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Innere Zustände.

Rings um die Chalco- und Xochimilco-Lagune, die sich vom Süden der Hauptstadt nach Osten hinüberstreckt, liegen malerisch, aber auch ärmlich genug, zahlreiche Dörfer der mexikanischen Indianer. Allerdings sind sie durch den See, wie durch einen Kanal mit Mexiko verbunden und haben etwas Land umher kultiviert, aber eine Wildnis umgibt sie dennoch wie zu der Zeit, als ihre Voreltern zu Götzen beteten und Kaziken über sie herrschten. Aber sind ihre Zustände gebessert? – Wer kann es sagen? Wir reden auch bei uns immer gern von der »guten alten Zeit« und daß »nichts besser würde unter der Sonne«. – Wir sehnen uns jene Jahrhunderte zurück, in denen unsere Vorfahren glücklich gelebt, aber weshalb? – Weil die Butter damals nur wenige Groschen kostete und das Fleisch nach Pfennigen gekauft wurde. – Gehen wir der Sache auf den Grund, so ist das gewöhnlich der Gegenstand, wodurch das Gespräch darauf gelenkt wird; daß aber außerdem in der guten alten Zeit biedere Raubritter aus adligen Geschlechtern jede Landstraße unsicher machten, das Pfaffentum, noch frecher und mit größerer Gewalt versehen als jetzt, einherschritt, die Inquisition wütete, Folterkammern jeden braven Mann bedrohten, sonst allerlei Unfug getrieben wurde und Fürsten despotisch regierten und ihre Untertanen wie Knechte behandeln durften, davon reden wir natürlich nicht, oder denken auch nicht gleich daran.

Und Mexiko? Wenn wir unserer Phantasie die Zügel schießen lassen, so träumen wir uns mexikanische Indianer, wie sie noch heute auf dem Theater vorgestellt werden – allerdings nicht in Trikot, aber doch mit Federschürzen und Kronen, mit Bogen und Pfeilen und Lanzen, mit breiten Goldblechplatten um Arme und Knöchel und dabei sehr kräftige malerische Gestalten, das Haupt von rabenschwarzen Locken umwallt, die Augen kühn und blitzend, die Frauen schön und jugendfrisch und von den hellbraunen, üppigen Formen eigentlich noch mehr verratend, als selbst Damen in zivilisierten Ländern uns bei hohen Festlichkeiten gewohnt sind zu zeigen.

Haben sie je so ausgesehen? – Schwerlich, denn selbst die Indianer dieses schönen Landes hatten keine »gute alte Zeit«, wenigstens nicht, soweit ihre Übertragungen reichen und es das eigentliche Volk betraf. Die Fürsten und Hohen des Reiches schwelgten bei ihnen freilich so gut im Überfluß und sämtlichen Genüssen des Lebens, wie bei uns daheim in eben dieser guten alten Zeit, aber das Volk war geknechtet und unterdrückt, war zu Sklaven gemißbraucht worden, ja selbst zu Opfertieren, wenn es dem fanatischen Oberpriester einfiel, sie für seine Gottheit zu verlangen.

Wir lesen noch jetzt, daß Montezuma frische Seefische liebte, sie jedoch droben in seiner Hauptstadt, mehrere Tagereisen von der Küste entfernt, nicht leicht bekommen konnte – aber dafür hatte er ja seine Untertanen. Läufer wurden deshalb auf den ganzen Weg von der Küste bis zur Hauptstadt in kurzen Entfernungen, und zwar so weit voneinander ab stationiert, daß sie ihre Distanz in voller Flucht zurücklegen konnten. Der erste bekam dann den Korb mit den frisch aus der See genommenen Fischen überliefert und rannte mit seiner nicht schweren Last bis zum zweiten, dem er sie übergab, und der dann, ohne auch nur einen Moment Zeit zu verlieren, zum dritten, dieser wieder zum vierten eilte und so fort, bis sie in einer fast unglaublich kurzen Zeit in Montezumas Küche abgeliefert und von ihm verspeist wurden. Woher die armen Leute, die zu solchem Geschäft verwendet wurden, etwas zu essen bekamen, war ihre Sache, Bezahlung erhielten sie wohl auch kaum dafür, die Fische hätten sich sonst zu teuer gestellt, sie erfüllten ja auch nur ihre Untertanenpflicht, und Tausende von Menschenkräften wurden solcherart in Anspruch genommen und zum Äußersten angestrengt, nur um ihrem Herrscher und Oberhaupt – ein Gericht frische Fische zu liefern.

Und diese ungeheuren Bauten und Wasserleitungen – es war Sklavenarbeit wie in Ägypten, ob es nun für Isis oder Osiris oder für Huitzilopotchli oder für Priester und Fürsten ausgeführt wurde.

