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Die Konservativen.

Weihnachten des Jahres 1864 rückte heran, und nicht allein das eigentliche Fest hielt die Bewohner von Mexiko in Bewegung, sondern mehr fast noch ein Ereignis, das in kürzester Frist entscheidend auf das ganze Schicksal des Landes einwirken mußte. Sämtliche Parteien ohne Ausnahme waren wenigstens auf das äußerste gespannt, wie es sich eigentlich entwickeln würde.

Das Kaiserreich schien sich allerdings zu befestigen; die französischen Truppen hatten mit der kaiserlich mexikanischen Armee den Norden so ziemlich reingefegt, und Bazaine wollte jetzt selber gegen General Porfeirio Diaz im Süden anmarschieren, um diesen ebenfalls zu unterwerfen; die politische Lage besserte sich von Tag zu Tage, und nur die »geistliche Frage«, ein etwas sehr heikles Gebiet, da Rom sich lange geweigert hatte, die bestehenden Verhältnisse in Mexiko anzuerkennen, war noch bis jetzt in der Schwebe geblieben und hatte das Land eigentlich nicht recht zur Ruhe kommen lassen. Da endlich traf der lange und sehnlichst erwartete Nuntius von Rom, Monsignore Francesco Meglia, ein, und damit war doch wenigstens ein Schritt von Rom aus geschehen, um einen Ausgleich anzubahnen und endlich auch die Kirchenfrage in dem schon so zerrütteten und halb aus den Fugen geratenen Reich zu ordnen.

Und alle Parteien zeigten sich befriedigt darüber; die klerikale besonders, da sie darauf hoffte und baute, daß der fest ausgesprochene Wille des heiligen Stuhles, noch dazu bei einem österreichischen Prinzen, auch ganz entschiedenen Erfolg haben müsse, während die konservative sowohl als die der Moderados – eine gemäßigte Abteilung der Ultra-Liberalen – nicht einen Moment daran zweifelten, der Nuntius würde, wenn er die Verhältnisse in Mexiko selber kennen lernte, auch dem Stande der Dinge und geschehenen Tatsachen, die nicht mehr abgeändert werden konnten, ohne eine soziale Revolution hervorzurufen, Rechnung tragen.

Wie sich das alles regulieren werde, darüber zerbrachen sich die Mexikaner den Kopf nicht – weshalb auch? Schon daß der Nuntius von Rom hierher gesandt war, mußte ihnen – und konnte es auch – als ein Beweis gelten, wie der heilige Stuhl entschlossen sei, die Zustände an Ort und Stelle prüfen zu lassen und dann einen Entscheid zu treffen. Vernünftigerweise konnte der aber nur in einem Vergleiche enden, denn welchen Nutzen hätte Rom davon erwarten können, das Land in eine neue Revolution zu stürzen, die vielleicht den Thron wieder in die Hand der Juaristen brachte. Was sie von denen zu erwarten hatten, wußten die Klerikalen genau, also konnte ihnen nur daran liegen, das einmal bestehende Kaiserreich zu stärken und in ihm einen wenigstens geneigten Bundesgenossen zu erhalten.

Alles gab sich denn auch mit voller Lust den Vorbereitungen zu dem nächsten Feste hin, und daß Monsignore Meglia, den der Papst herübergeschickt, ein wenig mit seiner eigentlichen Botschaft zögerte und gewöhnlich nicht zu sprechen war, wenn man ihn haben wollte, schien ein desto sichereres Zeichen für ein endliches Zustandekommen eines Vergleichs. Je mehr er mit den Verhältnissen hier bekannt wurde, desto besser lernte er ja das kennen, was zur Wohlfahrt und in der Tat einzigen Sicherstellung des Landes notwendig sei: daß nämlich der Klerus mit der Regierung Hand in Hand ging, und ihr nicht auch noch da Verlegenheiten bereitete, wo sie schon genug auf der einen Seite mit der Schuldenlast, auf der anderen mit den Dissidentenbanden, und noch außerdem mit den Franzosen zu tun hatte.

Das war ein Gedränge auf der Plaza, und ein Wogen und Wandern von Menschen, wie es lange Jahre nicht in der Hauptstadt vorgekommen – und hatte das Volk nicht auch Grund und Ursache genug dazu? Zeichnete sich der neue Herrscher nicht durch Milde und Freundlichkeit aus, und klangen die jetzt gegebenen und den Frieden und Wohlstand des Landes im Auge habenden Gesetze nicht besser als die früheren blutigen Edikte? Auf der Landstraße – wie sich freilich nicht leugnen ließ – gab es noch Gesindel genug, und Raubanfälle kamen nur zu häufig vor, aber auch gegen diese wurde jetzt mit größerer Strenge vorgegangen, und was die eigentlichen »revolutionären Banden« betraf, wie man schon anfing die Anhänger des Juarez zu bezeichnen, so waren die Franzosen mit ihnen im Norden leicht genug fertiggeworden, und eben im Begriff, sie im Süden ebenfalls auszurotten. Nachher befand sich das ganze Reich unter einem Oberhaupt, und mit all den beabsichtigten und schon konzessionierten Eisenbahnen, mit der Hebung des Ackerbaues, des Handels und der Industrie, mit den wieder freigewordenen Bergwerken – welches Land der Welt hätte dann mit Mexiko konkurrieren können?

Über den größten Teil der Plaza de armas waren Buden aufgeschlagen, die teils ganze Reihen von Zuckerbäckerwaren und verzuckerten Früchten, teils Spielsachen für Kinder aus Wachs, Ton oder Pappmasse, teils Heiligenbilder für die auch unter den Eingeborenen beliebten nacimientos enthielten. Aber auch ganze Reihen von Bäumen waren aufgestellt, Fichten und Tannen, wie sie bei uns daheim den Weihnachtsmarkt zieren, mit Haufen von Nadelholzbüschen dazwischen, um die Ecken der Stuben auszuschmücken, in denen gewöhnlich Szenen aus der heiligen Geschichte aufgestellt werden. Kleine Berge von buntfarbigem Moos lagen dazwischen, dunkelgrünes und fast braunes in prachtvollen Farben, mit dem hellgrauen, oder sogenannten Spanischen Bart; und dazwischen herum drängten sich kleine, zerlumpte Indianerjungen, die Silberstreifen zum Behängen der Bäume, oder rohgearbeitete Figuren, Agaven mit darüber schwebenden Engeln, oder vortrefflich modellierte Esel, Ochsen oder andere Tiere zu spottbilligen Preisen ausboten.

