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Die Landung des Kaisers.

Wenn man schon in der Hauptstadt Mexiko erstaunt über die Ankunft des Kaisers war, wo man ihn seit Monaten erwartet und einen solchen Fall besprochen hatte, so überraschte Maximilian die Bewohner von Vera-Cruz noch viel mehr und auf das entschiedenste, denn gerade hier bestand fast die ganze gebildete Klasse der Bevölkerung aus fremden Kaufleuten, und hier gerade hatte man auch am allerwenigsten dem Gerücht geglaubt, daß ein österreichischer Prinz je dem Rufe eines Napoleon folgen werde. Besonders die Deutschen, von denen es sehr viele im Hafen gab, bestritten eine solche Behauptung, wenn auch noch so bestimmt von Mexikanern oder einzelnen Franzosen geäußert, auf das entschiedenste – und trotzdem war es geschehen.

Draußen auf der gewöhnlichen Reede, gerade vor der Stadt – nicht weiter oben im Hafen bei Sacrificio, wo die französische Flotte am Sammelplatz der Kriegsschiffe lag – hatte die »Novara« ihren Anker fallen lassen. Aber selbst, als die wehenden Flaggen keinen Zweifel gestatteten, und sogar Boote schon herüber- und hinüberglitten, lag es noch wie ein dumpfes Erstaunen auf der Hafenstadt, und nichts regte sich darin. Kein Zeichen der Freude, keine Bewillkommnung des Herrschers auf dem neuen, fremden Boden wurde laut.

Auf dem Quarterdeck der »Novara« indessen, die Kaiserin neben ihm, die Begleitung etwas entfernt von den beiden Monarchen, aber alle Blicke dem neuen, wunderlich aussehenden Lande zugewandt, stand Maximilian. Die linke Hand stützte er auf die Bulwarks, die das Deck umgaben, die rechte hatte er vorn in seinen Rock geschoben, und sein Auge hing still und forschend an der vor ihm liegenden, flachen und eigentlich trostlosen Küste, an den braunen Häusern und eigentümlichen Kuppeln der Hafenstadt.

Wie ein leichtes, spöttisches Lächeln legte es sich dabei über seine Züge, und als sein Blick für einen Moment nach der Kaiserin hinüberschweifte und er den peinlichen Ausdruck bemerkte, der auf ihrem Antlitz ruhte, sagte er leise und ironisch:

»Nicht wahr, Charlotte, die Leute sind hier ganz außer sich vor Freude, daß sie uns endlich nur im Hafen haben.«

»Sie wissen vielleicht gar nicht einmal, daß wir an Bord sind,« erwiderte die Kaiserin, die nur mit Mühe ihre Erregung verbergen konnte.

»Und hat nicht die ›Themis‹ unsere Ankunft angezeigt? Aber von dort drüben kommt ein Boot vom Ankerplatz der Franzosen herüber – es trägt auch die französischen Farben.«

»Es ist das Admiralitätsboot, Majestät,« sagte der Kapitän der Fregatte, der eben herantrat. »Man scheint uns noch gar nicht erwartet zu haben.«

»Es scheint allerdings so,« lächelte Maximilian. »Die Bewohner von Vera-Cruz sind wahrscheinlich nicht mit ihren Empfangsfeierlichkeiten fertig geworden, oder es ist auch vielleicht einmal wieder eine Revolution da drüben ausgebrochen – aber dann hätte man uns doch wenigstens mit etwas – und wenn es Kanonenkugeln gewesen wären, begrüßt.«

Es wurde kein Wort weiter gesprochen, denn alles war auf die Neuigkeiten gespannt, die das französische Boot unfehlbar bringen mußte. – Neuigkeiten? – Es waren Lebensfragen, die dabei auf dem Spiele standen, denn die unheimliche Ruhe am Ufer konnte auch allerdings einen anderen Grund als nur bloße Gleichgültigkeit oder Vergeßlichkeit haben.

Das französische Admiralitätsboot kam indes langseit, und der Konteradmiral Bosse sprang mit seinem Adjutanten die ausgelegte Treppe herauf. Das erste aber, was der Kaiser von ihm hörte, war ein zorniger Ausbruch des Herrn, gegen den Lotsen gerichtet, daß er die Fregatte hier geankert, und sie nicht zu der Sacrificio-Insel und zwischen die französische Flotte geführt habe.

Der Lotse entschuldigte sich durch ein Achselzucken, und der Admiral, kaum einen Gruß für das mexikanische Kaiserpaar für nötig haltend, rief, sobald er nur das Quarterdeck betrat, in einem nichts weniger als höflichen Tone aus:

»Aber, Majestät, Sie haben Ihr Fahrzeug hier an der gefährlichsten Stelle ankern lassen, die es im ganzen Hafen gibt. Das gelbe Fieber herrscht in Vera-Cruz; die ganze Luft ist verpestet und streicht von dort gerade hier herüber. Sie konnten sich doch denken, daß die französische Flotte den besten und sichersten Platz auswählen würde, wohin Ihnen auch die ›Themis‹ vorangegangen.«

»Sonst folgt die Themis gewöhnlich erst,« sagte der Kaiser trocken, die Ungezogenheit des Admirals vollständig ignorierend, »aber das Unglück ist einmal geschehen, und wir gedenken uns auch überhaupt nicht lange hier aufzuhalten. Sind alle Vorbereitungen zu unserer augenblicklichen Abreise nach der Hauptstadt getroffen?«

»Soviel ich weiß, ist gar nichts geschehen,« erwiderte der Franzose, der fest entschlossen schien, ungezogen zu bleiben, und sich darin nicht einmal durch die Gegenwart der Kaiserin stören ließ. »Mit dem Land selber habe ich allerdings, und Gott sei Dank, gar nichts zu tun, aber wir hatten hier keine Ahnung, daß Sie so bald eintreffen würden, und soviel ich weiß, ist Bazaine noch nicht einmal damit fertig geworden, nur die Landstraße von dem Juaristischen Raubgesindel zu säubern, dem Sie möglicherweise sogar unterwegs begegnen könnten.«

»Die Aussichten sind sehr freundlich,« erwiderte der Kaiser, »und Sie haben eine vortreffliche Darstellungsgabe, Admiral.«

»Ich übertreibe nicht, Majestät,« rief der Seemann. »Hier unten geht sogar das Gerücht, daß sich in der tierra templada Tierra templada, der gemäßigte Landstrich auf der Hochebene, im Gegensatz zu der tierra caliente oder dem »heißen Lande«. Banden gebildet hätten, um Sie mit Ihrer ganzen Eskorte aufzuheben. Juarez wär's imstande.«

