seufzen und schwitzen, und er schwitzt auch. Denn er läßt sich das sauer werden mit uns.

Dazu schlägt er mit der Faust auf die Kanzel, daß es man so knallt. Das meint, er zerschmettert dann den Teufel. Manchmal ist das aber auch wie Ja und Amen und: Das ist gewißlich wahr! Und manchmal, wenn er seine Hände folgt, dann ist es wieder, als wenn er all unsre Sorgen darin zusammenfaßt und vor Gott bringt. Dann folgen wir auch unsre Hände. Das kommt dann ganz von selbst und muß so sein. So geht das immer weiter fort in der Andacht, und an Schlafen denkt da kein Mensch. Aber zuletzt läßt er das Blitzen und Donnern und Erdbeben sein. Dann kommt das stille, sanfte Säuseln. Damit richtet er seine Buschleute wieder auf, nachdem er sie zuvor niedergedonnert und zerschlagen hat um ihrer Sünde willen. So haben die Frauensleute auch was davon. Denn sie hören den letzten Teil der Predigt lieber als das Donner- und Gewitterstück zu Anfang.

Auch hab ich einen Sonntag gesehen, da predigte er wieder gewaltig, und dazu schlug er mit der Faust auf die Kanzel. Da fiel ein großes Stück Kalk von der Wand. Es war noch in der alten Blockhauskirche. Mein Nachbar sprach: Szüh, nu deiht em de Hand acht Dag' lang weih, un wi hebben den Schaden dorvon, denn wi möten dat un wedder utwitten laten. Aber ich hatte es wohl gesehen, der Kalk war an der Stelle schon vorher eingesprungen, und nun fiel der Klacken runter. Ich habe nachher noch oft nach der Stelle hingesehen, solange die Kirche stand. Denn sie sah ungefähr so aus wie Land Mekelborg auf der Karte. Auch war daneben noch ein kleines Stück abgesprungen, das war die Insel Pöl bei Wismar. Das hab ich ganz gern angesehen, denn der Mensch muß immer was Festes vor Augen haben. In der Kirche auch. Und den Pastor kann man nicht immerzu ankucken.

Weil er uns Gottes Wort verkündigt, darum achten wir ihn, und weil er so viel Mühe hat von unsern dicken Köpfen, darum achten wir ihn auch. Er läuft auch nicht die ganze Woche rum im Chorrock, und den Kanzelton läßt er in der Woche auch zu Hause. Das gefällt uns erst recht an ihm. So tun wir auch was für ihn. Er hatte nur 400 Dollars einzukommen. Aber wir haben ihm aufgelegt, und seine Frau bekommt noch viel Schinken und Wurst in die Küche hinein. Wenn der Pastor und der Lehrer es verstehen, die Gemeinde heranzuziehen, dann läßt sie sich nicht lumpen und gibt gerne.

Er war niemals fort und hatte keine Ferien. Aber in seinen Augen hatte er zuletzt schon den richtigen amerikanischen Geierblick. Den kriegen hier viele Menschen, die mit dem Kopf arbeiten müssen und nicht ausspannen können. Auch waren seine Backen uns zu hohl. Ein Pastor soll das Vaterunser beten, aber man soll ihm nicht das Vaterunser durch die Backen ablesen können. So haben wir heimlich für ihn gesammelt, daß er zur Verlöschung mal nach Deutschland reiste. Als das Geld zusammen war, sagten wir: Soll der Mann allein reisen und die Frau hierbleiben? Das hat keinen Schick. Sie muß mit. – So sammelten wir noch einmal. Es waren im ganzen 800 Dollars. Wir sprachen: Nun reisen Sie man in Gottes Namen los, und vor einem halben Jahr brauchen Sie nicht wiederzukommen. Sehen Sie man zu, daß Sie ein paar Pfund Fleisch mehr mitbringen an Ihrem Leib und rote Backen auch; sonst halten Sie das hier bei uns nicht aus. Wir werden in der Zeit nicht verwildern. Und wenn es doch geschehen sollte, dann donnern Sie uns nachher wieder zurecht. Da reisten sie beide hin. Als sie fort waren, da rissen wir sein Haus gleich nieder und bauten ein neues, denn das andre war alt und ein windschiefer Kasten. Unten an der Lehne vom Kirchenhügel haben wir es gebaut und einen großen Garten dazugelegt. Als alles fertig war, da war der Sommer hin. Als alles trocken war, da kam er zurück und wußte von nichts. Seine letzten Karten hatte er bei deinem Sohn in Bremen geschrieben. Unsre Frauen und Töchter sprachen: Das neue Priesterhaus sieht zu kahl aus. Wir wollen da schöne Girlanden und bunte Inschriften anbringen; das ist lustig anzusehen. Denn siehe, lieber Freund, das ist eine ganz andre Nation, die, wo sich gern mit Blümeleins abgibt. Ich sprach: Girlanden könnt ihr machen, aber macht sie man lieber aus lauter Wurst, und zu den Inschriften nehmt man Speckseiten. Das ist lustig anzusehen und gut davon zu essen. – So geschah es auch, und die neue Speisekammer machte einen sehr nahrhaften Eindruck. Bloß an der Haustür hatten sie doch Blumen angebracht. Na, denn man tau!