Alle Mischungen der Bevölkerung, vom dunkelbraunen Indianer bis zum echten und unvermischten Abkömmling der altspanischen Rasse, die freilich und zum größten Teil Flibustier und Räuber an diese Küste geworfen, waren hier vertreten! und dazwischen bewegten sich französische, deutsche, belgische Soldaten und zahllose verschiedene Sprachen, bald indianisch, bald ungarisch, slowakisch, böhmisch, deutsch, französisch, englisch, flamländisch, spanisch plapperte und klapperte es durcheinander.

Für die Europäer besonders aber war dies auch ein merkwürdiger Weihnachtsmarkt, der allerdings wohl Anklänge an die Heimat bot, sich aber doch auch wieder in vielen anderen Dingen so verschieden zeigte. Schon das milde, ja warme Wetter paßte nicht recht in die Erinnerung an daheim, die mit diesem Feste fast immer Schneegestöber und rauhe, kalte Witterung verband. Ein blauer, sonniger Himmel spannte sich hier über das schöne Land, und in seiner leichtesten Kleidung trieb sich das schöne Geschlecht teils unter den Buden und Ständen auf der Plaza umher, teils lustwandelnd und kaufend unter den Kolonnaden, die dort entlang und in die Seitenstraßen einliefen. Da kokettierte es teils lachend, teils verschämt mit den Fremden, oder schritt auch stolz und majestätisch an den verhaßten Eindringlingen vorüber. Das aber kümmerte natürlich den bunten Schwarm der Offiziere nicht, die gerade diese Gegend zu ihrem Sammelplatz gemacht und von früh bis spät dort lustwandelten.

In der Calle del Arzobispado, wo die Familie Lucido de Vega in einem stattlichen Gebäude ihren Wohnsitz hatte, ging Don Carlos Lucido, der Herr desselben, mit raschen Schritten und auf den Rücken gelegten Händen in seinem Gemach auf und ab, während am Fenster und an den Scheiben trommelnd sein Sohn Mauricio mit hochgeröteten Wangen stand und augenscheinlich gerade jetzt eine nicht angenehme Auseinandersetzung mit seinem Vater durchmachte.

»Das geht nicht länger, Sennor,« sagte dieser auch jetzt, indem er neben dem Sohn stehen blieb und ihn finster ansah. »Du weißt, welche Versicherung ich dir das letzte Mal gegeben habe, als ich jene unverantwortlichen Spielschulden für dich bezahlte – daß es eben das letzte Mal sein sollte, und kaum sind drei Wochen darüber hingegangen, so forderst du wieder 2000 Pesos von mir. – Es ist blanker Wahnsinn – aber ich halte mein Wort – nicht zwanzig Clacos erhältst du von mir, um sie zu bezahlen, und jetzt sieh, wie du mit deinen Gläubigern fertig wirst.«

»Aber, Vater,« sagte Mauricio still verbissen vor sich hin, »du weißt, daß ich das Geld nicht schaffen kann – jener italienische Schuft hat falsch gespielt, und er bekommt mich nie im Leben wieder in seine Fänge, aber die Summe muß ich ihm zahlen.«

»Dann sieh, wie du es möglich machst,« erwiderte ihm Don Carlos finster. »Du hast mein letztes Wort, und du weißt, daß du keine Gründe weiter Vorbringen könntest, meinen Willen zu ändern. Ich habe damals die letzte Spielschuld für dich bezahlt, und dabei bleibt es. Verkaufe deine Pferde, deine Uhr und Kette, mache, was du willst, aber von mir bekommst du keinen Duro mehr, denn es wäre doch nur auf die Straße geworfen. – Ich möchte ihn wenigstens ebenso gern den Liberalen zur Deckung ihrer Kriegskosten borgen.«

»Und ist das wirklich dein letztes Wort, Vater,« rief Mauricio, sich rasch und heftig gegen ihn drehend – »auch wenn ich dir verspreche –«

»Spare deine Worte,« sagte der Vater heftig, »du kannst mir nichts versprechen, was du mir nicht schon wenigstens zwanzigmal mit deinem Ehrenwort verpfändet. Ich glaube dir nicht mehr.«

Mauricio stand vor ihm totenbleich, die Unterlippe zwischen den Zähnen, die Blicke in tödlicher Unruhe am Boden haftend. – Es war auch, als ob er noch einmal das Wort ergreifen wolle – aber er kannte seinen Vater in der Tat zu gut. Der alte, starrköpfige Herr änderte seine Ansicht jetzt nicht, das wußte er genau, und die wirren Locken mit einem raschen Wurf aus dem Gesicht schleudernd, verließ er mit unsicheren, aber heftigen Schritten des Gemach.

Während er aus dem Hause und hinaus auf die Straße stürmte, betraten verschiedene Bekannte oder Freunde des Sennor Lucido die Wohnung und wurden durch den Diener hinauf zum Herrn des Hauses geführt, der, auch von der eben gehabten Unterredung erregt, mit erhitzten Wangen in seinem Zimmer auf und ab ging.

Die Besucher gehörten alle, wie auch Lucido selber, jener Partei an, die man früher, vielleicht im Gegensatz zu den Klerikalen und Liberalen, die Konservativen genannt hatte, aber wir dürfen den Namen nicht nach unserem Maßstab anlegen.

Was wir hier bei uns unter Konservativen verstehen, waren sie nicht, sondern allerdings wohlhabende Leute und den besten Familien der Stadt, ja oft sogar altem Adel angehörend, aber keineswegs konservativ in Festhaltung etwaiger alter Rechte, sondern weit mehr einem Zentrum der Fortschrittspartei angehörend, die allerdings nicht alles niederwerfen wollte, aber dabei auch nicht unbedingt für eine Monarchie schwärmte und diese unter allen Umständen unterstützt hätte. Es war jedenfalls der Kern der mexikanischen Bevölkerung der Besitzenden: reiche Kaufleute, Hazienderos, Fabrik- und Bergwerksbesitzer, oder große Viehzüchter, denen einzig und allein daran lag, daß sich das Land hebe – natürlich hauptsächlich deshalb, damit sie in Frieden das Gewonnene verzehren, wie auch ihre Reichtümer noch vermehren konnten. Aber indem sie für ihr eigenes Bestes sorgten, förderten sie auch das Wohl des Landes, und es lag nichts weniger als das in ihrem Interesse, das Volk dumm und in Knechtschaft zu halten, weit eher vielleicht das Gegenteil. Je mehr sich die Indianer herausarbeiteten, je mehr Bedürfnisse sie kennen lernten, desto mehr Arbeitskraft verwandten sie auch darauf; und Knechte für ihre eigenen Dienste und Fabriken oder Bergwerke behielten sie doch immer noch zur Genüge. Es war das, was die wohlhabende Fortschrittspartei in Deutschland ist, die keinen Druck und keine ungerechte Beschränkung von oben, aber auch keine Anarchie will, weil sie von dieser nichts zu hoffen hat.