»Und was sagt Bazaine zu einem solchen Stand der Dinge?«

»Was kann er sagen?« zuckte der Admiral mit den Achseln, »er läßt die Wege wohl dann und wann von dem Gesindel rein fegen, das ist aber gerade, als ob man Wasser vom Deck kehren will, ohne Dalots zu haben, durch die es hinaus kann. Hinter ihm laufen sie wieder zusammen, und er wird nicht fertig. Bleiben Sie aber lange hier liegen, so kommen Sie gar nicht in Gefahr. Vor vierzehn Tagen ankerte hier ein Schiff, auf dem in kaum achtundvierzig Stunden die ganze Mannschaft mit sämtlichen Passagieren wegstarb, und Fälle, wo drei oder vier Personen an einem Tage, ja oft in einer Stunde wie die Fliegen umfallen, können Sie hier überall erfragen.«

»Wir danken Ihnen für die Auskunft, Admiral,« sagte der Kaiser ruhig und wieder mit einem leisen Spott um die Lippen, indem er sich zu seiner Gemahlin wandte und ihr den Arm bot. »Wir werden aber trotzdem hier die Ankunft der Behörden erwarten müssen, und dann erst unsere weiteren Beschlüsse fassen.«

Damit ließ er den Konteradmiral stehen und stieg mit der Kaiserin in die Kajüte hinab.

Jetzt schienen sich aber doch auch die Bewohner von Vera-Cruz ermannt zu haben und vielleicht zu fühlen, daß man eine Unschicklichkeit dem Kaiser gegenüber begehe. Die beiden Minister Salas und Almonte waren ebenfalls herbeigeschafft: ihnen schlossen sich die Spitzen der Behörden von Vera-Cruz an, um die Majestäten zu begrüßen. Die Schiffe im Hafen flaggten, ebenso die französische Flotte, und als der Abend hereinbrach, donnerten – freilich etwas spät – die Salutschüsse vom Fort Ulloa. Die Kuppeln des gegenüberliegenden Vera-Cruz glühten in bengalischem Feuer, und aus der Stadt wie von den Kriegsschiffen aus stiegen zischend und strahlwerfend die Raketen hoch in die Luft hinauf.

Das Kaiserreich hatte begonnen. Der Monarch war mit dem Land, wenn er auch noch keinen Fuß darauf gesetzt, in Verbindung getreten, und was auch jetzt geschah, ein Rücktritt war nicht mehr möglich.

Am nächsten Morgen, nach einer ziemlich unruhig verlebten Nacht, und nachdem erst Messe an Bord gelesen und ein flüchtiges Frühstück eingenommen worden, bestiegen die Majestäten mit ihrer Begleitung die Boote und ruderten jetzt dem festen Land entgegen – aber es blieb das trotzdem ein kalter, fast unheimlicher Empfang. Allerdings hatte man in der Eile einige Triumphbogen errichtet, Böller wurden gelöst und aus einzelnen Fenstern auch Tücher geschwenkt und Blumen geworfen, doch war es augenscheinlich, daß die Bewohner der Hafenstadt noch selber gar nicht wußten, wie sie sich eigentlich zu benehmen hatten, oder was sie tun oder lassen sollten.

Gerade sie hier, mit der Welt in steter Verbindung, und genau davon unterrichtet, was diese über den Zug des Erzherzogs dachte, und welches Schicksal sie ihm prophezeite, wurden durch das Plötzliche seines Erscheinens nicht allein überrascht, sondern auch wirklich in Verlegenheit gebracht. Sie kannten den neuen Kaiser ja noch gar nicht, ob er es wirklich gut mit dem Lande meine, oder ob ihn nur die Lust zu Abenteuern hier in das ferne Reich getrieben: ein Versuch, eine Krone zu gewinnen, der er, wenn sich alles ungünstig gestaltete, auch ebenso leicht wieder entsagen konnte. Sie aber blieben dann mit ihrem Vermögen und Eigentum festgebannt im Reich, und wenn die Regierung bald einmal wieder wechselte und sie sich jetzt zu großartigen Demonstrationen verleiten ließen, so durften sie sich auch darauf verlassen, daß sie später dafür büßen mußten. Und außerdem – war nicht Österreich selber ein streng ultramontaner Staat, mit einem damals noch durch nichts gebrochenen Konkordat, das der Regierung, einer übermütigen Hierarchie gegenüber, Hände und Füße zusammengeschnürt hielt? Und was wußte man mehr von dem Bruder des österreichischen Kaisers, als daß er ein intelligenter und braver, ja, wie das Gerücht ging, auch ziemlich freisinniger Mann sei – aber blieb er das auch, sobald er eine Krone trug? – Wie oft haben wir in Europa schon die Erfahrung gemacht, daß man – mit der Regierung eines Fürsten nicht zufrieden – die größten Hoffnungen auf den Kronprinzen oder Erbfolger setzte, bis dieser dann die Regierung an- und nach einer kleinen Weile genau in die Fußtapfen seines Vorgängers eintrat.

Hätten sie gewußt, welches warme, treue Herz Maximilian dem Lande entgegenbrachte, – auf ihren Händen würden sie ihn in die Stadt getragen haben.

Außerdem konnte aber der neue Kaiser auch zu keiner ungünstigeren Zeit in Vera-Cruz eintreffen, als gerade jetzt, wo das gelbe Fieber wirklich mit außergewöhnlicher Schärfe sein Reich begonnen. Wer überhaupt die Stadt verlassen konnte, entzog sich dem grimmen Feind durch die Flucht, und das eigentliche Volk, das zurückgeblieben? Lieber Gott, das war, wie schon gesagt, daran gewöhnt, seine Herrscher zu wechseln. Es sah in dem Erscheinen eines neuen nicht das geringste Außergewöhnliche und mochte sich am allerwenigsten dafür begeistern. Wer wußte denn überhaupt, wie lange er blieb, und das Resultat durften sie deshalb ruhig abwarten.

Der Empfang war trotzdem im ganzen nicht unfreundlich, und man hätte ihn unter anderen Umständen sogar einen herzlichen nennen können, aber er wirkte dennoch kalt auf das Herrscherpaar. Wie Maximilian sich nach dem Lande gesehnt, von dem er glaubte, daß es ihn fast einstimmig zum Kaiser ausgerufen, so schien er auch gehofft zu haben, daß er von dem mexikanischen Volke empfangen würde, und darin fand er sich denn allerdings getäuscht. Es war sein erstes Betreten des neuen Reiches: die Schwelle, auf der er stand, um seine künftige Heimat zu überschauen; und wenn auch die Begrüßung von einzelnen stattfand, in seinem Herzen mochte er mehr erwartet haben.