Diese mexikanischen Indianer haben allerdings ihre Herrscher gründlich geändert, denn als sie ihre Priester und Kaziken verloren, kamen die spanischen Vizekönige mit ihren Pfaffen, dann republikanische Präsidenten mit freiester Regierungsform, Kaiser und Diktatoren – aber ihr Schicksal veränderte sich nicht. Die Sklaverei wurde im Lande abgeschafft – aber sie blieben Sklaven. Wie je zuvor, wurden sie zur Arbeit verwandt, wenn man sie nicht wo anders für nötig hielt, oder zu Soldaten gepreßt, wenn irgendeine Partei revolutionierte.

Und doch wie harmlos leben diese Menschen, anspruchslos und geduldig ihr Schicksal tragend, und erst, wenn man sie sieht, hält man es für möglich, daß jener blut- und goldgierige Freibeuter Ferdinand Cortez – dem die Geschichte einen Glorienschein gegeben, nur weil er sein eigenes Leben nicht achtete und durch seine verbrecherischen Taten dem Vaterland eine Quelle ungemessener Reichtümer eröffnete – nur mit seinen wenigen Soldaten Tausende und Tausende abschlachten konnte.

Man wollte sie ja auch zum Christentum bekehren; jetzt sind sie bekehrt, und die wenigen, die aus jenen zahlreichen Volksstämmen übrigblieben, vegetieren wie ihre Blumen, die sie in den kleinen Gärten ziehen – und wenn sie aufgeblüht sind – werden sie gepflückt und dann weggeworfen.

Eins dieser armseligen Dörfer, wie man sie in Masse an der Lagune zerstreut findet und dem die Priester des neuen Gottes einen neuen christlichen Namen gegeben, weil sie die alten heidnischen Benennungen für unheilig hielten, San Lorenzo, an dem nördlichen Ufer des Chalco-Sees gelegen, schien sich heute in ungewöhnlicher Aufregung zu befinden, denn sämtliche Insassen des kleinen, unbedeutenden Ortes waren unmittelbar am Strand versammelt und ein Geistlicher in seiner schwarzen Tracht, mit dem spitz zulaufenden Hut, gerade im Begriff in ein großes, schon dort für ihn bereitliegendes und von zwei Ruderern geführtes Kanoe zu steigen. Ehe dieses vom Land abstieß, drehte er sich noch einmal in dem kleinen Fahrzeug um und stand einen Moment, die Hände segnend gegen die Menge gebreitet, aus der die Frauen und Kinder andachtsvoll auf die Knie fielen. Dann drehte er sich um, setzte sich, streifte die Ärmel seines langen Überwurfs in die Höhe und nahm aus einem neben ihm stehenden Korb eine Flasche Wein sowie verschiedene Lebensmittel, besonders ein gebratenes Huhn, dem er wacker zusprach, und keinen Blick mehr zurück auf den eben verlassenen Ort warf. Die Ruderer aber trieben das kleine Fahrzeug indessen mit geschickten Händen nach Süden hinüber, da der fromme Padre dort erst noch einmal in der größeren, auf einer Insel im Chalco-See liegenden Ortschaft Xico vorsprechen wollte.

Der geistliche Herr befand sich da drinnen in seinem kleinen Boot auch vollkommen wohl, und so ernst und salbungsvoll er sich vorher bei den Indianern benommen hatte, so ganz Mensch zeigte er sich jetzt wieder, als er für kurze Zeit seinen »Beruf« abschüttelt.

Die beiden armen Teufel, die ihn ruderten, warfen wohl verlangende Blicke nach dem leckeren Mahl hinüber, denn schon den ganzen Tag, von früher Morgenstunde an, fuhren sie den Priester von einer Ortschaft zur anderen am See, und nur in Tlahuak, auf der Halbinsel, gelang es ihnen, ein paar Tortillas zu erbetteln. Der Padre nahm aber selbstverständlich gar keine Notiz von ihnen, denn es waren hombres sin razon – Menschen ohne Verstand – und doch hatte er sich schon den ganzen Tag an den verschiedenen Orten die größte Mühe gegeben, gerade diese hombres sin razon von dem zu überzeugen, was er ihnen vorgetragen. Dies bestand aus nichts Geringerem, als der Anregung zu einer neuen Revolution, in der sich das ganze Land zugleich erheben solle, um mit dem Ruf: » por la religion y los fueros« den Kaiser zu zwingen, aus der eingelenkten Bahn wieder umzukehren und »der Kirche zu geben, was der Kirche sei«. –

Allerorten, wohin er kam, hörten ihn die Indianer ruhig an. Aber so fanatische Reden er auch hielt, eine wirkliche Begeisterung konnte er nirgends erwecken.

