Friedrich Gerstäcker
In der Südsee
Friedrich Gerstäcker

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4.

Der nächste Morgen kam, und die Leute versuchten, soweit ihnen das irgend möglich war, Toilette zu machen. Damit sah es aber entsetzlich windig aus, denn bei ihrer Flucht von Bord hatten sie nur das Notwendigste mitnehmen können, und bei dem Sinken des Bootes auch selbst das noch verloren. Nur Mac Kringo und Legs besaßen Hüte, nur Spund und Jonas Jacken, und ihre Schuhe waren von dem scharfen Korallenboden, auf dem sie ohne Schuhe gar nicht gehen konnten, schon so mitgenommen worden, daß sie kaum noch zusammenhielten.

Die einzige Verbesserung, die sie mit sich vornehmen konnten, war die, daß sie ihre Hemden auswuschen, um wenigstens mit reiner Wäsche vor den Häuptlingen zu erscheinen, und was eine Kopfbedeckung betraf, so hatten, die, welche mit einer solchen nicht mehr versehen waren, darin die Mode der Eingeborenen nachgeahmt und sich eine Art Kopfschutz aus den Blättern der Kokospalme gefertigt, der die Augen wenigstens gegen das blendende Sonnenlicht schirmte.

Nur Pfeife, einer gewissen Phantasie dabei folgend, war darangegangen, einen wirklichen Hut zu flechten – was die Matrosen meist verstehen und sich oft ihre Strohhüte selber machen. Das Kokosblatt zeigte sich aber nicht geschmeidig genug dazu, und wenn er auch wirklich eine Art Hut zusammenbrachte, so hatte derselbe doch eine so wunderliche Form bekommen, daß selbst Lemon lachte, als er ihn zum ersten Male sah.

Die ersten Morgenstunden vergingen übrigens, ohne daß sie zu der erwarteten Zusammenkunft wären abgerufen worden. Nur ihr Frühstück erhielten sie wie gewöhnlich, dann war alles still – nicht einmal ein Fischerkanoe sahen sie in dem Binnenwasser der Riffe, so hatte die heute gehaltene Ratsversammlung das Interesse der Insulaner in Anspruch genommen.

Endlich kam der einesteils gefürchtete, andernteils aber auch wieder sehnlichst erwartete Bote; denn selbst die schlimmste Wirklichkeit kann in manchen Fällen oft weniger peinlich sein als diese ewig zögernde Ungewißheit, in der sich des Menschen Herz in solchem Falle verzehrt.

Ein junger Bursch, der auf der Insel Konstabeldienste versah, sich sonst aber in nichts von den übrigen auszeichnete, als womöglich noch fauler als der Rest zu sein, kam endlich und meldete den Pagalangis, daß Toanonga und die Versammlung der Egis sie erwarte.

Mac Kringo teilte den übrigen die Botschaft mit, und Lemon brummte halblaut vor sich hin. »Die Egis sollen verdammt sein!«

Das nahm der Botschafter aber entsetzlich übel; denn wenn er auch kein Englisch verstand, hatten die Eingeborenen jenes Wort »verdammt« doch so oft von dort landenden Fremden gehört, um zu wissen, daß es etwas sehr Böses und Häßliches bedeute. Er hielt deshalb auch dem kleinen sauertöpfischen Burschen eine lange und heftige Strafpredigt, die dieser jedoch mit weiter nichts als einem noch viel mürrischeren »Geh' zum Teufel« erwiderte.

Mac Kringo gab sich freilich alle Mühe, den Frieden wiederherstellen und den Eingeborenen zu besänftigen, indem er ihn zu überzeugen suchte, daß er den Pagalangi ganz falsch verstanden habe. Der Bursche wußte aber recht gut, was er selber gehört hatte, und der Zug setzte sich endlich, von ihm angeführt, langsam in Bewegung.