Mit solchen Empfindungen, und durch den Gesundheitszustand der Stadt, der natürlich noch viel übertrieben wurde, ebenfalls beunruhigt, ja geängstigt, war es kein Wunder, daß das Kaiserpaar Vera-Cruz nur als flüchtige Station betrachtete und rasch hindurchfuhr, um den Bahnhof zu erreichen. Dort bestiegen der Kaiser und die Kaiserin einen besonderen Salonwagen, von den europäischen dadurch unterschieden, daß der vordere Teil desselben vollkommen offen war, während der Rückteil, mit hellgrauem Tuch beschlagen, durch Glasfenster geschlossen werden konnte. Die Begleitung nahm die gewöhnlichen, mit Rohrsitzen versehenen Salonwagen ein, und fort ging der Zug, die kurze Strecke Eisenbahn durch die tierra caliente benutzend, die von den Franzosen angelegt worden, um ihre Truppen so rasch als möglich durch das »heiße Land« zu bringen.

Eine andere, wenn auch nur geringe Enttäuschung beachteten sie kaum, denn der Kaiser sowohl als die Kaiserin hatten erwartet, den für sie bestimmten hiesigen Hofstaat schon in Vera-Cruz vorzufinden. Aber das gelbe Fieber langte vor ihnen an und scheuchte mit seiner drohenden Totenhand den Schmuck und Glanz des Hofes zurück auf seiner Bahn. Die Kavaliere und Damen des Hofes hatten es vorgezogen, die Majestäten in Mexiko selber zu erwarten.

Der Zug brauste durch den weiten Wald; in dem Wagen saß der Kaiser mit der Kaiserin, und draußen schien die Sonne Mexikos auf das wilde, weite, aber von üppiger Vegetation strotzende Land, auf Palmenwipfel und blühende Lianen nieder, zwischen denen freilich die faulen Wasser der Vera-Cruz umgebenden Sümpfe liegen. Kein Wort wurde aber auf der ganzen Fahrt bis Soledad zwischen beiden gewechselt, denn wie ein drückendes Gewicht lag es auf beider Seele: dieser trübe, erste Empfang im neuen Reich, diese Flucht fast aus der kaum erreichten Hafenstadt.

Und wenn sie so ihre Hauptstadt betreten mußten? – kalt und herzlos von dem Volk empfangen, dem der junge Fürst sein ganzes Leben geopfert und in seiner Stellung daheim, moralisch ebenso wie Cortez, die Schiffe hinter sich verbrannt hatte? – War denn das alles Täuschung, Lug und Trug gewesen, was man ihm daheim von der Stimmung dieses Landes gesagt? Galt er dem Volke hier, das ihn ja doch aus »freier Wahl« zu seinem Kaiser erhoben, nur als ein aufgezwungener Gast, den man wohl unter ein paar Triumphbogen durchziehen ließ, aber dann auch glaubte, sich bis auf weiteres mit ihm abgefunden zu haben?

Wie schön und sonnig lag die Szenerie um sie her, den Sumpf hatten sie verlassen, und kleine, von Indianern bewohnte Hütten wurden zwischen dem Grün der Bäume sichtbar. Die Leute darin sprangen auch in die Tür, aber nur in stumpfer Neugierde, starrten sie dem vorüberbrausenden Zug nach, in dem ihre neuen Herrscher saßen.

Und was alles zog in dieser kurzen Stunde gezwungener Untätigkeit durch die Seele des Kaisers? Der erste ungeschliffene Empfang des französischen Admirals, das unangenehme Gefühl der vielleicht notwendigen, aber nur zu deutlich ausgesprochenen und überall zur Schau getragenen französischen Oberherrschaft. Die Zurückhaltung der Mexikaner, dabei mit dem Eindruck, den hier das noch wilde, fast unbenutzte, sumpfige Land auf ihn machen mußte. – War er wirklich ein Opfer französischer Diplomatie geworden? Ein Vorschiebsel, um Napoleon den Dritten aus einer ihm über den Kopf gewachsenen Verlegenheit zu ziehen? – Aber des Kaisers Lippen preßten sich fest zusammen. Wollten sie ihn wirklich hier nur zu einem Werkzeug machen, um das schöne Reich in Zwang und unter französischem Befehl zu halten, so hatten sie sich jedenfalls in der Person geirrt. Das Volk mußte ihn allerdings erst kennen lernen, ihn und die Absichten, die er mit dem Lande hatte, und die nur aus reiner, edler Seele entsprungen. Stand es ihm dann aber so treu zur Seite, wie er entschlossen war, bei ihm und mit ihm auszuhalten, so war es ein leichtes, französische Hintergedanken zu kreuzen und den Thron fest gegen jede äußere Macht zu stellen.

Eine Wolke zog über die Sonne; düster lag der wilde, dicht verwachsene Wald an beiden Seiten, und häßliche Geier, die neben der Bahn an einem gefallenen Stück Vieh ihr ekles Mahl gehalten, strichen mit lautem Flügelschlag erschreckt zur Seite.

In dem Augenblick gellte der grelle Pfiff der Lokomotive durch den Wald; sie näherten sich einer zum Halteplatz bestimmten Station, und wie der Zug bremste und die Sonne wieder voll und fröhlich aus den flüchtigen Schleiern heraustrat, da grüßten die Klänge fröhlicher Musik das Ohr des Kaisers. Eine Menge geputzter Menschen war dort versammelt, eine kleine, mit Blumen und Kränzen geschmückte Halle zeigte sich dem Blick, und lauter Jubel drang daraus dem Herrscherpaar entgegen.

Unwillkürlich suchte Maximilians Auge das der Gattin, das er bis jetzt in seinem düsteren Brüten gemieden; eine Träne glänzte darin. War sie erst jetzt durch diesen ersten Lichtblick ihres neuen Lebens hervorgepreßt, oder hing sie noch an den Wimpern der hohen Frau, als Zeuge ähnlicher Ahnungen, wie sie auch kurz vorher des Gatten Herz bewegt? Es blieb ihm keine Zeit, auch nur eine Frage an sie zu richten, denn das Volk drängte herbei; Indianer mit Blumen und Früchten, Weiße und Mischlinge in ihrer Sonntagstracht, und da war nichts Gemachtes, keine auf Befehl in Szene gesetzte Demonstration. So einfach die Begrüßung war, so sicher kam sie von Herzen, und besonders die Indianer dort scharten sich um den Kaiser, während ein nur halblaut und fast wie scheu ausgesprochenes Wort flüsternd durch ihre Reihen lief.