Die Frauen drängten sich allerdings ängstlich zusammen, wenn er von ewigen Höllenstrafen sprach – von denen er ebensowenig etwas Genaueres wußte als einer der Indianer – aber die Männer schienen die Sache an sich kommen zu lassen. Sie hörten ihm allerdings geduldig und aufmerksam, ja auch andächtig zu, aber zu einer bestimmten Aufregung konnte er sie sich nicht hinaufarbeiten, und vielleicht lag das auch vorderhand noch gar nicht in seiner Absicht. Seine ganze Reise schien nur gewissermaßen eine Vorbereitung, um die harmlosen Kinder der Natur mit der Gefahr bekannt zu machen, die ihnen drohe.

So wanderte oder zog er, der Diener Gottes und Apostel des Friedens, wie sich die Herren gewöhnlich selber nennen, von Ort zu Ort, und die Lippen, die nur versöhnende Worte hätten haben sollen, suchten Haß und Zwietracht zu säen in eine stille, harmlose Bevölkerung – Aufruhr gegen den Kaiser und seine Räte – Aufruhr gegen alles, was sich nicht willig ihrem eigenen egoistischen und angeblich von Gott verliehenen Zepter unterwarf.

Der Priester hatte schon lange das Ufer verlassen, und sein Kanoe schwamm klein und in undeutlichen Umrissen der fernen Insel zu, aber die Indianer standen noch immer am Strand und schauten ihm sinnend nach. Die Frauen nur hatten sich zusammengeschart, und den Weheruf flüsterten ihre Lippen: »Wieder Krieg! Wieder Krieg! Ach, sollen wir denn niemals Frieden haben?«

Teocuya war einer der ältesten Indianer am ganzen See, und nicht allein das Oberhaupt des kleinen Ortes, sondern in wichtigen Fällen kamen sie vom ganzen Ufer herüber, um seinen Rat zu erbitten. Freundlich hörte er auch alle an, und seinem gesunden Menschenverstande gelang es meist immer, das Richtige zu treffen. Der Priester, der diesen Ort besucht, kannte ihn auch recht gut und hatte die gehaltene Rede hauptsächlich an ihn gerichtet. Er wußte daß, was Teocuya später beschließen, auch maßgebend für seine Nachbarn sein würde.

Teocuya wandte sich und schritt, ohne ein Wort mit einem der übrigen zu wechseln, hinauf vom Wasserrand in seine kleine, ärmliche Wohnung, die sich in nichts von den anderen unterschied oder vor ihnen auszeichnete.

Das ganze Dorf bestand aus niederen, von braunen, ungebrannten Backsteinen aufgeführten Hütten, deren jede eine Familie beherbergte, mochte diese so zahlreich sein, wie sie wollte. Jedes solche Haus war in zwei Gemächer eingeteilt die kleinsten hatten oft sogar nur eins, und drinnen zeigten die kahlen Wände keinen einzigen Zierrat, als vielleicht ein in der Ecke aufgestelltes Heiligenbild oder eine kleine Lithographie der Madonna von Guadelupe und in der Kirche selbst geweiht. Das Hausgerät bestand einzig und allein, selbst in den besten, nur aus einem hölzernen Tisch und ein paar Stühlen oder Bänken, das Lager in dem einen Gemach war eine auf die Erde gebreitete Serape oder eine Kuhhaut – in seltenen Fällen ein wirkliches Gestell, und in der Ecke lehnten wohl ein paar Netze zum Fischfang oder waren auch draußen zum Trocknen ausgespannt. Aber keinem der kleinen Häuser fehlte ein Garten, mit prachtvollen Blumen gefüllt, in einem Rosenflor prangend, mit blütenbedeckten Winden und Büschen, der sich von der kleinen Wohnung zum See niederzog, während zur Seite, wie rings um das kleine Dorf her, sauber gehaltene Gemüsefelder angelegt waren und den fleißigen Arbeitern Sicherheit ihres Lebens boten. Früh am Morgen, oft noch tief in der Nacht, wurde dann das schmale, vorn und hinten scharf abgestumpfte Boot mit den Erzeugnissen ihrer kleinen Felder und mit duftigen Blumen geladen, und so ruderten die Frauen auf den Markt von Mexiko, dem Kanal folgend bis in die Stadt hinein – verkauften ihre Waren und kehrten, Frieden im Herzen, mit ihrem Erlös zu ihrer bescheidenen Heimat zurück – war es doch ihre Heimat.

Teocuya trat in sein kleines Eigentum, dort schritt er in den Garten, und in einer kleinen, von Rosenhecken gebildeten Laube, den Rücken gegen einen Fruchtbaum gelehnt, saß er still und schweigend. Nur sein Blick hing an den schon eine rosige Färbung annehmenden Vulkanen, die sich in unbeschreiblicher Majestät, und von duftigen, noch durchsichtigen Nebelschleiern umgeben, aus der wie vor ihm liegenden Bergkette emporhoben.

