Otto Gildemeister
Essays - Erster Band
Otto Gildemeister

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Zur Naturgeschichte des Königtums

(1898)

I.

Seit mehr als zweitausend Jahren haben die philosophischen Köpfe, die über menschliche Dinge nachdachten und ihre Gedanken sodann in ein gewisses System zu bringen suchten, die ihnen bekannten Staatsformen in drei Hauptklassen geteilt, Monarchie, Aristokratie, Demokratie. Erst in neuerer Zeit haben die Gelehrten allerlei neue Einteilungen versucht, weil sie bemerkten, was übrigens auf der Hand liegt, daß jene althergebrachte dreifache Benennung keineswegs alle und nicht einmal die wichtigsten Verschiedenheiten, die in der Naturgeschichte des Staats vorkommen, charakterisiere. Oder vielleicht auch weil sie es überdrüssig waren, Grenzlinien zu ziehen, die schon so viele andere vor ihnen gezogen hatten. In dem allerneuesten Werke, das sich ex professo mit dieser Materie beschäftigt, ist man zu derselben Einteilung zurückgekehrt, deren sich Herodot und Aristoteles, Cicero und Polybios bedient haben. »Naturlehre der Monarchie, Aristokratie und Demokratie« hat Roscher sein Buch betitelt. Er meint, daß, alles wohl erwogen, der alte aristotelische Weg noch immer nicht veraltet sei und daß man die politischen Erscheinungen selbst unserer Tage immer noch am einfachsten unter die von dem griechischen Denker aufgestellten drei Kategorien subsumiere und am wirksamsten von da her erläutere. Es wiederholt sich hier, was wir auch auf dem Gebiete der Poetik beobachten, wo die alte Einteilung, Drama, Epos, Lyrik, immer von neuem als die brauchbarste anerkannt wird, so oft auch scharfsinnige Köpfe versucht haben, rationellere Abgrenzungen einzuführen.

Alle solche Einteilungen dienen schließlich doch nur dazu, dem menschlichen Verstande die ungeheure Massenhaftigkeit des Stoffs und die verwirrende Mannigfaltigkeit der Erscheinungen einigermaßen faßlich und übersichtlich zu gestalten. Jeder Einsichtige weiß, daß die von der Wissenschaft gezogenen Linien in der Wirklichkeit nicht existieren, daß in dieser vielmehr alles ineinander verfließt, sich kreuzt und vermischt, und daß man zu großen, umfassenden Begriffen, Gruppen, Klassen nur gelangt, indem man – vorläufig – eine Menge verschiedenartiger Einzelheiten ignoriert. Er weiß auch, daß sehr oft gerade diese Einzelheiten für die Wirklichkeit das Wichtigere sind. Großbritannien und Rußland werden beide in die Klasse Monarchie, Honduras und Massachusetts beide in die Klasse Demokratie eingestellt; wie verschwindend wenig bedeutet in solchen Fällen das Gemeinsame gegen das Unterscheidende! Die heutige Zeit krankt aber sehr an einem Mangel, der es nicht überflüssig erscheinen läßt, an die so einfache Wahrheit zu erinnern, daß die Kategorien der Wissenschaft lediglich Hilfsmittel zur Erkenntnis sind, nicht die Erkenntnis selbst. Eine Menge Menschen, gelehrte Systematiker und ungelehrte Parteileute, urteilen vorwiegend nach den abstrakten Begriffen, die zu Schlagwörtern werden, ohne zu bedenken, daß der Name, den ein Ding führt, über seinen Wert nichts aussagt. Der Prometheus des Äschylus und die »Großstadtluft« werden beide Drama genannt; Pindars Oden sind wie »Freut euch des Lebens« und »Ei du lieber Augustin« lyrische Gedichte.

Noch ein zweiter Umstand kommt hinzu, um die Wichtigkeit der systematischen Einteilungen herabzudrücken. Das monarchische, das aristokratische, das demokratische Prinzip läßt sich im philosophischen Laboratorium rein darstellen, wie Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, aber wie diese Stoffe in unserer Atmosphäre nur vermischt vorkommen, so herrschen jene Prinzipien im wirklichen Staate immer gleichzeitig nebeneinander, und nur darin unterscheiden sich die drei Hauptformen, daß bald das eine, bald das andere vorwiegt. »Die einzelnen Elemente des Staats,« sagt Roscher, »kann die Wissenschaft mit voller Schärfe in monarchische, aristokratische und demokratische einteilen; daß aber in der Wirklichkeit ein ganzer Staat aus bloß monarchischen, bloß aristokratischen oder bloß demokratischen Elementen bestanden hätte, davon ist mir wenigstens kein Beispiel vorgekommen.« – Der Vergleich mit der Atmosphäre trifft auch insofern zu, als auf einer richtigen Mischung der Elemente sowohl die Zuträglichkeit der Luft für den körperlichen Organismus als auch die Zweckmäßigkeit der Staatsverfassungen zu beruhen scheint.

