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Der Überfall.

Gegen Mittag etwa sahen sie, in einem ziemlich tief eingeschnittenen Weg hinfahrend, der sich am linken Hang eines Hügels hinzog, eine kleine Gruppe von Häusern und überholten, dicht vor denselben, einen wunderlichen Zug von Frauen, die mit Töpfen und anderen Gefäßen, viele dabei ihre Kinder an der Hand, auf der Wanderschaft schienen.

»Was ist das?« fragten die französischen Offiziere den Kutscher oben – »was sind das für Frauen?«

» La soldadera!« lachte dieser, indem er schärfer auf seine Maultiere einhieb, denn es schien bei ihm Ehrensache, die nächste Station immer in einem vollen Karriere zu erreichen.

» La soldadera? Caramba,« lachte der eine – »was bedeutet das? Ihr habt doch hier nicht etwa Amazonen?« Aber der Kutscher hielt es nicht mehr der Mühe wert, zu antworten; seine Tiere nahmen auch in der Tat jetzt bei einer scharfen Biegung des Weges seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und etwa noch fünf Minuten später, nachdem sie den Frauenzug, der vielleicht aus zwanzig Individuen bestand, passiert hatten, erreichten sie die ersten Gebäude der sogenannten Guarda oder Wache, wie der Ort genannt wurde, und gleich darauf das Stationsgebäude, das sich übrigens von den anderen ebenso ärmlichen Hütten auch in gar nichts unterschied. Dicht daneben aber, auf einem freien, doch nicht etwa durch Kunst angelegten, sondern nur durch die »Kunst« offengelassenen Platz, der sonst noch der vollen Wildnis angehörte, lagerte eine mexikanische Soldatentruppe, die aber ziemlich ordentlich und anständig aussah.

» La escolta« sagte der Kutscher, als er mit dem Stiel seiner Peitsche dorthinüber zeigte, und mit der anderen Hand und mit Zuruf die Tiere nach und nach zum Stehen brachte.

»Aber zu Fuß?« riefen die Franzosen – »wie wollen sie Schritt mit uns halten, wenn sie uns begleiten sollen?«

Der Kutscher zuckte nur mit den Achseln; er schien auch selber nicht besonders auf ihre Hilfe zu rechnen, und sich überhaupt nicht um sie zu bekümmern, sondern beschäftigte sich einzig und allein mit seinen Tieren – was gingen ihn die Passagiere an – noch dazu Franzosen.

Hier wurde etwa 15 Minuten angehalten, um den Reisenden Zeit zu geben, etwas zu genießen, und vielversprechend war dazu das Äußere des Hotels, das aus nichts als einer gewöhnlichen Reisighütte bestand, wahrlich nicht. Es leistete aber trotzdem mehr, als es versprach, denn wenige Minuten später dampfte schon auf dem Tisch ein recht gutes und reichliches Mahl von Reis, gekochten Hühnern und Eiern, wozu große Gefäße mit Pulque gegeben wurden – Tischgerät aber, außer ein paar Tellern und zwei Löffeln, gab es gar keins, und wer von den Passagieren das seinige nicht bei sich führte, mochte sehen, wie er am besten damit fertig wurde.

Lange Zeit wurde ihnen außerdem nicht gelassen, denn der Kutscher drängte zur Abfahrt, um Cuernavaca zeitig zu erreichen und dort dann den Nachmittag für sich frei zu haben, und nur die Franzosen, die ihre Mahlzeiten am frühesten beendet hatten, schlenderten noch einen Augenblick hinaus auf den Platz, um sich die dort lagernden Soldaten etwas näher zu betrachten.

In jedem anderen Lande der Welt wäre es nun auch wohl Sitte gewesen, daß die Soldaten da draußen die in Uniform befindlichen Offiziere begrüßt hätten, aber es nahm kein Mensch auch nur Notiz von ihnen, selbst nicht der Offizier oder Führer der Schar, ein blutjunger Bursch. Dieser lag, müde geworden, im Schatten des nächsten Hauses und erwartete wahrscheinlich die Abfahrt der Diligencia, um dann selber in die »Post« zu gehen und an den Überresten zu dinieren. Desto pittoresker war aber dafür das ganze Bild, das sich ihnen hier bot, und an solche Gleichgültigkeit ihrer jetzigen »Bundesgenossen« schon gewöhnt, beobachteten die jungen französischen Offiziere lächelnd das vor ihnen ausgebreitete Schauspiel, oder vielmehr eine wirkliche Kette von lebenden und oft höchst pikanten Bildern.

