Otto Gildemeister
Essays - Erster Band
Otto Gildemeister

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Vom Reichtum

(1882)

Armut schändet nicht und Reichtum macht nicht glücklich,« sagt das Sprichwort, und da das Sprichwort die Weisheit der Nationen ist, so scheint es, als ob man über einen Satz, der consensu gentium als richtig anerkannt wird, kein Wort weiter zu verlieren brauche. Allein die Weisheit und die Praxis der Nationen sind zwei sehr verschiedene Dinge. Die Menschen haben zu allen Zeiten und in allen Ländern mit unverwüstlicher Konsequenz das Sprichwort Lügen gestraft und so gehandelt, als wäre der Reichtum das Glück, als wäre die Armut die Schande. Die altersgrausten Urkunden unseres Geschlechts, die Reiseberichte aus den fernsten Inseln der Südsee verkünden die nämliche Erfahrung; in hundert Sprachen wiederholt die Welt täglich ihre Variationen über den Stoßseufzer des Goethischen Schatzgräbers:

Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das größte Gut.

Das Sprichwort ist diesmal nicht die Formel für, sondern der Protest gegen die Überzeugung aller. Oder richtiger vielleicht: das Sprichwort ist das bessere Bewußtsein, welches auch in den Verstockten eine leise Scham über das Joch, das sie tragen, erweckt. Die tugendhafte Zunge schmäht das Gold, nach welchem die lüsterne Hand sich krümmt.

Es ist wahr, zu allen Zeiten und in allen Völkern hat es Menschen gegeben, welche die irdischen Schätze nicht allein schmähten, sondern auch geringschätzten und selbst verachteten, denen andere Dinge mehr am Herzen lagen als Geld und Gut, dem einen der Ruhm oder das Heil der Seele oder die Freiheit, dem andern die Kunst oder die Wissenschaft oder das Wohl der Brüder oder das Vaterland. Aber die Bewunderung, welche solche Menschen alle Zeit gefunden haben, legt Zeugnis ab wider die Bewundernden. Sie beweist, daß man in ihnen Ausnahmen erblickte. Man hätte Herkules, dem Löwenerwürger, schwerlich Statuen errichtet, wenn man nicht anerkannt hätte, daß der Löwe stärker sei als der Mensch.

Bewunderung? Haben sie denn wirklich alle Zeit Bewunderung gefunden? Freilich, von den großen Feldherren und Staatsmännern erzählt es die Geschichte rühmend, wenn sie arm starben, und der Lehrer vergißt es nicht, den Schulknaben zu erzählen, daß Epaminondas nur einen anständigen Mantel besaß, und daß William Pitt, welcher den Kontinent mit Gold überströmen durfte, um ihn in den Kampf gegen Frankreich zu treiben, nichts hinterließ als unbezahlte Rechnungen. Für so hervorragende Gestalten wird selbst die Dürftigkeit zu einer neuen Quelle der Ehre.

Wie aber ergeht es denen, welche in bescheideneren Lebensbahnen gleiche Selbstverleugnung üben? Werden auch sie bewundert und gepriesen? Um das zu erfahren, braucht keiner von uns weit zu laufen. Er höre sich nur bei seinen Nachbarn und in seiner werten Familie um. Wenn das Gespräch auf einen Mann kommt, welcher bei Tage und bei Nacht unverkäufliche Schätze des Wissens ansammelt, oder auf einen eigensinnigen Künstler, welcher lieber seinem Genius als der Mode folgt, oder auf einen Geschäftsmann, der aus peinlicher Gewissenhaftigkeit dem Gewinne häufiger als dem Verluste ausweicht – wie äußert sich dann die Weisheit der Nationen? Der bringt es nie auf einen grünen Zweig, bemerkt der wohlhabende Philister. Schade um den Mann, sagt der Mitleidige, er ist nicht ohne Talent, aber so entsetzlich unpraktisch. Er ist ein Enthusiast, heißt es zur Linken, und das Echo zur Rechten ruft: er ist ein dummer Teufel.

Er ist ein dummer Teufel! Wer Mutterwitz hat, der wird ihn anwenden, um Geld zu verdienen; wer kein Geld verdient, hat keinen Mutterwitz. Das ist die Logik der Millionäre und der Millionen. War es nicht Thales von Milet, einer von den sieben Weisen Griechenlands, der aus gleichem Grunde in seiner Vaterstadt für einen dummen Teufel galt, bis er eines Tages – eine große Wahrheit entdeckte? eine tiefsinnige Lehre verkündete? – Bis er eines Tages eine glückliche Ölspekulation machte. Er war, so scheint es, etwas von einem Meteorologen oder von einem Botaniker; er hatte das Wetter beobachtet und die Olivenbäume, und er hatte eine Mißernte vorausgesehen und wollte den Philistern nun einmal zeigen, daß ein Weiser ebenso klug und klüger sein könne wie sie. Alles Öl, so viel er konnte, kaufte er auf, und die Olivenernte schlug fehl, und die Preise stiegen, und Thales von Milet machte ein brillantes Geschäft, und die Leute sagten: Wer hätte das gedacht! und fingen an, ihn zu respektieren. Die Geschichte ist vielleicht nicht streng geschichtlich; aber der Freiherr von Liebig gehört auf keinen Fall bloß der Sage an. Der Freiherr von Liebig erwarb sich mehr als einen europäischen Ruf, nämlich auch einen amerikanischen, und er fand zahlreiche Verehrer in dem sogenannten großen Publikum. Er war gerade in dem umgekehrten Falle wie der alte Weise von Griechenland. Seine Gelehrsamkeit glänzte in Kreisen, welche sonst von wissenschaftlichen Verdiensten wenig Notiz zu nehmen pflegen. Und forscht man nach dem Grunde, so wird man finden, daß er seinen Ruhm mehr den Ölspekulationen als der reinen Chemie verdankte. Er hatte den richtigen Weg eingeschlagen, um den Leuten Achtung vor der Forschung beizubringen. Das leuchtete ihnen ein, wenn man ihnen sagte: Sehet da, ein Gelehrter, welcher jährlich so und so viel tausend Gulden verdient, weil er die Geheimnisse von Stallfütterung, die Mysterien der Düngung und die Rätsel der Garnfärberei versteht! Vor einem solchen Manne zog man den Hut, obwohl, wenn man's genau nimmt, vor ihm nicht so sehr wie vor den Gulden, die er repräsentierte.