Die meisten dieser Leute waren auch antiklerikal, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil sie recht gut einsahen, daß die Geistlichkeit sich den Henker um das Land kümmerte, ob das sich hob oder zugrunde ging, sobald sie nur die Oberherrschaft darüber hatten und ihre zusammengescharrten Schätze nicht allein sicher behalten, sondern auch noch vermehren konnten. Es waren gute Katholiken, soweit es die Form betraf, aber doch bedeutend mehr aufgeklärt wie das gewöhnliche Volk, das in den Geistlichen eben Stellvertreter einer höheren Macht sehen sollte; und da sie selber wirklich Ruhe und Frieden im Lande haben wollten und das auch schon mit manchen Opfern erkauft hatten, so lag ihnen jetzt besonders daran, daß ihnen die Geistlichkeit keinen Strich durch die Rechnung machte und lieber alles wieder aufs Spiel setzte, ehe sie auch nur das geringste von ihren Vorrechten hergeben wollte.

Vier von diesen suchten heute Lucido de Vega, der, wie sie wußten, nicht geringen Einfluß im Lande besaß, auf, um mit ihm die naherückende Entscheidung zu besprechen, denn wie es schien, hatten einzelne von ihnen schon bestimmte Kunde erhalten, wie die Verhältnisse zwischen Kirche und Regierung standen. Da aber in allernächster Zeit von einer oder der anderen Partei ein bestimmter Schritt erfolgen mußte, so war es geraten, sich auf den, wie er auch ausfallen mochte, vorzubereiten, um nicht vielleicht zu unüberlegten Schritten hingerissen zu werden.

»Sennores?« sagte Lucido etwas erstaunt, als er zu so ungewöhnlicher Zeit den Besuch erkannte und mitten in seiner Stube stehen blieb, um die Freunde zu begrüßen. »Wie geht es Ihnen allen? Sehr erfreut. Sie bei mir zu sehen – Caramba, Bastiani, sind Sie auch wieder in Mexiko – und Roneiro, Zamacona, Rodriguez – und was verschafft mir die Ehre? Da muß etwas Wichtiges vorgefallen sein.«

Roneiro hatte den jungen Lucido vorhin aus dem Hause stürmen sehen und konnte sich etwa denken, welche Verhandlung hier kurz vorher stattgefunden, aber er hütete sich wohl, seinen Freund Lucido merken zu lassen, daß er etwas von dem unordentlichen Leben seines Sohnes wisse – was half es auch, er konnte ihn doch nicht ändern, und ihm nur die Hand hinüberreichend, sagte er:

»Es ist noch nichts vorgefallen, Carlos, aber es wird, und zwar in allernächster Zeit, – ein Ereignis, das entweder das Kaiserreich stürzen oder befestigen muß, also ein Gegenstand, wichtig genug, um ihn vorher zu prüfen. Wenn wir auch wohl nicht imstande sind, den schon fliegenden Pfeil nach einer bestimmten Bahn zu lenken, so können wir doch beraten, was uns bevorsteht, wenn er da oder dort eintrifft, um wenigstens auf alle Fälle gesichert zu sein – und vielleicht ist es sogar jetzt möglich, noch das schlimmste abzuwehren.«

»Du meinst die jetzt schwebende Kirchenfrage?« sagte Lucido, aufmerksam werdend, denn es gab in diesem Augenblick allerdings nichts Wichtigeres in Mexiko – »ist etwas vorgefallen – aber bitte, nehmen Sie Platz, Sennores« – er klingelte dabei und winkte dem eintretenden Burschen, der augenblicklich Wein und Zigarren brachte.

»Vorgefallen vielleicht noch nicht,« nahm hier Bastiani das Wort, »aber jedenfalls unmittelbar im Werk, denn die Frauen bei mir zu Haus sind rein des Teufels, und das ist ein sicheres Zeichen, daß die Pfaffen wieder hinter ihnen stecken. Ich roch gleich den Braten und ritt in die Stadt, und richtig, wie ich hier bei Rodriguez, Roneiro und Zamacona und Gott weiß wem noch anfrage, hör' ich, daß bei allen das nämliche Spiel begonnen hat.«

»Aber was vermutet Ihr?«

»Daß es den Schwarzen nicht Wohl zumute ist,« sagte Bastiani, »denn sonst ließen sie die Sache ruhig hingehen.«

»Es wird wohl so sein,« sagte Rodriguez, der ebenfalls ein früher der Kirche zu eigen gewesenes Haus bewohnte, »aber fast auf einen Tag, wie auf ein Losungswort, haben sie alle auf einmal wieder angefangen und wollen sogar gemeinschaftlich eine Riesenbittschrift aufsetzen, um den Kaiser zu ersuchen, sich mit dem heiligen Vater auszusöhnen – das heißt natürlich, alles zu bewilligen, was dieser dickköpfige Pfaffe, der von dort herübergekommen ist, verlangt. Tut er's aber, so ist der Böse im ganzen Lande los, denn den Wirrwarr möchte ich nachher sehen, und kein Mensch wüßte mehr, ob er Eigentum hat oder nicht.«

»Aber Caballeros,« sagte Lucido ruhig, »ein solcher Fall ist ja doch ganz undenkbar, denn abgesehen davon, daß Seine Majestät vollkommen freisinnige und vernünftige Ideen hat und sich wahrlich nicht unter den Befehl der Herren in Rom freiwillig bücken würde, so kann er ja gar nicht mehr ein Gesetz aufheben, das vollkommen außer seiner Machtvollkommenheit liegt. Ein großer Teil der Kirchengüter ist in den Händen von Amerikanern, Engländern, Spaniern, Franzosen und Deutschen, und die ganze Welt würde Protest dagegen erheben, wenn rechtmäßig gekauftes Gut wieder abgenommen werden sollte.«

»Aber was kümmern sich die Pfaffen um das Reich,« rief Roneiro, »wenn sie nur ihr Geld oder ihre Grundstücke bekommen, und aufs neue ihre Oberherrschaft in Mexiko feststellen können. Eine Zeitlang werden sie's noch heimlich treiben und im verborgenen wühlen und bohren; sehen sie aber, daß sie damit nicht durchkommen, so dürfen wir uns auch fest darauf verlassen, daß sie mit allen Mitteln und Kräften eine neue Revolution aufzustacheln wissen.«