Die Frauen nämlich, die sie kurz vorher an der Straße überholt, waren die Frauen der die Escolta oder Eskorte bildenden Soldaten, die ihren Gatten oder Geliebten überallhin folgen, selbst zuweilen in die wirkliche Schlacht, und gar nicht so selten etwa an ihrer Seite auch von einer Kugel getroffen werden. Mexikanische Soldaten würden aber gar nicht daran denken, ohne ihre Frauen in das Feld zu ziehen, denn wer sollte für sie kochen und ihnen manche ihrer kleinen und allerdings bescheidenen Bedürfnisse nachtragen? Die Heerführer mußten das auch ruhig gestatten, denn so geduldig und fügsam der mexikanische Soldat sonst ist, ein Verbieten eines solchen Gefolges würde ihn augenblicklich entweder zum Revoltieren oder doch jedenfalls zum Desertieren treiben.

Die Soldaten lagen hier nun, von ihrem Marsch rastend, und warteten geduldig, bis ihre schönere Hälfte mit der Mahlzeit käme. Die Frauen dagegen hatten schon an mehreren Orten ein Feuer angezündet und die mitgebrachten Töpfe mit Essen beigesetzt, und benützten die Zwischenzeit nur teils dazu, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen, oder auch mit dem Ehegemahl zu plaudern, der jetzt für kurze Zeit von seinem strengen Dienst befreit war.

Die Soldaten gehörten fast sämtlich dem indianischen Stamm an; einige, mit noch etwas dunklerer Färbung, vielleicht den Sambos. Weiße gab es gar nicht unter ihnen, kaum hier und da einen, der sich vielleicht zu den Mestizen rechnen konnte – selbst der Offizier war rein indianischer Abkunft, und die Frauen natürlich sämtlich ebenfalls. Übrigens fanden sich unter diesen wirklich reizende Gestalten mit ihrer Samthaut, ihren dunklen Rehaugen und dem schwermütig Weichen in ihrem ganzen Wesen. Dabei ertrugen sie die größten Beschwerden, ohne je zu klagen, litten nicht selten selbst den furchtbarsten Mangel, und fürchteten auch keine Gefahr, sobald sie das Leben ihres Gatten selber bedroht wußten. – Arme Wesen! Die Natur hatte sie für eine stille, sorgende Häuslichkeit bestimmt, und das Schicksal warf sie hinaus, mitten in das blutige Ringen der Gegenwart.

Die jungen Franzosen wünschten allerdings sehr, mit ihnen ein Gespräch anzuknüpfen, und hatten sich schon an ein paar der jüngeren gewandt, aber wo sie sich ihnen nur näherten, wichen sie scheu zurück und zwischen die Soldaten hinein, und da diese lachten und den Fremden dabei gerade keine besonders wohlwollenden Blicke zuwarfen, hielten es diese doch für geraten, sich zurückzuhalten, und waren vielleicht nicht böse darüber, daß sie gerade jetzt von dem Kutscher zur Weiterfahrt angerufen wurden.

Die übrigen Passagiere saßen schon wieder auf ihre verschiedenen Sitze eingepackt, und kaum hatten die beiden ihre Plätze eingenommen und eben nur Zeit bekommen, um sich festzuhalten, als der Kutscher das gewöhnliche Zeichen gab und die Diligence wie ein Wetter über die Steine dahinrasselte.

Von hier aus ging es noch eine kurze Strecke leicht bergan, dann aber, als sie die höchste Kuppe erreicht, senkte sich der Weg allmählich zu Tal, und jetzt zwar durch eine Schlucht, die so mit Staub gefüllt lag, daß der Kutscher, der vielen Löcher im Wege sich bewußt, die frühere Regen gewaschen und in die er nicht einfahren durfte, wenn er den Wagen nicht umwerfen und selber vielleicht dabei den Hals brechen wollte, ein paarmal die Tiere einzügeln und vollkommen stillhalten mußte. So eingehüllt standen sie dabei in eine Staubwolke, daß man vom Bock aus nicht einmal mehr die vorderen Maultiere erkennen konnte, und erst, wenn diese Staubwand langsam zur Seite zog, durfte er es wagen, weiterzufahren.