Wenn man aus den einzelnen Beobachtungen den allgemeinen Schluß zieht, wenn man den Leuten ins Gesicht sagt: Du und du und du, ihr achtet das Geld höher als Tugend, Weisheit und Verstand! so kann man sich auf einen einstimmigen Protest gefaßt machen. Gott behüte uns vor solcher Roheit! Nein, nein: Armut schändet nicht und Reichtum macht nicht glücklich! Weisheit und Tugend! Tugend und Weisheit! ist die Losung der Welt. Nur in den unbewachten Augenblicken wird es vergessen, aber die unbewachten Augenblicke sind zahlreich wie der Sand am Meere. Der innerste Gedanke begeht täglich und stündlich seine großen und kleinen Indiskretionen. Man trete in die erste beste Gesellschaft durchschnittlicher Menschen, guter Bürger, braver Familienväter, und man höre zu. Wonach beurteilt sie die Vorzüge einer Karriere für einen jungen Mann? Was nennt sie eine gute Partie für ein junges Mädchen? Wie taxiert sie den Wert einer Kunst und den Segen einer neuen Wahrheit? Wie behandelt sie in ihrer eigenen Mitte den Rentier und den Proletarier? Freilich, gegen den Besitzlosen, wenn er zur Gesellschaft gehört, begeht sie keine handgreifliche Unhöflichkeit; die nämlichen Speisen und Weine werden dem Krösus und ihm gereicht; man macht ihm die üblichen Verbeugungen; man gönnt ihm die herkömmlichen Phrasen der Artigkeit. Aber bei alledem bleibt ein Unterschied, sehr fein vielleicht, sehr bedeutsam gewiß. Die Manier der Bewirtung, der Winkel der Verbeugung, der Ton der Artigkeit sind nicht dieselben. Selbst die Bedienten hinter den Stühlen unterscheiden. Sie kredenzen dem Reichen anders als dem armen Vetter des Hausherrn und dem schüchternen Kandidaten, welchen der Prinzipal heute herablassend zur Tafel gezogen hat, weil man sonst mit dreizehn zu Tische säße. Die Geringschätzung gegen den armen Gast verbergen, ist guter Ton, sie nicht empfinden, ist vornehme Gesinnung. Die großen Herren sind nicht immer die vornehmen. Wollt ihr wissen, ob sie es sind, so achtet auf die Lakaien; sie merken instinktmäßig, was sie in diesem Punkte sich erlauben dürfen, und sie verraten es naiver, was sie denken und sind, als der wohlerzogene Gebieter. Etwas vom Lakaien ist in uns allen (die Anwesenden natürlich immer ausgenommen), in dem einen mehr, in dem anderen weniger. Die bedientenhafte Ehrfurcht vor dem Mammon hat unzählige Abstufungen, aber den gröbsten wie den feinsten Nuancen liegt die nämliche Farbe zu Grunde. Eine drollige und lehrreiche Szene erlebte ich einmal selbst, als ich noch Student war. Der Schauplatz war der schattige Garten einer hübschen Villa; unter dem Lindenbaume saß die Familie beim Nachmittagskaffee, ich als Besucher in ihrer Mitte. Plötzlich stürzte in atemloser Hast ein Bedienter heran und meldete: Herr Baron von Rothschild. Feierlich war der Ernst seiner Züge, feierlich der Klang seiner Stimme; der Mann fühlte, daß er der Träger einer außerordentlichen Botschaft sei. Und außerordentlich war sie wenigstens in ihrer Wirkung. Wenn es geheißen hätte, die heiligen drei Könige aus dem Morgenlande seien vorgefahren und wünschten dem Herrn Kommerzienrat ihre Aufwartung zu machen, bombenartiger hätte der Eindruck auf unseren Kaffeezirkel nicht sein können. Vater, Mutter, Töchter und Söhne stoben in allen Richtungen auseinander, um einen besseren Rock anzutun, um eine frische Haube aufzusetzen, um einen reineren Kragen umzulegen, was weiß ich? Im Fliehen hatte die Hausfrau noch die Geistesgegenwart, dem Bedienten etwas von »bestem Kaffeegeschirr« zuzurufen, welches letztere denn auch alsbald in aller Pracht, eitel Silber und Sevres, erschien. Mägde rannten herzu mit gestickten Tischdecken, Damastservietten, seidenen Polstern; ihnen folgte nach kurzer Pause echauffiert und keuchend die Familie, Herrn von Rothschild in ihrer Mitte führend und erfolglos die Komödie spielend, als ob sie gerade im Begriff gewesen sei, in den Garten zu treten, und als ob der Herr Baron sie in ihrer Gemütlichkeit nicht im mindesten gestört habe. Solange der große Mann blieb, lag etwas wie ein Zauberbann auf der Familie. Es war, als ob sie vor ihm ihre Andacht verrichte. Während dieser Minuten war die übrige Welt für sie nicht vorhanden; all ihr Denken und Fühlen versank in dem einen Gegenstande der Anbetung. Ich war mir deutlich bewußt, daß ich gänzlich aufgehört hatte, zu existieren. Wär' ich plötzlich in Luft zerflossen, keiner in diesem Kreise würde es bemerkt haben, ausgenommen vielleicht Herr von Rothschild selbst, der natürlich keinen Grund hatte, andächtig zu sein. Nun muß ich bemerken, daß der Kommerzienrat behaglich von den Früchten eines bereits aufgegebenen Geschäftes zehrte, daß er für seine Person durchaus nichts von dem großen Börsenfürsten zu begehren und zu erwarten hatte. Es war angeborene Servilität, uneigennützige Kriecherei vor dem Beherrscher so vieler Millionen, was diese Menschen aus ihrem Gleichgewichte brachte. Der Reichtum an und für sich imponierte ihnen so sehr, daß sie sich in den Staub bückten und huldigten. Der Tanz vor dem goldenen Kalb sieht gar seltsam aus, wenn die Tänzer sich vergessen oder sich unbelauscht wähnen.

Ist es nicht charakteristisch, daß alle naiven Dichter und Erzähler ihre Helden und Heldinnen zum Schlusse mit Reichtum überschütten? Es genügt den Hörern und Lesern nicht, daß der tapfere Jüngling und die treue Jungfrau einander heiraten; die verfolgte Unschuld muß womöglich einen Königssohn zum Manne erhalten und der wackere Ritter eines Fürsten Eidam werden. Hiob verliert alles, um alles doppelt wieder zu bekommen. In den morgenländischen Märchen tritt diese Freude am Reichtum mit üppigster Ausschweifung auf. Da reichen die irdischen Schätze nicht aus; die Genien der Tiefe werden heraufbeschworen, um den Lieblingen Allahs die fabelhaften Juwelen des Feenreichs zu Füßen zu legen. Das Volk gleicht überall den Kindern, welche durchaus verlangen, daß eine Geschichte »gut endige«, und für welche zum guten Ende unabweislich gehört, daß die tugendhaften Personen ihr Leben lang schöne Kleider, Wagen und Pferde und, wie sich von selbst versteht, vollauf Kuchen und Naschwerk haben. Ohne das würden sie nicht an eine höhere Gerechtigkeit glauben. Wie die Jungen zwitschern, so singen die Alten. In den Romanen, welche das Publikum verschlingt, ein Publikum von Rittergutsbesitzern, Ladendienern, Gräfinnen und Kammerjungfern, ist das gute Ende unwandelbar ein voller Geldbeutel. Vor vierzig Jahren las Europa bei Tag und bei Nacht die Mystéres de Paris, den Juif Errant, mit einem Worte die Sensationsromane sozialistischer Konfession, in denen die armen Leute lauter Biedermänner und die reichen Leute lauter Spitzbuben sind und das Eigentum der Diebstahl ist. Sonderbar! auch diese dem Mammon so fanatisch feindseligen Tendenzwerke schlossen regelmäßig mit dem versöhnenden Klange unzähliger Zwanzigfrankenstücke. Die armen Biedermänner verwandelten sich auf mehr oder minder unwahrscheinliche Weise in Renteninhaber und Besitzer reizender Landhäuser, zu nicht geringer Erbauung der gesamten Leserwelt, einschließlich der Kommunisten und Sozialisten. Freilich beruhigte der Dichter sein Gewissen damit, daß er die beglückten Helden als wahre Ungeheuer von Großmut und Wohltätigkeit schilderte, als Leute, welche Arbeiterpaläste und Volksküchen und Fabriken mit dreifachem Wochenlohn stifteten, aber er gönnte den Edlen daneben doch auch alle Annehmlichkeiten, welche das Dasein großer Kapitalisten zu verschönen pflegen.

Heutzutage ist es der solide moralische englische Roman, welcher den Markt beherrscht, vermutlich also den Geschmack der Kunden trifft. Der englische Roman gewöhnlichen Schlages hat drei Bände, und der dritte Band hat ein Kapitel, in welchem der erste Held und Liebhaber Lord oder Baronet oder dergleichen wird und dazu die obligaten Tausende von Pfunden Sterling jährlich angewiesen erhält. Dabei geht alles sehr »genteel« zu. Der Held heiratet zum Beispiel nur nach Neigung, mit fast unverantwortlicher Hintansetzung finanzieller Rücksichten, aber es trifft sich immer so, daß die mitgiftlose Braut zur rechten Zeit einen steinreichen Onkel beerbt oder einen alten Familienprozeß gewinnt oder als Tochter eines Grafen entlarvt wird. Der Dichter schenkt dem jungen schönen Paare alle die goldenen Früchte, die am üppigsten im Schmutze gedeihen, aber den Anbau dieses Schmutzes überläßt er den eigens dazu angestellten Bösewichtern und Intriganten. Das gefällt dem Leser unsäglich, der auf diese Art Gelegenheit findet, zu gleicher Zeit an dem Anblick des Edelmuts und des weltlichen Glückes sich zu weiden, – ein Doppelgenuß, den das Leben selten gewährt.

Denn der Mensch will die Tugend wohl, aber die Tugend soll ihn auch glücklich machen, und zwar zunächst reich. Von diesem Gesichtspunkte aus könnte man alle poetischen Werke in zwei Hauptklassen teilen, je nachdem sie dieser Forderung Befriedigung gewähren oder nicht. Nur wenige und nur die edelsten Stämme des Menschengeschlechts haben Dichtungen der letzteren Klasse; nur diese erfreuen sich auch des tragischen Endes. Und auch sie nur in ihren Blütezeiten und nur in ihrer Elite. Die Tragödie ist selten oder nie recht populär gewesen. Vor hundert Jahren noch durfte man in London nicht wagen, Shakespeares Trauerspiele so aufzuführen, wie sie geschrieben sind. Das Publikum verlangte durchaus einen glücklichen Schluß: Romeo und Julie mußten einander heiraten; Jago mußte entlarvt werden, ehe Desdemona erstickt war; Cordelia zog im Triumphe mit dem genesenen Lear ab, um noch recht viele Jahre heiter und gesund zu verleben. Ich bin nicht sicher, ob nicht auch heute noch die Mehrheit sich für diese wohlwollenden Abänderungen entscheiden würde. Nur müßte man geheim abstimmen lassen. Denn öffentlich würden die Leute für den Shakespeareschen Text stimmen, aus Furcht, sich zu blamieren. Minder berühmten Schriftstellern gegenüber macht man kein Hehl daraus, daß man den Untergang der Helden nicht billigt: man verlangt, daß alles sich in Wohlgefallen auflöse; man besteht darauf, daß in der Dichtung wenigstens die Tugend ihren Lohn in klingender Münze erhalte.