Dort oben – heute scheinbar so nahe, als ob sie ein Pfeil hätte erreichen können, lag auf dem Ixtaccihuatl die »weiße Frau«, ein Riesenbild, wie aus Marmor gehauen, die Glieder lang ausgestreckt, die Hände auf der Herzgrube gefaltet, den Kopf ein klein wenig niederhängend, und wie mit einem mächtigen, weißen Leinentuch, das seine Falten noch weit am Berg herunterfallen ließ, überworfen. Um sie her aber schwebten bewegliche duftige Gestalten, Nebelschwaden vielleicht, herüber und hinüber, zergingen in Duft und tauchten dann von neuem wieder auf, und dort drüben zur Rechten der ernste Popocatepetl, der seine Schneepyramide hoch und trotzig dem Firmament entgegenstreckte und starr und verdrossen das weite Land umher überschaute. – Das alles hatte früher ihnen gehört – denn er selber stammte aus einer alten Kazikenfamilie; über das alles hatten sie geherrscht, bis die Fremden kamen und Unfrieden und Ehrgeiz im Land benützten, sich der Herrschaft zu bemächtigen.

Und Blut war geflossen – der Himmel weiß, wieviel Blut – mehr, als vielleicht diesen See füllen könnte, denn der Boden war weich und schwammig davon geworden, wie die Sage erzählt. Und was folgte? Blut und immer nur wieder Blut – es war noch nicht genug, denn die Götter forderten mehr, weil ihre Kinder abtrünnig geworden waren dem alten Glauben.

Und war dieser neue Gott ein Gott der Liebe und des Friedens, wie ihn die Priester kündigten? – Nein – selbst die fremden Weißen Männer konnten nicht in Frieden miteinander leben. Goldgier, Neid und Herrschsucht drängten sie vorwärts und trieben sie zu immer neuen Kämpfen. – Aber was hatten sie damit zu tun? – Litten sie nicht genug, daß ihre Felder geplündert, ihr Vieh weggetrieben und die Frucht ihres Fleißes von ihnen genommen wurde? Sollten sie auch noch ihre eigenen Leiber einem Feind entgegenwerfen, der ihnen gar kein Feind sein konnte, den sie nie geschädigt? Und trotzdem wurden sie gewaltsam gezwungen, die Waffen zu ergreifen, und wenn sie da draußen im Land den Kugeln erlagen, jammerten daheim ihre Frauen und Kinder und vergingen in Elend.

Zu Teocuyas Haus kamen die Männer vom Dorf. Sie hielten draußen am Gartenzaun, bis er sie sah und ihnen zuwinkte, dann erst traten sie hinein und blieben still und gedrückt vor ihm stehen.

»Was wollt ihr von mir, Freunde?« sagte er endlich mit leiser Stimme, wußte er doch voraus, was sie zu ihm geführt. Und konnte er ihnen einen Rat geben? Aber der Älteste von ihnen nahm das Wort und sagte:

»Du hast gehört, Teocuya, was der weiße Priester uns mitgeteilt – wozu er uns aufgefordert hat. Wir sollen uns Waffen verschaffen und des Rufs gewärtig sein, wenn die Kirche ihre Söhne braucht, denn unsere heilige Religion sei bedroht, da der Kaiser von schlechten Räten umgeben, den Glauben abschaffen und die Kirchen niederreißen wolle. Habe man ja doch schon mit den Klöstern, die ebenfalls Häuser des Herrn waren, angefangen. Was sagst du dazu, Vater? – Was sollen wir tun?«

Teocuya war ebenfalls aufgestanden, denn die meisten solcher Beratungen werden unter ihnen stehend abgemacht; aber nachdem er eine Weile still und sinnend vor sich niedergeschaut, sagte er mit seiner wohlklingenden, zum Herzen sprechenden Stimme:

»Wir brauchen keine Waffen, wenn wir die Werkzeuge haben, unsere Äcker und Gärten zu bebauen; wir brauchen keine Waffen, um für die Priester zu fechten, denn oft und oft haben sie uns gesagt, daß das heilige Buch, auf welches sie ihre Religion stützen, ihre Waffe wäre. Gegen wen sollen wir kämpfen? – Gegen den weißen Mann mit dem großen Bart?«