»Hört einmal, Kameraden,« sagte da Mac Kringo, als sie schon unterwegs waren, indem er sich gegen die kleine Schar wandte, »ich habe euch schon versichert, daß ich nicht glaube, wir hätten irgend etwas von dem roten Gesindel zu fürchten. Sollten sie uns aber doch zu Leib wollen, und es ist immer gut, auch auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, dann wollen wir uns auch nicht wie die Schafe zur Schlachtbank führen lassen, sondern lieber wie englische Matrosen sterben und noch so vielen der roten Brotfruchtfresser, wie möglich, die Schädel einschlagen. Seid ihr damit einverstanden?«

»Gewiß,« rief Pfeife für die übrigen; »irgend etwas wird man ja dort schon finden, womit man zuschlagen kann, und wenn das nicht wäre, so hat jeder seine Fäuste und sein Messer bei der Hand, die lumpigen Schufte nach Herzenslust zu bearbeiten.«

»Gut,« sagte Mac Kringo. »In dem Falle liegt unsere einzige Aussicht auf Erfolg aber nur darin, daß wir uns nicht trennen lassen, sondern fest zusammenhalten. Sechs handfeste Burschen wie wir können es dann auch schon mit einem Schock solchen weibischen Gesindels aufnehmen, und im schlimmsten Falle arbeiten wir uns zu einem Kanoe durch, plündern einen Brotfruchtbaum und ein paar Kokospalmen und gehen in See.«

»Das sind schöne Aussichten!« seufzte Spund, »und bedenkt nur dabei, daß wir sie durch Widersetzlichkeit immer noch erbitterter machen!«

»Wenn du dich willst fressen lassen,« kreischte Pfeife, »so hat natürlich niemand was dawider. Ich danke aber dafür, und wenn sie uns wirklich einmal zu Leib wollen, so liegt nachher verwünscht wenig daran, ob wir sie dabei in guter oder böser Laune behalten.«

»Pst – da sind sie!« flüsterte aber in diesem Augenblick Mac Kringo, der durch die Büsche hin die hellen, buntfarbigen Kleider der Eingeborenen schon erkannt hatte. »Jetzt haltet euch ruhig, und im Notfall fest zusammen. Unsere Messer haben wir doch wenigstens alle im Gürtel, und was sie auch vorhaben, sie sollen uns wenigstens nicht unvorbereitet finden.«

Weiteres Gespräch war jetzt auch unmöglich geworden, denn wie sie den nächsten Busch umschritten, sahen sie sich plötzlich der ganzen Versammlung gegenüber, die sie sich allerdings nicht so zahlreich gedacht. Die Einwohnerschaft der ganzen Insel schien aber hier versammelt, und der große, weite Raum vor Toanongas Hütte, in dem die Egis den Mittelpunkt bildeten, schwärmte ordentlich von braunen lebendigen Gestalten beiderlei Geschlechts.

Inmitten des Platzes stand ein riesiger Tamarindenbaum, um den herum neun hochstämmige Kokospalmen angepflanzt schienen. Dadurch erhielten sie dem Platz den Schatten, die Sonne mochte stehen, wo sie wollteDie Tonga-Inseln liegen, wie bekannt, innerhalb der Wendekreise S. Br. Die größte Zeit im Jahre haben sie also die Sonne um Mittag im Norden, einen kleinen Teil des Jahres aber, etwa im März, im Süden., und konnten ihre Versammlungen zu jeder beliebigen Tageszeit halten.

Dort waren feine Matten ausgebreitet, welche die Bewohner aller der Südsee-Inseln so trefflich zu flechten verstehen, und die Egis von Monui bildeten, mit Toanonga in der Reihe sitzend, einen vollkommenen Kreis.

In demselben nahmen die verschiedenen Häuptlinge ihre Plätze ein, aber keineswegs nach Gutdünken, sondern sie waren ihnen vorher von dem Zeremonienmeister angewiesen worden. Toanonga behauptete den Ehrenplatz und saß, den Rücken seinem Hause zugedreht, mit dem Gesicht der reizenden Bai zugewandt, die hier durch rechts und links auslaufende Landzungen gebildet wurde. Zu beiden Seiten dann von ihm ab kamen ihm zunächst die Angesehensten und vom edelsten Blut, bis sich mit den geringeren Häuptlingen der Kreis ihm gegenüber wieder schloß.