Dabei ist nicht viel zu verwundern. Es ist sehr natürlich, daß der Mensch für sich dem Reichtum nachjagt und in andern ihm den Hof macht. Denn was ist Reichtum? Warum ist er der Abgott der Erde?

Hier höre ich die weise Bemerkung, daß reich derjenige sei, welcher die wenigsten Bedürfnisse habe, die wenigsten im Verhältnisse zu seinen Mitteln. Man brauche nicht Reichtümer zu besitzen, um reich zu sein. Der Tagelöhner, der einige Gulden in die Sparkasse einlege, sei reicher als der Edelmann, der Schulden mache. Allein diese Bemerkung enthält mehr eine Lehre als eine Definition. Der Reichtum, nach welchem alles drängt, ist etwas ganz anderes als eine Decke, nach welcher der Kluge sich streckt und die der Tor zum Pfandleiher trägt. Reichtum ist mit einem Worte Macht, »die Macht zu kaufen«, wie Adam Smith sagt, oder die Macht über fremde Kräfte, was auf dasselbe hinausläuft.

»Wenn du sechs Hengste zahlen kannst,
Sind ihre Kräfte nicht die deinen?«

Vor dem, welcher den goldenen Talisman besitzt, erscheinen die Kräfte der Menschen und der Tiere, wie die Genien der Lampe vor Aladdin und fragen nach seinem Begehr, und wie er es gebietet, so richten sie es aus. Sie verschaffen ihm die Genüsse, nach denen er schmachtet, sie verbannen die Leiden, vor denen ihm graut: ist es zu verwundern, daß der natürliche Mensch, das Geschöpf der Begierde und der Furcht, das anbetet, was jene stillt, diese beruhigt? Der natürliche Mensch hat von je den Reichtum angebetet, der wilde nicht mehr als der zivilisierte; diese Religion wurzelt in dem Wesen unseres Geschlechts und sie weicht nicht vor der Aufklärung des Kopfes. Sie ist die Barbarei des Herzens, sie ist das Heidentum der Sitte, und deshalb helfen auch gute Lehren wenig gegen sie. Man bemerke, daß das Christentum kaum etwas anderes mit größerem Nachdrucke predigt als Verachtung irdischer Schätze, als die Unversöhnlichkeit zwischen Gott und Mammon; man bedenke, daß das Evangelium die irdische Armut mit dem erhabensten Beispiele verklärt hat, und man beachte, wie unmerklich wenig Einfluß Lehre und Beispiele im Laufe von achtzehn Jahrhunderten auf das praktische Leben ausgeübt haben. Die freiwillige Armut wird in christlichen Landen als ein Beweis übermenschlicher Heiligkeit verehrt, aber das härene Gewand der Kanonisierten beweist eben nicht mehr als der Mantel des Epaminondas: die Ausnahme! In protestantischen Ländern wäre es noch die Frage, ob ein freiwillig Armer nicht mehr Aussicht hätte, unter Kuratel gestellt als heilig gesprochen zu werden. Die zivilisierten Barbaren sehen es gern, wenn ein begüterter Mann wohltätig und freigebig ist, aber er darf es nur mit seinen Zinsen sein; er muß nicht das Kapital angreifen. Es ist auch gar nicht wahr, daß der Reiz des Reichtums bloß von dem Bedürfnisse abhängt. Das Bewußtsein: ich könnte, wenn ich wollte! ist schon für sich allein ein Genuß, eine Befriedigung der menschlichen Leidenschaft, – für manche die allerhöchste und die einzige. Nicht die Anwendung der Macht, sondern ihr Besitz macht die Könige stolz, und ihr Gefühl teilt der Geizhals, der am reinsten und abstraktesten das Wesen des Reichtums auffaßt, eben als einer Macht. Darum nennt die Sprache mit gleichem Worte die Begierde nach Gold und die nach Herrschaft: Geiz. Der Geiz steht in gewissem Sinne höher als die Auffassung des Reichtums als eines bloßen Mittels der Befriedigung. Der große Haufe kann den Geizhals nicht begreifen, er betrachtet ihn als einen Verrückten, der sich überflüssige Kasteiungen auferlegt.

Er ist Poet! vor andern Dichtern groß!
Sein Geist beschwört die aufgehäufte Pracht
Des Erzes, das er hat, des Hoffnung bloß
Die Völker über Meer treibt. Aus dem Schacht
In Barren bricht der gold'ne Schimmer los;
Ihm funkelt der Demant, und der Smaragd,
Der sanfte, dämpft den Glanz der andern Steine
Und labt des Geiz'gen Blick mit mildem Scheine.

Sein ist der Westen und der Osten sein:
Von Ceylon, Hindostan und China tragen
Die Schiffe duft'ge Frücht' und Spezerei'n;
Der Weg seufzt unter seinem Ceres-Wagen,
Und wie Auroras Lippe glüht sein Wein;
In seinen Kellern könnt' ein König tagen,
Indes er, gegen Sinnenreiz erkaltet,
Ein geist'ger Herrscher über alles waltet.

Vielleicht baut er im Geiste Lazarette,
Vielleicht hat er ein Majorat bedacht,
Vielleicht auch eine prächt'ge Grabesstätte,
Die seine mag're Statue überwacht;
Er träumt vielleicht, wie er die Menschheit rette
Mit dem Metall, das sie erbärmlich macht;
Vielleicht will er als »reichster Mann« stolzieren;
Vielleicht macht's ihm nur Spaß zu kalkulieren.

Was aber auch sein Sporn zum Handeln sei,
Ob eins von solchen Dingen oder keins,
Der Tor nur nennt dies Streben Raserei;
Und seines? – Liebe, Krieg, Genuß des Weins,
Macht das die Menschen glücklich oder frei?
Mehr als das Schwitzen bei dem Einmaleins?
Dein Erbe, mag'rer Harpagon, erfahr'
Von dem des Prassers, wer der Weis're war!Aus der Don Juan-Übersetzung des Verfassers.

Daß auch der Knauser genießt, versteht die Menge nicht, während sie mit dem Verschwender beinahe sympathisiert. Aber in Wahrheit ist der Verschwender der minder Vernünftige von beiden. Er steht dem Tiere nahe; der Geizhals ist so weit wie möglich vom Tiere verschieden. Denn wodurch erhebt sich der Mensch über das Tier? Durch die Fähigkeit, von dem sinnlichen Eindrucke sich unabhängig zu machen und Motiven zu folgen, welche nur in der Gedankenwelt existieren. Mit einem Worte, durch die Vernunft. Die Fähigkeit, künftige Möglichkeiten in Rechnung zu ziehen, die Fähigkeit, für ferne Jahre zu sorgen, einen augenblicklichen Genuß sich zu versagen, um einer späteren Entbehrung vorzubeugen, eine Befriedigung der sinnlichen Begierde zu verschmähen, um dafür eine Befriedigung des inneren Bewußtseins zu gewinnen, – dieser Vorzug des Menschen vor allen anderen Geschöpfen der Erde, dieses Fundament aller Zivilisation wird augenscheinlich von dem Verschwender ganz und gar verleugnet; er beugt sich unter die Herrschaft des blinden augenblicklichen Triebes, der flüchtigen Laune; er unterwirft sich kampflos dem tyrannischen Willen wie das Tier. Der Geizhals dagegen ist in eminentem Sinne Mensch. Die bloße Sparsamkeit, d. h. das Ansammeln von Gütern zum Zwecke künftiger Selbstbefriedigung hat noch in der Tierwelt eine dunkle Analogie, in dem Instinkte der Hamster, der Bienen und Ameisen. Der Geiz ist etwas ausschließlich Menschliches. Das ganze Leben des Geizigen ist ein Sieg des Gedankens über die Sinnlichkeit und den Instinkt. Er spart nicht, um künftig genießen zu können; er spart, um sich an einem Gedanken weiden zu können. Der Gedanke ist ein verwerflicher, immerhin; aber er ist ein Gedanke. Freiwillig widersteht der Geizige allen Lockungen des Genusses; freiwillig erträgt er alle Leiden der Armut, nur um sich den einen geistigen Genuß zu verschaffen, zu erhalten und zu steigern, nur um denken zu dürfen: Ich habe die Macht! ich könnte, wenn ich wollte! Die Welt würde ihn bewundern, wenn nicht schließlich auch sein Streben auf rein egoistische Befriedigung gerichtet wäre. Was er tut, ist dasselbe, was auch Märtyrer, Helden, Philanthropen tun; nur das Motiv unterscheidet ihn von diesen. Wenn sie den Freuden des Wohllebens entsagen, um das Himmelreich zu erwerben, um das Vaterland zu verherrlichen oder um den Armen und Kranken zu helfen, so entsagt er den nämlichen Freuden, um im Gefühle des Reichseins zu schwelgen, um bei seinen Käserinden den Traum der Herrschaft über die Welt zu träumen. Sein Zweck ist klein, aber das Mittel, dessen er sich bedient, ist die höchste Geisteskraft des Menschen. Durch das Mißverhältnis zwischen Zweck und Mittel wird er zu einer Karikatur; hätte er ein anderes Motiv, so wäre er erhaben.

