Friedrich Gerstäcker
In der Südsee
Friedrich Gerstäcker

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3.

Einer der Ungeduldigsten an Bord war der erste Harpunier, ein junger, kräftiger Irländer aus Galvay-Bai und dort erst kurz vor seiner Abreise verheiratet. Ihm brannte natürlich der Boden unter den Füßen, und er wollte das Schiff wieder in See haben, Beute zu machen und nach Hause zurückzukehren. Was half ihm das müßige Leben hier an Land.

Mit diesem hatte der Kapitän, als er an Bord zurückkehrte, eine längere Unterredung, die den Wünschen des jungen Iren auch vollständig entsprochen haben mußte, denn er kam bald nachher mit fröhlichem Gesicht gleich hinter dem Kapitän an Deck und beorderte seine Bootsmannschaft, sich fertigzuhalten, kurz vor Sonnenuntergang an Land zu rudern, etwas dort abzuholen. Die vier Matrosen mit dem Bootssteuerer, die er befehligte, waren ebenfalls seine Landsleute, und die Schiffsmannschaft hatte deshalb das Boot auch das Irische getauft.

An Bord der »Lucy Walker« herrschte indessen rege Geschäftigkeit; ein paar zum Ausbessern niedergeholte Segel wurden wieder angeschlagen, Taue gespließt, Pardunen angespannt, das Deck klar gemacht und überhaupt manches vorgenommen, das auf einen baldigen Aufbruch schließen ließ. Als zwei der Leute deshalb, Legs und Pfeife, dem Kapitän selber, der mit raschen Schritten auf seinem Quarterdeck auf und ab ging, um kurzen Urlaub an Land baten, der ihnen, in einzelnen Abteilungen natürlich, fast noch gar nicht verweigert worden war, schlug es ihnen dieser rund ab und schickte sie wieder nach vorn an ihre Arbeit.

»Siehst du,« flüsterte da der Schotte seinem Kameraden Jonas. mit dem er oben in den Marsen etwas nachzusehen hatte, zu, »siehst du, mein Junge, daß ich eine gute Nase habe? Es ist die höchste Zeit für uns, unser kleines Geschäft in Ordnung zu bringen, denn ich möchte jetzt kein Maulvoll Tabak gegen eine monatliche Löhnung wetten, daß wir nicht morgen früh mit Tagesanbruch Anker auf und Segel gesetzt hätten. Der Alte dahinten zeigt wenigstens den besten Willen, aber wir beide, denk' ich, sollen ihm noch einen Strich durch die Rechnung machen. Das wär' ein schöner Spaß, so auf einmal, ohne nur Abschied von unseren Freunden und Mädchen am Land zu nehmen, wieder auf und davon und draußen herumrackern; nai my bonny child, hier sind auch noch Leute, die ihre Stimme dabei abzugeben wünschen, wenn sie auch nur eben den hundertundzwanzigsten Teil bekommen von dem Fang und das Ganze mit ihrem Schweiß und Mark bezahlen sollen.«

»Am Ende will er gar noch heut' abend fort,« sagte Jonas leise; »nachher wären wir aber die Angeführten.«

»Nein, das nicht,« beruhigte ihn der Schotte; »ich habe gehört, daß er sich das Irische Boot bestellt hat, gegen Sonnenuntergang mit an Land zu fahren, und dann kommt er immer vor vier GlasenDie Zeiteinteilung an Bord eines Schiffes geschieht nach Glasen, von den früheren Sandgläsern so genannt. Jede Wacht von vier Stunden hat acht Glasen, diese zu bezeichnen, wird jede halbe Stunde, bis die Wacht aus ist, einmal mehr mit dem Klöppel an die Glocke geschlagen, so daß, von zwölf Uhr z. B. an gerechnet, halb ein Uhr einmal angeschlagen wird, um ein Uhr zweimal, halb zwei Uhr dreimal, um zwei Uhr viermal u. s. f. bis vier Uhr, was man durch acht Schläge oder Glasen angibt. Ein viertel auf fünf beginnt dann wieder mit einem Schlag, daß vier Glasen abends also zehn Uhr bedeuten würde. nicht wieder zurück; aber auf morgen früh hat er's abgesehen. Er fragte uns ja auch, als wir von Land zurückkamen, ob sie Holz an Bord gebracht hätten. Bah, so viel für deine Berechnungen,« – und er schnalzte höchst selbstzufrieden mit den Fingern.

Jonas hatte indessen seine Arbeit oben beendet und mußte hinunter, wohin ihm der Schotte bald nachher folgte; als sich aber die Sonne mehr und mehr dem Horizonte näherte, wurde auch das Boot des ersten Harpuniers, der vorher einen seiner Mannschaft nach oben zum Ausschauen geschickt hatte, niedergelassen, und Legs, der in den Besanwanten etwas auszubessern hatte, sah mit Erstaunen, daß unter einer Matte, auf dem Boden des Bootes, als sie durch die Einsteigenden zurückgeschoben wurde, Waffen versteckt waren. Er hatte – beschwören hätt' er's wollen, – ein paar Gewehrläufe darunter hervorblitzen sehen? was zum Teufel war da wieder im Wind?