Und dies sogenannte Prinzip, das so viel im Munde geführt wird, worin besteht es? Das berühmte Wort Montesquieus, daß das Prinzip der Monarchie die Ehre, der Aristokratie die Mäßigung, der Demokratie die Tugend sei, hat wohl noch niemand klüger gemacht als er ohnehin war. Roscher findet das Prinzip, das heißt den charakteristischen Entstehungsgrund und die charakteristische Tendenz der Monarchie in der Einheit, der Aristokratie in der Ausschließung, der Demokratie in der Gleichheit. Damit kommt man erheblich weiter. Man sieht zum Beispiel sofort ein, weshalb ein monarchisches Element in jedem Staate sich entfalten muß, wenn ohne dies keine Einheit möglich ist. Denn die Einheit ist natürlich die Lebensbedingung des Staats. Es ist freilich damit noch lange nicht erklärt, wie die Monarchie sich zu einer Institution entwickeln konnte, die schließlich sich mit dem Staate selbst identifizieren durfte, – l'état c'est moi. Es konnte ja genügen, daß nur in Zeiten, wo die Einheit in Gefahr schwebte, wenn auswärtige Feinde drohten, wenn Bürgerzwist entstand, das Regiment einem einzigen zufiel. Damit haben in der Tat viele Staaten sich beholfen. Die Diktatur der Römer war eine solche Monarchie für den Bedarfsfall. Ja, man kann mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß diese Art monarchischen Regiments in der Regel die ursprüngliche gewesen ist. Was uns das Wesentliche an dieser Staatsform erscheint, ihre Kontinuität in Krieg und Frieden, ihre Vererbung nach festen Normen, das ist in der Tat von Haus aus ihr fremd gewesen und hat sich erst allmählich, sogar erst in relativ später Zeit, entwickelt und festgesetzt. Die ersten größeren Gemeinwesen sind ohne Zweifel nichts anderes gewesen als lockere Bündnisse benachbarter und vielleicht blutsverwandter Clans oder Geschlechter, deren jedes in gewöhnlichen Zeiten sein Leben für sich führte, die aber alle zu gemeinsamem Handeln sich vereinigten, sobald alle von einer gemeinsamen Gefahr, zum Beispiel dem Angriffe einer fremden Horde, bedroht wurden. Daß in solchen Fällen die Notwendigkeit einer einheitlichen Führung sich aufdrängte, braucht nicht erst bewiesen zu werden: es liegt in der Natur der Sache begründet. Und das nämliche mußte eintreten, wenn ein solcher Geschlechterbund seinerseits zum Angriff schritt und es unternahm, seine Grenzen zu erweitern oder seine Wohnsitze in ein von fremdem Volke besetztes besseres Land zu verlegen. Unter den verschiedenen Ältesten oder Häuptlingen mußte einer an die Spitze treten, von dessen Anordnungen die Einheit des Unternehmens naturgemäß, nicht etwa staatsrechtlich, abhing. Noch ein dritter Fall ist denkbar. Unter den benachbarten Geschlechtern ragt eins durch Stärke, Reichtum, Waffentüchtigkeit hervor; innerhalb dieses stärkeren Geschlechts steht ein ehrgeiziger, kluger und heldenhafter Mann auf; er mit seinen Geschlechtsgenossen unterwirft oder verdrängt die Häuptlinge der anderen Gruppen und vereinigt nun diese zu einer ihm allein unterworfenen Gemeinschaft. Auf diese Weise ist vor hundert Jahren aus einer Vielheit kleiner Geschlechterherrschaften ein Königreich entstanden, das freilich jetzt in den letzten Zügen zu liegen scheint, Hawaii. Der mächtigste der zahlreichen Häuptlinge, Kameamea, beiläufig gesagt ein Mann von herkulischer Stärke, unterwarf sich gewaltsam die sämtlichen Inseln der Gruppe mit Gewalt und List und machte sich zum König des Ganzen.

Nur selten gestattet die schriftliche Überlieferung uns, einen Blick in die ersten Anfänge monarchischer Gewalten zu tun; fast jedesmal aber, wo ein Zusammentreffen günstiger Umstände das Dunkel ein wenig aufhellt, finden wir bestätigt, was nach der Natur der Dinge a priori sich als wahrscheinlich ergibt. Die Kinder Israel erobern Kanaan unter dem »Herzog« Josua, um nach vollendetem Werke sich wieder in einen lockeren Bund gleichberechtigter Geschlechter aufzulösen; nur in Kriegszeiten stellen sie einen bewährten Hauptmann an die Spitze ihrer Heere; erst nach Verlauf einer langen Zeit, wohl belehrt durch das Beispiel der sie umgebenden Heiden, die unter ihren Herrschern zu größerer Angriffsfähigkeit gelangt waren, begehren sie die Einsetzung eines Königs, die Begründung der Kontinuität des Regiments. Den Königen der griechischen Heldensage haben zwar die Dichter das Kostüm einer späteren Zeit angetan, aber man erkennt noch durch die ungeschichtliche Draperie den ursprünglichen Zustand, in dem die Monarchen nur die ersten unter einer Anzahl anderer, mehr oder minder selbständiger und nur zur Zeit größerer Heereszüge sich unterordnender Nebenfürsten waren. Die germanische Urzeit zeigt uns zuerst solche Führer, duces, die immer nur für ein bestimmtes kriegerisches Unternehmen mit dem Oberbefehl betraut wurden, vermutlich doch die tapfersten und tüchtigsten und solche, die eine größere Anzahl von Blutsfreunden und Anhängern als ihre Rivalen ins Feld führen konnten. Erst nach diesen erscheinen Machthaber, die eine dauernde Führerschaft innehaben, Könige, wie sie von den römischen Schriftstellern genannt werden. Zur Zeit des Tacitus waren germanische Könige noch eine Ausnahme; bekanntlich hatte Armin nach seinen Siegen über Rom einen Thron aufzurichten versucht, war aber von eifersüchtigen Stammesgenossen getötet worden, ehe es ihm gelang.