Herrschaft über die Welt, – was anders bedeutet der Reichtum? Er ist die Macht, andere unter unseren Willen zu beugen, fremde Arbeit, fremdes Talent für uns in Bewegung zu setzen. Und mehr vermag am Ende ein Sultan auch nicht. Wer das Geld hat, dem bestellt der Pflüger den Acker und der Winzer den Weinberg, der eines dritten Erbgut ist. Für ihn wirkt in Asien der Weber die köstlichsten Teppiche, für ihn glättet in Rom der Steinmetz den Marmor. Ohne von seinem Lehnstuhle sich zu erheben, mühelos, mit einem Winke entbietet er alle Herrlichkeiten der Welt zu sich. Mitten im Winter hat er blühende Gärten; im Sommer zaubert er schattige Einsamkeiten um sich her; Gemälde und Statuen erfreuen sein Auge, wenn die Natur ihn ermüdet; wenn die Stille ihm lästig wird, erfüllt die Hauskapelle sein Ohr mit Wohllaut. Auf seinen Befehl erheben sich Museen, Kirchen und Paläste; um seine Wünsche zu befriedigen, trotzen Hunderte von Menschen selbst den tödlichen Gefahren der Polarmeere, der Tropensümpfe, der unwirtbaren Felsöden, damit es ihm in seiner behaglichen Heimat nicht an Juwelen und Pelzwerk und Spezereien mangele. Oder wenn er der Heimat überdrüssig wird, so tragen ihn schwimmende Paläste, gleich den arabischen Zauberrossen, zu den Paradiesen der Erde, nach Lissabon, nach Neapel und den Inseln im griechischen Meer. Was der Großmogul in Delhi und der Kalif von Bagdad durch zahllose Sklavenschwärme bewirkte, das erreicht der Krösus unserer Zeiten besser, bequemer und sicherer vermittels jener kleinen Scheiben gelben Metalls, welche vor den Sklaven den Vorzug haben, daß sie nie faul, gefräßig und ungehorsam sind.

Dies ist die Frucht der modernen Zivilisation und eine der merkwürdigsten. In alten Zeiten ist der Reichtum an sich, der bloße Geldbesitz für sich allein niemals so unbedingt und in so hohem Maße Macht gewesen wie gegenwärtig. Ich will nicht davon reden, daß heute für Geld unzählige große und kleine Genüsse und Bequemlichkeiten erkauft werden können, von denen Salomo in seiner Herrlichkeit sich nichts träumen ließ, welche König Krösus mit allen seinen Schätzen und Harun Alraschid mit seinen Sklavenheeren sich nicht verschaffen konnten – von den Eisenbahnfahrten bis zu den Streichhölzchen, von der E-Moll-Sinfonie bis zu dem Zeitungsblatte auf dem Frühstückstische –, nicht von diesen Dingen rede ich, sondern davon, daß heutzutage nicht mehr, wie früher, der Reiche außer seinem Gelde noch andere, persönliche Besitztümer nötig hat, um seines Reichtumes als einer Macht froh werden zu können, oder mit anderen Worten, um seinen Reichtum gegen Habsucht und Gewalt Stärkerer zu schützen. Die Sorge hat ihm der Staat, das Gesetz, die Polizei, die öffentliche Meinung abgenommen. Ein schwaches Kind, ein gebrechlicher Greis, ein altes Weib können jetzt ungezählte Schätze besitzen, ohne daß sie vor Räubern Angst zu haben brauchen. Ein sehr bescheidenes Maß von Klugheit genügt, um das Eigentum gegen Betrug und List zu sichern; von seiten der Gewalt drohen ihm nur höchst selten ernstliche Gefahren. Es gibt Millionäre, welche ihr Vermögen auf dem ganzen Erdball zerstreut haben, in Ländern, die sie nie betraten, bei Menschen, die sie niemals sahen, und welche gleichwohl gegen Verluste ebenso sicher sich fühlen, als hätten sie ihre Schätze in einem uneinnehmbaren Gewölbe verwahrt. Sie haben in eigenem Gewahrsam vielleicht nur ein mäßiges Taschengeld, während ihre Millionen aufsichtslos in fernen Weltteilen sich umhertreiben. Sie sind vielleicht die hilflosesten und feigsten Memmen offener Gewalt gegenüber, aber sie sind darum nicht minder mächtig; die Kühnheit Bayards und die Stärke Richards mit dem Löwenherzen würde darin keinen Unterschied machen.

So ist es nicht immer gewesen. In der Vorzeit und noch jetzt in barbarischen und halbbarbarischen Ländern gilt der umgekehrte Satz: nicht Reichtum ist Macht, sondern Macht ist Reichtum. In den großen asiatischen Reichen waren und sind es die Sultane und Paschas, im mittelalterlichen Europa waren es die Kriegsfürsten und die Burgherren, welche von dem Fette des Landes lebten. Freilich gab es auch damals, wie jetzt, reiche Kaufleute und Fabrikanten, aber auch diese waren nur reich, sofern sie mächtig waren. Hinter Wällen und Gräben, mit Rossen und Reisigen und mit bewaffneten Orlogschiffen mußten sie täglich gerüstet sein, zu verteidigen, was der Fleiß erworben hatte. Das Wort »reich« bedeutete im Mittelalter geradezu »mächtig«, wie das lateinische Rex, mit welchem es stammverwandt ist, wie noch heute der Machtbezirk eines Königs sein »Reich« genannt wird. Unser »Vermögen« und ebenso das italienische »podere« vereinigt tiefsinnig beide Begriffe der Macht und des Besitzes und mahnt an die alten Zeiten, wo nur wer etwas vermochte, auch etwas besitzen konnte. Anfang und Ende der Kulturentwickelung spiegeln sich manchmal in den Worten und ihrer langsam sich wandelnden Bedeutung. Der erste König, sagt Voltaire, war ein glücklicher Soldat, und das Wort Soldat selbst erinnert uns schon daran, daß heutzutage das Geld auch den Krieg beherrscht.

Im Orient, das heißt im rechten, unverfälschten Orient, gibt es nur einen einzigen reichen Mann, den Monarchen. Er hat die Macht, die gesamte Arbeitskraft seiner Untertanen für seinen alleinigen Nutzen auszubeuten, und nicht selten tut er es. Darum haben die Untertanen auch kaum Trieb und Lust, selbst etwas zu erwerben. Denn kaum besitzen sie etwas Begehrenswertes, so kommen des Königs Diener und nehmen es zu sich. Wie heute, so ist es seit Jahrtausenden gewesen. Der Pharao, unter welchem Joseph als Minister diente, war, gerade wie jetzt der Vizekönig von Ägypten, der Gutsherr des ganzen Landes. Das »monarchische Prinzip«, wie es dort noch gegenwärtig gilt, hat schon vor dreißig Jahrhunderten Samuel dem Volke Israel auseinandergesetzt, als es einen König begehrte, »wie alle Heiden haben«:

»Eure Söhne wird er nehmen zu seinen Wagen und Reitern, die vor seinem Wagen hertraben, und zu Ackerleuten, die ihm seinen Acker bauen, und zu Schnittern in seiner Ernte, und daß sie seinen Harnisch, und was zu seinem Wagen gehört, machen. Eure Töchter aber wird er nehmen, daß sie Apothekerinnen, Köchinnen und Bäckerinnen seien. Eure besten Äcker und Weinberge und Ölgärten wird er nehmen und seinen Knechten geben. Dazu von eurer Saat und euren Weinbergen wird er den Zehnten nehmen und seinen Kämmerern und Knechten geben. Und eure Knechte und Mägde und eure feinsten Jünglinge und eure Esel wird er nehmen und seine Geschäfte damit ausrichten. Von euren Herden wird er den Zehnten nehmen, und ihr müsset seine Knechte sein.«