Von da an schien der Bann gebrochen, der auf Maximilians Eintritt in sein fremdes Reich gelegen. Der erste Bote, der seine Ankunft in Mexikos Hauptstadt gemeldet, hatte die Kunde auch durch das Land getragen. Friede sollte von jetzt an herrschen. Der neue Kaiser kam, den eine alte indianische Sage schon seit Jahrhunderten verkündet, und von allen Seiten strömte das Volk herbei, um ihn zu begrüßen.

Und Mexiko, die Hauptstadt, durfte darin nicht zurückbleiben.

Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde von der Ankunft des Kaiserpaares in der großen Stadt verbreitet und gerade hier auch ungeteilten Jubel hervorgerufen. Man war der französischen Herrschaft schon recht von Herzen müde geworden und sehnte sich nach einem anderen Regiment, das – wenn es nur die Hälfte von dem hielt, was es versprach – Segen und Ruhe über das arme, fast zu Tode gehetzte Land ausschütten mußte. – Sagte denn nicht dieser Kaiser in seiner von Vera-Cruz aus datierten Proklamation, die ein zweiter Kurier heraufgebracht:

»So schwer es mir auch wurde, meinem Geburtsland zu entsagen, so habe ich es doch in der Überzeugung getan, daß mich der Allmächtige durch Eure Vermittlung zu der edlen Mission ausersehen hat, meine ganze Energie und mein ganzes Herz einem Volke zu weihen, das, von unheilvollen Kämpfen ermüdet, aufrichtig den Frieden wünscht. Die Segnungen des Himmels und mit ihnen der Fortschritt werden uns sicherlich nicht fehlen, wenn sich alle Parteien von einer starken und redlichen Regierung leiten lassen und sich einigen, um das vorgesteckte Ziel zu erreichen, und wenn wir stets fortfahren, von religiösen Gefühlen beseelt zu sein, diesem Kennzeichen unseres schönen Vaterlandes selbst in den schwierigsten Epochen. Was mich betrifft, so biete ich Euch einen aufrichtigen Willen, Redlichkeit und die feste Absicht an, Eure Gesetze zu achten und sie mit unerschütterlicher Autorität zur Achtung zu bringen. Einigen wir uns, um das gemeinsame Ziel zu erreichen; vergessen wir eine düstere Vergangenheit; begraben wir den Parteihaß, und die Morgenröte des Friedens wird sich leuchtend über dem neuen Kaiserreich erheben.«

So etwa lautete der kurze Inhalt des Schriftstückes, das rasch in Tausenden von Exemplaren in der Staatsdruckerei hergestellt und unter das Volk verbreitet wurde, und natürlich, seinem Inhalte nach, Jubel in allen Kreisen erregte. – Sah doch jede Partei darin eine Erfüllung dessen, was sie selbst erstrebte.

Es waren aber auch einfach-ehrliche Worte, die der neue Herrscher zu ihnen sprach, und man glaubte ihnen so gern, da sie doch für die nächste Zeit wenigstens bessere und geregelte Zustände verkündeten.

Am 12. Juni endlich wurde die Ankunft des Kaiserpaares, das sich unterwegs, und zwar in Orizaba und Puebla länger aufgehalten, in der Hauptstadt Mexiko angekündigt, und fast alle Straßen prangten im Festschmuck, schwärmten von jubelnden Massen, und schienen ihr schönstes Festkleid angelegt zu haben.

Nur im kaiserlichen Palais selber gab es noch unglückliche Menschen, die bis an die Schultern in Seifenwasser und Schaum staken, gab es noch Tischler und Tapezierer, noch Schlosser, Zimmerleute und Maurer, denn man war ja, nach echt mexikanischer Art und Weise, gar nicht an die selbst nötigsten Arbeiten gegangen, bis den Leuten das Feuer auf den Nägeln brannte – dann aber auch natürlich nicht fertig geworden. Wie ein Blitzstrahl schlug daher die Nachricht: »der Kaiser kommt!« bei allen den mit irgendeiner Arbeit Betrauten ein und richtete eine fabelhafte Verwirrung an.

Aber das kümmerte die geputzte Schar im sonnigen Lichte da draußen wahrlich nicht, und größeren Glanz hatte Mexiko noch nicht wieder seit der spanischen Zeit gesehen. Die ganze Hautevolee war nämlich heute ausgezogen, um das Herrscherpaar noch vor der Stadt zu begrüßen, jede Equipage außerdem in Anspruch genommen und mit dem Schönsten gefüllt, was die daran so reiche Stadt an schönen Frauen bietet. In aller Pracht mexikanischer Reiterkostüme, Sattel und Zaum wie die Reiter selber mit schweren Silber- und Goldstickereien bedeckt, drängte sich dabei Roß an Roß auf der breiten Straße, und wie das von edlen Metallen und Juwelen funkelte und blitzte, so funkelten und blitzten die Augen der schönen Frauen in Lust und gespannter Erwartung. Standen sie doch an der Schwelle einer neuen Ära, die sich ihre lebendige Phantasie schon mit bunten Bildern bevölkerte und Glanz hineinflocht, Licht und Sonnenschein.

Die Equipagen von Mexiko lassen allerdings sehr viel zu wünschen übrig; wer aber sah heute auf die Geschirre, wo sie in ihrem Innern solche Pracht entfalteten – und nur die herrlichen Pferde wurden zur Schau geritten, denn gerade im Sattel zeigte sich der Mexikaner in seiner kleidsamen und etwas phantastischen Tracht zum größten Vorteil.

Nicht weit von Pennon, wo die Herrschaften erwartet wurden, neben einem verhältnismäßig sehr eleganten Wagen, in welchem eine ältere, eine junge Dame und zwei allerliebste kleine Mädchen saßen, die zwischen sich wohl ein paar Dutzend Buketts der herrlichsten Blumen liegen hatten, hielten mehrere Reiter in ihrer Galatracht. Sie trugen die großen, breitrandigen, schwer gestickten Filzhüte, – die schon manchen deutschen Hutmacher in Mexiko zum reichen Mann gemacht – die mit zahlreichen silbernen Knöpfen und anderer Stickerei versehenen Cherivalles oder Reitgamaschen, große, schwere silberne Sporen und Zaumzeug und Sattel von Silber strotzend, während besonders an letzterem der Sattelknopf, wie ein kleiner, etwas schräg stehender Teller, von dem edlen Metall vollkommen überzogen wurde.

