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Maximilian und Bazaine.

Die Sonne neigte sich nach einem schwülen, heißen Tag langsam den Bergen zu – die Luft wurde kühler, und die schöne Welt von Mexiko strömte nach der Alameda (oder dem öffentlichen Spaziergang) hinaus, um sich dort nicht allein unter den schattigen Bäumen zu ergehen und frische Luft zu atmen, sondern auch die verschiedenen Toiletten zu zeigen, und gegenseitig Staunen und Bewunderung – oder Neid zu erregen.

Die Alameda von Mexiko macht keine Ansprüche auf große Schönheit oder Eleganz, aber sie liefert dem Bewohner der Hauptstadt etwas, was er sonst schmerzlich in unmittelbarer Nähe entbehrt – hohe und stattliche Bäume und einen abgeschlossenen Platz zum Umherwandeln, wie er allen spanischen Städten Bedürfnis ist. Sie besteht aus einem etwa achtzig Schritt langen und vierhundert Schritt breiten, von einer hohen, hellen Mauer umschlossenen Park, mit einem Fahrweg ringsum für Kutschen und Reiter, und den innerhalb desselben liegenden Wegen für Fußgänger, und würde in einer Stadt, wo man irgend einen schattigen Wald im Bereich hätte, wohl nun und nimmer von Spaziergängern besucht werden; hier dagegen ist sie, wie gesagt, das Unikum und deshalb an schönen Abenden oft gedrängt voll von Menschen, die sowohl Bewegung als Gesellschaft suchen.

Die vornehme Welt fährt allerdings gewöhnlich, aber besonders in jener Zeit, als eine gute österreichische Militärmusik die Mexikaner anlockte, ließen sie auch sehr oft ihre Equipagen draußen halten und wanderten zu Fuß die Anlagen auf und ab. Man konnte dabei die Musik besser hören, war weniger dem Staub des Fahrweges ausgesetzt – und sah auch die Toiletten besser.

Heute, als nach einem besonders schwülen Tag, und ohne weitere Beschäftigung, da kein einziges Fest für den Abend angesagt schien, hatte sich ein großer Teil der Hautevolee hier versammelt, und die Masse kam förmlich in Bewegung, als plötzlich der Ruf: »Der Kaiser!« »Die Kaiserin!« darüber hinzuckte.

Das Herrscherpaar hatte die Alameda einmal in ihrem vollen Menschenschmuck sehen wollen, war ebenfalls vor dem Tore ausgestiegen und wanderte jetzt zu Fuß durch die Gänge, wo ihnen die Besucher alle in Ehrfurcht und mit tiefen Verbeugungen Raum gaben und auch durch kein Zeichen verrieten, daß sie noch vor kurzem eifrige Republikaner gewesen waren.

Der Kaiser sah wohl und heiter aus, sein gutes und dabei so intelligentes Gesicht strahlte von Wohlwollen und Genugtuung, und er brauchte sich auch wahrlich keiner Täuschung hinzugeben, um zu fühlen, wie wahr und aufrichtig die Huldigungen waren, die man dem jungen Paar hier überall darbrachte.

Als sie an der Musik vorüberschritten, pausierte diese plötzlich, setzte aber dann zu einem vollen und jubelnden Tusch ein, und die ganze Alameda brach zu gleicher Zeit in einen lauten und zustimmenden Jubelruf aus. Es war dabei nichts Gemachtes – nichts Künstliches; es kam unverabredet aus aller Herzen.

Der Kaiser war sichtlich bewegt – er dankte nach allen Seiten, das Gesicht Charlottens aber strahlte in Glück und Seligkeit, und huldvoll neigte sie das Haupt nach da und dort hinüber.

Als sie die Alameda endlich wieder verlassen wollten, trafen sie gerade auf Roneiros, die eben anlangten, und in deren Begleitung sich Graf Deverreux befand. Die Damen verneigten sich tief. Der Offizier grüßte militärisch, die Kaiserin aber, noch glücklich über die eben erhaltene Huldigung, ging auf Inez zu, die ehrfurchtsvoll mit einer tiefen Verbeugung ihre Hand küßte, und sagte freundlich:

»Darf ich Ihnen hier meine Gratulation bringen, liebes Kind? Ich freue mich herzlich darüber.«

»Majestät sind so gnädig.«

»Aber von Ihnen, Graf Deverreux, ist es nicht hübsch gehandelt,« setzte die hohe Frau lächelnd hinzu – »ich glaubte, Frankreich wollte uns mit seiner tapferen Armee unterstützen, und nun machen Sie uns unseren Hofstaat abwendig.«

»Majestät,« erwiderte der junge Deverreux, der blutrot geworden war – »ich glaubte, je enger wir uns mit Mexiko verbänden, desto größere Dienste würden wir Ihnen leisten können.«

»Und darin haben Sie vollkommen recht, lieber Graf,« nickte wohlwollend der Kaiser – »übrigens macht Ihre Wahl Ihrem Geschmack alle Ehre, und gestatten Sie mir auch meine Glückwünsche denen der Kaiserin beizufügen. – Ich hoffe,« setzte er dann hinzu, »Sie einmal in Chapultepec bei mir zu sehen,« und mit freundlichem Grüßen schritt das Kaiserpaar dem Ausgang wieder zu, um dort die eigene Equipage zu besteigen.

In der Alameda aber drehte sich indessen das ganze Gespräch ganz allein um den Monarchen und seine Gemahlin, und allerdings war auch in den letzten Monaten Wichtiges geschehen und Wichtigeres noch vorbereitet, um Stoff genug zur Unterhaltung zu bieten; aber es gab auch Unzufriedene in der Menge, und wie konnte das anders sein, wo so viel verschiedene Interessen vertreten waren.