»Ihr wißt, was uns unsere Väter übertragen haben, die es wieder von ihren Vätern hörten. Als der blutige Gott des Krieges zuerst über unsere Grenze hereinbrach und den hehren Gott der Luft und der Blumen vertrieb, da mied dieser das Land – aber er versprach, daß er zurückkehren wolle aus dem fernen Osten, als ein weißer Mann mit einem großen Bart. Und sind das Lügen, die sich das Volk von Stamm zu Stamm in die Ohren flüstert? – Die christlichen Priester sagen ja und nennen es heidnischen Aberglauben, der nicht bestehen könne vor dem wahren Gott, aber Quetzalcoatl hat bestanden, und sehen wir nicht, daß er uns in dem weißen Mann zurückgekehrt ist – der ebenso mild und friedlich auftritt wie vordem? Mögen die christlichen Priester hetzen und treiben, soviel sie wollen, sie fürchten den neuen Herrscher, der unserem Volke wieder gerecht werden soll. Ich würde keine Waffe anrühren, und wenn ich erst zwanzig Jahre und voll Saft und Kraft wäre, sondern meinen Spaten gebrauchen und die Gießkanne – das ist meine Meinung über des frommen Padres Sendung, mit der er jetzt den ganzen See in Flammen zu setzen sucht – und Gott gebe, daß es die Meinung aller der übrigen Städte ebenfalls wäre.«

Die Indianer standen still und schweigend und hörten ihm zu – die Sonne war lange hinter die Berge gesunken, und beide Vulkane hatten sich in Nebel und Schatten fast verloren; jetzt plötzlich tauchten sie wieder, aber in einer weiß-bläulichen Färbung und scharf an dem dahinter lagernden dunklen Himmel abstechend, hervor, und nur in der Tiefe hatten sich düstere Wolkenmassen gesammelt, so daß der untere Teil des Ixtaccihuatl vollkommen verdeckt blieb, während das Riesenbild der weißen Frau, in wirklich unheimlicher Beleuchtung von den Wolken getragen, dahinzuschweben schien.

Die Augen des alten Mannes hingen an den Bergen – aber die Indianer erwiderten kein Wort – es war nicht nötig – die Rede Teocuyas hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht. Still, wie sie gekommen, verließen sie den Garten, und der alte Indianer saß noch viele Stunden lang, den Blick fortwährend aus das Riesenbild der Weißen Frau geheftet.

*

Mexiko, die Hauptstadt, strahlte von Tausenden von Lichtern, denn Jubel schallte durch das ganze Land –: Oajaca war genommen, Porfeirio Diaz hatte sich mit der ganzen Schar seiner Getreuen, der Taktik der Franzosen unterliegend, ergeben müssen, und somit schien das letzte Bollwerk jenes starrköpfigen Expräsidenten gefallen und das Kaiserreich in Wirklichkeit eine Wahrheit geworden. Ein längerer Widerstand von Juarez' Seite – wenn er ihn überhaupt hätte leisten können – würde ja auch Wahnsinn gewesen sein. In den äußersten Norden des Reiches hinaufgedrängt, ja vielleicht schon über die Grenze, in das Gebiet der Vereinigten Staaten, geflohen, sah er sich nicht mehr imstande, ein neues Heer zu sammeln, denn es umgab ihn nur eine fast menschenleere Wildnis, und beinahe alle seine Generale waren von ihm abgefallen.

Weshalb auch nicht? Da ihm die Häfen der Ost- und Westküste verloren gingen, verfügte er über gar keine Mittel mehr, mit denen er seine Anhänger hätte belohnen können, und verlangte er etwa, daß ihm diese umsonst dienen sollten, während ihrer drüben im kaiserlichen Lager ein ihrer Würde angemessenes Leben und jede Auszeichnung harrte, die sie sich wünschen konnten.

Ein General des Expräsidenten konnte barfuß laufen – und seine Tortillas im Walde draußen von den Knien essen – ein General des Kaisers bekam eine goldgestickte Uniform, guten Sold und lebte den größten Teil des Jahres in der Hauptstadt – die Wahl war also nicht schwer. Vaterlandsliebe? – Auf welcher Seite lag eigentlich ihr Vaterland? Sie wußten es selber nicht, denn um Politik hatten sie sich noch nie gekümmert, sondern nur immer die Seite genommen, die ihnen den sichersten Erfolg und Aussicht auf Gewinn versprach.

Einzelne tüchtige und ehrenwerte Leute fanden sich ja wohl auch dabei, aber sie verschwanden in der Masse, und wie überhaupt war diese Masse zu Offizieren geworden? Jede neue Regierung (und Gott weiß es, die letzten Jahrzehnte hatten Regierungen genug gesehen, ja es gab Jahre, wo drei verschiedene Präsidenten in einem das Staatsruder ergriffen und – wieder loslassen mußten) hielt es für ihre Pflicht, die Menschen, die ihnen besonders behilflich gewesen waren, durch einen höheren Rang auszuzeichnen, und oft das sämtliche Offizierkorps um einen Grad aufrücken zu lassen.