Unter ihnen hielten sich ein älterer und ein jüngerer Herr dicht zu beiden Seiten des Wagens. Der ältere Herr war der Gatte und Vater der weiblichen Insassen des Wagens, Sennor Don Bautista Roneiro, während der Jüngere, der kaum mehr als zweiundzwanzig Jahre zählen mochte, durch die zärtliche Ehrfurcht, mit welcher er Donna Inez, die Tochter des alten Herrn, behandelte, verriet, daß er ebenfalls gern ein Verwandter des Hauses gewesen wäre. Donna Inez behandelte ihn aber – soweit man es hier wenigstens beobachten konnte – ziemlich kalt; ihr Blick begegnete dem seinen nur äußerst selten, und dann selbst flüchtig und nur für einen Moment. Desto aufmerksamer musterte sie aber dafür die Toiletten der Damen und wechselte dann und wann mit ihrer Mutter, ohne dem Galan weitere Aufmerksamkeit zu schenken, ein paar lächelnde Worte – und doch, in dem Lächeln, welche scharfe Kritik über irgendeinen auffallenden Schmuck oder sonstigen Gegenstand der Toilette!

Neben Sennor Roneiro hielt ein alter Freund desselben, Bastiani, ein ältlicher Herr mit eisgrauem Schnurrbart und ebensolchen Augenbrauen. Er war auch früher Soldat und natürlich General gewesen, hatte sich aber nach dem amerikanischen Krieg zurückgezogen und lebte jetzt großenteils auf seiner Hazienda, unfern von Cuernavaca.

Sennor Roneiro besaß ein sehr schönes und prachtvoll eingerichtetes Haus in der Hauptstadt selber, und Don Silvestre, der junge Herr, der nach Roneiros Töchterlein schmachtete, war ein Nachbar desselben, der Sohn eines früheren Ministers, Almeja mit Namen, dessen Familie ebenfalls zu den angesehensten der Stadt zählte. Die Equipagen beider Familien fuhren auch zusammen aus Mexiko ab, wurden aber in dem ungeheuren Gedränge von Wagen und Reitern getrennt, und mußten deshalb an verschiedenen und voneinander entfernten Stellen Position nehmen.

Und das Kaiserpaar kam noch immer nicht. Wie unruhig die Damen schon wurden, und wie besorgt sie ihre Blumenvorräte musterten, denn wenn sie erst in der heißen Sonne welkten, konnte man sie den Herrschaften doch nicht zuwerfen. Außerdem war es aber auch kein besonderes Vergnügen, dort in Hitze und Staub zu halten, wenn auch das Gedränge selber Abwechslung und Unterhaltung genug bot.

Die ganze Kavalkade hatte sich wieder langsam in Bewegung gesetzt, und zwar schon der Tiere wegen, die nicht gern so lange ruhig stehen wollten, aber nach kurzer Fahrt stockte der Zug wieder, und nur einige Reiter waren vorausgeschickt worden, um zu erkunden, ob man noch nichts von den Erwarteten entdecken könne.

Der alte Bastiani hielt wieder dicht neben Roneiros Wagen, und den Gedanken, die ihm indessen wohl die ganze Zeit im Kopf herumgegangen, endlich Worte gebend, sagte er, zu dem Schwager gewandt:

»Wundern soll's mich doch, welchen Umschwung die Dinge hier nehmen werden, wenn der neue Kaiser alles das hält, was er in seiner Proklamation verspricht – und er verspricht eben alles.«

»Und eben deshalb kann er's nicht halten,« sagte Roneiro trocken. »Haben Sie den Teil gelesen, der von dem ›religiösen Gefühl‹ handelt, Bastiani?«

»Gewiß – die übliche Redensart, die er schon einer gewissen Menschenklasse wegen nicht weglassen durfte, wenn er sie nicht gleich von vornherein vor den Kopf stoßen wollte.«

»Das ist mehr als das,« sagte Roneiro, den Kopf schüttelnd, »und es sollte mich sehr wundern, wenn er sich nicht den Klerikalen inniger als irgendeiner der übrigen Parteien zuneigte – ist auch von einem österreichischen Prinzen gar nicht anders zu erwarten. Die ›Schwarzen‹ verlangen aber eine Unmöglichkeit: ›Herausgabe der konfiszierten Kirchengüter‹, und folgte er ihnen darin, so stieß er nicht allein den ganzen Besitz des Landes um, sondern brächte sich in die schwierigste Lage mit fremden Ansässigen und fremden Regierungen. Die meisten der »liegende Gründe«, die früher der Geistlichkeit gehörten, sind ja doch nun einmal in fremden Händen und wieder und wieder verkauft, so daß es eine Heidenkonfusion gäbe, wenn man die Sache auf einmal wollte ungeschehen machen.«

»Sie haben ja selber das Kloster San Sebastian gekauft,« lächelte Bastiani.

»Allerdings,« nickte Roneiro, aber mit etwas unterdrückter Stimme, indem er einen wie scheuen Blick nach dem Wagen und seiner Frau hinüber warf, »es bot mir die größten Vorteile. Ärger mußte ich aber genug dafür hinunterschlucken.«

»Ihre Frau war nicht damit einverstanden?«

»Außer sich darüber, amigo. Die verwünschten Pfaffen haben ihr die Hölle heiß gemacht und bohren und drängen selbst jetzt noch in einem fort. Macht der Kaiser dann noch einen unüberlegten Streich und läßt sich von der Geistlichkeit beschwatzen, so ist der Teufel vollständig los, denn er hat dann alle Pfaffen und Weiber auf seiner Seite.«

»In der letzten Zeit habe ich übrigens gar nichts davon gehört, daß eins der noch leerstehenden Klöster verkauft wäre, und doch traten die Franzosen dem nirgends in den Weg,« sagte Bastiani.