Diese älteste Monarchie, das Urkönigtum, wie Roscher es nennt, wird von den späteren und zumal der uns geläufigen Staatsform gleichen Namens durch einen Umstand, der wie eine tiefe Kluft ist, geschieden. Sie beruht nämlich ausschließlich auf der persönlichen Tüchtigkeit des Monarchen, während für uns die Monarchie so sehr den abstrakten, unpersönlichen Charakter einer Institution angenommen hat, daß wir uns einen Säugling, ja sogar einen unheilbaren Geisteskranken als Träger der Krone gefallen lassen. In den Homerischen Gesängen sind die Fürsten die einzigen Personen, von denen das Schicksal des Kampfes abhängt, das Volk bildet nur einen Hintergrund für ihre glänzenden Gestalten; Saul ist eines Hauptes länger als alles Volk in Israel, und David beginnt seine Laufbahn als Bezwinger von Löwen, Bären und Riesen. Den Bogen des Odysseus vermag keiner seiner Untertanen zu spannen, aber die Untertanen haben vor dem Bogen nur so lange Respekt, als Odysseus anwesend ist; sobald er den Rücken wendet, sieht es mit seiner Königswürde traurig aus. Wie diese und zahlreiche andere Beispiele zeigen, ist es, wenn nicht ausschließlich, doch vorzugsweise die körperliche Kraft, die den Herrscher macht: in zivilisierten Zeiten tritt ihre Wichtigkeit weit hinter der geistigen Kraft zurück, und auf den letzten Stufen der Entwicklung wird eine Monarchie möglich, deren physischer Vertreter weder körperliche noch geistige Kraft besitzt. Man denke an Kaiser Ferdinand, unter dessen nomineller Regierung Österreich doch ohne Zweifel eine Monarchie war, noch dazu eine absolute. August der Starke würde vielleicht in der Völkerwanderung eine hervorragende Rolle gespielt haben, im achtzehnten Jahrhundert konnte er es nur zu einem Kuriositätserfolg bringen. Sehr hübsch hat Macaulay in seiner Geschichte Englands die völlige Entwertung des alten königlichen Standard, wie in einem Epigramme, veranschaulicht, wo er von der Schlacht bei Neerwinden spricht und bemerkt, daß die beiden Heerführer, König Wilhelm III. und der Marschall von Luxemburg, wahrscheinlich die schwächsten Männer der kämpfenden Armeen gewesen seien.

Aber man würde doch zu weit gehen, wenn man für unsere Zeiten der Persönlichkeit des Monarchen jede Wichtigkeit absprechen wollte. Solange menschliche Institutionen sich im Leben zu bewähren haben, sind sie mehr oder weniger von der Beschaffenheit ihrer Träger und Vertreter abhängig. In einer alten, fest eingewurzelten Dynastie wird zwar der Ruhm der Vorfahren die Mängel eines schwächeren Enkels einigermaßen ausgleichen und ihm die Liebe und Ehrfurcht, die er selbst nicht verdient, gewissermaßen auf dem Gnadenwege zuwenden, wie die Verdienste der Heiligen, nach dem Dogma der Kirche, den Sündern angerechnet werden können; aber dieses Zehren von dem angesammelten Schatze der Vorzeit hat seine Grenzen, und wünschenswert bleibt es immer, daß der regierende Herr das Erbteil »goldner Meinungen«, das er empfangen hat, aus eigenem Erwerbe vermehre oder wenigstens ungeschmälert erhalte. Die monarchische Institution ist zwar heute auf festere Fundamente gestellt als in den Zeiten, wo die Person des Herrschers alles bedeutete, aber sie ist auch weit größeren Gefahren ausgesetzt als je zuvor, einer schärferen Kritik, einem skeptischeren Geiste, einer wachsenden Pietätlosigkeit auf der Seite der Völker. Wenn der Herrscher Verstöße begeht gegen die Idee, die den Untertanen mit Bezug auf das königliche Amt vorschwebt, wenn er nicht würdig genug, oder zu pomphaft auftritt, wenn er sich um nichts zu kümmern scheint, oder wenn er sich in alles einmischt, wenn er unnahbar bleibt, oder wenn er sich auf allen Gassen umhertreibt, so schadet er nicht bloß sich selber, sondern auch dem Ansehen der Monarchie und damit dem Staate selbst, sofern für den betreffenden Staat die Monarchie die angemessenste Verfassungsform ist.

Die wesentlichste Funktion des Königs ist in neuerer Zeit die Repräsentation. Für sie muß seine Persönlichkeit geeignet sein, wenn er überhaupt nach außen irgendwie wirken will. Alle anderen Herrscherpflichten kann er durch seine Stellvertreter wahrnehmen lassen, den Oberbefehl über seine Truppen, die vollziehende Gewalt, die Ausübung der Gnadenrechte, das Bischofsamt in den protestantischen Landeskirchen. Die richterliche Gewalt persönlich ausüben zu wollen, wäre sogar verwerflich, und in streng konstitutionellen Staaten steht auch in den anderen Zweigen der Regierung dem Monarchen das selbständige Handeln nur ganz ausnahmsweise zu. Aber repräsentieren muß er selbst; er hat der Nation ihre eigene Würde, Vornehmheit, Höflichkeit und gute Lebensart in seiner Person und in seiner Umgebung körperlich zu veranschaulichen. Man bezeichnet diese Seite des Königtums halbverächtlich als »dekorativ«, aber sie hat doch auch ihre politische Bedeutung. Der Eindruck der sichtbaren einheitlichen Spitze des Staats ersetzt für einen großen, vielleicht den überwiegenden Teil der Untertanen das staatliche Einheitsgefühl, das gewöhnlich erst das Produkt der Reflexion ist. Selbst in einem Lande wie Großbritannien übt der Glanz der Krone einen geheimen, aber mächtigen Zauber auf das Gefühl des Volkes aus, der allen Äußerungen der Staatsgewalt, eben weil sie im Namen der Krone erfolgen, eine eigenartige Weihe zu verleihen scheint. Als die Königin Viktoria in den Jahren nach dem Tode ihres Gemahls sich ganz in das Innere ihrer Gemächer zurückziehen wollte und dem Prinzen von Wales die Last der großen Zeremonien überlassen hatte, wurde sie von der »Times« und anderen Tagesblättern nicht sehr fein, aber nicht ohne Grund daran erinnert, daß sie die Pflichten ihrer Stellung verkenne. Daß es sich dabei nicht bloß um Hoffestlichkeiten und Schaugepränge, sondern um ein ernsthaftes Staatsinteresse handelt, kann man sich leicht deutlich machen, wenn man sich den gegenwärtigen Kampf zwischen Homerule und Union ohne die beiden Inselreichen gemeinsame »dekorative« Spitze denkt.