»Haben Sie gesehen, wie huldvoll sich die sonst so stolze Kaiserin heute mit Roneiros unterhielt?« sagte eine ältliche, aber sehr reich gekleidete Dame, die mit einer Freundin und einem ältlichen, vornehmen Herrn einen der Zwischenwege hinabschritt. Die kleine Gesellschaft gehörte ihrer Abstammung nach augenscheinlich den Mestizen an, und die erstere war auch eine Verwandte des Expräsidenten Juarez – der Herr ein früherer Minister der liberalen Partei, jetzt aber etwas gekränkt, daß er von Maximilian als völlig unbrauchbar war übergangen worden. »Ist es nicht ein Skandal, daß sich die Roneiros jetzt so ganz dem Kaisertum und den Fremden zuwenden? Heilige Jungfrau! Lieber sähe ich doch meine Tochter im Grabe, als daß ich sie einem Franzosen zur Frau gäbe.«

Der alte Herr zuckte mit den Achseln – » Que quiere Usted,« sagte er, »der alte Roneiro schwimmt eben mit dem Strom, denn er hat selber viel Grundeigentum der Kirche gekauft, und schon Todesangst genug ausgestanden, daß er es unter dem Kaiserreich wieder herausgeben müsse – Nationalgefühl? Wer kann von solchen Menschen Nationalgefühl verlangen? Die Tochter ist Hofdame der Kaiserin geworden und wird nächstens den Orden des heiligen Carlos erhalten – er selber hat sich tief in Finanzgeschäfte mit dem Kaiserreich eingelassen, die Mutter ist stolz auf die Auszeichnung, die ihrem einzigen Kinde widerfahren, und stolzer, daß es jetzt eine Gräfin wird – was wollen Sie mehr?«

»Und wie haben diese Menschen damals um die Freundschaft meines Vetters geworben!« sagte die alte Dame mit Würde – »wie sind sie dahinter gewesen, daß er sie empfing! Jetzt aber, da er im Unglück und verlassen ist, wenden sie sich der neuen Sonne zu. Es ist eine Schmach und Schande für das Menschengeschlecht.«

Unfern davon stand eine große deutsche Pappel, an welcher einige Arbeiter mit einem höchst merkwürdigen Werk beschäftigt waren, den hohlen Baum nämlich zuzumauern, und mit einer Schicht von Backsteinen, mit welcher sie den Umfang des Baumes wiederherzustellen suchten, eine kleine, gewölbte Mauer darin aufzuführen. Die Zeit war dazu schlecht gewählt, denn sie wurden fortwährend von den Spaziergängern gestört, aber die Arbeit war auch nötig geworden, um den Baum zu retten. Die Hälfte, oder wenigstens ein Dritteil des Stammes schien nämlich mit der Zeit abgefault zu sein, wodurch der ganze Stamm hohl bis oben hin wurde.

Das hatte aber eine Anzahl von Leperos ausgefunden, die überhaupt gern im Freien kampierten, oder vielleicht dort in der Nachbarschaft Beschäftigung fanden. Wenn sie sich deshalb eine Mahlzeit kochen wollten, gingen sie zu dem hohlen Baum in die Alameda, wo sie überhaupt in der Mittagszeit kaum je ein Mensch störte, machten sich in der Höhlung ein kleines Feuer an und benutzten nun den alten Baum, der ganz vortrefflichen Zug hatte, als Kamin oder Schornstein.

In dem Vergnügen sollten sie jetzt, durch die aufgestellte Mauer, gestört werden.

Neben dem Baum, der Arbeit zuschauend, waren einige Herren stehen geblieben, als andere vorübergingen.

»Hallo Lucido! Was machen Sie da?« lachte ein wohlbeleibter Sennor, der, die Hände auf dem Rücken, allein seinen Spaziergang verfolgte – »sind Sie hier Aufseher geworden?«

»Caramba Almeja,« rief der also Angeredete, »ich habe Sie ja seit ein paar Monaten nicht gesehen? Wo waren Sie?«

»Oben in meiner Mine,« nickte Almeja, »und seit sechzehn Monaten habe ich sie zuerst wieder besuchen können, denn die Liberalen hatten sich dort in der Nachbarschaft festgesetzt.«

»Und jetzt?«

»Sind sie von Mejia nach Norden getrieben worden, und die Bahn ist wieder frei.«

»Das ganze Land wird bald frei sein, Almeja,« sagte Lucido de Vega, »dem Kaiserreich ist fester Boden geworden, und wir gehen einer guten Zeit entgegen. Vera-Cruz hat, seit es besteht, noch nicht so viel monatliche Einnahmen gehabt wie im letzten. Der Handel hebt sich, und alle Gewerbe heben sich mit.«

Almeja schüttelte finster mit dem Kopf. »Dem Anschein nach, ja,« sagte er, »aber ein Staat, der nicht auf der Kirche basiert, muß zuletzt doch zugrunde gehen.«

Lucido sah ihn von der Seite an und lachte: »Sie sind einmal wieder den Schwarzen unter die Hände geraten, wie?«

»Ich?« rief Almeja erstaunt.

»Sie, allerdings,« lachte Lucido, »und ich kann mir auch denken, wie; denn bei mir im Hause machten es die Frauen im Anfang dieses Jahres eben nicht besser. Jetzt aber, seit der Frauenorden gestiftet ist, scheinen sie bedeutend nachgelassen zu haben. Ich glaube wahrhaftig, wenn der Kaiser jeder von ihnen so ein buntes Ding geben könnte, zögen sie selber gegen die Kirchen zu Felde.«

»Spotten Sie nicht, Lucido,« sagte Almeja ernst, »der päpstliche Nuntius verließ mit recht trübem Herzen Mexiko – er war noch den Tag vorher bei mir zum Frühstück. – Er erklärte, daß der heilige Vater nie und nimmer auf die ihm unterbreiteten Vorschläge eingehen werde und könne.«

» Non possumus, die alte Geschichte.«

»Aber dabei auch eine traurige Wahrheit, und was dann? Die Geistlichen im Lande fangen schon an, allen jenen, welche auf geistlichem Grundbesitz wohnen, die Sterbesakramente oder andere Tröstungen der Kirche zu verweigern.«

»Das Landesgesetz zwingt sie, ihre Pflichten zu erfüllen,« erwiderte Lucido.