Man sieht, so ziemlich alle die Dinge, wofür heutzutage Herr von Rothschild seine Handwerker und seine Dienstboten bar bezahlt, oder deren Genuß er sich durch Güterkäufe sichert, nimmt nach morgenländischem Staatsrechte der Herrscher den Leuten ohne viel Umstände und ohne Entgelt. Er ist auch reich, aber nur weil er der Stärkste ist von allen, und nur solange er der Stärkste ist. Wenn der König schwach und weibisch wird, so wird er auch ein Bettler. Ein fremder Eroberer oder ein ehrgeiziger Satrap stößt ihn weg von seinem Stuhle und wird reich an seiner Stelle. Die Kämmerer und Knechte des Herrn sammeln wohl auch durch Raub und Unterschleif ein anscheinendes Privatvermögen, aber es ist eben nur Schein. Keinen Tag sind sie ihres Besitzes sicher; die Hand des Herrn schwebt immer über ihnen, bereit, den vollen Schwamm auszudrücken und den Brunnen des Dieners in die große Zisterne des Königs zu leiten. Sicher sind nur, die nichts haben, und jedermann sucht daher wenigstens zu scheinen, als habe er nichts. Sorgfältig wird alles verheimlicht, was den Verdacht des Wohlstandes erwecken könnte; Gold und Silber wird verscharrt; der gute Braten wird hastig verschlungen hinter verriegelten Türen, mit zitternden Händen. Wie bei uns jeder für reicher gelten möchte, als er ist, so dort jeder für ärmer. Wer zu einem großen Herrn gerufen wird, kleidet sich in dürftige Gewänder und macht sein kläglichstes Gesicht; Prunk und Aufwand, dieser ewige Beschwerdepunkt europäischer Familienväter, ist das Privilegium der wenigen, welche sich stark genug wissen, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Wunderbar aber ist der Anblick, wenn einmal die allgemeine Furcht auf kurze Zeit von diesen Ländern hinweggenommen wird, wenn einmal ein weiser und menschenfreundlicher Fürst oder gar eine Reihenfolge wohlwollender Herrscher das Mißtrauen des Volks in Sicherheitsgefühl verwandelt. Dann pflegt mit unglaublicher Schnelligkeit eine kolossale Blüte des Reichs sich zu entfalten; die aber ebenso rasch unter dem Szepter des nächsten Tyrannen wieder verschwinden muß und nur in den Märchen und Sagen, wie die Erinnerung an eine goldene Zeit, fortlebt. Mit diesem Zustande hängt es denn auch zusammen, daß im Orient die Freigebigkeit, im Abendlande die Sparsamkeit des Regenten höher gepriesen wird.

In Europa ist jene Sicherheit des unbewaffneten Reichtums, an welche wir gewöhnt sind, verhältnismäßig jungen Datums. Jedermann weiß, daß die berühmten Städte des Mittelalters, Venedig, Lübeck, Nürnberg, Brügge, Bürger zählten, welche an Reichtum mit Königen wetteiferten. Aber auch an Macht wetteiferten diese Städte mit den Königen; sonst würde es mit ihrem Reichtum bald zu Ende gewesen sein. Was für Augen hätten aber wohl die alten Magnifizi und Hochedlen gemacht, wenn man ihnen erzählt hätte, daß im neunzehnten Jahrhundert in einer einzigen Stadt, wie es jetzt in der City von London der Fall ist, mehr Schätze, als ihr ganzes Europa besitze, aufgehäuft liegen würden, in einer Stadt ohne Mauern und Gräben, nur bewacht von einigen hundert Männern mit kleinen Stöcken, und daß gleichwohl dieser unermeßliche Reichtum weniger gefährdet sein werde, als das Gold und Silber in den festesten Burgen des Mittelalters jemals gewesen sei! Der Umschwung, welchen in diesen Dingen die Zivilisation herbeigeführt hat, ist in der Tat ein ganz ungeheurer, und die Menschen haben, um an ihn zu glauben, lange, lange Zeit gebraucht. Der Bauer kann sich jetzt noch nicht recht denken, daß Hab' und Gut vor der Faust des Stärkeren sicher sei. Nur zögernd entschließt er sich, die blanken Goldstücke aus dem leiblichen Besitze zu entlassen und der Sparkasse anzuvertrauen. Wenn man in weltentlegene Dörfer kommt, so spürt man noch immer die altererbte Scheu des Volkes vor allem, was vornehm aussieht. Vornehm und räuberisch sind da noch dicht nebeneinander liegende Begriffe. Und selbst, wenn seit Menschenaltern ein geordneter Rechtszustand die alten Vorstellungen überwunden hat, haftet noch die alte Gewohnheit. Noch immer wandert mancher Sparpfennig in den Wollstrumpf hinter dem Schornstein oder in den eisernen Topf im Keller. Noch immer liebt es der Bauer, wenigstens dem Städter gegenüber, über schlechte Kornpreise und Viehsterben und schwere Gemeindelasten zu jammern. Man soll nicht merken, daß er vorwärts komme und das Geld zurücklege.

Noch eine andere Erscheinung glaube ich auf uralte Volksanschauung zurückführen zu dürfen. Ich meine den außerordentlichen Wert, welchen noch heutzutage viele auf die Abstammung von denjenigen Klassen legen, die im Mittelalter die Macht und mit der Macht den Reichtum repräsentierten. Selbst in Ländern, wo der Geburtsadel nicht die geringsten politischen Vorteile mehr gewährt, erhält das feudale Gefühl sich mit merkwürdiger Zähigkeit. Der Pflanzer in Virginien blickt als Nachkomme englischer Kavaliere ebenso stolz auf seine plebejischen Mitbürger herab, wie der Enkel der Kreuzfahrer im Faubourg Saint-Germain auf die Emporkömmlinge des kaiserlichen Hofes, Kaiser und Kaiserin nicht ausgeschlossen. Und man würde sehr irren, wenn man annähme, diese Hochschätzung des Geblüts finde kein Echo in den Massen des amerikanischen und des französischen Volks. Der gewöhnliche Amerikaner hegt eine wahrhaft kindliche Ehrfurcht vor den heraldischen Herrlichkeiten, welche an die Zeiten des Faustrechts erinnern; einen wirklichen Grafen, einen lebendigen Lord zu sehen, ist ihm mehr Genuß, als alle Madonnen Rafaels und alle Aphroditen Griechenlands dem transatlantischen Touristen zu gewähren vermögen. Was den Franzosen betrifft, so wird er lieber die Guillotine wieder in Bewegung setzen, ehe er den »Erben der großen historischen Namen« auch nur den Schatten eines Vorrechts, sei es welcher Art es wolle, wieder einräumen möchte; aber der Franzose ist nichts weniger als gefühllos für die dekorativen Vorzüge, welche mit einem echten Herzogstitel oder Marquisat verknüpft sind. Man braucht nur die populäre Literatur, die gelesensten Blätter, die erfolgreichsten Bühnenstücke zu Rate zu ziehen, um sich hiervon zu überzeugen. Der Lieblingsheld der Pariser Ouvriers und Grisetten ist der junge Seigneur mit demokratischen Gesinnungen. Der reiche Bourgeois ist eine halb gehässige, halb komische Figur, und nirgends mehr, als in Paris, liebt es der emporgekommene Plebejer, sich – sei es auch nur durch den Visitenkartenstecher – ein wenig adeln zu lassen.