»Nein, das in der Tat nicht,« meinte Roneiro, »worüber soll unter den jetzigen Umständen, wo man gar nicht weiß, ob ein solcher Handel noch rechtskräftig gemacht wird, sein gutes Geld in die Schanze schlagen? Erst müssen wir abwarten, wie sich Maximilian der Geistlichkeit gegenüber stellt. Ich bin übrigens froh, daß ich nicht den Wirrwarr durchzumachen habe, der den neuen Kaiser erwartet. Viel Ruhe wird er nicht bekommen.«

Bastiani nickte leise vor sich hin mit dem Kopf. »Wenn er das Dekret,« sagte er, »das die Güter der »toten Hand« ihren jetzigen Besitzern läßt, nicht annulliert, so ist die schönste Revolution gleich wieder fertig, denn die Geistlichen geben in dem Fall keine Ruhe.«

»Und wenn er es annulliert, so treibt er die Hälfte seiner Angehörigen ins Lager der Liberalen,« erwiderte Roneiro: »ich möchte wahrhaftig nicht an seiner Stelle sein.«

»Und doch gibt es manche, die es möchten,« sagte Bastiani, »und – vielleicht auch noch nicht alle Hoffnung aufgegeben haben.«

»Möglich schon,« nickte Roneiro, »aber wen meinen Sie?«

»Es ist besser, keine Namen zu nennen,« sagte der vorsichtige Mexikaner, »wir wollen's abwarten. Übrigens möchte ich den einzelnen Menschen sehen, dem es unter den gegenwärtigen Umständen gelingen sollte, Ruhe in diesem Land zu halten und den Frieden herzustellen.«

»Nur vier Unmöglichkeiten,« sagte Bastiani. »Erstlich und vor allen anderen die Kirchenfrage, die allein schon genügt; dann unsere äußere Schuld, dann der Haß der Parteien mit offener Revolution im ganzen Land, und zuletzt, aber nicht als Geringstes, das französische Heer, das ihm hier auf dem Halse sitzt, und das wieder loszuwerden ihm Mühe genug kosten wird. Und dabei warten die Parteien nur darauf, zu sehen, welche er begünstigt, um dann ebenfalls über ihn herzufallen.«

»Sie entwerfen ein freundliches Bild von unseren Zuständen,« lachte Roneiro, »und ich fürchte fast, Sie haben in vielen Dingen recht, aber que importewir können nichts in der Sache tun, als sie eben abwarten, und das hat Maximilian doch wenigstens für sich, daß ihn das Volk in seiner ungeheuren Mehrzahl zum Kaiser selbst verlangte –«

»Aber, bester Roneiro,« sagte der alte Herr, »Sie reden von einer Abstimmung in Mexiko. Wissen Sie nicht, was eine solche zu bedeuten hat?«

»Nun, den Willen des Volkes,« rief Roneiro eifrig aus, »und wenn Sie heute noch einmal den Versuch machten, bin ich fest überzeugt, daß er Tausende von Stimmen mehr bekommen würde.«

»Gewiß würde er das,« lachte Bastiani, »und weshalb nicht? Wollte er in diesem Augenblick über das Kaiserreich abstimmen lassen, so glaube ich nicht, daß es zehn Menschen in der ganzen Stadt und wenig mehr im benachbarten Land gäbe, die ihm ihre Stimme vorenthielten, aber was will das sagen? Lassen Sie Juarez aus seinen Bergen vorbrechen, die Franzosen einmal schlagen und nachher über ihn abstimmen, so haben Sie das nämliche Resultat für den Indianer. Daß Maximilian eine Abstimmung in Mexiko nur verlangte, beweist, daß er das Land nicht kennt, wenn nicht überhaupt die Annahme der Krone schon den vollgültigsten Beleg dafür böte.«

»Sie kommen! Sie kommen!« tönte der laute Ruf durch die Reihen, und natürlich war dadurch jedes weitere Gespräch abgebrochen, ja, jeder andere Gedanke gebannt. Die Equipagen fuhren rechts und links zur Seite, die Reiter, von denen nur ein Teil als Eskorte voraussprengte, trennten sich ebenfalls, und jetzt kam der Zug, von dem mehr und mehr anschwellenden Willkommensrufe begrüßt, heran. Zu einem wahren Enthusiasmus aber steigerte sich derselbe, als man das junge, schöne Paar im Wagen erst erkannte.

Das war in der Tat ein Fürst, wie sie ihn sich gedacht; das war eine Kaiserin, die an seiner Seite saß, edel und schön, und doch dabei stolz und königlich. Der Jubel schwoll auch zu einem wahren Freudenrausch an, als das hohe Paar langsam zwischen den Wagen und Reitern, die sich dem Zug dann anschlossen, hindurchfuhr. Die Damen warfen ihre Blumen in den Wagen und schwenkten die Tücher, die Herren hoben ihre Hüte, und die donnernden Vivats pflanzten sich fort auf der Straße bis in die künftige Residenz hinein.

Maximilian schaute hinaus auf sein neues Volk und auf dessen lauten und jetzt unzweifelhaft aus dem Herzen kommenden Jubel, und zwei helle Tränen glänzten in seinen Augen. Er war so ergriffen, daß er sich Mühe geben mußte, seine Ruhe zu bewahren. Desto unbefangener und fester zeigte sich aber die Kaiserin. Sie dankte auch mit huldvollem Lächeln nach allen Seiten hin, aber auf ihren schönen, doch etwas kalten Zügen lag deutlich die Freude und Genugtuung über diesen Empfang. Sie war sich des Augenblicks vollkommen bewußt und genoß ihn, während Maximilian selber, in der Erfüllung eines lang vorgeschwebten Zieles, alle Kraft anwenden mußte, um Fassung zu zeigen und dem Publikum nicht zu verraten, welches tief empfundene Glück sein Herz in diesem Augenblick bewege.

Und der Zug wuchs. Als sie sich den Toren der Stadt näherten, ritt an der rechten Seite des Kaisers General Bazaine, der den Monarchen ehrfurchtsvoll begrüßt hatte. Mit ihm umgaben Graf Bombelles, der Kommandant der Garde, die Adjutanten und viele andere Offiziere, die Equipage des Herrscherpaares. Voraus bildete sich dabei der Zug der Ayuntamientos und höheren Beamten, und nach folgte das Volk, mit zahlreichen Indianern dazwischen, während Mexiko selber im Festschmuck prangte.

Eine Masse von Triumphbogen waren errichtet, die Straßen, durch welche der Zug ging, sämtlich mit Girlanden, Fahnen und Draperien, die letzteren meist in den mexikanischen Farben, geschmückt; die Balkone, in der ersten wie zweiten Etage der Häuser, mit geputzten Damen und Kindern gefüllt, welche dann Blumen und seidene, mit Gedichten bedruckte Bänder über die vorbeifahrenden Majestäten ausschütteten.

Viele kleine Privatzüge wurden dabei improvisiert, wie sie auch noch nie beim Einzug irgendeines der übrigen Präsidenten gefehlt hatten, und das geschieht fast stets mit Hilfe von kleinen, hübschen und phantastisch angezogenen Kindern, die entweder, von mexikanischen Flaggen umgeben, in künstlichen Muscheln getragen oder auch von Maultieren gezogen werden. Die Figur oder auch Gruppe stattet man dabei stets allegorisch aus, worin die Mexikaner eine große Fertigkeit zeigen, so daß sie sinnbildlich das Land selber, bald die Freiheit, bald den Sieg, die Gerechtigkeit oder irgend etwas, womit man gerade dem Gefeierten schmeicheln will, vorstellen.