Dieser Weg dauerte aber nicht so lange, denn sie näherten sich dem Abhang, wo die Waldung begann, meist Nadelholz, aber auch dichtes Gebüsch, was die Straße schon länger feucht und dadurch hart gehalten hatte; hier gab es deshalb auch wenig oder gar keinen Staub, und sie konnten ihre Bahn frei übersehen. Aber hier schien der Kutscher auch unruhig zu werden und weniger als sonst auf seine Tiere zu achten, denn fortwährend warf er den Blick bald rechts, bald links hinüber in den Busch. Er begann auch mit seinem Compannero auf dem Bock ein halblautes Gespräch, in das sich aber zahlreiche Carachos einflochten – ein Zeichen, daß er entweder sehr vergnügt sei oder sich nicht recht behaglich fühle.

Der eine Offizier indessen, der ein paar Worte von der Unterredung und besonders den Ausdruck »Ladrones« aufgeschnappt, bog sich zu ihm und sagte:

»Hallo, Compannero! Gibt es Ladrones (Räuber) in dieser Nachbarschaft? Der Platz würde sich allerdings vortrefflich dazu eignen.«

» Si – hay« meinte der Kutscher trocken; »ist auch hier eigentlich ein Lieblingsplätzchen von ihnen – besonders noch ein kleines Stück voraus in den Penuelos, und die verdammte Eskorte hätte sich wohl ein wenig dazuhalten und hier gerade Mittag machen können – aber was kümmert sich das faule Gesindel um die Post.«

»Also aufgepaßt!« lachte der andere, »von hier oben aus können wir die Büsche prächtig übersehen und haben einen weiten Blick in den Wald hinein. Wenn sie erst ordentlich gepfeffert werden, suchen sie nachher schon das Weite.«

Der Kutscher brummte etwas in den Bart, schien aber doch durch die Versicherung nicht hinlänglich beruhigt, um in seiner eigenen Aufmerksamkeit nachzulassen. Die Maultiere fühlten auch, trotz des hier ziemlich schräg abfallenden Weges, die Peitsche, die Kutsche wurde nur durch vorgedrückte Holzschuhe etwas eingehemmt, und fort ging es in wilder Flucht den Hang hinab.

Die Offiziere hatten sich indessen dahin geeinigt, der eine die rechte, der andere die linke Seite des Waldes fest im Auge zu behalten und bei dem geringsten Verdächtigen, das er sehen würde, den Alarm zu geben; sie brauchten dann die Köpfe nicht hinüber und herüber zu wenden. Aber der Wald lag wie ausgestorben; nicht einen Vogel sahen oder hörten sie, und nur das Geräusch, das der polternde Wagen machte, dröhnte durch die Wildnis.

Hier bog sich der Weg etwas nach rechts hin um, an einer etwa sechzehn Fuß hohen Lehmbank vorüber, links trat hoher Baumwuchs mit birkenartigem Unterholz auf, das sich nach dem Weg hinüberneigte und dichter stand, als sie es bis jetzt gefunden. Des Kutschers Augen hafteten mißtrauisch an der Stelle, und unwillkürlich entrang sich seinen Lippen ein leise geflüstertes » Cuidado!«

»Was ist das da rechts für ein Kreuz am Weg?« fragte der eine Offizier, »hat es irgendeine Bedeutung?«

Der Kutscher antwortete ihm nicht, die Peitsche zurückgesteckt, hatte er mit beiden Händen die Zügel seiner Tiere gefaßt, um, wenn es nötig werden sollte, im Moment auch jedes einzelne in der Gewalt zu haben. Die Abdachung im Weg war hier kaum merklich, und die Maultiere behielten freie Bahn. Da – gerade als sie unmittelbar an der Dichtung vorüber wollten, fiel ein Schuß, und die Offiziere stießen einen Schrei aus. – Aber der Kutscher achtete gar nicht darauf, denn vor ihnen, auf etwa zwanzig Schritt Entfernung, sprangen sechs oder sieben, mit Gewehren bewaffnete Männer in den Weg – wieder ein Schuß, und das Satteltier, das an der Deichsel ging, brach zusammen. Im nächsten Moment schon rannte das linke Rad des Postwagens dagegen, die Kutsche erhielt einen furchtbaren Ruck, und aus dem Innern heraus erschallte gellendes Wehgeschrei der Frauen.