Solange sinnliche Anschauung und Phantasie im Leben der Völker eine Rolle spielen, wird das Königtum, auch wenn es wesentliche Bestandteile seiner früheren Macht an aristokratische und demokratische Institutionen verliert, von großer politischer Bedeutung bleiben, vorausgesetzt natürlich, daß seine Träger nicht allzusehr hinter der Aufgabe zurückbleiben, der Nation ihre eigene Majestät, ihre Einheit in der Gegenwart, ihre Dauer im Wechsel der Zeiten in würdigen, über das Gewöhnliche hinausragenden Formen vor Augen zu stellen. In diesem Sinne gewinnen auch so äußerliche Dinge wie Pomp und Etikette eine höhere Begründung, wobei indes zu bemerken ist, daß der höhere Zweck leidet, wenn der Pomp übertrieben wird und die Etikette den gesunden Menschenverstand und den Geschmack beleidigt. An die Stelle der Ehrfurcht tritt dann leicht der Unwille und der Spott: besser ist hier ein Zuwenig als ein Zuviel. Daß die würdigste Repräsentation schließlich nicht von dem Flitterstaat, nicht von Gold und Purpur und Trabanten abhängt, sondern auch mit schlichtem Auftreten wohl vereinbar ist, hat das Beispiel des ersten deutschen Kaisers gezeigt.

»Wer irgend am Hofe gewesen ist, auch ohne selber Höfling zu sein,« – so lautet eine Stelle in Roschers Buche – »wird schwerlich in Abrede stellen, daß ein wohleingerichteter Hofstaat für gewöhnliche Menschen viel Imponierendes hat. Diese großartige Haushaltung, die nicht bloß politisch und sozial, sondern auch künstlerisch und materiell den Gipfel des ganzen Volkes bildet, wo die Interessen des Staats und der fürstlichen Person meist so unmerklich ineinander fließen; diese Menge von Menschen, alle fein gebildet und reich geschmückt, die wenigstens äußerlich die tiefste Ehrfurcht vor dem Throne atmen; dieses wohlüberlegte, fest durchgebildete Zeremoniell, das zum mindesten auf einer großen, seit Jahrhunderten erlangten Virtuosität des persönlichen Verkehrs beruht: man hat schon viel Charakter und Studium nötig, um sich gar nicht davon berühren zu lassen. Selbst die trotzigsten Oppositionsmänner, welche die Macht des Hofstromes am strengsten abweisen, erkennen sie unwillkürlich an, indem sie sich, um nicht fortgerissen zu werden, unnatürlich in die Brust werfen. Große Herrscher, wie Friedrich II., mögen des Hofstaats entbehren, gewöhnliche nicht.«

Die gefährliche Seite des monarchischen Hofwesens liegt in seiner geistlosen Festhaltung alter Formen, die einem früheren Geschlechte sinnvoll oder wenigstens natürlich erscheinen mochten, dem späteren dagegen leer, geschmackwidrig, mitunter sogar unwürdig vorkommen. Aber es ist schwierig, Reformen einzuführen innerhalb eines Kreises, in dem die Überlieferung, das Erbstück, die Ehrfurcht vor der Vergangenheit eine so vorwiegende Bedeutung spielen. So erklärt es sich, daß zum Beispiel aus dem englischen Zeremoniell die Kniebeugungen noch immer nicht verschwunden sind und daß am preußischen Hofe der Fackeltanz der Staatsminister von Zeit zu Zeit die Welt in Erstaunen setzt. Andererseits kann man sagen, daß eine Art von Kultus das Königtum umgibt, und daß dieser, wie der religiöse Kultus, eine Beimischung des Absurden, wenn nicht fordere, immerhin wohl vertrage. Nur ist doch zu empfehlen, von diesem problematischen Gewürz nicht zu starke Dosen zu nehmen. Die Stärke solcher Kultusformen beruht wie die der monarchischen Verfassung selbst wesentlich darauf, daß sie nicht aus planmäßiger Konvention, sondern im Anschluß an die vieltausendjährige Entwicklung der Zustände, der Gewöhnungen, der Denkungs- und Gefühlsweise allmählich erwachsen sind; dem Gesetze der Entstehung wird das Gesetz ihrer Fortdauer analog sein: auch dieses wird Anpassung an die Entwicklung der Staaten und des menschlichen Geistes fordern. Ging die Linie der Monarchie zuerst aufwärts von der ganz nüchternen Fürsorge für praktische Bedürfnisse in Krieg und Frieden bis zu einer förmlichen Apotheose des Herrschers und des Herrscherhauses, so senkt sich diese Linie jetzt, das heißt seit einigen Jahrhunderten, wieder abwärts, aus den Höhen der Gottähnlichkeit zu den Regionen, in denen wieder die Salus publica, wie in der Urzeit, nur in höherem und verfeinertem Sinne, als Daseinsgrund monarchischer Institutionen gilt. Aus den Tagen seiner Gottähnlichkeit führt das Königtum noch den geheimnisvollen Duft mit sich, den die Weihrauchspenden der Jahrtausende hinterlassen haben; bis zu einem gewissen Grade ist dieses Parfüm ihm nützlich, ist es sogar eins der Elemente der königlichen Autorität; es ist aber schon verschiedentlich vorgekommen, daß der Duft für die Nerven moderner Völker zu stark wurde und sie verführte, sich sein und des Königtums selbst zu entledigen. Kluge Herrscher kann man heutzutage am sichersten daran von den minder klugen unterscheiden, daß jene bemüht sind, ihre Stellung mehr auf die klar erkannten Bedürfnisse der Gegenwart als auf die aus der Vergangenheit stammenden dunklen Gefühle zu stützen.

II.

Dem Verstande leuchtet es schwer ein, daß die Frage, wer König sein soll, am besten dem Zufall der Geburt überlassen bleibe. Wenn im Beginn der Weltgeschichte eine Kommission der intelligentesten Geister menschlicher Gattung, Geister wie Aristoteles, Machiavel und Mirabeau, hätte eingesetzt werden können, um für die Völker der Zukunft Verfassungen und Staatseinrichtungen zu entwerfen, so würde wahrscheinlich kein einziger dieser Weisen auf den Einfall gekommen sein, die Erbmonarchie anzuempfehlen. Die Voraussetzung, daß die Herrschertugend sich vom Vater auf den Sohn, daß sie auch nur in einer und derselben Familie forterben werde, wäre, wenn man sie bei der Ausarbeitung eines Plans für die politische Entwicklung der Menschheit geltend gemacht hätte, als eine Art Verrücktheit erschienen; schon die ersten Erfahrungen der ersten Horden und Stämme würden ihr widersprochen haben. Und mit der Hinfälligkeit dieser Voraussetzung scheint das Prinzip der Erblichkeit auch zusammenzubrechen.