Es läßt sich denken, daß es zuletzt von solchen Ausgezeichneten schwärmte. Aber alle diese hingen auch nur an dem Erfolg, und, die Sache des Indianers als verloren betrachtend, wandten sie sich mit der größten Bereitwilligkeit dem Kaiserreiche zu.

In dieser Zeit glänzte denn auch der Stern desselben am hellsten, denn nun konnte Maximilian, von seinen äußeren Feinden befreit, mit voller Freiheit an innere Reformen gehen.

Ein Haupthindernis war ihm dabei allerdings noch das drohende Zerwürfnis mit dem heiligen Vater in Rom, doch auch diesem suchte er durch die Gesandtschaft nach Rom zu begegnen, und hoffte außerdem, daß sich dadurch die mexikanische Geistlichkeit werde bewogen finden, in ihrem feindlichen Auftreten innezuhalten und wenigstens erst einmal das Resultat derselben abzuwarten. Aber darin kannte er die Herren doch noch zu wenig, und wie tätig sie schon nach allen Richtungen waren, davon sollte er bald ein Beispiel bekommen, das außerdem noch den von Ramirez geäußerten Verdacht gegen Marquez vollkommen bestätigte.

Oberst Lopez hatte auf der Straße nach dem Westen zu einen Streifzug unternommen, um dort, während französische Truppen die Höhenzüge gegen Cuernavaca absuchten, den Raubanfällen in jenen Gegenden ein Ende zu machen. Seine Mannschaft verteilte er dabei in kleine Trupps, um sich auszudehnen und die verschiedenen Schlupfwinkel der Verbrecher aufzuspüren – freilich ohne Erfolg, denn diese hatten durch ihre zahlreichen Spione schon zeitig genug Kunde bekommen und ihre eigene Haut in Sicherheit gebracht. Nur einen Mönch griff der eine Trupp auf, oder vielmehr einen als Mönch verkleideten Lepero aus der Stadt, den viele der Soldaten kannten, und der sich nun ausweisen sollte, zu welchem Zwecke er sich in jener Gegend in Mönchskleidern herumtreibe. Allerdings hielt man ihn nicht für einen der Räuber, denn er war, wenn auch ein ganz durchtriebener, doch schwächlicher Gesell, sogar mit einem lahmen Arm, aber verdächtig blieb er immer, und, vor Lopez gebracht, befahl dieser, daß man ihn genau durchsuchen solle.

Dabei stellte es sich allerdings heraus, daß der Bursche ziemlich reichlich mit Geld versehen war, sonst aber trug er nichts Verdächtiges, auch keine Waffe bei sich, und nur einen Brief an den dem Kaiser treu ergebenen General Marquez, den er aber sorgfältig in seiner Kutte eingenäht hatte.

Lopez nahm den Brief, betrachtete ihn eine Zeitlang mißtrauisch und brach ihn dann ohne weiteres auf – er wollte jedenfalls sehen, was er enthielt, denn es war eine oft gebrauchte List, verräterische Briefe mit einer ganz falschen Adresse zu versehen, um, wenn sie ja aufgegriffen werden sollten, den Feind irrezuführen. Der Bote dagegen wußte genau, an wen er ihn abzugeben hatte, und konnte selber deshalb keinen Irrtum begehen.

Dieser Brief enthielt nur wenige Zeilen:

»Kommen Sie, unter welchem Vorwande auch immer, so rasch als möglich nach Mexiko zurück – wir brauchen Sie notwendig. An Miramon ist schon geschrieben.

Ihr Freund.«

Der Bote sollte jetzt gestehen, von wem er den Brief erhalten habe, wollte aber nicht, und erst, als ihn Lopez ohne weitere Umstände an einen Baum binden ließ, um ihn zu peitschen, siegte die Angst vor den Schlägen über seine Gewissenhaftigkeit. Er erklärte, daß er den Namen des Absenders nennen wolle, aber nur allein dem Oberst Lopez – niemandem weiter – der könne ihn dann, wenn er es für gut finde, den übrigen mitteilen.

Lopez erfuhr auch den Namen des Absenders, geriet aber dadurch in nicht geringe Verlegenheit. Ließ er den Boten jetzt frei und seinen Brief abgeben, so beging er einen Verrat gegen das Kaiserreich, denn der Bursche nannte ihm den Namen Labastidas – hielt er ihn aber an, und er kehrte unverrichteter Sache nach Mexiko zurück, so hatte er sich selber den mächtigen Erzbischof zum Feind gemacht.

Wenn er den Boten nun erschießen ließ? Aber dann hätte der Bursche auch jedenfalls, ehe das geschehen konnte, seinen Auftraggeber laut genannt, und die Sache wäre nur verschlimmert worden.