»Wer kann sie zwingen!« sagte Almeja kopfschüttelnd. »Wo sich der Staat von der Kirche lossagt, kann er ihr auch nichts mehr befehlen, und traurig, recht traurig ist es dabei, wie viele von unseren besten Familien in ihrer Widersetzlichkeit gegen die Kirche dem Volk mit einem recht bösen Beispiel vorangehen. Nehmen Sie Roneiro – und jetzt seine Verbindung mit dem Erzfeind des Landes, den Franzosen. Ich hatte gehofft, daß unsere Familien dereinst zu einer einzigen vereinigt werden würden, aber Glanz und Rang hat dem unglücklichen Don Bautista so total den Kopf verdreht, daß er blind und toll in sein eigenes Unglück hineinrennt.«

»Aber müssen Sie nicht selber eingestehen, Don Juan,« sagte Lucido, »daß der Kaiser wirklich nur das Beste des Landes im Auge hat? Nicht allein, daß sich Handel und Gewerbe heben, nein, es vergeht keine Woche, wo nicht notwendige Gesetze gegeben oder nützliche Institutionen ins Leben gerufen werden.«

»Ja, auf dem Papier,« nickte Almeja, »aber sehen Sie, wie es in Wirklichkeit im Lande steht. Wie lange ist es her, daß zwei französische Offiziere auf der Diligence ermordet wurden.«

»Parteileidenschaft« – sagte Lucido.

»Ach was,« rief Almeja, »die Partei hatte damals nichts damit zu tun. Elendes Raubgesindel war es, das auch die mexikanischen Passagiere plünderte – eine Nichte von Rodriguez, aus Mazatlan, befand sich ebenfalls in der Kutsche und hat mir die Einzelheiten alle erzählt – und das nicht allein. Wie oft ist seit der Zeit die Diligence nach Queretaro und Puebla wieder ausgeraubt worden, und besonders in Puebla ein solcher Zustand eingetreten, daß man kaum wagen kann, allein durch die Straßen der Stadt zu gehen, aus Furcht, aufgegriffen und um Lösegeld gefangen gehalten zu werden. Tut denn der Kaiser auch nur etwas, um diesem Zustand ein Ende zu machen?«

»Er ist zu gut,« sagte Lucido – »er mag kein Todesurteil an Mexikanern unterschreiben, aber er wird sich doch dazu gezwungen sehen.«

»Zu gut? Sagen Sie zu schwach,« rief Almeja, »der Mann paßt nicht dazu, um das mexikanische Volk zu regieren, und das ist gerade, als ob ich ein an unsere Gebisse gewöhntes Pferd mit einer einfachen europäischen Trense reiten wollte. Solange es selber Lust hat, geht es ruhig, aber sobald es ihm einmal einfällt, auch mit dem Reiter durch.«

»Haben Sie denn gehört, daß irgend etwas Besonderes im Werke wäre?«

»Besonderes? Vorderhand, nein, aber eine unheimliche Schwüle herrscht überall, die jeden Augenblick zum Ausbruch kommen kann. Die mexikanischen Offiziere fürchten sich vor der Geistlichkeit, und ich weiß bestimmt, daß schon einige von ihnen schwankend geworden sind.«

»Und haben Sie die Gesellschaft je anders als schwankend gekannt, Don Juan?« lachte Lucido – »sehen Sie dort, da geht gleich ein treffliches Exemplar unseres Offizierstandes – kennen Sie den Burschen da in der mexikanischen Generalsuniform, der mit ein paar anderen Kameraden seines Gelichters aufgeblasen und frech einherschlendert?«

»Der finstere Mann mit den dicken Augenbrauen? Wer ist das?«

»General Cortina, noch vor wenigen Monaten ein eifriger Parteigänger des Expräsidenten, der aber mehr Menschenleben auf dem Gewissen hat als vielleicht selbst Marquez, und genug mexikanisches Blut vergossen haben soll, um ein Kriegsschiff darauf flottzuhalten.«

»Ich weiß, daß er von Juarez abgefallen ist.«

»Und so lange bei dem Kaiser aushalten wird,« setzte Lucido hinzu, »als dieser ihn genügend bezahlt und die Macht behält. Glauben Sie, daß solche Menschen ein anderes Interesse im Auge haben als ihr eigenes?«

»Es geht übrigens das Gerücht, der Kaiser beabsichtige dem ein Ende zu machen und einen Teil dieser Herren zur Disposition zu stellen.«

»Wenn er ihnen dann so viel Gehalt gibt, daß sie hier in der Hauptstadt mit Glanz leben können,« nickte Almeja – »so bleiben sie ihm treu.«

»So reich ist Mexiko nicht.«

Almeja zuckte mit den Achseln. »Dann mag er sich auch vorsehen, was er tut, oder er treibt sie alle wieder ins feindliche Lager hinüber.«

» Como está Sennores,« redete sie in diesem Augenblick Zamacona an, der eben im Begriff war, nach Hause zu gehen, denn die Sonne sank schon hinter die Berge, und die Nacht legte sich kühl auf die Erde. »Haben Sie die Neuigkeit gehört?«

»Und welche?« fragte Lucido, »es gibt deren jetzt so viel, daß man kaum weiß, wo man anfangen soll.«

»Ich meine den Überfall der beiden Posten, einen wieder auf dem Weg nach Cuernavaca, den anderen dicht bei Puebla.«

» Por Dios, die Herren von der Straße sind tätig.«

»Denken Sie nur, die Post von Orizaba nach Puebla haben sie dreimal an einem Tag geplündert, und das letztemal aus lauter Wut, daß sie nichts mehr fanden, den Passagieren auch das letzte Kleidungsstück genommen – und es waren einige Sennoritas dabei.«

»Caramba!« riefen die beiden Herren zugleich aus.

»Wie die Post in Puebla in das Hotel de las Diligencias einfuhr, mußte der Hof geräumt werden, und dann gab man Decken und Serapen in den Wagen, daß sie sich nur darin einhüllen und ihre Zimmer erreichen konnten. Es ist niederträchtig.«

»Es wird alle Tage besser, und das Gesindel so übermütig wie nur möglich. Wenn sie nicht jeden, den sie erwischen, an Ort und Stelle aufhängen, wird es auch nicht besser. Alles was von Juarez' Armee noch übriggeblieben ist, hat sich ja auf die Straße und den Raub geworfen. Das sind keine Soldaten mehr, das sind Banditen, und mit denen muß man kurzen Prozeß machen.«

»Genau über dasselbe haben wir vorher auch gesprochen,« nickte Lucido, »und das ist auch jetzt etwa die Stimme des ganzen Landes – den Strick für die Freibeuterscharen oder die Kugel, etwas anderes gibt es nicht.«

Die drei Freunde waren zusammen aus der Alameda getreten, um nach Hause zurückzukehren, als im kurzen Galopp, von einem einzigen Diener begleitet, ein hoher französischer Offizier vorübersprengte.