Mit dem einfachen Prinzip der Monarchie, wonach der Oberbefehl einem einzigen übertragen wird, versöhnt sich der Verstand leicht. Mögen auch Unabhängigkeitstrotz, Gleichheitsgefühl, Neid der Unterordnung widerstreben, so sieht doch jeder leicht ein, daß gemeinsame Tätigkeit vieler besser unter der Leitung eines tüchtigen Führers, dem alle gehorchen müssen, als ohne eine solche Leitung gedeiht. Aber diese Einsicht wird, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, wenn sie nicht in den Bann einer Tradition gerät, immer zu der Folgerung gelangen, daß man, wenn der tüchtige Herrscher ausscheide, den tüchtigsten unter den Überlebenden an seine Stelle setzen, mit anderen Worten, daß man den Monarchen wählen müsse. Unter den Weisen Griechenlands und Roms haben mehrere, auch im Zeitalter der Republik, ihre Ansicht ausgesprochen oder angedeutet, daß die Monarchie die beste Staatsform sei, aber sie haben immer den Vorbehalt gemacht: die Monarchie mit einem weisen und tugendhaften Monarchen. Unter dieser Voraussetzung stimmten sie dem Homerischen Verse zu:

»Kein gut Ding ist die Vielherrschafft: nur einer sei Herrscher,
Einer sei Fürst.«

Auch Thomas von Aquino war, wenn ich nicht irre, dieser Meinung, die übrigens noch in unseren Tagen zahlreiche Anhänger haben dürfte, natürlich nur platonische. Wenn es so leicht wäre, den Satz vom tüchtigsten Monarchen zu verwirklichen, wie ihn auszusprechen, so würden vermutlich manche Republiken überhaupt nicht entstanden sein, und andererseits würde es kaum irgendwo in zivilisierten Ländern Dynastien geben.

Jedenfalls stehen die Resultate der Geschichte im denkbar schroffsten Widerspruch mit den Ergebnissen der rationalistischen Betrachtung. Alle Wahlmonarchien sind spurlos vom Erdboden verschwunden, mit der alleinigen Ausnahme der rein geistlichen des Papstes, der doch auch in seiner früheren Eigenschaft als gewählter weltlicher Souverän der allgemeinen Regel verfallen ist. Beiläufig bemerkt, war die Wahlmonarchie des Kirchenstaats in ihren politischen Wirkungen ein ebenso abschreckendes Beispiel wie das heilige römische Reich deutscher Nation und das Königreich Polen. Alle heute bestehenden Großmächte sind, selbst wenn sie gegenwärtig sich als Republiken konstituiert haben, als Erbmonarchien oder als Teile solcher herangewachsen. Von rückwärts angesehen, läßt es sich leicht erkennen, weshalb die Nationen unter erblichen Herrschern sich besser zu dauernden und wachsenden Staatsgebilden konsolidieren konnten, als unter gewählten Monarchen; solche Erwägungen sind aber, wie kaum gesagt zu werden braucht, bei der ersten Begründung der Reiche nie maßgebend gewesen. Das Königtum der historischen Völker ist, ebenso wie alle anderen menschlichen Institutionen, aus dunklen Trieben, planlos und ohne Mitwirkung der Reflexion, entstanden, und erst nachträglich hat sich herausgestellt, daß die Erblichkeit, die es bewußtlos entwickelte, zu jenen im Kampfe um das Dasein vorteilhaften Eigenschaften gehört, auf denen die Fortdauer der Spezies beruht.

Auch wenn es sich nicht geschichtlich an einzelnen Beispielen belegen ließe, würde man es wahrscheinlich finden, daß in den primitiven Zeiten, wenn zum ersten Male mehrere Geschlechter im Drange der Not oder im Streben nach Besitzerweiterung sich einem starken und mächtigen Führer unterordneten, bei jeder Wiederholung desselben Bedürfnisses die Blicke des Volks sich vorzugsweise auf das Geschlecht und auf die Familie richteten, denen der letzte Führer angehört hatte. Schon deshalb, weil in den meisten Fällen dies Geschlecht und diese Familie mächtiger als die übrigen gewesen war. Die Gewöhnung wird diese Tendenz befördert haben; das Vertrauen, daß der starke Vater starke Söhne zeuge, wird in den Erfahrungen der jugendlichen Völker besser als in denen der späteren begründet gewesen sein. Auf seiten der Bevorzugten kam dieser Tendenz selbstverständlich der Wunsch entgegen, die mit der Führerschaft verbundenen Vorteile, die größere Beutequote, den Machtgenuß und das höhere Ansehen, nach dem Tode den Blutsverwandten, sei es den Kindern, sei es den Brüdern oder Vettern, zu erhalten. In diesem Sinne, dem eines natürlichen Einflusses menschlicher Triebe, nicht in dem Sinne irgend einer verfassunggebenden Anordnung wird es zu verstehen sein, wenn es bei Roscher heißt: »Eine gewisse Familienerblichkeit scheint bei den Germanen so alt zu sein wie das Königtum selbst. Die Wahl eines Königs, die wohl in der Regel ein Mitglied des wenig zahlreichen hohen Adels traf, stellte dessen ganze Familie so, daß auch die Nachfolger, immerhin durch Wahl oder Anerkennung von seiten des Volks, aber nur aus ihr genommen werden konnten. Die etwa sonst noch vorhandenen Adelsgeschlechter versanken dann wohl in der Gesamtmasse der übrigen Freien.« Wobei zu beachten, daß von diesem germanischen das gesamte moderne Königtum Westeuropas abstammt, allerdings mit Beimischung römischer und kirchlicher Anschauungen.