Es gab aber einen Ausweg, und den schlug er ein, denn damit erregte er auf der einen Seite keinen Verdruß und deckte sich auf der anderen den Rücken. Er faltete den Brief wieder zusammen, und, ihn dem Boten wieder zurückgebend, versicherte er ihm, da der hochwürdige Erzbischof diese Zeilen abgesandt habe, dürfe er nicht daran denken, ihn zurückzuhalten – er möge mit Gott seinen Auftrag ausrichten! Dann aber, als der Mann, der froh genug war, so davonzukommen, eilig seiner Wege ging, übergab er sein Kommando einem Capitano und ritt selber nach der Hauptstadt zurück, um dem Kaiser persönlich mitzuteilen, welche Botschaft er aufgegriffen und wie er damit gehandelt habe.

Einige Zeit später wurde Labastida durch die Nachricht überrascht, daß General Marquez vom Kaiser zurückberufen und – teils um eine erhaltene Wunde besser und rascher heilen zu können, teils in einer besonderen Mission nach Paris beordert wäre. Der Erzbischof suchte ihn jetzt zurückzuhalten und hatte eine lange und geheime Konferenz mit ihm, Marquez schien aber keine rechte Lust zu haben, oder lockte ihn auch vielleicht die Aussicht, Paris, das in Mexiko als die Hauptstadt der Welt galt, in so ehrenvoller Weise besuchen zu können.

Was sollte er auch jetzt hier – Miramon war nicht da, die Franzosen standen überall als Herren im Lande, Juarez hatte sich vielleicht gar schon über die Grenze gezogen – und etwa selber ein Pronunciamento machen? – Er wußte gut genug, daß ihn die Mexikaner nie im Leben zum Präsidenten nehmen würden, denn zu viel hatte er sich schon gegen sie zuschulden kommen lassen, und wenn ihn der Klerus unterstützte, so fehlten ihm die Soldaten, um damit gegen die überall siegreichen Truppen des Kaisers aufzutreten. Nein, jetzt war keine Zeit und keine Gelegenheit für ihn – vielleicht einmal später, und, dem Wunsch Labastidas direkt entgegen, nahm er die ihm zugedachte Mission nach Paris an und entzog damit dem Klerus auch die letzte militärische Kapazität, auf welche sich dieser im Notfall hätte stützen können.

Indessen ging der Kaiser aber auch ruhig auf der einmal betretenen Bahn vorwärts, denn durch die überall errungenen Erfolge hatte er Vertrauen gewonnen, und selber, von geradem edlen Charakter, glaubte er auch, daß sein neues Reich das anerkennen und unterstützen würde.

Die Gesandtschaft nach Rom ging am 12. Februar 1865 ab, aber Maximilian sah auch ein, daß er nicht ihre von sehr zweifelhaftem Erfolg begleitete Rückkehr abwarten dürfe, ehe er für sein Volk hier handle und dem rechtlosen Zustande, der alles lähmte, ein Ende mache.

Am 26. desselben Monats schon erschienen zwei kaiserliche Dekrete, wonach das eine die römisch-katholische Religion allerdings als Staatsreligion proklamierte, aber auch jedem anderen Glaubensbekenntnis, das sich mit der Moral und Zivilisation vertrug, volle gesetzliche Freiheit gewährte. Das zweite Dekret dagegen verordnete die Revision aller durch die Juarez-Reform-Gesetze hervorgerufenen Verkäufe, da es sich herausgestellt hatte, daß viele Mißbräuche damit getrieben waren; bestimmte aber, daß die gesetzlich eingegangenen Verpflichtungen bei solchen Verkäufen als völlig zu Recht bestehend eingehalten werden sollten.

Damit war auf einmal jener drückende Alp von dem Land genommen, der so lange darauf gelegen, der Klerus aber auch auf das entschiedenste in seine Schranken zurückgewiesen, und alles, was ihm übrigblieb, nur, allein in solchen Protesten gegen solche Maßregeln seinem ohnmächtigen Zorn Luft zu machen. Das ganze mexikanische Episkopat erließ einen solchen in starken Ausdrücken abgefaßten Protest, aber ohne Erfolg – derselbe wurde einfach zu den Akten gelegt. Der päpstliche Nuntius hatte, durch sein schroffes Benehmen hauptsächlich, jeden Boden unter den Füßen verloren und hielt nach diesen Dekreten natürlich auch keinen Verkehr mehr mit der Regierung. Er wurde auch bald darauf von Rom wieder abberufen, denn er sollte nicht mehr Zeuge dessen sein, was in Mexiko wider die Kirche geschah.