Am deutlichsten prägt sich die Nachwirkung der feudalen Sitten in England aus. Dort hat das hohe Ansehen der großen grundbesitzenden Familien, welches nicht zu verwechseln ist mit der politischen Stellung der Pairie, alle Revolutionen und Reformen und selbst alle Triumphe der Industrie- und Geldwirtschaft überlebt, ohne künstliche Stützen, ohne Majorate, Ahnenproben und kleine Residenzen. Der Reichtum steht bei den Engländern in hohen, sehr hohen Ehren, aber recht respektabel erscheint er ihnen erst, wenn er es zu einem Familiengute gebracht hat und in Gestalt von »wirklichem« Eigentum (real property, wie sie bedeutsam das unbewegliche Vermögen nennen) auf den ältesten Sohn sich vererbt. Das Kapital, in Grund und Boden angelegt, wirft die niedrigste Rente ab, aber sich in Grund und Boden zu verwandeln, ist das Ziel, auf welches alle Kapitalien, ganz gegen das wirtschaftliche Gesetz, hindrängen. Erst dann haben die großen Geldverdiener der City, die Baumwollenlords von Lancashire, die Magnaten der Aktienbörse nicht vergebens gelebt, wenn sie sich eine stattliche Herrschaft erworben haben und nunmehr, als Beherrscher einer untergebenen Bevölkerung von Pächtern und Häuslingen, aus der Sphäre der »Mittelklassen« hinübertreten in den Kreis der »guten Familien« des Landes. Erst indem er Gutsherr wird, wird der Plebejer »ein Gentleman« im eigentlichen Sinn des Wortes; bis dahin nannte man ihn nur aus Höflichkeit so. Denn ein Gentleman ist der Sohn oder das Haupt einer Familie, welche auf und von ihrem erb- und eigentümlichen Lande lebt, unabhängig von erwerbender Arbeit, unterhalten von dem Tribut der Gutsuntertanen, so, wie in den guten alten Zeiten die Barone und die Ritter gelebt haben. Die Eigentumsprobe ist dem Engländer wichtiger als die des Geblüts; in allen praktischen Beziehungen herrscht völlige Gleichheit zwischen dem Gentleman von altem und von neuem Datum; aber diejenigen, deren Vorfahren seit Jahrhunderten Grundherren gewesen sind, gelten gleichwohl für die Besten unter den Guten. Stolz ist derjenige, welcher sich rühmen kann, daß sein Urahn mit Wilhelm dem Eroberer ins Land gekommen und den Familiensitz vermittelst Raubes gewonnen hat; dagegen spricht man nicht gern davon, wenn man das Gut von dem seligen Mr. Smith um bare Guineen, redlich im Baumwollhandel oder durch Bierbrauen verdient, käuflich erstanden hat.

Diejenigen männlichen Eigenschaften, so scheint es, welche in rechtlosen, gewaltsamen Zeiten unentbehrlich waren, um großen Besitz zu erwerben und zusammenzuhalten, also mit einem Worte hervorragende kriegerische Tüchtigkeit, diese Eigenschaften werden von den Menschen im Grunde noch immer mehr bewundert und wert gehalten, als die anderen Eigenschaften, welche in unserem zahmeren Zeitalter dem Gelderwerbe förderlich sind: Klugheit, Sparsamkeit, Fleiß. Tapferkeit und Stärke üben auf die Phantasie einen Zauber aus, der noch jetzt nachwirkt in dem Nimbus, mit welchem die Volksansicht den Adel umgibt. Denn der Adel, was er auch jetzt sein mag, war ursprünglich nichts anderes als die Ehre und die Beute der tapfersten Krieger. Nur mit dem Schwerte konnte ursprünglich die Herrschaft über Land und Leute, den einzigen Reichtum der feudalen Welt, erworben werden, und es ist zu beachten, daß diese Kunst, reich zu werden, sehr wohl verträglich und gewiß nicht selten verbunden war mit Charakterzügen, welche von jeher populär gewesen sind, mit Sorglosigkeit für das eigene Wohl, mit einer gewissen rohen Großmut und Freigebigkeit, während auf der anderen Seite unser kommerzieller und industrieller Reichtum nicht allein zu persönlicher Kraft und mannhaftem Mut in keinem notwendigen Verhältnis steht, sondern selbst durch gewisse häßliche Eigenschaften, durch Engherzigkeit, Furchtsamkeit, Härte, ja selbst durch Unredlichkeit eher gefördert als beeinträchtigt zu werden scheint, nicht selten auch als Geschenk des blinden Zufalls dem Unwürdigen zu teil wird und auf solche Weise im Volke recht eindringlich zu gleicher Zeit den Neid, den Haß und die Verachtung weckt. Hieraus erkläre ich es mir, wie es zugeht, daß einesteils an dem Besitze des Adels und an adeligem Besitz ein Duft von Romantik, freilich schwächer und schwächer werdend, haftet, andernteils die bloße Geldaristokratie den Fluch der Gemeinheit nicht los werden kann.

Es ist merkwürdig, wie dieser Fluch auf das konkrete Symbol und Werkzeug des industriellen und merkantilen Reichtums, auf das bare Geld selbst sich überträgt. Zwar ist das Geld nicht der Reichtum selbst, aber beide sind für die gewöhnliche Anschauung gleichbedeutend geworden. Nicht wie viel Häuser und Äcker, Schiffe und Speicher, Rinder und Rosse einer habe, wird gefragt, sondern wie viel Mark? Die Phantasie malt sich den Talisman, welcher fremde Kräfte dem Besitzer untertan macht, immer in der Gestalt des geprägten, ausgemünzten Metalls. Gerade in dieser allbegehrten Gestalt aber hat der Reichtum am meisten den Zug des Verächtlichen, Unanständigen. Es ist, als fühle der Mensch diesem prägnantesten Symbole der zeitlichen Güter gegenüber eine Art von Scham vor sich selber und vor der Erbärmlichkeit, welche das Nichtigste zum Wichtigsten macht. Das bessere Bewußtsein regt sich instinktmäßig und protestiert gegen die Anmaßungen des Götzen, welcher die Schwelle des Allerheiligsten zu betreten versucht.

Jeder fühlt sich verletzt, wenn die besten Leistungen geistiger oder sittlicher Kraft in Geld abgeschätzt werden; man fühlt, wie unziemlich es ist, eine Lebensrettung, eine große Offenbarung der Wahrheit, eine patriotische Tat mit klingender Münze zu belohnen. Wenn wir etwas besonders Köstliches bezeichnen wollen, so sagen wir nicht: »Es ist hunderttausend Dukaten wert«, sondern: »Es ist für Geld nicht zu kaufen«. Die alten Griechen bewiesen einen feinen Takt, da sie den Siegern in den heiligen Festspielen keinen anderen Preis bewilligten als den einfachen Kranz, der weder käuflich war noch verkäuflich. Daß ihre Dichter und Philosophen keine Honorare bezogen, war freilich eine notwendige Folge der mangelhaften Organisation ihres Buchhandels; aber es ist mir zweifelhaft, ob sie den Verkauf des geistigen Eigentums, auch wenn es möglich gewesen wäre, recht schicklich gefunden hätten. Sophokles und Äschylos bezogen jedenfalls keine Tantieme, und Plato nahm keine Bezahlung für seine philosophischen Vorträge. Freilich haben wir keine Sklaven, wie Griechen und Römer sie hatten, und unsere Schriftsteller und Lehrer müssen sich schon bequemen, in Geldsachen minder groß zu denken als die Alten, welche nicht um ihr tägliches Brot zu sorgen brauchten. Aber auch wir empfinden es noch als eine Entwürdigung, wenn einer bloß des Verlegersoldes wegen schreibt, bloß dem Eintrittsgelde zuliebe lehrt. Wie viele Schriftsteller seufzen wohl im stillen, daß es ihnen nicht vergönnt ist, zu arbeiten, ohne nach dem Lohne zu fragen! Daß der Handwerker sich jede Stunde seiner Arbeit bezahlen läßt, daß der Kaufmann darauf ausgeht, den höchsten Preis zu erzielen, finden wir ganz in der Ordnung, aber der Künstler, der Lehrer der Wissenschaft, der Dichter, welcher für den besten Markt arbeitet, erniedrigt, ja entehrt sich in unseren Augen. In unseren bürgerlichen Gemeinden sind Ehrenämter diejenigen, welche nichts einbringen, und selbst unsere Orden und Titel erscheinen als – nur geschmacklosere – Surrogate des unfruchtbaren Kranzes, mit welchem die Hellenen ihre Besten schmückten.

Es gibt Erwerbsarten, welche auf wissenschaftlicher Bildung beruhen und doch eine Bezahlung ihrer Leistungen voraussetzen, wie die Advokatur und die ärztliche Praxis. Aber so tief begründet ist der Gegensatz zwischen wissenschaftlicher Würde und nackter Geldwirtschaft, daß Berufsgeschäfte dieser Gattung beinahe überall nach anderen als rein kaufmännischen Grundsätzen betrieben werden müssen. Die öffentliche Meinung, formuliert in einer stillschweigend anerkannten Standesetikette, fordert es so. Weder der Advokat noch der Arzt darf seine Dienste dem Meistbietenden verkaufen, sie dem Mittellosen versagen, Kunden aufsuchen, durch wohlfeilere Bedienung das Publikum anlocken. Die Gesetze der Konkurrenz existieren für sie nicht; in manchen Staaten versagt ihnen das Gesetz sogar das Recht der gerichtlichen Einklagung der ihnen zukommenden Remunerationen, in den meisten schreibt die Obrigkeit vor, wie hoch sie ihre Arbeit anrechnen dürfen. Das, was sie dem Publikum bieten, ist etwas Höheres als Ware und Lohnarbeit, oder soll es doch sein. Ebenso verhält es sich mit dem Staatsdienste, für welchen die Besoldungen gewöhnlich weit knapper zugeschnitten sind als die Remunerationen, deren die Diener der Privatindustrie sich erfreuen. Ein Oberkellner, ein Zuschneider, ein Bankkassierer steht sich in der Regel besser als ein Offizier, ein Richter oder ein Zollbeamter. Aber das Staatsamt soll eben nicht eine bloße bürgerliche Nahrung sein, obwohl viele es so behandeln.