»War das nicht Bazaine?« sagte Almeja, der ihm nachschaute.

»Ich glaube ja,« nickte Lucido, »wohin mag der noch reiten – er biegt dort ein.«

»Vielleicht nach Chapultepec,« sagte Zamacona, »er hat in der letzten Zeit und seit er von Oajaca zurück und Marschall geworden ist, häufiger mit dem Kaiser verkehrt.«

»Und Porfeirio Diaz haben sie nach Puebla gebracht?« fragte Lucido.

»Ja – er sitzt auf der Festung,« nickte Zamacona, »sehr hübsche Aussicht da, aber sonst ein verwünschter Platz, und noch dazu mit französischen Kerkermeistern. Der wackerste Mann, den Mexiko hat, von den Fremden in unserem eigenen Land gefangen gehalten. Es ist eigentlich eine Schande, daß wir es dulden und dulden müssen.«

»Er wird gewiß gut behandelt werden.«

»Wenn Bazaine seinen Willen hat, fürchte ich alles,« sagte Zamacona düster; »aber Sennores,« setzte er dann in einem leichteren Tone hinzu, »ich sehe nicht ein, weshalb wir uns den schönen Abend mit so trüben Gedanken verderben sollen? Was sagen Sie zu einer Partie Whist? Kommen Sie mit zu mir hinüber – meine Frau hat sich ein paar Freundinnen eingeladen, und wir finden da gleich eine kleine Gesellschaft.«

Die Einladung wurde ohne weiteres angenommen, und die drei Freunde schritten, die Politik sich selber überlassend, ihrer Partie zu in die Stadt.

*

Oben in Chapultepec wanderte Maximilian, seine Gemahlin am Arm und ohne von einem Diener begleitet zu sein, unter den prachtvollen alten Zedern auf und ab, die am Fuße dieses Schloßberges stehen. So heiter er aber auch, als sie hinuntergestiegen, gewesen war, und so lebhaft er das Gespräch geführt hatte, hier unten in dem düsteren Hain dieser alten Bäume wurde er stiller und stiller – er sprach kein Wort mehr; sein Geist wanderte bald zurück zu fern vergangenen Zeiten, bald in die Zukunft seines schönen Reiches, bis er sich beengt unter den immer dichter werdenden Schatten fühlte. Die Brust hob sich ihm schwer, und er sagte leise:

»Komm, Charlotte, laß uns wieder hinauf ins Licht steigen – hier unten unter den mächtigen Bäumen ist es mir, als ob ich im Grabe läge.«

»Es sind Zeugen vergangener Herrlichkeit und Größe,« sagte die Kaiserin.

» Vergangener,« wiederholte düster Maximilian, »in diesen Wipfeln rauscht sie.«

»Was fehlt dir, Max?« sagte die Kaiserin, die bei den Worten fast erschreckt zu ihm aufsah, »ist etwas vorgefallen? Hast du schlimme Nachrichten bekommen?«

Maximilian schüttelte lächelnd mit dem Kopf. »Nein,« sagte er, »nur gute, du weißt es ja selber.«

»Aber es hat dich gekränkt, daß Amerika unseren Gesandten nicht anerkennen will?« fragte die Kaiserin, während sie den Hain jetzt verließen und wieder nach oben stiegen.

»Nein – auch das nicht –« erwiderte der Kaiser – »es war ein Fehler, daß ich überhaupt den Versuch machte, aber – es hat nichts zu bedeuten. Wir sind uns selber hier genug, und mit den wenigen Feinden, die uns jetzt noch gegenüberstehen, können wir auch allein fertig werden. Ach, hier atmet die Brust freier als da unten in dem dunklen Grund,« sagte er, indem er stehen blieb und sein Blick jetzt weit hinaus, über die Wipfel des zu seinen Füßen liegenden Parks hin, die hell aus der Nacht herausschimmernden Vulkane suchte – »wie schön, wie wunderbar schön es hier ist, Charlotte, und wie mild und balsamisch die Luft. Ich habe früher immer geglaubt, daß das Meer dazu gehöre, um eine Szenerie vollkommen zu machen, aber jene herrlichen Gebirge da drüben ersetzen alles. – Und wie malerisch Tenochtitlan Der alte Name der Hauptstadt Mexiko. da unten mitten zwischen den beiden dunklen Seen ruht, und wie die Lichter von dort herüberblitzen. – Wir haben etwas Schweres unternommen, Charlotte, und ich kann dir gestehen, daß ich anfangs manchmal verzagte, wenn sich mir Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten entgegenstellten, und ich wohl fühlen mußte, wie wenig Verlaß wir auf den Charakter dieser Menschen hatten. Jetzt aber ist das alles vorüber, denn der Erfolg war mit uns, dem sich die Masse beugt, und jetzt gehe ich der Zukunft auch froh und vertrauensvoll entgegen. Nur da unten, unter den geheimnisvollen Schatten jener Bäume, überkam mich wieder ein, dem früheren ähnliches, unheimliches Gefühl – aber wer naht dort? – Ist das nicht ein Diener? Er scheint uns zu suchen.«

Es war in der Tat ein Diener oben vom Schloß, der meldete, daß eben Marschall Bazaine angelangt sei und Seine Majestät um eine kurze Unterredung bitten lasse.

»Bazaine?« sagte der Kaiser erstaunt, »was ist da vorgefallen, daß er uns zu so später Abendstunde aufsucht?«

»Was kann vorgefallen sein?« setzte die Kaiserin hinzu, deren Herz heftig klopfte, die aber doch vollkommen ihre äußere Ruhe bewahrte. »Eine Geschäftssache führt ihn jedenfalls her, und wahrscheinlich wieder eine von seinen ewigen Klagen. Er glaubt sich stets zurückgesetzt, weil er nicht mehr die volle Verwendung über die österreichischen und belgischen Truppen hat, und die gerade möchte er überall gern vorschieben, um die Franzosen zu schonen.«

»Und tut es redlich, wo er kann,« nickte der Kaiser – »doch komm, mein Kind – wir wollen sehen, was er uns zu sagen hat, denn annehmen müssen wir ihn doch, wenn auch die Zeit schlecht gewählt ist. Gott weiß es, ich habe so nur die Abende für mich, und ich fürchte, er wird uns den heutigen nicht gerade angenehm vertreiben.«

Das Kaiserpaar schritt, von dem Diener gefolgt, in das Schloß die kurze Strecke oder vielmehr die Treppe noch hinauf. In dem unteren Salon aber, der durch einen kleinen Säulengang an den neu restaurierten Garten stieß, kam ihnen Bazaine schon entgegen, und ohne eine große Auseinandersetzung für nötig zu halten, sagte er, nach einer ziemlich abgebrochenen Verbeugung:

»Sie müssen mich entschuldigen, Majestät, daß ich Ihre Zeit noch so spät am Abend in Anspruch nehme, ich komme selber aber über Tag nicht zu Atem und glaubte auch, Sie hier am ungestörtesten zu treffen. – Darf ich um eine kurze Unterredung unter vier Augen bitten?«

»Betrifft es mich persönlich oder den Staat?« fragte Maximilian, der sich doch ein wenig durch diese Hintansetzung jeder Form verletzt fühlte, so vernünftig er sonst darüber denken mochte.