»Nun, davor hätte ich eigentlich die geringste Angst,« sagte Bastiani, »denn die würden doch nur dem indianischen Advokaten, dem Juarez, in die Hände arbeiten, und daß sie bei dem aus dem Regen unter die Traufe kämen, wissen sie gut genug.«

Lucido hatte still und schweigend vor sich niedergesehen, jetzt sagte er kopfschüttelnd und zu Bastiani gewandt:

»Für Juarez arbeiten sie nicht, darauf können wir uns verlassen, aber daß etwas trotzdem im Werk ist, habe ich in meiner Familie gesehen. Auch meine Frau hat vorgestern angefangen, mir Vorstellungen zu machen.«

»Da haben wir also die Verschwörung wieder bestätigt,« rief Rodriguez, »auf allen Ecken und Enden brechen sie zugleich los.«

»Aber ohne Absicht oder festes Ziel,« fuhr Lucido fort, »tut die Geistlichkeit eigentlich gewöhnlich nicht leicht etwas. Die müssen also doch noch jemanden im Hinterhalt wissen, auf den sie bauen zu können glauben, und es wäre nicht unwichtig, herauszubekommen, wer das eigentlich sein könnte.«

Roneiro hatte den Sprecher fest angesehen, jetzt wandte er sich zu Zamacona und sagte:

»Hören Sie einmal, Don Rodolfo, Sie stehen doch eigentlich mit der Geistlichkeit in näherer Beziehung als irgendeiner von uns anderen –«

»Ich, Don Bautista?« unterbrach ihn Zamacona »ich wüßte wahrlich nicht – Sie müßten denn meine Familie meinen: meine Frau und meine drei Töchter, und die Schwiegermutter und die Schwester meiner Frau. Da haben Sie allerdings recht. Manchmal heb' ich ein ganzes Nest Pfaffen bei mir aus, und daß sie mir daheim das Leben warm machen, brauche ich Ihnen, mit so viel Frauen im Hause, wahrlich nicht zu versichern.«

Die übrigen lachten, und Roneiro fuhr fort:

»Aber Sie kommen doch mit der Geistlichkeit häufig in Berührung?«

»Mehr, als mir lieb ist,« bestätigte der Gefragte.

»Und hat keiner der Herren je eine Andeutung gegen Sie gemacht?«

Zamacona schüttelte mit dem Kopf. »Die Pfaffen sind so klug wie die Menschen,« sagte er dabei – »sie wissen recht gut, an wen sie sich wenden müssen, wenn sie etwas erreichen wollen, und daß sie bei mir nichts ausrichten, haben sie schon lange herausbekommen. Sie besuchen mich allerdings manchmal, um eine Kollekte zu machen oder ein Glas Xeres zu trinken, aber wenn ich auch dann und wann auf den Busch klopfe, um einen zum Reden zu bringen, so ist das immer vergebens. Sie trauen mir nicht.«

Roneiro lachte. Zamacona war wirklich die personifizierte Gutmütigkeit und Einfalt, wohlbeleibt dazu, mit einem entschieden ausgesprochenen Sinn für Bequemlichkeit, und keine Spur von Schlauheit in seinem Wesen, dabei hatte er das ganze Haus voll Frauen, und alle seine Kinder waren Mädchen – kein Wunder, daß ihn die Geistlichkeit unter solchen Umständen links liegen ließ und ihn nur dann persönlich aufsuchte, wenn sie etwas direkt von ihm erlangen wollte. Lucido aber, dem politischen Treiben seines Landes nicht so fremd, und dabei genau mit den Lebensstellungen wie geistigen Fähigkeiten seiner übrigen Gesinnungsgenossen bekannt, fuhr, gegen Rodriguez gewendet, fort:

»Und haben Sie irgendeinen Verdacht, amigo, der uns vielleicht auf eine Spur bringen könnte? Wenn Miramon hier wäre, brauchten wir die nicht, denn wir alle wissen, wie fest der General an der Geistlichkeit hängt, und wie ehrgeizig er außerdem ist. Aber der sitzt jetzt in Europa, und Marquez – bah – der mag ein Haudegen sein, obgleich ich ihm selbst in der Beziehung nicht viel zutraue, aber sonst wird er uns kaum je gefährlich werden, denn das Land haßt ihn und fürchtet ihn noch mehr.«

»Ich wüßte keinen anderen,« sagte Rodriguez kopfschüttelnd, »obgleich das kein Beweis wäre, denn die Schwarzen haben stets eine Anzahl von Personen zur Disposition, von denen wir nichts ahnen, und die immer erst im letzten Augenblick auftauchen. Aber ich glaube selber, daß etwas derartiges im Werke sein muß, denn über die Gesinnung des Indianers sind sie sich vollkommen klar. Brechen sie also entschieden mit dem Kaiserreich, so dürfen wir uns auch fest darauf verlassen, daß sie eine andere Karte zum Ausspielen noch im Rücken halten.«

»Ja, aber verehrte Herren,« sagte da Zamacona – »ich ehre und liebe gewiß den Kaiser persönlich und bin fest überzeugt, daß er es gut mit uns und dem Lande meint, aber welches Interesse haben wir jetzt dabei, uns in die gegenwärtig doch unstreitig etwas verwickelte Politik zu mischen? Warten wir die Sache doch lieber ruhig ab, und wir gewinnen dadurch den Vorteil, daß wir uns erstlich einmal nach keiner Seite hin kompromittieren, und andererseits auch unsere Zeit, wenn sie kommen sollte, sofort benutzen können.«

»Sie haben ganz recht, Zamacona,« erwiderte ihm Roneiro, »aber die Klerikalen könnten uns auch über Nacht über den Kopf wachsen; und wenn wir alle so urplötzlich unsere – nun doch einmal mit schwerem Geld angekauften Besitzungen wieder herausgeben sollten, so würde das einzelnen von uns einen bedeutenden Strich durch die Rechnung machen.«

»Die Sache ist sehr einfach,« sagte da Lucido, »und wir können auch eigentlich vorderhand gar nichts weiter tun als uns die beiden Konsequenzen denken: Entweder gibt der Kaiser nach, widerruft das 1859 gegebene Dekret, und erstattet demnach die schon verkauften oder unverkauften Güter dem Klerus zurück, oder er weigert sich, auf die Forderungen des päpstlichen Nuntius einzugehen, und läßt alles beim alten. Wie wird sich im ersten Fall das Volk, wie im zweiten der Klerus benehmen?«

»Das Volk,« sagte Roneiro, »hat mit der ganzen Sache eigentlich gar nichts zu tun und dient vorderhand nur als Kettenhund, den man verspricht anzubinden, oder droht, loszulassen. Wir – unsere Partei – sind die dabei am meisten Beteiligten.«

