Friedrich Gerstäcker
In der Südsee
Friedrich Gerstäcker

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2.

Wohl waren sie an dem Raub des Mädchens vollkommen unschuldig, würden aber diese Barbaren darauf Rücksicht nehmen? Sie gehörten mit zu dem Schiff, das die Gastfreundschaft der Eingeborenen in so undankbarer, böser Weise vergolten, und was der Kapitän gesündigt, konnte jetzt wahrscheinlich die Mannschaft entgelten.

Im Anfang nahm aber niemand von ihnen auch nur die mindeste Notiz. Die Mannschaft der Kanoes sprang, sowie ihre Fahrzeuge Grund berührten, über Bord und an Land und schaute sich nicht einmal nach den Europäern um. Diese blieben auch noch immer, eines weiteren Befehls gewärtig, im Boote und richteten sich nur jetzt halb auf, dem wilden Toben am Lande zuzusehen.

»Guten Morgen, Lemon,« sagte da Jonas, als er den also benannten Kameraden dicht neben sich erblickte – »auch mit angekommen? – und Spund, Pfeife und Lord Douglas sind auch mit da?«

»Die ganze blutige Gesellschaft,« knurrte Lemon mit einem Gesicht, als ob er sich und die ganze übrige Welt hätte vergiften können. »Jetzt haben wir die Bescherung!«

»Und wo ist unser zweiter Harpunier?« fragte Jonas, sich nach diesem unter den Gefangenen umsehend, denn unser Boot ist doch wenigstens hier beisammen.«

»Das ist dem zweiten Harpunier seine Sache!« knurrte Lemon. »Wahrscheinlich frühstückt er heute morgen mit irgendeinem Haifisch – hol' ihn der Teufel!«

»Hallo, Mates, an Land!« rief da der Schotte Mac Kringo seinen Kameraden zu – »seht ihr nicht, wie uns das dicke Rotfell da drüben zuwinkt und schreit? – Sie wollen die Kanoes wahrscheinlich auf die Korallen ziehen.«

»Na dann look out for a squall!« murmelte Jonas vor sich hin, indem er langsam den voransteigenden Gefährten folgte. »Jetzt wird die Bombe platzen.«

Seine Befürchtung zeigte sich indessen, wenigstens für den Augenblick, unbegründet, denn die Insulaner, die für jetzt noch viel zu sehr mit dem geretteten Mädchen, der Tochter des Häuptlings, zu tun hatten, taten gar nicht, als ob die weißen Männer auch nur auf der Welt wären. Ohne selbst bei dem Anslandziehen der Boote ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen, ließ man den kleinen Trupp der eingebrachten Europäer unbeachtet, selbst unbewacht am Ufer stehen, und alles drängte sich jetzt nur um Hua her, Männer, Frauen und Kinder, sie zu bewillkommen, sie zu umarmen.

In vielen Augen standen sogar Freudentränen, mit denen sie das geliebte und schon fast verloren gegebene Kind begrüßten.

Während aber noch ein Teil der Insulaner so umhersprang und jubelte oder sich wieder und wieder die Abenteuer der letzten Nacht von den Freunden erzählen ließ, gingen andere mehr praktisch auf die nächsten Bedürfnisse der Neuangekommenen ein, die jedenfalls nach ihrer langen, gefährlichen Fahrt Hunger haben mußten. Im Schatten der nächsten Palmen wurden ihre gewöhnlichen Kochgruben zum Rösten der Ferkel rasch hergerichtet, Brotfrüchte, Bananen und Fische herzugeschafft und alles geordnet, ein baldiges und reichliches Mahl zu versprechen.

Die Frauen verrichteten dabei gar keine oder nur die leichteste Arbeit, pflückten breite Blätter, besonders von den Hibiscusbäumen, die zu Tischtüchern und Servietten dienen sollten, holten in leeren Kokosnüssen Seewasser herbei, das die Stelle des Salzes vertrat, und pflückten Früchte von den nächsten Büschen, welche dann die Knaben zu den beabsichtigten Eßplätzen trugen.

Die Europäer standen indessen noch immer auf einem Trupp und leise flüsternd zusammen, sahen zu, wie die Ferkel ausgenommen und geröstet wurden, und wie die Gäste schon Miene machten, ihre verschiedenen ihnen durch den Rang angewiesenen Plätze einzunehmen.

Da trat plötzlich Toanonga, der Häuptling der Insel und Vater Huas, aus dem Kreis der Seinen, wackelte gemütlich auf die Matrosen zu, vor denen er, beide Hände auf seine Hüften legend, stehen blieb und sagte:

» Chio do fa, ihr Männer – chio do fa – ihr seid nicht lange fortgeblieben und habt schöne Streiche mit eurem großen Kanoe gemacht. Wi! – Wi, ihr Burschen, war das der Dank, daß ihr so viel Brotfrucht und Kokosnüsse und Bananen und Ferkel hier bekommen habt und so freundlich von uns aufgenommen worden seid? – Wi! schämt euch – und wie ihr jetzt dasteht! – Toanonga möchte nicht in eurer Haut stecken, nicht um alle Glasperlen der ganzen Welt.«

Wenn die meisten der Schar auch nicht die Worte verstanden, fühlten doch alle deutlich genug, was der Mann eigentlich zu ihnen sagte, was er sagen und denken mußte – und er hatte Recht. Die armen Teufel befanden sich so unbehaglich wie möglich und sahen, nach einem späteren Vergleich Spunds, wirklich gerade so aus wie ein Hund, den man beim Stehlen erwischt.