Es hängt hiermit zusammen, daß einige Berufsarten als anständig für »guter Leute Kind« gelten, andere nicht. In England kann der jüngere Sohn eines wirklichen Gentleman, ohne Kaste zu verlieren, seinen Lebensunterhalt nur in drei Laufbahnen verdienen, als Staatsdiener, als Geistlicher, als Offizier, – allenfalls auch als Anwalt und als Arzt. Alle diese Berufsarten haben das Charakteristische, daß in ihnen zwischen Leistung und Bezahlung kein direktes Verhältnis obwaltet. Das Geld kommt mit ihnen sozusagen nur in mittelbare Berührung, und eben deshalb gelten sie für anständiger. Jede Arbeit, welche direkt mit Geld aufgewogen wird, hat, wenn sie auch weit gewinnbringender ist, einen geringeren Rang. Eine ähnliche Anschauung finden wir auch auf dem Kontinent, mit lokalen Abweichungen natürlich, aber in der Hauptsache auf dem nämlichen Gefühle beruhend. Selbst diejenigen, welche persönlich durch die Unterscheidung gedemütigt werden, machen doch die Unterscheidung mit. Der Handwerker ist stolz darauf, seinen Sohn studieren zu lassen, wenn auch Hobelbank und Amboß mehr Geld einbringen als die Doktorwürde. Der Bauer trachtet danach, aus einem seiner Kinder einen Herrn Kandidaten zu machen, wenn schon die kirchliche Laufbahn nicht gerade zu den glänzenden gerechnet werden kann. Der Bankier weidet sich an der Gloire seines Erstgeborenen, welcher bei dem berühmten und bekanntlich äußerst exklusiven Kürassierregimente einen nicht unerheblichen Teil der väterlichen Einkünfte als Kavalier verzehrt.

In den Vereinigten Staaten von Amerika, sagt man, fehle ein solches Gefühl für die Rangordnung der Arbeit gänzlich. Jede Beschäftigung, vermittels deren man Geld verdiene, gelte für gleich anständig. Und gewöhnlich wird dies als ein Vorzug der Vereinigten Staaten gepriesen. Wenn die Sache sich wirklich so verhält, was noch bezweifelt werden mag, so muß man sagen, daß es löblich ist, jede nützliche Tätigkeit, auch die niedrigste, höher zu ehren als das Nichtstun des dünkelhaften Gecken. Ob es aber ebenso löblich ist, das Geldverdienen zum ausschließlichen Wertmesser der Beschäftigungen zu machen, ist eine andere Frage. Dazu sind die Menschen ohnehin sehr geneigt, auch ohne daß man es ihnen als besondere Weisheit predigt. Allein ich für meinen Teil entscheide mich doch lieber für die europäische Ansicht, die wohl mit allerlei Schiefem und Verkehrtem versetzt ist, aber doch schließlich auf den alten Satz zurückführt, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Heilsam und ehrwürdig erscheint mir das dunkle Gefühl, welches unsere Bauern und Handwerker antreibt, sich das Geld am Munde abzudarben, damit ihre Kinder von dumpfer Handarbeit zur Gehirnarbeit aufrücken können. Man braucht nicht zu fürchten, daß die Leute zu wenig Respekt vor dem Gelde bekommen möchten.

Das Bewußtsein von der Vulgarität des Geldes tritt auch dann in uns hervor, wenn wir in der Lage sind, jemand ein Geschenk zu machen. Welche Mühe geben wir uns nicht, den Geschenken einen Wert zu verleihen, der vom Gelde unabhängig sei. Das einfachste wäre ja, das Geld selbst zu schenken, aber alle Welt findet das unanständig und selbst beleidigend. Kindern und Dienstboten allein gibt man die blanke Münze ohne Bedenken. Selbst den Geldwert der Gabe sucht man zu verstecken. Die kleinen verräterischen Zettel, auf denen der Verkäufer den Preis vermerkt hat, werden sorgfältig abgetrennt, und sehr verlegen wird, wer zu spät beim Gratulationsbesuche plötzlich gewahrt, daß er diese Operation vergessen hat. Er schämt sich wie über eine Unschicklichkeit.

Dies geht noch weiter. Nicht allein das Geld selber, sondern alles, was an Geld zu sehr erinnert, wird eben dadurch unfähig, als Geschenk, als ein Zeichen der Liebe, des Dankes, der Verehrung zu dienen. Also das Notwendige, das Nützliche, welches einzutauschen ja die wichtigste Bestimmung des Geldes ist. Man wird nicht leicht jemand, der uns geholfen oder erbaut oder erfreut hat, ein Paar Stiefel oder ein Faß Mehl oder ein Fuder Brennholz zuschicken. Auch nicht ein Dutzend Strümpfe, es sei denn, daß man sie selbst gestrickt hätte. Je weniger nützlich ein Gegenstand ist, desto besser eignet er sich zu einer Ehrenspende, und die geradezu unbrauchbaren, die höchstens zur Zierde dienen können, gelten für die ehrenvollsten: kunstvoll gearbeitete Waffen, Büsten, prunkvolle Schreibzeuge, unbequeme Pokale und dergleichen Dinge mehr, welche für sein Geld zu kaufen dem Beschenkten schwerlich jemals einfallen würde.

Selbst die Freundschaftsgeschenke verraten gewöhnlich diese Abneigung gegen das Nützlichkeitsprinzip, und je ferner die Beziehungen werden, desto unerlaubter werden Geschenke, welche jemand »gut gebrauchen kann«. Nur den Nächststehenden sieht man es nach, wenn sie Spenden für den täglichen Hausbedarf bringen oder Gaben von unverschleierter Kostbarkeit widmen; der Fernstehende darf nur mit flüchtigen Spielereien seine Teilnahme bezeigen. Es gibt eine fein nuancierte Skala des Geziemenden, von dem Blumenstrauße und der Bonbonniere, welche ein junger Herr selbst der unverheirateten Tochter des Gastfreundes überreichen darf, bis zu dem Brillantschmuck, den der verlobte Bräutigam seiner Erwählten auf den Weihnachtstisch legen mag. Bares Geld aber dürfte auch der Bräutigam nicht schenken; dieses Vorrecht steht nur dem Ehemann und den Eltern und allenfalls den älteren Onkeln und Tanten zu. Auf den Zwischenstufen zwischen diesen Extremen gibt es zahlreiche Regeln zu beachten, um dem Geschenke das beschämende Element, die Erinnerung an den Ladenpreis, zu benehmen. Das wirksamste Mittel ist immer die persönliche Arbeit, deren Verwendung auf den Gegenstand nicht in Geld berechnet werden kann. Damit geben wir eigene, nicht fremde Kraft. Eine Geldbörse, welche eine liebenswürdige Dame für uns gehäkelt hat, ist etwas ganz anderes als ein ganzer Laden voll von diesem Artikel. Die Herren sind, da sie sich auf Häkeleien nicht verstehen, schlimmer daran als die Frauen. Gewöhnlich müssen sie sich darauf beschränken, die persönliche Arbeit durch die persönliche Auswahl zu ersetzen, was denn freilich auch nicht ohne Seufzen abzugehen pflegt. Glücklich, wer zuweilen Rebhühner und Hasen selbst schießt und damit ein befreundetes Haus sich verbinden kann. Es soll vorkommen, daß solche Jagdgeschenke beim Wildhändler gekauft werden; aber es ist nie gehört worden, daß der Geber den Kauf eingestanden hätte. Empfehlung verdient auch, aus fremden Städten Seltenheiten und Leckereien, welche daheim nicht zu haben sind, mitzubringen und bei passenden Gelegenheiten zu verwenden. Das Fäßchen mit Austern, die Schachtel mit Leipziger Lerchen, die Pastete aus Straßburg und der russische Kaviar sind geschmackvolle Geschenke in mehr als einem Sinne; sie demütigen den Empfänger nicht und sind ihm doch auch nicht bloße Tändelei; sie werden mit dankbarem Lächeln aufgenommen, wo ein Zentner des nützlichsten Rindfleisches Abscheu und Entrüstung erregen würde. Jene repräsentieren die Aufmerksamkeit des Freundes, dieses steht in einer unabweislichen Ideenverbindung mit der Schlächterrechnung, mit dem leidigen Gelde, mit dem Schmutze und der Misere des Lebens. Es gibt reinliche Plätzchen in unserem Dasein, welche die unsauberen Füße unseres Götzen nicht entweihen sollen. Wir drängen ihn hinaus, wir werfen verhüllende Tücher über ihn und wissen selber nicht warum.