Der Koch, um die Abendmahlzeit noch vor Dunkelwerden an Deck beenden zu können und nicht gezwungen zu sein, in das dumpfige Logis hinabzusteigen, war indes in der Kambüse emsig beschäftigt gewesen, Tee zu kochen und Bananen und Brotfrucht zu braten, die mit dem kalten Fleisch von Mittag her keine üble Schiffskost abgaben. Nachdem er vorher bei dem jetzt kommandierenden zweiten Harpunier die Erlaubnis eingeholt, rief sein gellender, wohlbekannter Ruf bald darauf die Leute sämtlich nach vorn unter die Back, wo auf der Steuerbordseite des Schiffes die riesige kupferne Teekanne qualmte und der sonst in breiter hölzerner Mulde präsentierte harte Schiffszwieback jetzt fast vollkommen durch die nahrhafte, in Scheiben geschnittene und geröstete Brotfrucht verdrängt war.

Der Schotte setzte sich auch mit hin auf Deck und schenkte sich seinen Tee in den breiten, niederen Blechbecher, der den Inhalt einer gewöhnlichen Teekanne hätte mit Bequemlichkeit fassen können, vermißte dann aber sein Messer und stieg in den Raum hinunter, wo er es heute morgen gebraucht und wahrscheinlich vergessen. Jonas indessen saß noch nicht und hatte ein kleines Faß mit seiner Wäsche zu der großen Luke gezogen, nahm die Hemden einzeln heraus, rang sie aus und legte sie auf das um den Vormast gehende Nagelbrett.

»Komm' her, Jonas,« rief ihn Legs an, »hat den ganzen Tag nichts getan und jetzt, nun der Tee an Deck steht, fällt's ihm auf einmal ein, daß er Hemden in der Brüh' hat. Die Bananen werden kalt und schmecken nachher schlecht.«

»Sie werden nachher gar nicht schmecken,« lachte Pfeife mit seiner höchsten Stimme, »denn ich glaube, wir werden damit eher fertig wie er mit seinen Hemden.«

»Glaub's, wenn man sie euch vorstellte,« brummte Jonas, mit einem halb verschluckten Fluch; »aber der Koch hat noch mehr.«

»Hallo!« rief Pfeife aufspringend, »da will ich mir gleich noch eine holen!« und er kam mit seinem Blechteller zur Kambüse, den Versuch wenigstens zu machen.

»Sieh einmal das Wetter, das heraufkommt,« rief ihm hier der Koch zu, der in der niederen Tür stand und mit dem Arm nach Osten hinüberdeutete; »zum Teufel, das sieht schwarz aus, und sollte mich gar nicht wundern, wenn da eine tüchtige Mütze Wind drin stäke. Jedenfalls gibt's Regen und wir tun besser, die Luken zuzulegen; macht, daß ihr mit eurem Essen da vorn fertig werdet.«

Der zweite Harpunier hatte indessen mit dem Fernrohr auf dem Quarterdeck gestanden und unverwandt nach der niedrig auslaufenden Landspitze geschaut, hinter der das Boot vorher verschwunden war.

Mac Kringo stieg in diesem Augenblick die Luke herauf, und als der Koch auch gerade zusprang, nahmen sie die beiden genau passenden und schließenden Lukendeckel, an den in den gegenüberliegenden Ecken angebrachten eisernen Ringen, und hoben sie in die Falze.

»Koch!« rief des Harpuniers Stimme in diesem Augenblicke von dem Quarterdeck aus.

»Ay, ay, Sir!«

»Rasch dein Essen wieder fort und in die Kambüse – all hands on deck – große und Vormarsrahe auf– rasch mit euch, meine Jungen, werft die Falle los! – Nun, was steht ihr da, wie verhagelt? die Marsrahen auf, und schnell, oder ich mache euch Beine!«

»Hallo, was ist nun los?« rief aber Legs, der eben einen Teller voll glücklich erbeuteter heißer Bananen in Sicherheit bringen wollte und jetzt nicht wußte, wohin damit, »was soll das heißen?« Es blieb ihm aber nicht lange Zeit zur Besinnung, die Befehle folgten zu rasch nacheinander, und während unter dem Singen und Schreien der Mannschaft die schweren Rahen an ihren Ketten in die Höhe klirrten, schob und schleppte der Koch rasch das Abendbrot der Leute beiseite und jetzt vorn in das Logis hinunter, damit er die Sachen nur einmal vorderhand aus dem Wege bekäme.