»Persönlich nein,« erwiderte der Marschall, »die Zustände des Reiches.«

»Dann,« lächelte Maximilian, indem er auf seine Gemahlin zeigte, »kann mein kleiner Sekretär und Geschäftsführer auch bei uns bleiben, denn was den Staat betrifft, so hat die Kaiserin ein so richtiges Urteil, daß ich gern ihre Meinung in allen wichtigen Dingen höre. Kommen Sie, setzen wir uns, es wird draußen schon ein wenig zu kühl, und der Wind zieht scharf von den Bergen herüber. Rauchen Sie, Herr Marschall?« und der Kaiser hielt ihm seine Zigarrentasche entgegen, »und nun sagen Sie, was Sie uns so Wichtiges bringen.«

»Eigentlich, Majestät,« sagte Bazaine, der den Stuhl, auf welchen der Kaiser zeigte, nahm, während sich die Diener zurückzogen, »bringe ich Ihnen nichts Besonderes, sondern meine Unterredung sollte nur etwas Wichtiges, was sich ereignen könnte, in Betracht ziehen. Sie haben doch jedenfalls gehört, wie es in den Vereinigten Staaten von Nordamerika steht?«

»Allerdings – der Süden ist, den letzten Nachrichten zufolge, vollständig unterlegen, Lee hat kapituliert, Jefferson Davis ist Gefangener der Union, und fast alle südstaatlichen Truppen, mit Ausnahme der in Texas, haben ihre Waffen niedergelegt. Ich hätte nicht geglaubt, daß das alles so mit einem Schlage geschehen könne, aber General Sherman hat ihnen den Hals gebrochen. Es war auch ein keckes Unternehmen, und ich hätte wohl dabei sein mögen.«

»Die Tatsachen sind unbestreitbar,« erwiderte Bazaine, »aber an uns tritt auch jetzt die Notwendigkeit heran, zu überlegen, wie wir ihnen gegenüber handeln wollen, und uns zu dem einen oder anderen zu entschließen wird bald nötig sein.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte der Kaiser.

»Ich meine das noch jetzt in Texas stehende Heer der Konföderation,« erwiderte der Marschall, »das unter General Slaughter wahrscheinlich noch gar nicht die letzten Ereignisse vom Kriegsschauplatz kennt. Mit diesem sind nur zwei Wege möglich; es unterwirft sich entweder, wie es die übrigen, freilich vollständig eingeschlossenen Armeekorps getan haben, der siegreichen Union, oder es tritt mit der mexikanischen Grenze im Rücken auf mexikanisches Gebiet über.«

»Das verstößt nicht wider das Völkerrecht,« sagte der Kaiser.

»Nein – allerdings nicht,« sagte Bazaine, »und ist schon mehrfach auch in anderen Ländern geschehen – selbst noch in unseren Kriegen mit Italien, wo wir die Österreicher über die Schweizer Grenze jagten.«

Der Kaiser biß sich auf die Unterlippe, aber er erwiderte nichts, und Bazaine fuhr fort:

»Ich verhehle mir nicht, daß wir dadurch Schwierigkeiten mit der Union bekommen könnten, aber gerade jetzt, wo Juarez in den Staaten drüben amerikanische Freischaren anwerben läßt, um bei uns einzubrechen, wäre es von nicht geringem Wert, diesen ein Gegengewicht in die, Schale zu werfen, und das könnten wir, wenn wir die Soldaten der Konföderierten vermöchten, dort oben eine Kolonisation zu beginnen.«

»Aber Sie wissen, Herr Marschall« sagte der Kaiser, »daß es für einen neutralen Staat die erste Bedingung ist, einem solchen übergetretenen Armeekorps die Waffen abzufordern. Es geschah das auch,« setzte er mit einem sarkastischen Lächeln hinzu, »wie Sie sich vielleicht erinnern werden, mit den Österreichern in der Schweiz.«

An dem Marschall ging der Stich verloren, oder wenn er ihn fühlte, ließ er es sich nicht merken. »Das alles läßt sich in geschickter Weise umgehen,« entgegnete er, »denn in einem wilden Lande herrschen andere Verhältnisse als in einem zivilisierten. Die Kolonisten dort oben müssen Gewehre haben, weil sie zum Teil mit von der Jagd leben und mit wilden Indianerstämmen noch häufig in Berührung kommen, ja sogar von ihnen bedroht werden. Sobald sie nicht selber wieder in das Nachbarland einbrechen, kann deshalb kein Staat der Welt etwas dagegen einwenden. Die Sache muß aber jetzt erwähnt werden, damit Eure Majestät im voraus die Instruktionen zu geben geruhen, welche Sie für die zweckmäßigsten halten.«

»Und was raten Sie mir?«

»Ich würde Eure Majestät zur Absendung eines kaiserlichen Kommissars nach Matamoras raten, um dort etwaige Kolonisationsangelegenheiten zu regeln. Ja auch in dem Fall, daß die Unionstruppen in Texas einrücken sollten, wäre es wünschenswert, daß Majestät einen Mann dort oben hätten, auf den Sie sich gründlich verlassen könnten, und der imstande wäre, in Ihrem Namen mit Regierungstruppen der Nachbarstaaten zu unterhandeln. Ein französischer Militär dürfte es natürlich nicht sein.«