Der eine Offizier hatte seinen Revolver gehoben und auf eine Gestalt schießen wollen, die er links, dicht im Gebüsch, mit dem Gewehr im Anschlag bemerkte – der Ruck des Wagens aber warf ihn völlig aus dem Gleichgewicht – er mußte mit beiden Händen zugreifen, um nicht von oben herab und zwischen die Tiere geschleudert zu werden. Wieder ein Schuß – der Revolver entfiel seiner Hand – er selber fuhr empor und blickte wild umher – wieder das Reißen an dem Fuhrwerk der rasend gewordenen Tiere, die sich mit Schlagen und Springen in den Strängen verwickelt hatten. Eine kurze Strecke noch zerrten sie trotzdem das gestürzte Maultier mit fort und die Kutsche dadurch quer über den Weg – der junge Offizier wollte nach dem Geländer seines Sitzes greifen, aber er fühlte es nicht mehr – seine Hand tappte nach vorn, ins Leere, und im nächsten Moment stürzte er, mit dem Kopf voran, von seinem hohen Sitz herab und seitwärts auf die Straße nieder.

»Caracho!« stöhnte der Kutscher, der gleich bei dem ersten Schuß von seinem Sitz nieder und vor das Fußbrett geglitten war, denn er wußte aus Erfahrung, daß die Räuber, wenn sie überhaupt im Hinterhalt lagen, stets auf die oben befindlichen und bewaffneten Passagiere schossen. – »Schurken verdammte,« knurrte er dabei vor sich hin, als er einen Blick über den traurigen Zustand seines Gespanns warf, »ist das eine Manier? – So bin ich ja in meinem ganzen Leben noch nicht behandelt worden.«

Einesteils hatte er recht, denn gewöhnlich sprangen die Räuber, die eine Diligence anhalten wollten, eine größere Strecke voraus in die Straße und riefen ihr »Halto!« wonach dann der Kutscher vollkommen Zeit bekam, seine Tiere einzuzügeln und in Ordnung zu halten. Daß sie nachher den Postwagen plünderten, ging ihn nichts an; er hatte nichts damit zu tun und keinen Schaden dabei, und waren sie fertig, so fuhr er weiter und kam nur höchstens eine Stunde später als gewöhnlich auf der Station an. Heute aber schien rein der Teufel zwischen sie gefahren; eins seiner Tiere hatten sie totgeschossen, ein anderes schien ebenfalls verwundet zu sein, einem hatte eins der Vordertiere ein Bein zerschlagen, und das ganze Gespann war zu einem vollkommenen Knäuel zusammengewirrt, den er nicht wieder auseinander bekommen konnte, wenn er nicht sämtliche Stränge zerschnitt – und was dann? – Wann kam er dann nach Cuernavaca? – und noch einmal »Caracho!«

Die Banditen nahmen indessen gar keine Notiz von dem Kutscher, denn daß sie von dem sowohl wie von seinem Assistenten nichts zu fürchten hatten, wußten sie gut genug. Diese Leute passierten die nämliche Straße jede Woche ein paarmal und durften deshalb gar nicht daran denken, feindlich gegen die Strolche aufzutreten – waren sie doch froh, wenn man ihnen selber nichts zuleide tat.

Übrigens stellte sich heraus, daß die Bande gar nicht so stark war, wie man anfangs vermutete. Außer den sechsen, die den Weg versperrten, waren es noch zwei, die sich in die Büsche postiert gehabt und von dort ihr tödliches Feuer abgaben. Diese traten auch ganz keck hervor, und mit angelegten Gewehren, die vielleicht nicht einmal mehr geladen waren, riefen sie den Passagieren zu, auszusteigen und sich neben dem Wagen aufzustellen, oder sie würden ein paar Ladungen Rehposten zwischen sie senden, die ihnen bald auf die Füße helfen sollten.

Tromme, der einen kleinen Revolver in der Tasche führte, sah sich nach seinen Gefährten um, aber er fand bald, daß hier an Widerstand gar nicht zu denken war. Allerdings begriff er nicht, weshalb die französischen Offiziere, die vorhin das große Wort gehabt, so gar nichts von sich hören ließen, aber er allein konnte mit seiner unbedeutenden Waffe den ganzen Wagen auch nicht verteidigen, und da er von allen übrigen wahrscheinlich am wenigsten zu verlieren hatte, sah er auch nicht ein, weshalb er da gerade seinen Heldenmut zeigen solle. Die Mexikaner waren schon, dem Befehl folgend, auf das geduldigste ausgestiegen – ebenso die Frauen, jetzt folgte er ihnen, und wenige Minuten später fanden sie sich den Raubgesellen gegenüber, von denen die sechs Mann, welche vorn standen, auf sie zukamen und im halben Anschlag liegen blieben, während die beiden ersteren so wenig für ihre Sicherheit mehr zu fürchten schienen, daß sie sogar ihre Gewehre an einen Baum lehnten.