»Gut,« nickte Lucido – »also den Fall angenommen, daß der Kaiser sich dem Ausspruch des Papstes fügt und die Geistlichkeit in all ihre Rechte wieder einsetzt –«

»Ich glaube, wir brauchen uns über den Fall den Kopf nicht zu zerbrechen,« sagte Bastiani, »denn das gerade hat uns hergeführt. Die Regsamkeit der Priester, um sämtliche Weiber in Mexiko aufzuhetzen, ist ein vollgültiger Beweis, daß es schlecht mit ihnen steht. Lassen Sie uns deshalb die andere Seite der Frage betrachten: Wie Verhalten wir uns, wenn der Kaiser dem apostolischen Non Possumus ebenfalls ein einfaches No puedo entgegnet, und die Schwarzen dann Gott und die Welt aufbieten, um ihn, zu stürzen, wobei es mich gar nicht wundern sollte, wenn sie ihn einmal versuchshalber in den Bann täten.«

»Nicht, solange die Franzosen hier stehen,« lachte Roneiro, »denn das haben sie schon einmal mit diesen versucht und sind schlecht dabei angekommen.«

»Nun gut, aber sie werden dann auf andere Weise intrigieren und sich – wie sie sich jetzt hinter die Weiber stecken – direkt an uns selber wenden, und unseren Beistand als Pflicht gegen den Glauben fordern,« sagte Lucido.

»Das werden sie allerdings,« nickte Roneiro, »und deshalb sind wir eigentlich hergekommen – aber nicht etwa, um darüber einen Beschluß zu fassen, denn das wäre noch nicht nötig, sondern uns selber ein wenig klar zu werden.«

»Ja,« sagte Lucido achselzuckend, »in dem Fall weiß ich selber nicht, was uns zu tun übrigbliebe, als uns einfach auf die Landesgesetze zu berufen, mit einem Worte also: die jetzt bestehenden Verhältnisse für dauernd zu erklären.«

»Und wenn sie eine Revolution anstiften?«

»Ich sehe nicht die Möglichkeit, wie sie das fertigbringen wollen, denn zu einer Revolution gehört auch eine gewisse Persönlichkeit, auf welche sie sich stützen könnten, um dem jetzigen Prätendenten Juarez die Stange zu halten, – und ich weiß keine.«

»Sollte der alte Halunke von Santa Anna doch am Ende wieder dahinterstecken?« fragte Rodriguez – »unmöglich wäre es nicht.«

»Von seiner Seite nein,« nickte Lucido, »ich bin selber überzeugt, daß er die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben hat, die Mexikaner noch einmal zu seinen Gunsten zusammenzuhetzen, aber ich bezweifle, daß die Mexikaner Lust dazu zeigen werden. – Der alte Diktator hat seine Rolle hier im Lande ausgespielt, er ist für Mexiko vollständig abgenutzt, und wenn ich auch glaube, daß der Klerus ihn so gern wie jeden anderen protegierte, der ihm eben verspricht, ein gutes Kind zu sein, so sind die Schwarzen doch auch nie imstande, die Sache allein durchzuführen.«

»Und Marquez?«

»Würde nie zum Präsidenten gewählt werden,« sagte Lucido, »viel eher gingen die Indianer zu Juarez über. Selbst Mejia und Mendez würden nie unter ihm dienen. Nein, Miramon wäre der einzige, der eine Aussicht auf Erfolg hätte, und der Kaiser ist dem meiner Meinung nach sehr guten Rat gefolgt, daß er ihn außer Landes schickte. Wie die Sache jetzt hier steht, glaube ich wirklich, daß wir direkt gar nichts zu fürchten brauchen. Geschieht, was ich jetzt ebenfalls kaum bezweifle, daß der Kaiser sich nicht in allen Punkten dem heiligen Stuhl fügt, dann geht der Depeschenwechsel an, herüber und hinüber, drei Monate dauert es dabei jedesmal, bis man Antwort bekommt, und ich denke, wir können das Resultat noch vorderhand ruhig abwarten, Santisima, ein Jahr bringt da oft große Veränderungen, und es ist nicht nötig, sich deshalb schon jetzt zu sorgen und Pläne zu machen. Es hängt ja doch später allein von den Umständen ab, wie wir uns zu der Sache stellen wollen.«

»Hm – ja,« nickte Roneiro, dem das allerdings einleuchtete – »wenn man nur ein Mittel wüßte, wie man die Frauen daheim beruhigen könnte. Die verwünschten Pfaffen scheinen gedroht zu haben, daß sie keinem mehr die Sakramente reichen wollen, der auf Grund und Boden der Kirche wohnt, ja, daß sie eine solche Schwelle, und wenn selbst zu einem Sterbenden gerufen, nicht mehr betreten werden.«

»Wenn ich das wüßte,« sagte Zamacona trocken, »so kaufte ich mir augenblicklich ein altes Kloster und richtete mich dort häuslich ein. Aber das sind leere Redensarten, denn die bleiben nicht weg. Wenn sie die eine Drohung aber wahr machen – und ich weiß nicht, ob sie dürfen – und die Sakramente verweigern, keine Kinder mehr taufen wollen und dergleichen, so kriegen wir zu Hause allerdings einen harten Stand, und das erste ist, daß uns die Dienstleute weglaufen.«

»Bah!« sagte Bastiani, »das Volk hängt gar nicht so an den Pfaffen, wie Ihr glaubt, und das hab' ich deutlich voriges Jahr bei Puebla gesehen, wo das deutsche Haus die sämtlichen Klosterglocken gekauft hatte und sie wegschaffen wollte. Welche Mühe haben sich die Priester gegeben, um dies zu hintertreiben und eine Art von Aufstand zustande zu bringen – kein Gedanke daran, – alles, was sie erreichen konnten, war, daß sich wenige Arbeiter dazu hergaben, das ›Kirchengut‹, wie sie's nannten, aufzuladen; aber ich stand selber dabei, als sich, wie sie die größte Glocke auf den Wagen winden wollten und nicht Kräfte genug dazu auftreiben konnten, die ganze Schuljugend, die gerade aus der Schule kam, an die Stränge warf und, einige alte Weiber ausgenommen, die Umstehenden ihnen zujubelten.«

»Ich glaube ebenfalls,« nickte Lucido, »daß wir öffentlich und vor aller Augen wenig von den Herren zu fürchten haben. Daß sie aber dagegen im geheimen tun werden, was in ihren Kräften steht, darauf dürfen wir uns um so sicherer verlassen, und in den Familien müssen wir ihnen deshalb auf die Finger sehen.«