Der alte würdige Insulaner war dabei sehr ernst und finster geworden, und Spund, der Furchtsamste der Schar, tat schon einen Schritt vor, ihm womöglich zu Füßen zu fallen und um Gnade zu bitten. Mac Kringo jedoch, der einzige von ihnen, der die Landessprache verstand und darin verkehren konnte, wahrend die übrigen bis jetzt nur Worte davon begriffen, trat vor und sagte.

»Du hast recht, Toanonga, es war ein schlechter Streich, den dir der Kapitän gespielt – aber was können wir dafür? Waren wir in dem Boot, das deine Tochter vom Lande stahl? Nicht ein einziger. Frag' sie selber, und sie muß dir meine Worte bestätigen. Du bist deshalb auch zu vernünftig, uns das entgelten zu lassen, was ein anderer verbrochen hat.«

»Schweig' du, bis du gefragt wirst, mein Bursche,« rief aber Toanonga, der es für unter seiner Würde hielt, sich mit einer untergeordneten Person – und er wußte recht gut, daß die Matrosen das an Bord der Schiffe waren – in ein Argument einzulassen. »Ihr steckt alle miteinander unter einer Decke, und wenn du in dem Boote gewesen wärest, würdest du ebensogut gerudert haben, und wie die anderen es getan, sobald es dir dein Kapitän befohlen.«

» Tai halla! tai halla! – gewiß!« schrien jetzt eine Menge junger Burschen, die sich herbeigedrängt, sowie sie sahen, daß ihr Häuptling mit den Pagalangis sprach, und wilde Ausrufe, hier und da auch mit Verwünschungen gemischt, kreuzten toll und laut durcheinander.

Da hob Toanonga nur den Arm auf, und im Augenblick verstummte der Lärm. Auf ein zweites, ebenso gebieterisches Zeichen bemächtigte sich aber eine Anzahl kleiner Burschen der Männer und suchte sie unter Lachen und Schreien von ihrer Stelle hinweg und dem Holzrand zuzuführen.

Widerstand wäre unter allen Umständen fruchtlos gewesen, und die Leute wollten dem Befehle schon ruhig gehorchen. Spund jedoch, der glaubte, daß es jetzt an ihr Leben ginge, drängte sich bis zu Toanonga hin, und vor diesem richtig auf die Knie fallend, bat er den alten, ehrlichen Häuptling im breitesten Irisch um sein Leben.

Über das Gesicht des Alten stahl sich aber ein gutmütiges Lächeln, denn es tat ihm wohl, nicht allein den Weißen gegenüber seine Autorität gezeigt zu haben, sondern sich auch von ihnen gefürchtet zu sehen. Er war aber viel zu weichherzig, ihnen irgendein Leid anzutun. Seine Tochter hatte er wieder zurück, das Schiff, welches ihm hatte Schaden zufügen wollen, war verbrannt, und die paar davon an seine Insel verschlagenen Weißen dachte er nicht für Vergangenes zu bestrafen, die jungen Burschen hatten im Gegenteil die Pagalangis nur eben zum Frühstück führen sollen, das etwas abseits von den Eingeborenen für sie hergerichtet worden, und als ihnen dies jetzt von dem alten Häuptling erklärt wurde, war dem armen Teufel eine große Last von der Seele gewälzt.

Der leichte Mut, den Matrosen vor allen übrigen Menschen so besonders eigen, gewann auch bald bei ihnen wieder die Oberhand, und als sie jetzt in einem kleinen Dickicht von Pandanus, Kasuarinen und einzelnen hochstämmigen Kokospalmen, unbelästigt von einem der Eingeborenen, um das reichliche Mahl saßen, kehrte die, wenn auch nicht fröhliche, so doch sorglose Laune rasch zurück.

»Und da hätten wir endlich unseren Wunsch erfüllt,« brach Legs zuerst das Schweigen, »da säßen wir auf dem Trockenen mit Schweinebraten und Brotfrucht statt Salzfleisches und Schiffszwiebacks, und Kokosmilch statt faulen Wassers und dünnen Grogs. Jungens, wenn die Sache nicht schlimmer wird, so können wir es hier ruhig aushalten, und wenn erst ein paar Tage vorüber sind, daß von der fatalen Mädchengeschichte nicht weiter gesprochen wird, so dürfen wir am Ende gar noch unserem Schöpfer danken, uns aus dem alten verbrannten Kasten hierher zurückgeführt zu haben.«