Um die Egis aber her, und zwar so gedrängt, daß sie fast deren Rücken berührten, saßenIn der Nähe der Häuptlinge gilt es nicht für schicklich zu stehen. die übrigen Eingeborenen, Männer und Frauen, bunt durcheinander, und wer dem Kreise nicht so nahe kommen konnte, zu hören, was da verhandelt wurde, ließ es sich wenigstens von den näher Sitzenden mitteilen.

Außerhalb dieses fast dicht geschlossenen Kreises hatten die Kinder ihren Tummelplatz gewählt, sich haschend und überschlagend, und mit den nackten Füßen auf dem scharfen Korallensande allerlei wilde Lust treibend.

Die Beratung war indessen nicht gleich von Anfang an so öffentlich – wenn auch im Freien – verhandelt worden. Bis die Egis unter sich einig geworden, hatte man das Volk in ehrerbietiger Ferne gehalten, und als erst die Hauptsache vorüber war, ließ man die Neugierigen hinzu. Wollte jedoch der alte Toanonga die Galerien wieder geräumt haben, so brauchte er nur ein Zeichen zu geben, und keiner hätte daran gedacht, sich dem Befehle zu widersetzen.

Jetzt übrigens, da die gefangenen Fremden in Sicht kamen, wurde eine andere Ordnung nötig, um sie würdig zu empfangen, und einer der als Konstabel agierenden Burschen schrie deshalb den Zuhörern zu, Raum zu geben. Diese mußten auch schon wissen, um was es sich handle, denn sie wichen nach rechts und links zurück, die Front gegen die Bai offen lassend, während die mit dem Rücken nach dem Wasser zu sitzenden Häuptlinge ebenfalls aufstanden.

Geschäftige Hände ergriffen dabei rasch ihre Matten und trugen sie hinter Toanonga und die ihm zunächst sitzenden Häuptlinge, wo sie mit ihnen eine zweite Reihe bildeten. Dadurch war der Raum vor dem alten Häuptling frei geworden, an beiden Seiten aber kauerte die Einwohnerschaft von Monui.

»Mate,« sagte da Legs, indem er seinen Hosenbund etwas höher über die Hüften heraufzog und aus alter Gewohnheit – denn Tabak hatte schon lange keiner von ihnen mehr – auf die Erde spuckte – »die Geschichte wird feierlich – was sagst du dazu.«

»Mein Leben lang will ich keine Schiffsplanke betreten,« murmelte Pfeife zwischen den Zähnen durch, »wenn ich nicht wünsche, daß ich hier fort wäre. Da stehen ein paar hundert breitschultrige Kerle herum, mit den Waffen vielleicht hinter den nächsten Büschen versteckt, was sollen wir sechs gegen die ausrichten?«

»Bah, so viel für die ganze Band',« brummte der fast um eine Kopf kleinere Matrose. »Meinen Hals setz' ich zum Pfand, daß die Kerle nicht einmal die Courage haben, uns etwas am Zeuge zu flicken. Ja, wenn wir einer oder zwei wären, aber einer ganzen Bootsmannschaft – wenn auch unserem Harpunier und Bootsteuerer der Hals voll Wasser gelaufen ist – kommen sie schon nicht zu nah'.«

»Du, der Alte fängt an,« flüsterte da Pfeife, indem er den Kameraden in die Seite stieß, »jetzt bin ich neugierig.«

Toanonga hatte indessen – die Hände in voller Ruhe auf seinem Bauch gefaltet – die ankommenden Pagalangis einen nach dem anderen aufmerksam gemustert. Als sie aber auf Anordnung eines der Leute vor ihm niedergesessen oder vielmehr gekauert waren, und sich, halb schüchtern im Gefühl der sie umgebenden Menschenmenge, halb wieder trotzig und im schlimmsten Falle zum äußersten entschlossen, im Kreise umsahen, nickte er ihnen mit seinem gutmütigen Lächeln zu und sagte:

» Chio do fa, Pagalangis – chio do fa!«


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