Drei Jungs saßen oben auf der Scheune und kuckten aus nach der Post, denn eine Eisenbahn hatten wir noch nicht. Als der Wagen aus dem Busch kam, schwenkten sie mit der Mütze. Und dann gab es große Augen zu sehen. Sie haben sich sehr gewundert und gefreut. Seine Frau zweimal. Das zweitemal in der Speisekammer. Die sah sehr wohlgefällig aus. Dann hielt der Pastor uns eine Lob- und Dankrede. Die ging uns glatt ein. Das hat der alte Adam gern, wenn er gestrakt wird. Dat kettelt em. Er aber hatte richtig ein paar Pfund Fleisch mehr mitgebracht, und seinen Geierblick war er auch wieder losgeworden, und das hat uns am meisten gefreut. Denn es ist hier nicht so, wie in einer andern Gemeinde, die ich auch kenne. Die achtet ihren Pastor bloß, wenn er gut Mist aufschlagen kann.

 

In der neuen Kirche haben wir auch eine neue Orgel. Die alte quiekte zu sehr. Sie heulte immer noch, wenn der Pastor schon lange auf der Kanzel stand. Das kam vom Wetter. Sie wußte damit so gut Bescheid wie die Knochen von meiner Großmutter. Aber der alte Lehrer konnte nicht recht auf ihr örgeln. So hat dem Pastor seine Frau das besorgt, bis endlich der neue Lehrer kam. Der hatte den richtigen Handschlag und kannte sich gleich aus auf ihr. Bloß, er konnte sich nicht recht stellen mit unserm alten Windmacher. Das war ein stiller Mann und stand hinter der Örgel. Da paßte er auf, daß ihr die Puste nicht ausging. So war er ein Handlanger an Gottes Wort und Lobgesang und rechnete sich scharf zur Geistlichkeit. Er sprach: Die Örgel geht noch ganz gut, aber sie ist verkehrt aufgeschlagen. Nach vorn gehöre ich hin, denn ich bin das Haupt. Wenn ich keinen Wind mache, kann der Schulmeister nicht örgeln, und wenn der Schulmeister nicht örgelt, kann der Priester nicht predigen. Darum so muß sich sein Predigen nach meinem Wind richten, und darum gehöre ich nach vorn.

Das war sein geistlicher Hochmut, und einen Zylinderhut trug er auch. Aber die alte Örgel kannte er ganz genau, wenn sie auch noch so heimtückisch war. Wenn das Wetter in der Woche umschlug, dann weissagte er das schon am Sonntag, denn siehe, er kannte alle ihre Gichten. Einmal hatte er uns sogar einen Blizzard gewahrsagt, und das kann nicht mal der Präsident. Bloß eingetroffen ist es nicht.

Weil er nun schon so viele Jahre mit dem Windkasten seine Hantierung hatte, darum hatte er es gründlich rausgekriegt, wie oft er am Sonntag bei den Liedern zutreten mußte; denn er war ein scharfer Rechner. Und das ging alles sehr gut, solange die Priesterfrau und der alte Lehrer örgelten. Als aber der neue aufkam, da spielte er nicht so ebendrächtig wie der alte. Er brachte in der heiligen Musik viele Schwänze an, vorn und hinten, und in der Mitte auch noch, und da war der Krach zwischen vorn und hinten fertig. Die Schwänze waren man ja kurz; aber wenn ich viele kleine Enden Bindfaden zusammenbinde, dann gibt es doch ein langes Ende, und darauf war der alte Windmacher nicht einstudiert. Er mußte nun viel öfter zutreten als sonst. Der da vorn ging der Orgel ganz anders zu Leibe als sein Vordermann. Er registerte auch ganz anders darauf los. Er bedachte nicht, daß die Örgel alt war und ihr Brustkasten klapprig. Sie hatte einen kurzen Atem, wie alte Leute es manchmal haben. Und davon kam der Kirchenstreit.