»Sei nicht zu sicher, mein Bursche,« brummte jedoch der Schotte, »wir wissen noch gar nicht, ob uns der Brand des Schiffes zum Heil ausschlagen wird; denn ehe wir uns versehen, kann uns die braune Rotte über dem Halse sein.«

»Der liebe Gott hat es jedenfalls getan,« bestätigte aber auch Spund, eben mit einem delikat gebackenen Rippenstück beschäftigt, und Spund gehörte überhaupt – wo es ihm gerade paßte – einer streng religiösen, und zwar methodistischen Richtung an. »Der liebe Gott hat es getan, und daß er euch nichtsnutziges Gesindel ebenfalls in seinen erbarmenden Schutz genommen, ist nur wieder einer von seinen unbegreiflichen, aber sicher zum Heil führenden Wegen.«

»Na, wir wollen hier nicht untersuchen, ob wir es verdient oder nicht verdient haben,« sagte da Pfeife, »hier sind wir aber einmal, durch die gütige Vorsehung von dem Wassertode und vielleicht noch vor Schlimmerem bewahrt, und wie ich die Insulaner bis jetzt gefunden, so glaube ich kaum, daß uns noch eine Gefahr für unser Leben droht. Hätten sie Böses mit uns im Sinne, so brauchten sie uns nur einfach ersaufen zu lassen; kein Mensch hätte ihnen dabei einen Vorwurf machen können. Kalter, berechneter Blutdurst liegt aber nicht in ihrer Natur, und da sie uns nicht im ersten Augenblicke die Schädel eingeschlagen haben, so denk' ich, dürfen wir für unsere Sicherheit auch weiter nichts fürchten.«

»Ich möchte nur wissen,« knurrte da Lemon, einen Seitenblick nach dem Böttcher werfend, »warum Spund um Gnade gebeten hat, wie sie uns zum Frühstück riefen.«

»Laß du nur dein Spotten, Lemon,« brummte, als die anderen lachten, der also Geneckte – »Gnade haben wir alle nötig, und ob das, was der Alte sagte, auf Tongaisch hieß: Gib ihnen ein Spanferkel und Brotfrucht, oder schneid' ihnen den Hals ab, hast du so wenig gewußt wie ich. Wenn ich nur jetzt erst eine Ahnung hätte, wie wir diesen Heiden wieder entgingen und von der Insel fortkämen!«

»Fort?« rief Legs erstaunt aus – »wer will denn wieder fort? ich wahrhaftig nicht. Ich danke meinem Schutzgeist, der mich hergebracht hat, und denke gar nicht daran, wieder an Bord irgendeines anderen blutigen Schiffes zurückzugehen. Mögen die Tran sieden, die ein Vergnügen daran finden; ich befinde mich wohl, wo ich gerade bin, und denke Bürger und Einwohner, wie sie bei uns sagen, auf Monui zu werden.«

»Da kommt der Alte wieder,« unterbrach Mac Kringo das Gespräch – »nehmt euch zusammen, Jungens, und macht ihn nicht böse. Er hat uns nun einmal in der Tasche, und wir müssen sehen, daß wir ihn zum Freund behalten.«

Von Toanonga schien ihnen aber nichts Feindseliges zu drohen.

Der gutmütige alte Mann, ohne jedoch seiner Würde im mindesten etwas zu vergeben, mochte sich im Gegenteil in dem Bewußtsein behaglich fühlen, der Protektor dieser von ihm abhängigen Pagalangis zu sein. Mac Kringo hatte ihn auch darin bald durchschaut und sein Betragen schon ganz danach geregelt.

Er stand auf, sobald sich der alte Häuptling ihrem Eßplatz näherte, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und fragte ihn, was zu seinen Befehlen stände, und Toanonga, den das sichtlich erfreute, winkte ihm huldreich mit der Hand und bedeutete ihm, daß er sich freuen würde, wenn die Fremden seinen Leuten keinen Anlaß zu Klagen geben wollten. Sie seien allerdings für jetzt noch Gefangene, bis das Gericht der Egis oder Häuptlinge über sie entschieden hätte; denn dem, was diese über sie beschließen würden, müßten sie sich allerdings fügen; aber er hoffe, daß sie mit ihrer Lage zufrieden sein sollten. Das hänge jedoch, wie schon gesagt, lediglich von ihrem eigenen Betragen ab. Für jetzt sei ihnen eine leerstehende Hütte, die er Mac Kringo an einer vorragenden Landzunge zeigte, zum Wohnort angewiesen; dorthin würden sie auch geschickt bekommen, was sie zum Leben brauchten.

Außerdem sei ihnen aber für jetzt der Verkehr mit den Eingeborenen, besonders den Frauen, untersagt, und er erwarte, daß sie jenen Platz nicht verlassen würden, bis sie abgeholt würden.

Damit, und als ob er sich jetzt genug mit den Leuten eingelassen, machte er eine höchst würdevolle, wie verabschiedende Bewegung mit der einen Hand, drehte sich dann ab und verließ die darüber etwas verdutzten Matrosen, ohne irgendeinen Einwand anzuhören oder nur zu erwarten.


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