Allerdings traf auch in dieser Zeit gerade die Kunde von Nordamerika ein, daß die rebellischen Südstaaten immer mehr an Boden verlören und der blutige Krieg bald siegreich für den Norden beendet sein werde – aber was schadete das! Sobald die wieder zu Atem gekommene Union nur in Mexiko ein fertiges Kaiserreich und die Revolution unterdrückt, das Volk zufrieden fand, so konnte sie nicht feindlich dagegen auftreten, und ob ihr auch eine Monarchie in unmittelbarer Nähe nicht besonders behagen mochte, so ließ sich doch nichts mehr gegen eine vollzogene Tatsache ausrichten.

Merkwürdig hob sich dabei im ganzen Land Handel und Verkehr. Zahlreiche Schiffe liefen in den Häfen ein, die Straße zwischen Vera-Cruz und Mexiko war von Maultierzügen bedeckt, die Zölle lieferten reichliche Einnahmen, die Gasthöfe in der Hauptstadt selber hoben sich, wie noch nie, und da auch gerade in dieser Zeit die ersten Gesandten fremder Mächte, welche das Kaisertum anerkannt hatten, eintrafen, so jagten sich Feste und Bälle in rascher Reihenfolge. Nur der Kaiser ließ sich von den rauschenden Vergnügungen nicht abziehen, sondern suchte ernst und mit sorgendem Fleiß sein schönes Reich durch gute und tüchtige Institutionen aufzubauen.

Schon im Frühjahr wurde als schönstes Werk der Indianische Rat ( consejo de Indios) eingesetzt, und zum Vorsitzenden Faustin Chimalpopoca, ein direkter Nachkomme und echter Azteke, ernannt. Er sollte dazu dienen, das arme, bisher geknechtete Volk der Eingeborenen, das in dem Kaiser seinen Retter sah und mit Recht von ihm Hilfe erhoffte, wieder zu heben und einer höheren Kultur zu gewinnen.

Aber auch den Glanz des Hofes und die Rechte der Krone hatte er als österreichischer Prinz im Auge, und am Jahrestag der Kronannahme, am 10. April, der mit außerordentlichem Glanz gefeiert wurde, erließ er zuerst das sogenannte organische Reichsstatut, worin sich der Kaiser einstweilen die konstituierende und gesetzgebende Gewalt vorbehielt, jedoch die Herstellung einer Volksvertretung für ruhigere Zeiten verhieß. – Erbliche Monarchie, im Falle seines Ablebens Regentschaft seiner Gemahlin.

Dann aber wurde auch ein neuer Orden gestiftet, und zwar für die Frauen, was in damaliger Zeit gerade, wo der Klerus sich besonders hinter diese gesteckt hatte und mit Drohungen und Verheißungen auf sie einzuwirken suchte, nicht unpolitisch genannt werden konnte.

Im Jahre 1863 war schon der von Iturbide gestiftete und in der Republik später wieder begrabene, wenn auch durch Santa Anna einmal aufgefrischte Guadelupe-Orden erneuert und im Januar 1865 ein Orden des mexikanischen Adlers gegründet worden. Diesen Frauenorden, dem heiligen Carlos geweiht, sollte die Kaiserin, unter Beistimmung des Kaisers, an dessen würdige Damen zu verleihen haben, und – lieber Gott – ein klein wenig Eitelkeit steckt ja in uns allen, weshalb nicht auch in einem Frauenherzen. Der Kaiser hätte kein besseres Mittel wählen können, sämtliche Frauen Mexikos, die auch nur die kleinste Anwartschaft auf eine solche Auszeichnung beanspruchen konnten oder beanspruchten – wenn auch nicht gleich seiner Partei vollkommen überzugewinnen, aber sie doch wenigstens schwankend zumachen, und dadurch war in dieser Entwicklungsperiode schon viel – sehr viel gewonnen.

Auch eine Medaille für Zivil- und Kriegsdienst wurde an diesem Tage gestiftet – eine Medaille in Gold, Silber und Bronze für militärische Tapferkeit. Die von Gold und Silber war für die Unteroffiziere und Soldaten bestimmt, die von einfacher Bronze für die Offiziere, und später heftete das Heer die letztere selber seinem Kaiser an die Brust.

Auch eine Amnestie für viele Gefangene, besonders politische Verbrecher, wurde erlassen, und es war in der Tat – mit der Überzeugung, daß jetzt endlich Ruhe und Friede dem ganzen Lande gegeben sei – eins der größten Feste, das die Hauptstadt noch gesehen.

Aber unter dem Bau, den Maximilian in einem fast verwilderten Lande zu errichten suchte, wühlte die Partei der sogenannten »Schwarzen«, der Klerikalen, und bedachte dabei nicht, daß der Zusammensturz desselben auch sie unter seinen Trümmern begraben könne.


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