»Nein – allerdings nicht,« nickte der Kaiser leise vor sich hin, »und ich glaube auch, Sie haben darin recht, mein Herr Marschall, Aber um so nötiger wird es dann sein, jetzt mit aller Macht den sich noch immer regenden Scharen der Juaristen im Norden entgegenzutreten. Negrete, der noch treu zu Juarez hält, ist ein sehr tätiger und unternehmender General. Jetzt aber einen letzten und entscheidenden Schlag dort hinauf geführt, und ich denke, wir können sagen, daß wir mit der Revolution fertig geworden sind.«

»In dem Fall, Majestät,« sagte Bazaine achselzuckend, »müßte ich freilich bitten, daß die Befehle, die ich gegeben, um die von den mexikanischen Truppen okkupierten Plätze auch in Verteidigungszustand zu setzen, besser ausgeführt werden als bisher, oder die ganze Arbeit fällt, wie immer, allein auf französische Schultern.«

»Soviel ich weiß,« sagte der Kaiser, und sein Antlitz zeigte eine etwas lebhafte Röte – »ist das bisher genau geschehen.«

»Ich erinnere Sie an Monterey,« entgegnete Bazaine – »es fiel aus dem Ihnen angegebenen Grund, ohne jede Verteidigung, und gewinnen die Liberalen von neuem Boden, so können wir auch den Kampf zum drittenmal von vornherein beginnen. Auf Ihre mexikanischen Verbündeten und Offiziere ist außerdem gar kein Verlaß, und ich fühle mich nie sicher, wenn ich mit ihnen zu operieren habe.«

»Herr Marschall,« sagte der Kaiser, »ich glaube nicht, daß Sie einen treueren General in Ihrer Armee haben, als Mejia ist.«

»Mejia macht allerdings davon eine Ausnahme,« sagte Bazaine, »ich halte sogar auch Mendez für treu, weil er Juarez persönlich haßt. General Marquez war einer der tüchtigsten Generale. Majestät haben ihn aber aus mir unverständlichen Gründen entfernt, und wir quälen uns jetzt fast nur mit Offizieren ab, die in einer französischen Armee nicht einmal Korporalsrang bekleiden könnten.«

»Das sind allerdings Übelstände, die sich aber mit der Zeit bessern,« meinte der Kaiser – »sehen Sie die Union in Nordamerika; es fehlte ihr im Anfang des Krieges total an guten Offizieren, und was für tüchtige Generale haben sich indes herangebildet!«

»Wenn wir aber mexikanische Generale heranziehen,« sagte Bazaine, »so sind wir keinen Augenblick sicher, daß sie nicht bei der nächsten Gelegenheit und mit ihrer ganzen Truppe zu den Feinden übergehen, und das Gesindel, das wir von dort herüberkriegen, ist nicht des Hängens wert.«

»Mit Ausnahmen, Herr Marschall,« lächelte der Kaiser – »ich nenne Ihnen nur Vidaurri und Uraga und könnte noch manchen anderen wackeren Namen hinzufügen. Sie mögen aber die Mexikaner prinzipiell nicht leiden.«

»Die Mexikaner allerdings nicht,« und ein leichtes Lächeln zog dabei über seine stolzen Züge, »aber – doch davon später,« brach er kurz ab – »vor allen Dingen möchte ich Eurer Majestät nur noch ans Herz legen, mir jetzt, wenn ich nach dem Norden hinaufziehe, jede Vollmacht zu geben, um auch mit aller Strenge gegen die Rebellen auftreten zu können.«

»Aber haben Sie nicht jede Vollmacht als Befehlshaber der französischen Armee von Ihrem Kaiser bekommen?« fragte Maximilian – »sind Sie nicht in Wirklichkeit unbeschränkter Herr Ihrer Truppen?«

»Allerdings,« erwiderte Bazaine, »aber es gibt Fälle, für die ich die Verantwortung nicht allein übernehmen kann und will, und die sich doch zum Bestehen des ganzen mexikanischen Reiches als unumgänglich nötig herausstellen werden.«

»Und diese Fälle sind?« fragte der Kaiser und sah ihn forschend an.

»Eine Disposition über die Führer der Rebellen, sobald sie in unsere Hände fallen,« erwiderte finster der Marschall.

»Und ist die nicht im Völkerrecht und Ihren eigenen militärischen Gesetzen fest ausgesprochen?«

»Aber das Völkerrecht hat mit diesen Horden nichts mehr zu tun!« rief Bazaine erregt aus. – »Ob sie nun in Banden von sechs oder acht Mann die Diligencen plündern und unsere Offiziere aus dem Hinterhalt erschießen, wie das seit langer Zeit auf der Straße nach Cuernavaca, Queretaro und Puebla vorgekommen, oder zu sechs- oder achthundert Städte überfallen, die Einwohner brandschatzen, die Frauen mißhandeln und die Behörden aufhängen, es sind immer nur die nämlichen Banditen, und einer sollte wie der andere behandelt werden. Majestät sind aber zu weichen Herzens, und glauben Sie mir, das Volk dankt es Ihnen nicht einmal. Fallen doch selbst in den Vorstädten um Mexiko Raubanfälle und Mordtaten vor, und zahllose Verbrecher, die wir gefangen haben, wurden von den Behörden eingesteckt, und entwischten, ohne eine andere Strafe erhalten zu haben, als ein paar Wochen oder Monate gefüttert zu sein.«

»Sie haben recht, Herr Marschall,« nickte der Kaiser, »die Sache ist auch schon besprochen, und ein Gesetz wird in diesen Tagen erscheinen, das für Raubanfall und Mord die Strafe unmittelbar der Tat folgen läßt. Ich gestehe selber ein, daß hier Milde mehr schadet als nützt, und es muß anders werden. Ich will gegen solches Gesindel kein Erbarmen mehr haben; sie mögen sich die Folgen ihrer Verbrechen selber zuschreiben.«

»Aber das genügt nicht, Majestät,« sagte der Marschall, »das bestraft sie nur, wenn sie sich in einzelnen kleinen Trupps zeigen, und behandelt sie als Caballeros, sobald sie in hellen Schwärmen umherziehen und dort dann im großen genau das nämliche verrichten, was jene im kleinen tun.«

»Und was verlangen Sie da von mir?«

»Was ich Ihnen schon früher ans Herz gelegt habe: den Schuften den bitteren Ernst, den festen Willen zu zeigen, mit ihnen aufzuräumen, wo wir sie fassen können.«