»Und so denken Sie nicht, Don Carlos,« wendete sich Zamacona an Lucido, »daß wir von der Regierung direkt in Anspruch genommen werden konnten, um sie in irgendeiner beschlossenen Maßregel gegen die Geistlichkeit zu unterstützen? Es wäre immer eine fatale Sache, und ich wüßte wirklich nicht, wie man sich dabei zu verhalten hätte.«

Bastiani lächelte still vor sich hin, Lucido aber erwiderte kopfschüttelnd:

»Das ist unmöglich, denn die Frage liegt nur in den Händen der Regierung, die das Konkordat entweder annehmen oder ablehnen muß. Würde sie eine Forderung an uns stellen, die gekauften Güter wieder ohne Entschädigung herauszugeben, dann allerdings müßten wir zusammen beraten, wie wir uns zu verhalten haben und – kämen vielleicht ein wenig in Verlegenheit, aber das – können wir vorderhand noch abwarten. Haben Sie übrigens die Neuigkeiten vom Kriegsschauplatz gehört? Mazatlan ist von den Franzosen genommen worden, und Sennor Juarez, wenn er sich überhaupt noch auf mexikanischem Boden befindet, hat seine letzten Hilfsquellen in der dortigen Steuer verloren.«

»Und wo steht Juarez jetzt? Weiß man nichts Bestimmtes über ihn?«

»Dem Gerücht nach an der Grenze der Union.«

»Aber die verschiedenen Banden wüten noch immer im Innern,« sagte Roneiro. »Es sollen wieder ganz nichtswürdige Grausamkeiten verübt worden sein. Daß denen gar nicht beizukommen ist!«

Lucido zuckte mit den Achseln. »Und wenn sie einen erwischen, haben sie fünfzig andere dafür, die es ebenso treiben. Ein paar anständige Menschen ausgenommen, finden sie hüben wie drüben ja beinahe nichts als Raubgesindel unter allen mexikanischen Generalen. Selbst unser guter Marquez ist in der Hinsicht gefährlich, und ich möchte nicht in einer Stadt wohnen, wo er zu befehlen hat.«

»Die Kirchenpartei hält viel auf ihn.«

»Ich weiß es, und ich glaube auch, sie möchte ihn gerade jetzt gern hier haben; aber jetzt steckt er dort oben irgendwo bei Mazatlan, wo er den Oberbefehl über die mexikanischen Truppen des Kaiserreichs führt. Tapfer ist er jedenfalls, und von den Gegnern auch gefürchtet.«

»Und Porfeirio Diaz,« sagte Rodriguez, »es ging neulich einmal ein Gerücht, daß er hier in der Stadt gesehen worden sei, aber davon müßten Sie doch etwas wissen, Roneiro. Haben Sie es nicht gehört?«

»Gehört, ja!« sagte dieser ruhig, indem er von seinem Sitz aufstand, »aber du lieber Gott, was wird nicht alles gesprochen und erzählt. Ein Gerücht drängt das andere, und die unglaublichsten werden am gierigsten aufgegriffen. Was sollte Porfeirio Diaz jetzt hier zwischen den Franzosen und Kaiserlichen machen?«

»Unterhandeln,« sagte Lucido, so unwahrscheinlich bleibt das gar nicht, denn Juarez' Sache ist doch hoffnungslos verloren.«

Roneiro schüttelte mit dem Kopf. »Der nicht,« sagte er ruhig, »wenn es auch andere vielleicht getan haben – doch, Sennores, Sie müssen mich entschuldigen, ich habe noch einige Geschäfte zu erledigen.«

»Wir gehen alle mit,« rief Bastiani, – »meine Frau wird jetzt wohl ihre Weihnachtseinkäufe besorgt haben, und dann fahre ich wieder mit ihr hinaus. – Also auf Wiedersehen, Lucido – wo treffen wir uns denn eigentlich? Ich komme morgen wieder herein. Sind Sie abends in der Lonja?«

»Jedenfalls, um wieder ein wenig Ruhe nach dem Wirrwarr des Festes zu finden.«

*

In der Calle Jesus, ziemlich am südlichsten Ende von Mexiko, also in einem der entlegensten Stadtteile und in der Nachbarschaft des Kanals, wo schon sehr viele Indianer ihre Wohnungen hatten, standen allerdings noch viele große Häuser, aber in so viele Parzellen eingeteilt, daß fast jedes Zimmer einer anderen Familie zum Aufenthaltsorte diente.

Besonders die den inneren Hof umschließenden Gebäude, einstöckig und mit Dachrinnen versehen, die bei heftigen Regengüssen sämtlich das aufgefangene Wasser mitten hineinwarfen, waren zu solchen Wohnungen der ärmeren Klasse abgeteilt, und zu dem Zwecke auch jede Tür mit einer Nummer bezeichnet. Der Hof selber wurde dann von ihnen allen als gemeinschaftlicher Sammelplatz betrachtet und benutzt, und nur wer nicht mit den übrigen verkehren wollte, blieb in seinem Gemach, das aber ebenfalls nur mit diesem Hof durch eine Tür und ein stark vergittertes und außerdem noch mit einem Laden versehenes Fenster in Verbindung stand.

Es mochte ziemlich die Mitte des Tages sein, und die Straße selber war, trotz des Festes, heute wenig belebt, als ein junger Caballero darin hinschritt und die Außennummern der gleichförmig aussehenden Gebäude musterte. Er schien eine gewisse Nummer zu suchen und doch auch wieder nicht recht sicher zu sein, denn er ging die Straße von einer Quadratecke zur anderen schon zweimal auf und ab, ehe er sich entschloß, eines der Häuser an der linken Seite zu betreten.

Zuerst mußte er hier durch das Vordergebäude, und als er den Hof erreichte, blieb er stehen und sah sich nach links und rechts um, als ob er auch hier nicht wüßte, an welche Tür er sich wenden solle.

Auf dem Hof bemerkte er eine alte Frau, die dort Geschirr aufwusch, und links vor der Tür packten ein paar Jungen einen Kasten voll angemalter Lehmfiguren, die sie jedenfalls selber verfertigt hatten und jetzt zum Verkauf auf die Plaza bringen wollten. Der junge Mann schien aber doch keine Lust zu haben, irgendeine dieser Persönlichkeiten um Auskunft zu bitten, denn er schritt jetzt quer über den Hof nach rechts hinüber zu der einen Tür, die, ebenso wie der dazugehörende Fensterladen, verschlossen war. Es sah jedenfalls so aus, als ob die Insassen nicht zu Hause wären. Der Caballero klopfte an – aber niemand antwortete. Die alte Frau sah zu ihm auf, schüttelte mit dem Kopf und sagte: »Niemand zu Hause – alles auf der Plaza.« Der junge Fremde ließ sich aber nicht irremachen, und, ohne auf die Worte der Alten zu achten, pochte er – sobald sie sich wieder zu ihrer Arbeit niederbog, leise und nur mit der Fingerspitze, siebenmal hintereinander, an den Laden.