Alle diese kleinen Aufzüge suchten dem Kaiserpaar zu nahen und ihm ebenfalls Blumen und Gedichte in den Wagen zu werfen. Selbst die Bildnisse des Kaisers wie der Kaiserin fehlten nicht; Raketen aber wie anderes Feuerwerk stiegen am hellen, sonnigen Tage in die Luft empor, wie das bei allen Feierlichkeiten die wunderliche Sitte in ganz Südamerika ist.

Auch an Miramons Haus ging der Zug vorüber. Miramon selber stand mit seiner jungen, schönen Frau und den Kindern auf dem mittleren Balkon, und die Kinder streuten ebenfalls Blumen hinab. – Auch Sennora Miramon hielt einen losen Strauß prachtvoller Rosen in der Hand und schaute, den rechten Arm auf die Balkonlehne gestützt, sinnend auf den gerade langsam vorbeifahrenden Wagen nieder. Miramon sagte lächelnd:

»Das mexikanische Volk bleibt sich doch immer gleich. Bei meinem Einzug fehlten ebensowenig diese Allegorien wie die Blumen und Gedichte, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn viele dieser bunten Bänder die Reise aus Fenster oder Balkon in die Straße bei den verschiedensten Gelegenheiten schon vorher gemacht. Siehst du, wie sie da einige Leute sorgsam aufheben?«

»Und wenn du wieder einzögest,« sagte die junge Frau, indem ihr Blick unten von dem lebendigen Bild abschweifte und am Leeren haftete, »so würde dir das Volk ebenso entgegenjubeln.«

»Gewiß, gewiß,« nickte der General. »Volk bleibt Volk, und der Erfolg der alleinige Maßstab für dasselbe. Wohin du siehst in der Welt, findest du das nämliche. Aber du hast ja deine Blumen nicht geworfen, Schatz.«

»In der Tat, nein,« sagte die Sennora, »ich habe wahrlich gar nicht daran gedacht, aber die Herrschaften werden nicht böse darüber sein. Sie sind ja jetzt schon von Blumen fast bedeckt und können das Gewicht kaum tragen. – Wie das so wunderbar wechselt auf der Welt,« setzte sie dann nach einer kurzen Pause sinnend hinzu: »Du, der frühere Präsident der Republik, stehst jetzt hier oben auf dem Balkon und siehst dem Einzug eines Kaisers zu.«

»Und ich darf dafür nicht einmal undankbar gegen mein Vaterland sein,« lächelte der junge Mann, »denn Iturbide und Guerrero waren nicht so glücklich, das von sich sagen zu können.«

»Und nennst du das ein Glück?« sagte die junge, schöne Frau, die Oberlippe dabei leicht emporwerfend.

»Daß ich noch am Leben bin? Gewiß,« lachte Miramon, »aber paciencia amiga, paciencia! Du kennst doch den Wahlspruch unseres Landes. Maximilian zieht zu einer bösen Zeit in Mexiko ein, böse insofern, wenn er glaubt, daß er seine Herrscherwürde ruhig in den Schoß geworfen bekommt. Er wird Arbeit und Ärger, wenn nicht Schlimmeres, gerade genug finden. Ich wäre auch der Letzte, ihm das alles, nur des Namens wegen, zu mißgönnen. Schafft er sich wirklich Ruhe, was ich noch sehr stark bezweifle, so verdient er sie sich auch im vollen Maße, und ich irre mich vielleicht kaum, wenn ich denke, daß er trotz alledem nur eben wieder für einen anderen arbeitet.«

»Für welchen anderen, Miguel?« fragte rasch die Frau.

» Quien sabe, Schatz,« sagte achselzuckend Miramon, »jedenfalls erleben wir es noch, denn so lange dauert eine Umwandlung in unserem etwas veränderlichen Reiche nicht.«

»Und wenn sich das Volk nun doch ihm fügen sollte? Es hat die ewigen Revolutionen satt.«

»Das Volk, liebes Herz, hat mit der Sache gar nichts zu tun,« sagte Miramon kopfschüttelnd, »und wird zu allerletzt deshalb befragt. Außerdem ist es ein Fremder, und du weißt, wie rasch die Kreolen geneigt sind, gegen den Partei zu nehmen – wenn es nämlich einmal nötig werden sollte. Doch das alles liegt noch in weiter Ferne, und weshalb sollten wir uns damit jetzt schon den schönen Tag trüben. – Sieh, der Zug nähert sich der Kathedrale, und ich glaube, es wird Zeit, daß wir an unsere Toilette denken; wir kommen sonst wirklich zu spät zum Empfang.«

Die Sennora warf noch einen Blick die Straße hinab, dann sagte sie leise: »So habe ich Mexiko noch nie gesehen. Auch nicht ein Haus steht unbeteiligt an der Festlichkeit, und Kränze und Girlanden winden sich von einem zum anderen.«

»Weil es heute gerade gar keine Parteien in Mexiko gibt als eben nur die kaiserliche, und deshalb wäre es direkter Wahnsinn, einzeln dagegen aufzutreten; man setzte sich der Gefahr aus, gesteinigt zu werden. Laß aber Maximilian nur in sechs Monaten noch einmal versuchen, ein solches ›Familienfest‹ zu arrangieren, und ich fürchte fast, daß es schon bedeutend dürftiger ausfiele als an diesem Tag.«

»So kurze Zeit prophezeist du dem Kaiserreich und hast dich ihm doch selber zur Verfügung gestellt.«

»Weil ich nicht gern Unmögliches versuchen und gegen den Strom schwimmen mag, wenn ich einen Kanal finde, der mich in ruhiger und bequemer Weise vorwärts bringt. Wir müssen überhaupt erst sehen, was geschieht, und Labastida steht selber ja gegenwärtig vollkommen auf Seite des neuen Monarchen. Solange der aber dort aushält, haben wir einen ganz vortrefflichen Kompaß, nach dem wir steuern können.«

»Und wenn er von ihm weicht?«

» Paciencia. Siehst du die dunklen Wolken dort am Himmel aufsteigen? Vielleicht bedeuten sie Regen und Sturm, vielleicht ziehen sie harmlos vorüber. Wir werden ja sehen, wie sich alles gestaltet, und nun laß uns an den Abend denken.«

*

»Wohin, Silvestre?« rief den von der Plaza zurückkehrenden jungen Almeja einer seiner Stadtfreunde an, der auf einem schaumbedeckten Pferde, wie auch selber staubig und erhitzt, seinen Rappen eben zügelte und auch gar nicht in die festlich geschmückten Straßen zu passen schien, »ist die Zeremonie schon vorbei?«