»Aber Sie dürfen doch keine Kriegsgefangenen erschießen!«

»Das sind keine Kriegsgefangenen,« erwiderte finster Bazaine, »das sind gefangene Räuber und Mordbrenner, und solange wir mit denen nicht kurzen Prozeß machen, bekommen wir keinen Frieden im Reich – darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«

Der Kaiser schüttelte ernst mit dem Kopf. »Noch steht Juarez an der Spitze der Revolution!« sagte er – »noch ist seine Präsidentschaft nicht einmal abgelaufen, und Sie werden mich nie dazu vermögen, einen wirklichen Feind wie einen gemeinen Verbrecher zu behandeln.«

»Aber jene schießen nieder, was sie von unserer Nation erreichen können – sollen wir das geduldig ertragen?«

»Gebrauchen Sie Repressalien, wo Sie dieselben für nötig halten und als Marschall von Frankreich verantworten können,« sagte der Kaiser ernst, »aber verlangen Sie nicht von mir, daß ich mich – doch dazu jetzt, wo die Aussichten für das neue Kaiserreich so günstig stehen – vor allen zivilisierten Staaten durch ein solches Blutdekret kompromittieren solle. Haben wir erst die Revolution einmal vollkommen unterdrückt, und dazu bitte ich Sie, mir die Hand zu reichen, und gibt es nur wirklich vereinzelte Räuberbanden zu vernichten, dann allerdings gewinnt die Sache ein anderes Ansehen. Jetzt aber, wo uns noch – und wenn auch nur eine Scheinregierung entgegensteht, müssen wir selbst den Schein vermeiden, als ob wir nicht mit ehrlichen Waffen fechten wollten.«

Bazaine zuckte die Achseln. »Majestät haben Ihren freien Willen und ich selber Ihnen nur zum Besten geraten. Wollen Sie dem Rat nicht folgen – ich kann's nicht ändern, und wir müssen also sehen, wie wir die Caballeros mit Glacéhandschuhen zur Ruhe bringen.«

Der Kaiser hatte eine Antwort auf den Lippen, verbiß sie aber, sah eine Weile sinnend vor sich nieder und sagte endlich, auf etwas anderes übergehend: »Apropos, Herr Marschall, was ich Sie fragen wollte. – Wie steht es mit General Diaz? Befindet er sich auf Ehrenwort in Puebla?«

»Er wollte sein Ehrenwort nicht geben, Majestät,« sagte der Marschall, »und wir halten ihn noch in Fort Guadelupe. Es liegt keine Gefahr vor, daß er dort entwischen könnte.«

»General Diaz ist ein ehrenwerter Mann.«

»Er ist jedenfalls der beste der Juaristischen Generale,« meinte Bazaine, »wenn das auch noch nicht viel sagen will – er ist aber auch der gefährlichste, und ich glaube, wir haben alle Ursache, ihn fest verwahrt zu halten, denn überzukaufen ist er nicht

»Und das ist bei einem mexikanischen General wirklich alles mögliche,« nickte lächelnd der Kaiser – »haben Sie schon den Versuch gemacht?«

»Wir haben ihm, uns der Zustimmung Eurer Majestät versichert haltend, den Rang eines Divisionsgenerals in der kaiserlichen Armee angetragen, er weigert sich aber auf das entschiedenste, mit dem Kaiserreich etwas zu tun zu haben. Es ist ein hartnäckiger Republikaner und von den Institutionen seines Vaterlandes verblendet eingenommen.«

»Aber trotzdem ein ehrenwerter Charakter,« sagte Maximilian; »ich bitte Sie persönlich darum, Herr Marschall, dafür Sorge zu tragen, daß er anständig behandelt wird und es ihm an nichts fehlt. Gerade solche Männer brauchen wir, und ich hoffe, daß er sich, zum Besten seines Landes, auch uns fügen wird, wenn er erst sieht, daß wir die einzige Regierung im Lande bilden. Sie würden mich sehr dadurch verpflichten.«

»Majestät können sich darauf verlassen,« sagte Bazaine, »soweit es nämlich angeht, ihm keine Flucht zu ermöglichen, denn gerade Porfeirio Diaz hätte im Handumdrehen wieder eine Armee hinter sich.«

»Sie sehen zu schwarz, Herr Marschall,« lächelte der Kaiser, »und verwechseln den jetzigen Zustand der Dinge mit den früheren der Revolutionen. Das Volk selber sehnt sich nach Ruhe und wird sich hüten, dort, wo das Land wirklich beruhigt ist und es seine gewohnten Beschäftigungen wieder begonnen hat, aufs neue und mutwillig zu den Waffen zu greifen.«

»Wenn ihm sein freier Wille gelassen würde, gewiß nicht,« sagte der Marschall, »aber kennen Majestät die hiesigen Levas nicht? Sobald ein Offizier nur erst einmal zwanzig Mann beisammen hat, so kann er sie, wenn ihm irgend Ruhe gelassen wird, in zwei, drei Monaten auch auf ebensoviel Tausend bringen. Mit den ersteren überfällt er die einzelnen Hütten und preßt zu Soldaten, was er eben findet, und sind ihrer erst ein paar hundert beieinander, dann umzingeln sie kleine Dörfer und Ortschaften, und die Armee ist im Nu fertig.«

»Und wo bekommen sie Waffen und Munition her?«

»Gott weiß es, aber sie verstehen sich alles zu verschaffen, was sie brauchen, und besonders im Norden wird Juarez sowie seine Bande ja ganz offen von den Nordamerikanern mit dem Nötigen unterstützt. Doch wir müssen nun eben sehen, wie wir im Guten mit ihnen fertig werden, da Majestät absolut keinen Ernst machen wollen. Der Zeit mag es dann überlassen bleiben, Sie von der Notwendigkeit der vorgeschlagenen Maßregel selber zu überzeugen. Jetzt habe ich nur noch den Majestäten eine Mitteilung zu machen, die mich selber betrifft.«

»Sie selber, Herr Marschall?«

»Majestät,« lächelte der Marschall, »bemerkten vorher, daß ich die Mexikaner nicht liebe, und ich gab das zu; um Sie aber zu überzeugen, daß sich diese Abneigung nicht auch auf die Mexikanerinnen ausdehnt, wollte ich Ihnen hier die Anzeige machen, daß ich mich heute mit einer jungen Mexikanerin aus guter Familie verlobt habe.«