Eine Antwort erfolgte allerdings nicht, aber er hatte doch die Genugtuung, zu hören, daß sich da drinnen etwas rege – ein Bettgestell knarrte, und wenige Minuten später öffnete sich von innen der Laden, und ein gelbbraunes Gesicht mit einem kleinen schwarzen Schnurrbart, aber zwei blitzenden und klugen Augen, sah heraus.

»Aber Geronimo,« lachte der junge Fremde, »mitten am Tag zu Bett gegangen?«

» Caramba hombre,« rief der Mann im Innern, der ihn erst jetzt erkannte. »Don Mauricio – como se va?«

»Das will ich Euch dort drinnen sagen, Compannero,« nickte der junge Mann – »macht mir nur die Tür auf, denn ich möchte nicht länger als nötig hier auf dem offenen Hof stehen bleiben.«

Der Mann im Innern, den Mauricio mit Geronimo angeredet hatte, ließ den Laden halb offen, weil er nur dadurch Licht in den inneren Raum bringen konnte, dann schob er oben und unten einen Riegel an der nicht gerade besonders angelfesten Tür zurück, und gleich darauf betrat der junge Kreole das Gemach, das sich übrigens in nichts von allen den ähnlichen unterschied.

Es war ein großer, früher einmal weißgetünchter Raum, in welchem aber das ganze Ameublement nur aus einem breiten, braungebeizten Bett, mit einer schlechten Matratze und einer Serape überworfen, aus einem großen Tisch, drei schon defekten Stühlen und einer sehr kleinen Kommode, die auch zugleich als Waschtisch zu dienen schien, bestand. In der einen Ecke stand noch eine ziemlich umfangreiche Lade; aber zu eigentlichem Kleiderschrank mußten doch, wie in allen diesen Häusern, die Wände dienen, und da zeigte sich dann zumeist Frauengarderobe – ein Beweis jedenfalls, daß Geronimo den Platz nicht allein bewohne.

Der Mestize schien aber etwas abgeschlossener Natur zu sein und nicht viel auf Besuche zu halten, denn hinter Mauricio schob er wieder den oberen Riegel an der Tür vor, als ob er keine weitere Störung wünsche, und, dann sich erst zu dem jungen Mann wendend, sagte er, jedenfalls mehr erstaunt als erfreut:

»Und was verschafft mir denn die Ehre dieses Besuches, Sennor, und wie in aller Welt haben Sie nur meinen Aufenthalt gefunden und – das Zeichen erfahren?«

»Das Zeichen, Geronimo,« erwiderte der junge Mann, »habt Ihr mir damals selber gesagt – wißt Ihr noch, wie wir uns einmal über einen – Scherz unterhielten, den wir beide vorhatten, von dem ich aber abgehalten wurde?«

»Hm – ja« – nickte der Mestize vor sich hin mit dem Kopf – »ich erinnere mich jetzt, und ich – hätte es auch eigentlich können bleiben lassen. Damals ließen Sie mich im Stich.«

»Und Ihr gingt allein, wie?«

»Ich? – Nein,« erwiderte der Mestize. »Ich verdiene mir jetzt mein Brot mit Modellieren und Figurenmachen, habe aber mein ganzes Lager schon zu den Feiertagen ausverkauft und will nun wieder nach Guadalajara zurück, um neue Vorräte anzufertigen.«

Mauricio antwortete ihm nicht; er hielt nur den Blick fest auf ihn geheftet, und ein leises, fast spöttisches Lächeln zuckte dabei um seine Lippen. Geronimo sah ihn an, aber das Auge des jungen Mannes gefiel ihm vielleicht nicht, denn er wandte das seine wieder ab und beschäftigte sich damit, seine Serape vom Bett zu nehmen und zusammenzurollen – etwas sehr Unnötiges, da er sie gleich nachher wieder aufwickelte.

»Also Figuren macht Ihr jetzt, Geronimo?« sagte der junge Caballero endlich, nach einer ziemlich langen Pause. »Das ist eigentlich eine recht friedliche Beschäftigung in diesen kriegerischen Zeiten, obgleich der Bedarf dafür durch den kaiserlichen Haushalt bedeutend gestiegen sein mag. – Hm! – Ich hatte die Hoffnung gehabt, mit Euch ein anderes Geschäft zu entrieren, wenn die Sachen aber so stehen, dann kann ich lieber wieder meiner Wege gehen. Buenos dias, Sennor.«

Geronimo ließ ihn bis zur Tür gehen – er schien noch nicht recht mit sich einig, ob er ihn zurückrufen solle oder nicht, denn er mochte vielleicht wissen, was den jungen, leichtsinnigen Caballero zu ihm führe; eben aber, als Mauricio den Riegel zurückschieben wollte, sagte er:

»Caracho! Ihr seid heute in verdammter Eile. Brennt es Euch so auf den Nägeln?«

»Mir? – Was?« sagte Mauricio, indem er stehen blieb und zurücksah.

»Nun, das – Geschäft,« lachte Geronimo – »aber wozu die Komödie – seid Ihr wirklich gekommen, um mitzugehen? Die Gelegenheit ist günstig.«

»Wann?« sagte Mauricio rasch.

»Wir brechen morgen abend auf,« lautete die Antwort – »früher nützt es nichts.«

»Und wer ist mit dabei?«

»Lauter Caballeros,« sagte der Mestize stolz, da er sich selber zu dieser bevorzugten Menschenklasse zählte.

»Kenn' ich jemanden?«

»Möglich,« sagte Geronimo achselzuckend. »Ihr verlangt von mir doch hoffentlich keine Namen.«

Mauricio besann sich einen Moment. »Und darf ich wissen, um was es sich handelt?« fragte er endlich – »und welche Richtung wir nehmen?«

»Das erzähl' ich Euch alles auf dem Weg – die Wände hier haben Ohren,« sagte der Mestize mit zusammengezogenen Brauen – »wenn Ihr uns nicht vertraut, so bleibt davon.«

»Hm,« brummte Mauricio, »Ihr seid verwünscht kurz angebunden; aber es sei. Um wieviel Uhr treff' ich Euch, und wo?«

»Wo?« überlegte der Mestize eine kurze Weile – »ich werde Euch draußen in der Straße erwarten, aber seid mit dem Glockenschlag sechs Uhr hier, verstanden?«

»Gewiß.«

»Und welches Pferd reitet Ihr?«

»Keins von meinen eigenen.«

»Gut – aber halt – da kommt jemand.« –

Noch während er sprach, wurde der Laden, der überdies zum Dritteil geöffnet stand, etwas weiter von außen hineingedrückt, und der Lockenkopf eines jungen, bildhübschen Mädchens schaute durch das Fenster.