Es kam einmal ein Sonntag, und da war der Glaube angesteckt. Der Alte wußte ganz genau, wie oft er da zutreten mußte. Aber der neue Örgelmann spielte ihn hier zum erstenmal. Er wollte Ehre einlegen vor Gott und Menschen. Darum zog er alle Register und setzte viele Schwänze an. Das hörte sich fein an, aber nicht lange tat er das. Denn hinten der Windmacher zählte nach dem alten Glauben, und als er 165mal zugetreten hatte, da war sein Glaube zu Ende, und dem neuen Glauben da vorn ging auf einmal die Puste aus, und das war mitten im dritten Vers.

Er konnte nicht weiter. Er lief rum um die Örgel. Er fing an zu schelten. Aber der alte Windmacher wurde zornig in seinem Herzen. Er erhob seine Stimme und sprach: Ich weiß, wieviel Wind zum Glauben gehört: 165 Schlag. Für das Amen gab ich 5 zu. Das macht 170 Schlag. Aber Sie brauchen aufs wenigste 250. Registern Sie man nicht so doll drauf los, als wenn der Wind kein Geld kostet, und lassen Sie man die weltlichen Schwänze raus aus den heiligen Liedern, dann kommen Sie mit meinem Wind gut aus. Ich habe hier viele Jahre Gott treu gedient; aber mehr Wind kann ich Ihnen für Ihren Glauben nicht liefern, wo mein Einkommen so gering ist.

Wir saßen unterdes und hörten zu. Dann machten sie einen Akkord. Der da vorn brauchte freundliche Wörter und ließ ab: 50 Schlag ließ er ab. Der da hinten brauchte trotzige Wörter und legte zu. Aber bloß 30 Schlag, das Amen eingerechnet. So einigten sie sich auf 200 Schlag für den Glauben. Als sie einig waren, ging ein jeglicher wieder an seinen Ort, und wir sangen den dritten Vers noch mal von vorn. Aber dem Orgelmann haben wir nachher gesagt, für sich selbst und beim Einüben könnte er ja örgeln wie er wollte; aber in der Kirche brauchte er nicht so bunt zu spielen. Da wollten wir Gott man lieber auf die alte Weise loben. So hat er es denn auch gehalten und sich ganz gut bei uns eingelebt, denn er war ein vernünftiger Mensch. Er hatte bloß zwei Fehler. Er sagte immer Orgel und nicht Örgel, und beim Kaffeetrinken stippte er immer mit dem kleinen Finger von der rechten Hand in die Luft rein, als wenn er sagen wollte: Seht mich an! Ich bin nichts Gemeines; ich gehöre zur Geistlichkeit. Aber sonst hatte er an seinem Leibe keinen Hochmut.

In dem Stück schlachtete er nach seinem Windmacher. Der rechnete sich auch immer zur Geistlichkeit. Beim Tanzen auch. Dann strich er den Baß. Er verstand nichts davon, aber das junge Volk ließ ihm das Vergnügen, denn es kostete nichts, und den Baß hatte er sich aus einer alten Zuckerkiste hergerichtet. Oben schnitt er ein paar Löcher rein, vier dicke Saiten zog er darauf, so stand er mit seinem Baß in der Ecke und spielte, daß es einen Hund jammern konnte. Er konnte auch nicht recht mitkommen mit der andern Musik, und hinter den Tänzern hinkte er auch immer her. Aber er ließ nicht davon ab. Er sprach: Der Baß kommt mir zu. Wir von der Geistlichkeit sind ruhige Herrschaften. Da paßt die Fidel nicht, sie ist viel zu hiwwelig (aufgeregt). Aber der Baß geht einen bedächtigen Gang. Der Baß ist ein geistliches Musikstück. – Manchmal sang er auch zu seinem Baß. Dann kniff er die Augen zu und schmetterte los: Mit dem Pfeil, dem Bogen. Das eine konnte er man, und das sang er auf jede Melodie, und das konnte wieder einen Hund jammern. Er hat sich selbst aber immer ganz gern zugehört, und darum hat ihm niemand etwas gesagt.

Jetzt ist dem alten Windmacher selbst die Puste ausgegangen, und ich weiß nicht, ob er im Himmel auch Wind machen kann, wenn die kleinen Engel sonntags ein bißchen auf der Örgel spielen. Ich wollte es ihm wohl gönnen, denn wieviel Wind zum Glauben gehört, weiß er ganz genau. Aber die kleinen Engel sind ein unruhiges Volk und ein bißchen fahrig. Wenn die auch so viele Schwänze anbringen, dann kann er nicht mehr mit, denn er ist noch einer nach der alten Mode.


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