»In der Tat?« rief die Kaiserin, die bis jetzt dem Gespräch schweigend zugehört hatte, »und mit wem, wenn man fragen darf?«

»Die Familie,« sagte Bazaine, »ist von spanischer Abkunft – »die Tochter natürlich hier geboren und Kreolin – es ist die Familie La Pena, und eng verwandt mit den beiden angesehenen Generalen Lopez und Pedraza, welcher letztere schon einmal die höchste Würde in der Republik bekleidete.«

»In der Tat,« nickte der Kaiser, nicht unangenehm von der Nachricht überrascht. »Das bringt Sie uns dann allerdings näher, und wir können vielleicht hoffen, Sie ganz an uns hier in Mexiko zu fesseln.«

» Quien sabe, Majestät,« lächelte der Marschall mit dem echt südamerikanischen Ausweich, »vorderhand freilich; aber wenn der Kaiser Napoleon die Zeit gekommen glaubt, daß wir unsere Truppen wieder aus Mexiko herausziehen können, weil das Kaiserreich auf eigenen Füßen steht, werde ich jedenfalls mit diesen nach Frankreich zurück müssen.«

»Und sehen Sie diese Eventualität nicht in nächster Zeit voraus?«

Der Marschall schüttelte mit dem Kopf. »Noch ist mir keine solche Andeutung gemacht worden,« sagte er, »aber Majestät werden selber wünschen, uns bald los zu sein, um Ihr Reich nicht länger auf fremde Bajonette zu stützen.«

»Dann nehmen Sie heute wenigstens unsere freundlichsten Glückwünsche zu Ihrer bevorstehenden Verbindung,« sagte die Kaiserin, die gerade dieses Gespräch abgebrochen wünschte.

»Von ganzem Herzen,« stimmte Maximilian zu und reichte dem Marschall die Hand – »ich glaube auch, ich kenne Ihre Braut. Sie war doch schon bei Hofe, nicht wahr?«

»Ich habe sie in Eurer Majestät Sälen zuerst kennen gelernt.«

»Gewiß, auch ich erinnere mich recht gut auf die Sennorita La Pena, und wer sie einmal gesehen, vergißt sie nicht wieder. – Meine kleine Roneiro ausgenommen, ist sie vielleicht das schönste Mädchen der Stadt.«

»Der Marschall,« lachte Maximilian, »wird sich schon nichts Schlechtes aussuchen, und er hatte die Wahl unter einem ganzen Blumenflor. Aber es wird mich freuen, Ihre Braut kennen zu lernen. Sie führen sie uns doch zu?«

Der Kaiser war aufgestanden, und, dem Zeichen folgend, erhob sich Bazaine ebenfalls.

»Wenn mir Majestät gestatten, gewiß.«

»Es wird uns immer freuen. Sie bei uns zu sehen.«

Mit einer tiefen Verbeugung zog sich der Marschall zurück, und bald darauf klapperten die Hufe seines Tieres wieder den Weg zurück, der in die Stadt führte.

Der Kaiser war, als sie Bazaine verlassen, mit untergeschlagenen Armen an dem Tisch stehen geblieben und sah sinnend vor sich nieder – die Kaiserin trat zu ihm und legte leise ihre Hand auf seine Schulter.

»An was denkst du, Max?«

»An die letzte Andeutung, die der Marschall machte,« sagte der Kaiser ernst, »denn nur ins Blaue hinein hat er sie nicht getan.«

»An den Abzug der Franzosen?«

»Gott weiß es, mit wie leichtem Herzen ich sie würde ziehen sehen, aber – wir können sie jetzt noch nicht entbehren, und es ist auch nicht denkbar, und ich habe des Kaisers Wort, auf das allein ich diese schwierige Mission übernommen.«

»Aber Bazaine kann noch keine offiziellen Depeschen darüber haben,« sagte Charlotte.

»Nein, das glaube ich auch nicht,« erwiderte ihr Gemahl, ohne seine sinnende Stellung zu verändern, »aber er hat Andeutungen – Anfragen bekommen, und das verrät nur zu deutlich, was im Werke ist. Die Nordstaaten haben wider Erwarten rasch gesiegt, und Frankreich ist nicht zu einem Krieg mit der Union und Mexiko gerüstet. – Würde ein Druck auf Napoleon ausgeübt – aber nein,« fuhr er fort, sich mit lächelndem Antlitz emporrichtend – »was ich mir auch für törichte Sorgen mache. Aber so sind die Menschen; wenn sie sich gerade im Glück befinden, suchen sie jede nur denkbare Unannehmlichkeit so lange selber mutwillig hervor, bis sie sich die frohen Augenblicke – und wenn es auch nur durch einen Schatten wäre – stören. Napoleon kann jetzt gar nicht zurück; er hat sein Wort gegeben und die eigene Ehre wie die seines Heeres eingesetzt.«

»Der mexikanische Krieg ist nicht populär in Frankreich –«

»Er war es nie, aber das hat Napoleon nicht gehindert, seinen eigenen Weg zu gehen, und wird ihn nicht hindern, ihn auch weiter zu verfolgen. Nein, Charlotte, auch wir gehen den unseren, grad und ehrlich, wie wir es vom Anfang an begonnen. – Wenn die Geschichte einmal über meine Regierung richtet, ist sie vielleicht imstande, mir manche Fehler nachzuweisen – aber wahrlich kein Verbrechen. Komm, Schatz! Fort mit den trüben Gedanken, die uns jetzt keine Falte auf die Stirn rufen sollen.«

»Und glaubst du, daß es Bazaine gut mit uns meint?« fragte die Kaiserin.

Der Kaiser zögerte mit der Antwort, endlich sagte er: »In einer rauhen Schale steckt manchmal ein guter Kern – weshalb sollen wir Schlimmes von einem Mann denken, der uns bis jetzt nur gute Dienste geleistet hat. Angenehm ist sein Auftreten nicht, und ich glaube kaum, daß er sich in manchen Stücken seinem eigenen Kaiser gegenüber so benehmen würde; aber Unrechtes läßt sich ihm auch noch nicht nachweisen. Er ist Soldat; wir alle leben in einem rauhen Land, und die Zeit erst wird lehren, wie sich alles gestaltet. – Aber nun auch genug, und heute abend kein Wort mehr von Politik.«


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