Es ist ein langer Weg, der von den schwankenden Zuständen der Völkerwanderung und dem Rechte der ersten seßhaften Könige des Mittelalters bis zu den in Verfassungsurkunden und Hausgesetzen strenggeregelten monarchischen Erbfolgeordnungen geführt hat, doch läßt sich der Zusammenhang zwischen Anfang und Ende sehr wohl verfolgen. Die einmal bevorzugte Familie hat vor den rivalisierenden einen Vorsprung, der aber lange Zeit nur durch die Tüchtigkeit ihrer Mitglieder behauptet werden kann; solange diese vorhält, wird die Wahl eine bloße Form oder tritt ganz zurück; wenn aber die Herrscher schwach werden, drängen sich die rivalisierenden Familien wieder in den Vordergrund, und die Wahl des Fürsten, die mehr und mehr von der Volksgemeinde in die Hände der Großen weltlichen und geistlichen Standes übergeht, macht dem Prinzipe der Erblichkeit mit mehr oder weniger Erfolg Konkurrenz. Wo die Wahl zur dauernden Institution wird, geht die Monarchie zu Grunde, auch wenn sie vielleicht Jahrhunderte hindurch ein Scheindasein fristet; wo die Erblichkeit die Oberhand behält, steigt die herrschende Familie allmählich, durch sich ansammelnden Machtbesitz und die Gewöhnung der Völker, zu solcher Höhe, daß sie, auch abgesehen von den Eigenschaften des jedesmaligen Regenten, als Familie die Huldigung aller als etwas Selbstverständliches entgegennimmt. Ihr Schicksal wird identisch mit dem Schicksal des Landes, ja erscheint sogar als das eigentlich Entscheidende und Maßgebende. Die großen Nationalstaaten entstehen, nicht weil die Nationen in weiser Berechnung sich einem einheitlichen Regimente unterordnen, sondern weil der natürliche Familienegoismus der Dynastien in der Konzentrierung, der Erweiterung, der Befestigung der nationalen Macht nachdrücklicher, zäher vorgeht, als in der Regel eine nicht erbliche Herrschaft dazu geneigt oder im stande sein würde. Ohne Zweifel hat sich dann innerhalb solcher emporsteigenden Familien und ihrer Umgebungen allmählich ein Staatsgefühl entwickelt, ein Bewußtsein, daß die Monarchie doch etwas anderes und mehr als Privatbesitz bedeute, aber dies Gefühl ist ein Produkt, nicht der Ursprung des Vorganges. Diesen, den Ursprung, hat man sich vielmehr analog der Entstehung des Privaterbrechts zu denken, das ja auch die mächtigsten wirtschaftlichen Wirkungen ausgeübt hat, aber sicherlich nicht um ihretwegen ersonnen und eingeführt worden ist.


Mir scheint es keiner breiten Beweisführung zu bedürfen, daß nur bei langer Fortdauer der Herrschaft in einer Familie jenes spezifisch monarchische Gefühl, das eine so entscheidende Rolle in der Geschichte der europäischen Staaten gespielt hat, entstehen und sich einwurzeln konnte, und zwar das monarchische Gefühl sowohl in der Dynastie selbst als auch im Volke. Denn beides mußte zusammentreffen, wenn der politische Effekt erreicht werden sollte: nicht nur die Regierenden, sondern auch die Regierten mußten es als selbstverständlich betrachten, daß das Herrscherhaus und das Reich eine untrennbare Einheit bildeten, wie Kopf und Rumpf den Körper bilden. Wenn heute die eine und morgen eine andere Familie eins ihrer Mitglieder auf dem Thron hätte sitzen sehen, so wäre niemals eine Familie dahin gelangt, den Untertanen die tiefe und gewissermaßen superstitiöse Ehrfurcht einzuflößen, die allein die ungeheure Steigerung der Königsmacht, wie unser Weltteil sie gesehen hat, und die Unabhängigkeit dieser Königsmacht von den Eigenschaften des jedesmaligen Herrschers erklärt.

Gewöhnlich leitet man dies spezifisch europäische Phänomen, das sich vom asiatischen Sklavensinn durch die enge Verknüpfung mit dem einmal bevorzugten Geschlechte unterscheidet und dadurch eine besondere Färbung erhält, von der »germanischen Treue« ab, die schon in der Urzeit die freien Mannen an ihre Herzöge und Fürsten gebunden und in dem Verhältnis der Vasallen zum Lehnsherrn sich zu einer festen Tradition und allgemeinen Volksanschauung ausgebildet habe. Ich muß gestehen, daß dieser Stammbaum mir erhebliche Zweifel einflößt. Die Geschichte der germanischen Völker ist angefüllt von Beispielen der Rebellion, des Fürstenmordes, der Verräterei, auch von Zeugnissen höchst unehrerbietiger Gesinnung des Untergebenen gegen den Führer und berechneter Ausnutzung seiner Nöte und Verlegenheiten. Jene alte reckenhafte Treue, von der die römischen und byzantinischen Schriftsteller melden, scheint mir im ganzen mehr einen geschäftlichen als einen sentimentalen oder gar einen religiösen Charakter gehabt zu haben; man gab sein Wort, sein Bestes zu leisten, wenn der andere Teil desgleichen tue; und dies Wort hielt man, ähnlich wie ein anständiger Kaufmann dem Geschäftsfreunde unverbrüchlich sein Wort hält, selbst mit großen Opfern, selbst bis zum Ruin, ohne doch irgend etwas Halbgöttliches in dem Geschäftsfreunde anzuerkennen. Es wäre der Mühe wert, die psychologische Geschichte der Monarchenverehrung einmal ex professo zu studieren. Ich glaube, das Ergebnis würde sein, daß erst nach Überwindung der alten germanischen Empfindungsweise, des aristokratischen Trotzes und Selbstgefühls, mit anderen Worten erst unter dem Einflusse der wachsenden königlichen Macht sich die Gewöhnung, in den Herrschern eine Art höherer Wesen zu erblicken, eingestellt hat. Und wahrscheinlich zuerst und am entschiedensten bei den Niedrigen und Schwachen, denen der Monarch, der mit den Großen des Landes im Kampfe lag, als der natürliche Schirmherr erschien. Erst als der Adel zum Hofdienste gezähmt war, nahm bei ihm die Monarchenverehrung die verfeinerten und exaltierten Formen an, die den Glauben begründet haben, daß er der eigentliche Träger der Königstreue sei. Daß die Loyalität des Adels auch nach der höfischen Bändigung ihre sehr scharfen Grenzen da, wo die wirtschaftlichen Standesinteressen mit dem vom Königtum vertretenen Staatsinteresse in Widerstreit geraten, zu haben pflegt, das ist eine Beobachtung, die man sich zu wiederholen scheut, weil sie fast trivial geworden ist.