» Quien vive?« rief Geronimo, der sie rasch erkannte.

» Por la religion y los fueros! Der Sammelruf, den die Klerikalen schon damals ausgegeben und besonders den Frauen ans Herz legten, »für die Religion und für die Privilegien« – um der ihnen nicht besonders geneigten Stimmung entgegenzuarbeiten. Du Heide,« rief das junge, hübsche Wesen lachend aus, indem es gleich darauf heftig an der Tür rüttelte – »wirst du mich wohl in meine eigene Stube lassen?«

» Caramba chiquita,« lachte Geronimo, indem er den Riegel zurückwarf, »du bist ja sehr ungeduldig – ist irgend etwas vorgefallen?«

»Vorgefallen, hombre,« rief die junge Dame, indem sie in die geöffnete Tür trat, »daß ich nicht – ha!« unterbrach sie sich plötzlich, indem sie den Fremden bemerkte – Besuch? – Was will der Sennor bei dir?«

Es war wirklich ein bildhübsches, junges Ding, wie sie da erstaunt zugleich und trotzig in der Tür stand und den Fremden mit den Augen maß, und sie konnte recht gut als der Typus mexikanischer Frauen der mittleren Klassen gelten. Sie trug einen kurzen Rock aus buntem Zeug, der ihr kaum zu den halben Waden reichte, keine Strümpfe und nur zierliche Schuhe, die ihre allerliebsten Füße umschlossen und dabei das schön geformte Bein freiließen. In der Taille wurde das Kleid nur durch eine Schnur gehalten und zeigte noch einen Teil des schneeweißen Hemdes, während der obere Teil des Körpers durch einen kokett um Schulter und Kopf geschlungenen Rebozo verhüllt war, aber doch genug freiließ, um ein ausdrucksvolles und jugendliches, hellbroncefarbiges Gesicht, mit ein paar prachtvoll dunklen Augen darin zu zeigen.

»Und kennen Sie mich nicht mehr, Sennorita?« fragte Mauricio, den schon aufgesetzten Hut wieder abnehmend – »so sehr lange ist es doch noch nicht her, daß wir uns begegnet sind?«

Die junge Schöne warf ihm, ohne ihre Stellung auch nur im mindesten zu verändern, einen langen, forschenden Blick zu – endlich rief sie:

» En verdad – ich hätte den Sennor Lucido fast nicht wiedererkannt – wie konnte ich ihn aber auch hier, in diesem Rancho Rancho, der Name für eine ganz gewöhnliche Hütte, ja auch ein blättergedecktes Lager im Wald draußen., nur vermuten. Sicherlich kein guter Wind, der Sie hierhergeweht.«

Die letzten Worte wurden mit einem fast zweideutigen Ausdruck gesprochen, und ihr Blick flog dabei rasch und forschend zu Geronimo hinüber.

»Ich weiß nicht, was Sie einen guten Wind nennen, Sennorita,« sagte Mauricio, selten um eine Antwort verlegen, »aber ich kam nur her, um mir bei Geronimo eine Anzahl jener reizenden Wachsfiguren zu bestellen, die er so vortrefflich anzufertigen weiß. Ich habe von einem der Fremden, die sie nach Hause schicken wollen, einen Auftrag bekommen, und kenne keine bessere Quelle, an die ich mich wenden könnte.«

»Dann ist alles gut,« sagte das junge Mädchen, während sie den Rebozo, oder das Schultertuch, von ihrem Kopf niedergleiten ließ, der eine wahre Fülle der herrlichsten dunklen Locken freigab, während ein gar so liebes Lächeln ihrem Antlitz sogar eine feine Röte verlieh – »o, wenn Geronimo nur erst wieder arbeiten will. Er ist gar zu geschickt, und keine Hand in ganz Mexiko gibt allem, was sie anfaßt, so rasch Leben.«

Es war fast, als ob in dem Moment alle Farbe Geronimos Wangen verlassen hätte – er fühlte auch, daß er sich veränderte, und, sich abwendend, sagte er, wie das Lob abwehrend, indem er mit dem Kopf schüttelte:

»Caramba Mercedes, du bist ja heute zu liebenswürdig; der Sennor wird wunder denken, was er von mir zu erwarten hat, und nachher gefallen ihm die Sachen gar nicht.«

Mercedes sah, während er sprach, erst ihn und dann wieder Mauricio an. Es lag etwas in dem Wesen der beiden Männer, was ihr nicht gefiel. – Und hatten sie ihr auch wirklich die Wahrheit gesagt? Aber sie war klug genug, zu wissen, daß sie nie durch direkte Fragen etwas weiteres erfahren würde, und, doch mißtrauisch geworden, fuhr sie nach einer kleinen Pause wieder fort:

»Und wirst du die Arbeit hier machen, Geronimo? – Es wäre zu hübsch, und wir könnten dann so prächtig alles bereden.«

»Das geht nicht, Schatz,« wehrte aber Geronimo ab, »in Guadalajara habe ich noch einen kleinen Vorrat, von dem ich erst sehen will, ob ich nicht das eine oder andere davon benutzen kann, und dann ist mir alles, was ich dazu brauche, auch dort bequemer. Jedenfalls muß ich morgen dahin zurück.«

»Nach Guadalajara?«

»Gewiß, mein Herz – aber lange werde ich keinenfalls fortbleiben, denn du weißt ja, wie rasch ich arbeite, und das letzte kann ich überhaupt hier fertigmachen – ich werde es mir schon so einrichten.«

»Also auf Wiedersehen, Geronimo,« sagte Mauricio, auf dem der Blick des Mädchens wieder haftete, und der sich darunter unbehaglich fühlte, »ich verlasse mich darauf.«

»Alles in Ordnung,« nickte der Mestize – »ich halte mein Wort.«

»Adios, Mercedes,« sagte der junge Mann und reichte dem Mädchen die Hand; diese nahm sie zögernd und erwiderte leise den Gruß, und wenige Minuten später verließ der Caballero die dumpfige Stube und schritt hinaus auf die Straße in der Richtung der Plaza zu.


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