»Noch nicht, Mauricio,« sagte Silvestre, indem er sein eigenes Tier zum Stehen brachte. »Labastida hat sie eben an der Kathedrale empfangen, und dort wird jetzt ein Tedeum gefeiert, das mir ein wenig zu langweilig war, um es mitzumachen. Aber woher kommst du, und weshalb hast du den Einzug versäumt? Er war pompös.«

» Caracho,« Charajo, oder characho mit dem Hauchlaut, wie das holländische oder schweizerische ch ausgesprochen, ein etwas ordinärer spanischer Fluch oder auch Ausruf, der aber eigentlich nur von der unteren Klasse oder von rohen Menschen gebraucht wird. Der gebildete Mann und selbst Damen benutzen dagegen als Ausruf oder als Zeichen des Staunens sehr häufig das Wort »Caramba«. rief der junge Mann ärgerlich, und sein Pferd bäumte empor, weil er es unwillkürlich mit dem Sporn berührte, »ich habe die ganze Geschichte total verschlafen. Gestern abend fingen wir in Tacubaja an zu spielen und spielten bis heute morgen halb sechs Uhr. Da war ich denn so todmüde und eigentlich auch nicht in der rechten Stimmung.«

»Du hast wieder verloren, wie?«

»Achttausend Pesos an den verwünschten Italiener, der mit Bazaine herübergekommen. Ich wollte, der Lump hätte Mexiko nie betreten, denn er hat entweder ein ganz unverschämtes Glück oder –«

»Oder?«

»Er spielt falsch,« zischte der junge Mann zwischen den Zähnen durch; »aber Gnade ihm Gott, wenn ich ihn einmal dabei ertappe.«

»Ich würde ihm nicht mehr zu nahe kommen.«

»Ich muß mein Geld wieder haben.«

» Cuidado! (Nimm dich in acht) Aber wohin wolltest du jetzt?«

»Noch etwas von dem Zuge oder von den Leuten sehen, wenn es möglich ist, und wohin willst du?«

»Nach Hause, um mich zum Diner im Palais umzuziehen. Ihr seid doch auch geladen?«

»Wahrscheinlich, ich war nicht zu Hause; aber das hat noch Zeit, und außerdem liegt mir verwünscht wenig daran. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dort weder geraucht noch gespielt.«

»Du bist unverbesserlich.«

»Ich muß mein Geld wieder haben,« sagte der junge, etwas wüst aussehende Mensch, der aber trotzdem einer der ersten Familien des Landes angehörte. Damit gab er seinem Tier die Sporen und trabte die Straße hinab der Plaza selber zu.

*

»Hallo, Rodolpho, Mensch, wo kommst du her?« flüsterte ein Mestize, der etwa dem niederen Bürgerstande angehören mochte, einem Sambo Mestize, Abkömmling von Weißen und Indianern, Sambo von Indianern und Negern. zu, der, sein Gesicht mit einer alten Serape halb verdeckt, einen arg mitgenommenen Strohhut auf dem Kopf, und Sandalen an den Füßen, eben an ihm vorüber und die Straße hinab wollte. Der Mestize sah auch gegen ihn ganz anständig aus und war in die echt mexikanische Tracht gekleidet, so mit dem breitrandigen, sogar ein wenig geflickten Filzhut, den an der Außenseite geschlitzten und dicht mit runden Knöpfen besetzten Beinkleidern und schneeweißen Unterhosen, die durch den Schlitz sichtbar wurden. Das Begegnen des jedenfalls genau Gekannten schien ihn auch nicht besonders zu freuen, denn er warf den Blick wie ängstlich umher, als ob er fürchte, von irgend jemandem hier öffentlich mit ihm gesehen zu werden.

» Caracho, Geronimo,« lachte der Sambo, der aber ebenfalls den Blick nach rechts und links die Straße hinabwarf, ohne die sein Gesicht halb verhüllende Serape herunterzunehmen, »und was treibst du hier in Mexiko – Ave Maria-Mann, du siehst ja wie ein Caballero aus. Die Geschäfte müssen gut gegangen sein. Komm, laß uns ein Glas Pulque Pulque, das aus einer Agavenart, der Mageh, gewonnene Getränk, ein nicht besonders klarer, aber ziemlich angenehm schmeckender Saft der Pflanze, der, wenn gegohren, auch berauscht, und das Lieblings- und Nationalgetränk der Mexikaner ist. zusammen trinken, denn hier draußen möchte ich nicht gern eine lange Unterhaltung führen.«

»Und wenn du erkannt wirst?«

»Bah,« lachte der Sambo, »die Parteien wechseln jetzt so rasch, daß keiner vom anderen weiß, ob er zu der oder jener gehört. Und wenn ich wirklich erkannt würde, so sagte ich einfach, daß ich gut kaiserlich geworden wäre, und ließe mich unter die Soldaten stecken. – Wäre noch außerdem Profit, denn ich brächte gleich eine gute Muskete mit nach Hause.«

»Und wohin willst du jetzt?« fragte Geronimo, indem er ihn am Arm faßte und einer der kleinen Seitenstraßen zuschob.

»Wohin? – Vielleicht zu Juarez zurück nach Monterey – vielleicht bleibe ich noch in der Stadt.«

»Pst! – Nicht so laut,« meinte der vorsichtigere Mestize, – »es gibt in diesem Augenblick keinen gefährlicheren Namen als den in Mexiko.«

»Er wird ihnen noch gefährlicher werden,« lachte der Sambo, »denn der Schwindel hier kann ja doch nicht lange dauern.«

»Und wie steht's dort oben?«

»Gut – die Franzosen, die Gott verdammen möge, haben uns allerdings eine Zeitlang hin und her gehetzt, aber nichts hilft's ihnen – es ist, als ob sie Quecksilber in einem Sieb fangen wollten, und bald genug werden sie dessen müde werden.«

»Aber was kann er ausrichten?«

»Werdet's bald hier merken. Vor vier Wochen war ich über dem Rio Grande drüben; die Amerikaner sind ganz des Teufels darauf, hier einzurücken.«

»Die haben selber alle Hände voll zu tun.«

»Schadet nichts, werden schon damit fertig werden, und dann sind sie wie ein Wetter bei der Hand – aber da drüben ist die Pulqueria – komm, der Wirt ist ein alter Freund – dort können wir noch ein Stündchen zusammen plaudern, und dann muß ich wieder fort. Bin gerade zur rechten Zeit hier eingetroffen, um die Komödie mit anzusehen.«


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