Zu weit würde es führen, wenn ich mich auf das verlockende Thema einlassen wollte, wie Theologie, Jurisprudenz und Dichtung dazu beigetragen haben, dem zunächst aus naiven menschlichen Empfindungen erwachsenen monarchischen Gefühl jene raffinierte und exaltierte Steigerung zu geben, und wie sie es gewissermaßen dogmatisch fixiert und formuliert haben. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß diese Einflüsse durchaus nicht germanischen Ursprungs gewesen sind. Die Theologie hat, als sie für die Könige ein überirdisches Recht zu konstruieren begann, sich durch biblische Texte leiten lassen, teils durch die erbaulichen Vorbilder gottgefälliger Könige des Alten Testaments, David, Salomo, Hiskias (der Titel »Gesalbter des Herrn« stammt daher), teils und vornehmlich durch die neutestamentlichen Stellen, die den Gehorsam gegen die Obrigkeit dem Christen zu einer Gewissenspflicht machen. Daß diese letztgedachten Stellen nicht zwischen legitimer und illegitimer Obrigkeit unterscheiden, hat die theologische Doktrin, namentlich die protestantische, ignoriert. Bibeltexte sind übrigens bekanntlich auch für antimonarchische Parteien sehr wirksam zitiert worden: wie die Verteidiger des göttlichen Rechts der Könige in England und Frankreich sich auf den Apostel Paulus beriefen, so führten die Hugenotten und die frommen Republikaner Cromwells mit Vorliebe die Geschichten von den auf Befehl Jehovas in den Staub gestürzten israelitischen Königen im Munde, fest überzeugt, daß die Valois und die Stuarts einem gleichen Strafgerichte verfallen seien. Immerhin fühlten aber diese Rebellen des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts noch das Bedürfnis, ein göttliches Recht mit einem anderen göttlichen Rechte zu übertrumpfen.

Was die Juristen betrifft, die ohne historischen und politischen Sinn die staatsrechtlichen Theorien der römischen und der byzantinischen Kaiserzeit auf die mittelalterliche und sodann auf die moderne Monarchie übertrugen, so darf man ihnen vielleicht das zum Verdienst anrechnen, daß sie die mehr verschwommenen und schwankenden Lehren der Theologen in scharf umrissene, starre und unduldsame Systeme verwandelten, deren extreme Konsequenzen ohne Verdunkelung, sogar mit triumphierendem Hochmut laut verkündeten und eben dadurch die menschliche Vernunft zum Widerspruch und der Kritik aufstachelten.

Die dichterischen Verherrlichungen des Königtums, die sicherlich einen erheblichen Einfluß auf die populäre Anschauung geübt haben, sind jedem bekannt, der mit der Literatur der christlichen Völker einigermaßen vertraut ist. Das Tiefste und Feinste hat auch auf diesem Gebiete Shakespeare geschaffen – ich erinnere nur an seinen Richard den Zweiten –, freilich mit der ihm eigenen hohen Unabhängigkeit des Geistes, die neben den glänzenden Höhen auch die Abgründe mit allen ihren Schrecken darzustellen wußte.


Eine Nutzanwendung der naturgeschichtlichen Betrachtung auf unsere Zeiten ist es, wenn Roscher sagt: »Die Erfahrung lehrt, daß eine wirkliche solide Erbmonarchie nur auf den früheren Kulturstufen der Völker, im Zeitalter, sozusagen, der politischen Naivität begründet werden kann. Um sich einem ganzen Fürstenhause, bei aller Schwäche, vielleicht sogar Unwürdigkeit, des jeweiligen Repräsentanten, willig unterzuordnen, Treue gegen dasselbe zu bewahren, wenn's sein muß, bis zum Tode, dazu reicht das bloße Räsonnement des Kopfes von der Zweckmäßigkeit einer solchen Handlungsweise nur bei wenigen starken Geistern aus. In der Regel muß ein Gefühl des Herzens hinzukommen, etwas Halbunwillkürliches, das ich politischen Glauben nennen möchte.« Und nachdem er bemerkt hat, daß es mit der Gründung der Religionen sich nicht anders verhalte, fügte er hinzu: »Kämen dergleichen Institutionen erst in Zeiten der Aufklärung und Reflexion empor, so würde meistens der kritische Verstand allzu geschäftig sein, die menschlichen Zufälligkeiten und Schwächen derselben aufzusuchen, als daß sich das Gemüt dem Wesentlichen und Notwendigen darin ungestört hingeben könnte. Soll deshalb eine Erbmonarchie oder Volksreligion die Entwicklungsstufe des politischen und religiösen Rationalismus überdauern, so muß sie »aus unvordenklicher Zeit her« überliefert sein. Heutzutage wird selbst der größte Held und Staatsmann schwerlich im stande sein, einen neuen Thron dauerhaft zu errichten. Solange seine Nachfolger auch Erben seiner persönlichen Größe sind, mag das Werk Bestand haben; ob viel länger, ist sehr zu bezweifeln.«

Im allgemeinen ist das gewiß richtig, doch möchte ich es der Erfahrung künftiger Geschlechter vorbehalten, zu entscheiden, ob nicht unter günstigen Umständen die höher entwickelte Staatsvernunft zum Teil wird ersetzen können, was dem politischen Glauben an Zeugungskraft verloren gegangen ist. Unser Jahrhundert hat einen schwedisch-norwegischen, einen belgischen, einen griechischen, einen rumänischen, einen serbischen Thron, vor allen anderen hervorragend aber auch einen italienischen Thron aufgerichtet; es bleibt doch abzuwarten, ob nicht einer und der andere dieser neuen Herrschersitze auf dem Grunde bloßer nationaler Zweckmäßigkeit etwas von der Festigkeit der alten »echten Erbmonarchien« allmählich gewinnen wird. Freilich werden die neuen Dynastien mehr als die alten sich mit dem politischen Rationalismus gut zu vertragen bemüht sein müssen; aber unmöglich ist doch ein modus vivendi zwischen Monarchie und Vernunft nicht; sonst stände es um die erstere recht bedenklich.