Daß Mammon ein Teufel sei, weiß der Leser aus seinem Milton, und daß auch auf den Teufel die Kultur sich erstreckt, weiß er aus seinem Faust. Es gibt barbarischen Reichtum und es gibt zivilisierten Reichtum. Ersterer ist im neunzehnten Jahrhundert ungemein häufig; er ist wahrscheinlich es zu allen Zeiten gewesen. Letzterer ist wohl nicht immer so selten gewesen wie jetzt. Aber es gibt Stufen in der Barbarei, wie in allen Dingen; es gibt eine rohe und eine weniger rohe Art der Selbstbefriedigung. Mancher sucht sie in Fressen und Saufen und in tierischer Wollust, und das ist die unterste Stufe. Es macht dabei wenig Unterschied, ob dabei bäurische Völlerei, oder ob ein Schwelgen in den Feinheiten der Pariser Küche zu Tage kommt, ob die Orgien in einer Matrosenkneipe oder in einem parfümierten Boudoir gefeiert werden. Die Verschiedenheit liegt in den Nerven (oft nicht einmal darin), die Bestialität ist die nämliche. Der übertriebene Luxus in Speisen und Getränken, welcher auf den Tafeln unseres wohlhabenden Bürgerstandes sich breit macht, ist, ich will nicht gerade sagen bestialisch, denn man soll den Teufel nicht schwärzer machen, als er ist, nein, aber er ist vulgär und barbarisch. Geschmacklos, mit einem Worte, und eine Tortur für den gebildeten Mann, der in solche Circeställe hineingerät.

Ein ganz klein wenig höher als die Barbarei der untersten Stufe steht die der Prunksucht. Sie sucht ihre Befriedigung wenigstens nicht in dem Taumel und Kitzel des Fleisches, sondern in einer Reflexion, in dem Gedanken, anderen zu imponieren, den Neid der Mitmenschen anzustacheln. Es ist eine armselige Barbarei, welche Größe in dem Kleinsten sucht, aber sie ist dem natürlichen Menschen so angeboren, daß er, kaum satt geworden, in allen Zonen der Erde nichts Eiligeres zu tun hat, als Nase und Ohren, Arme und Beine mit seinem bißchen Reichtum zu behängen. Das Herausputzen der eigenen Person ist das Nächstliegende, worauf die Prunksucht sich wirft; man erkennt daran die Kinder unter den Völkern, während die allmählich erwachende Erkenntnis, daß Flitterstaat und bunte Bänder der männlichen Würde widersprechen, das Zeichen gereifter Nationen ist. Daher sind in naiven Zeitaltern die Kostüme prächtiger; nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer beladen sich mit Schmucksachen; die jungen Mädchen tragen nicht selten ihre ganze Mitgift in Gold und Silber an ihrem Putze mit sich umher. Seit dem vorigen Jahrhundert ist in Europa ein beachtenswerter Umschwung gegen diese Form der Barbarei eingetreten, das heißt unter den Männern; denn das weibliche Geschlecht hat sich den kindlichen Standpunkt mit unerschütterlicher Festigkeit zu erhalten gewußt. Aber die männliche Tracht ist immer einfacher geworden; das oberste Gesetz der guten Gesellschaft ist »nicht aufzufallen«; der Prinz von Wales darf sich nicht glänzender tragen als sein Kammerdiener. Im Gegenteil, die Bedienten tragen jetzt die güldenen Tressen und Borten, mit welchen vormals die Kavaliere einherstolzierten. Ostentation der männlichen Tracht findet man nur noch auf den beiden äußersten Sprossen der sozialen Leiter, bei den Bauern und an den Höfen. Bei jenen ist sie in der Abnahme begriffen; das Terrain wird immer enger, wo der Landmann Taler und Gulden, so viel wie möglich, auf die Kleider näht, oder wo er, um seinen Reichtum zu entfalten, bei feierlichen Anlässen, alle seine Röcke auf einmal anzieht, sechs, sieben übereinander. Die Höfe der Fürsten dagegen halten nach wie vor an den gestickten Uniformen fest, ob aus Kindlichkeit oder aus Berechnung, weiß ich nicht.

Auf den Kleiderluxus folgt in aufsteigender Linie die Ausschmückung der Wohnungen, zuerst in der Richtung des Glanzes, dann der Bequemlichkeit und Sauberkeit, zuletzt einer harmonischen Vereinigung beider, und zwar, wenn das Glück es will, einer künstlerischen Harmonie. Auf diesem Punkte angelangt, hört die Barbarei des Reichtums, wenn auch noch nicht sein Egoismus, auf. Bei uns zu Lande wird man am häufigsten den Reichtum bemüht finden, Bequemlichkeit und Schimmer miteinander zu verbinden; doch will ich nicht behaupten, daß er dabei auf Harmonie einen übertriebenen Wert lege. Gewöhnlich wird die Sache einem großstädtischen »Dekorateur« (vulgo Tapezierer) überlassen, welcher die ganze Herrlichkeit in Entreprise nimmt. Man sieht mehr auf hohe Bezahlung als auf gute Behandlung, mehr auf die Mode als auf die Schönheit, – von einem durchgeführten Kunststil ist in den wenigsten Fällen die Rede. Die zahlreichen Gelegenheiten zu Verstößen gegen den guten Geschmack, welche die Einrichtung des Hauses darbietet, werden in der Regel mit einer Gewissenhaftigkeit benutzt, die einer besseren Sache würdig wäre; die nicht minder zahlreichen Gelegenheiten dagegen zur Anbringung eines würdigen Kunstschmuckes sorgfältig ignoriert. Wenn der leitende Gedanke ist, Neid zu erregen, so empfiehlt sich das übliche Verfahren durchaus. Denn die fremden Beschauer der Wohnung werden wohl die vergoldeten Wände, die Samtvorhänge und die eingelegten Tische neidisch anstaunen, nicht aber die architektonischen Linien, die guten Gemälde und die Skulpturen. Entweder ahnen sie deren Wert nicht, und dann können sie natürlich keinen Neid empfinden, oder sie würdigen diese Schätze, und dann, anstatt vor Mißgunst zu platzen, freuen sie sich, daß einmal das viele Geld in die rechten Hände gekommen ist. In beiden Fällen wäre der Zweck verfehlt. Es ist sehr schwer, daß ein Reicher in das Himmelreich komme. Aber unmöglich ist es nicht. Der Reiche hat in seiner Hand das mächtigste Mittel zur Selbstbefriedigung; er verfügt über einen stets dienstwilligen Dämon, welcher jede Begierde der Sinnlichkeit zu erfüllen, jeder Laune der Eitelkeit zu gehorchen verspricht. Aber es liegt nur an dem Reichen selbst, welche Werke er seinem Dämon auftragen will. Derselbe ist zu guten wie zu schlechten Streichen wohl aufgelegt, und er hat, zu guter Hand und zu guter Stunde, viel Schönes und Herrliches zu stande gebracht. In der guten Hand wird selbst das Geld geadelt und die gute Stunde verwandelt den Versucher in einen Engel des Segens. Es gibt einen Gebrauch des Reichtums, welcher am meisten beneidenswert ist und doch dem Neide Stillschweigen auferlegt: der Gebrauch, welcher anstatt des eigenen das Wohl aller im Auge hat und die Kräfte der anderen nur darum beherrscht, um den anderen desto besser dienen zu können. Dies ist ein langweiliges Thema, weil, was darüber gesagt werden könnte, jeder leicht sich selber sagen mag, und weil es in der Tat auf diesem Gebiete weniger zu bedenken als zu beherzigen gibt. Wenn ich eine Predigt halten sollte über den Text: Man kann nicht zween Herren dienen, man kann nicht zugleich Gott und dem Mammon gehorchen, so würde ich mich kurz fassen und sagen: Darum dienet Gott und lasset euren Mammon ihm auch dienen. Amen.


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