»An die Winde mit euch, rasch da vorn, und ein bißchen lebhaft!« rief jetzt der Offizier, der nach vorn und mitten zwischen die Leute gekommen war, von denen sich die meisten noch gar nicht von ihrer ersten Überraschung erholen konnten, denn es fing ihnen jetzt wirklich an klar zu werden, daß sie ohne weiteres in die See hinaus und die Insel verlassen sollten; »munter, meine Jungen, munter!« rief der Harpunier, dabei auf die Back springend, die Leute besser übersehen zu können, »her mit eurem Pumpgeschirr, und nun laßt uns einmal sehn, wie rasch ihr den Anker heraufbekommen könnt. Wetter, Jungen, es sind nur fünfundzwanzig Faden Kette aus, mit denen müßt ihr ja nur so weglaufen können.«

»Den Teufel, Douglas!« flüsterte Jonas, in Todesangst an den Schotten hintretend, diesem ins Ohr, »hast du's getan? – und jetzt sollen wir in See, das wäre eine schöne Geschichte.«

»Hallo, da ihr beiden!« rief in diesem Augenblick, und ehe noch der Schotte etwas erwidern konnte, der Offizier, dessen Adlerblick die beiden Müßiggänger dort schon entdeckt hatte. »Hier, Douglas – herauf mit dir, mein Mann, und löse das große Marssegel, und du, Jonas, auf die Vormarsrahe; marsch mit euch, und nachher die Bramsegel auch frei, und du, Bill, hinaus mit dir, und mach' den großen Klüver los. Auf mit dem Anker, auf, meine Jungen! – Oh joly men hoy!«

Widerspruch gegen die gegebenen Befehle war nicht möglich, obgleich fast alle Matrosen erstaunt mit den Köpfen schüttelten und sich diese bald abdrehten, um zu sehen, ob ihr Kapitän noch nicht bald an Bord käme, ohne den sie doch unmöglich in See gehen konnten. Einmal war es fast, als ob Mac Kringo zögere, und er machte sogar eine Bewegung nach dem Harpunier zu, aber er besann sich in demselben Moment, als dieser ihm ein paar Kernflüche über seine Säumigkeit entgegendonnerte, und lief jetzt rasch die Wanten hinauf nach oben, den gegebenen Befehl zu erfüllen und die Segel zu lösen, die sie vielleicht bald alle dem Verderben entgegenführen würden. Gestehen durfte er ja nicht, was er getan, er wäre gebrandmarkt gewesen auf Lebenszeit, wenn man ihm wirklich das Leben geschenkt hätte, und die Kameraden –

»Ei, zum Teufel!« zischte er dabei zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch; »kröche ich jetzt zu Kreuz, die Schufte ließen keinen guten Faden an mir, solang' sie mich hätten. Ich hab's nicht meinethalben allein getan, so mögen's die anderen auch mit ausbaden.«

Die Ankerkette rasselte indessen, mit den raschen Schlägen des eisernen Pumpgeschirrs, schnell an Deck, der Anker hing schon, und das Schiff trieb mit der ausgehenden Ebbe der Mündung der Bai zu.

»Boot ahoy!« rief da einer der Leute an der Winde aus, der eben über die Monkeyrailing das rasch anrudernde Boot erkennen konnte, und der Harpunier drehte sich, das Teleskop, das er noch in der Hand hielt, darauf richtend, schnell danach um.

»Flink, meine Jungen, flink!« rief er dabei; »hier hat's Eile – Larbord Seite da, einer von euch, werft die Brassen los – Koch! rasch dahinten, die Brassen von den Nägeln – Starbordseite große und Fockbrassen – belay that anchor – so, genug! – Marsbrassen – so, genug! und nun die Bramsegelschoten aus – so, genug! So, nun auf mit dem Anker, unter die Klüsen mit ihm, so rasch ihr laufen könnt. – Oh, joly men hoy!«

Der Schotte, der die Bramsegel gelöst hatte, kam jetzt rasch an den Wanten herunter, als ihn der Harpunier sah.

»Hallo, da oben, Sir – da du einmal gerade unterwegs bist, wirf den Royal los – heda – hast du's gehört, Bursche? hinauf mit dir, oder ich werde dir Beine machen. Wenn ich keinen von den Jungen gleich bei der Hand habe, wird es deinen faulen Knochen wohl auch nichts schaden, einmal nach oben zu gehen. – Alle Wetter, da sind sie – das war Zeit, daß wir fortkommen,« unterbrach er sich rasch, als plötzlich eine förmliche kleine Flotte von Kanoes um die Landspitze bog. Die Aufmerksamkeit der Leute wurde aber rasch von diesem ab an Bord ihres eigenen Schiffes gelenkt, wo jetzt das vom Land zurückkehrende Boot, um das sie sich bis jetzt gar nicht hatten kümmern können, langseit legte, und im nächsten Augenblick, seinen Leuten voran, Kapitän Silwitch an Bord sprang.


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