Auch die altüberlieferte Erbmonarchie hätte die Stürme der Zeit wohl nicht überdauert, wenn ihrer Entwicklung das Element der Vernunft und der Reflexion ganz gefehlt hätte, wenn sie bloß mächtigen, aber dunklen Naturtrieben gefolgt wäre. Beinahe ebenso wichtig wie die Beseitigung des Wahlrechts der Vasallen, wie die Alleinberechtigung einer bestimmten hervorragenden Familie, ist für sie die strenge Regelung der Erbfolge, die Unterdrückung der Ambitionen in den Nebenlinien und namentlich die Aufhebung aller Einteilungen beim Tode des Herrschers gewesen. Erst durch diese Vervollkommnungen, bei denen nachweisbar die bewußte Überlegung und der Zweckmäßigkeitsgedanke tätig gewesen sind, hat die Erbmonarchie den Charakter einer wahrhaft politischen, das Familieninteresse überragenden, mit dem Staatswohl enge verknüpften Institution gewonnen. Das Prinzip der Monarchie ist nach Roschers Ausspruch die Einheit, aber erst verhältnismäßig spät, erst nach langem Schwanken und nach bitteren Erfahrungen hat die Einsicht weiser Herrscher und Staatsmänner erkannt, daß diesem Prinzip alle privatrechtlichen Anschauungen unerbittlich geopfert werden müßten. Die Geschichte des Mittelalters ist voll von Kämpfen und Katastrophen, die aus der Unsicherheit der Erbfolge, aus dem Ehrgeize mächtiger Agnaten und den Zerwürfnissen zwischen den Mitgliedern des Herrscherhauses entstanden, und nicht minder zahlreich sind die Beispiele von Zerfall und Zersplitterung staatlicher Macht infolge väterlicher Zärtlichkeit des Monarchen, der sterbend jedem seiner Söhne einen Teil von der Substanz des Reichs zuwenden zu müssen glaubte. Je früher dieser Gutsherrnstandpunkt in den Dynastien überwunden wurde, desto eher hat sich das Königtum konsolidiert und sein Übergewicht über die zentrifugalen Kräfte im Staate fühlbar gemacht. Merkwürdig ist, daß gerade in dem Staatswesen, das man als ein Werk bewußter, konsequenter, von politischem Verstande geleiteter dynastischer Weisheit anzusehen gewohnt ist, in der Monarchie der Hohenzollern, der Einheitsgedanke erst so spät die patriarchalischen Erbteilungen endgültig und für immer überwunden hat. Bekanntlich hat noch der große Kurfürst seinen nachgeborenen Söhnen selbständige Hoheitsgebiete aus den unter seinem Szepter vereinigten Ländern ausgesondert, und erst Friedrich der Große hat definitiv und statutarisch die Möglichkeit, Sekundogenituren zu schaffen, den preußischen Herrschern abgeschnitten. Uns erscheint der bloße Gedanke an eine solche Möglichkeit unfaßbar, abenteuerlich, abstrus: so sehr hat sich in anderthalb Jahrhunderten die Anschauung von dem Wesen der monarchischen Staatsform geändert.

Ein Nebenprodukt gewissermaßen des gesteigerten dynastischen Gefühls ist die Idee der Ebenbürtigkeit, die noch weit jüngeren Ursprungs als die feste fürstliche Erbordnung, heute aber in Europa allgemeines Recht geworden ist, mit der einzigen Ausnahme Großbritanniens, wo doch auch seit einigen Generationen eine Parlamentsakte die Thronfolge auf die Kinder aus solchen Prinzenehen, die mit Genehmigung des Souveräns abgeschlossen worden sind, beschränkt. Die Regel, daß die souveränen Häuser und die großen Reichsvasallen untereinander heirateten, ist weit älter als das förmliche Gesetz der ausschließlichen Geltung solcher Ehen innerhalb der Thronfolgeordnung: auch hier hat die Staatsräson nur das festgemacht und besiegelt, was die Natur der Dinge längst zur gewöhnlichen Sitte gemacht hatte. Von allen monarchischen Einrichtungen ist diese, die den natürlichen Herzensbedürfnissen so ganz und gar keine Rechnung trägt, dem einfachen menschlichen Gefühle vielleicht die mindest sympathische; die geschichtlichen Beispiele unebenbürtiger Fürstenehen erfreuen sich noch heute meistens einer entschiedenen Popularität, weil man in ihnen Siege der Natur über den Hochmut des Ranges erblickt; aber so geneigt man sein mag, das einfach Menschliche über alle Pracht und Herrlichkeit der Fürstenhöfe hochzuschätzen, so wird man, glaube ich, doch bei nüchterner Prüfung finden, daß die Schranke der Ebenbürtigkeit, die das Eindringen fremder weiblicher Einflüsse in das Regentenhaus auf ein gewisses minder schädliches Maß zurückführt, im ganzen zweckmäßig ist, und daß gegen diese Erwägung das Privatglück der Fürstensöhne nicht in Betracht kommt. Daß die monarchische Institution auf den höheren Stufen ihrer Entwicklung dahin führt, in manchen Beziehungen der Natur Gewalt anzutun, darf uns nicht irre machen: alle Zivilisation und Kultur tut dasselbe.


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