Diese beiden, besonders der eine, waren, wenn auch in der gewöhnlichen mexikanischen Tracht, doch sehr anständig gekleidet. Der Wortführer trug sogar Glacéhandschuhe und feine, sehr zierlich gearbeitete Stiefel, die jedenfalls aus einem der französischen Läden in Mexiko stammten. Diese beiden hielten ihre Gesichter aber mit einer kleinen Maske verdeckt, also fürchteten sie jedenfalls erkannt zu werden, und stammten möglicherweise auch aus der Nachbarschaft. Die anderen glichen aufgelesenen Strolchen, die man wahrscheinlich zu dem ganzen Überfall gemietet hatte. Sie spielten eine sehr untergeordnete Rolle und dienten, mit ihren Gewehren im Anschlag, auch nur dazu, um die Reisenden in Furcht zu halten, damit sie keinen Widerstand wagten. Sie sahen schmutzig und abgerissen genug aus, gehörten aber eigentümlicherweise nicht der rein indianischen Rasse an, sondern schienen weit eher, wenn auch gemischt, doch weißes Blut in den Adern zu haben.

Der Sennor Ladrone mit den Glacéhandschuhen trat jetzt vor, und mit vollkommen graziösem Anstand einen mit Silber eingelegten und mit Elfenbeingriff versehenen Revolver aus dem Gürtel ziehend, sagte er, indem er leicht seinen Hut gegen die Damen lüftete:

»Caballeros, Sennoritas, ich würde unendlich bedauern, Ihnen ein Leid zufügen zu müssen, denn wir Mexikaner sollten nicht gegeneinander kämpfen, solange wir einen gemeinsamen Feind – die Fremden – in unserem Lande haben, aber wir sind gezwungen, die Diligence nachzusehen, da wir sichere Kunde haben, daß sich kaiserliches Geld darin befindet – kaiserlich nämlich, soweit es aus unserem Lande gestohlen wurde, während es von Gott und Rechts wegen unser Eigentum ist. Ich bitte Sie deshalb dringend, sich nicht im geringsten zu widersetzen, oder meine Leute dort haben gemessenen Befehl, auf Sie zu feuern. Verhalten Sie sich dagegen vollkommen ruhig, so gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß Ihnen persönlich kein Leid geschehen soll.«

Die Worte klangen ernst, aber die Laute der Stimme dabei so artig und zuvorkommend, als ob er die Herrschaften nur zu einer Tasse Schokolade oder Tee eingeladen habe, und er spielte auch eigentlich mehr mit dem Coltschen Revolver in seiner Hand, als daß er ihn drohend gegen irgendwer: gerichtet hätte. Übrigens wußte er recht gut, daß sie nicht viel Zeit versäumen durften, denn die Nähe der Eskorte war für diese Burschen wohl kaum ein Geheimnis. Den Kutscher-Assistenten herbeirufend, bedeutete er ihm auch mit wenigen Worten, den hinten an der Kutsche angebrachten Verschlag zu öffnen und sämtliches Gepäck auf die Straße zu ziehen. Eine Bewegung mit der Waffe zeigte dem Mann dabei, was er zu gewärtigen habe, sobald er sich störrisch benehme. Der aber dachte an gar keine Weigerung; was ging ihn das Gepäck an – er war nicht dafür verantwortlich, und wenn die Passagiere selber ruhig dabeistanden und es geschehen ließen, so sah er für sich nicht den geringsten Grund, diesem Befehl auch nur zu widersprechen. Rasch hatte er den Schlüssel herbeigeschafft, wenige Minuten später riß er schon mit dem größten Eifer die verschiedenen Koffer, Kästchen, Schachteln und Reisestücke auf die Straße heraus und stellte sie dort in einer langen Reihe auf.

Der Gefährte des Räubers, der etwa um einen halben Kopf größer sein mochte als er, aber ebenfalls sein Gesicht mit einer Maske bedeckt trug, zeigte nur eine etwas dunklere Hautfarbe und hielt sich dabei still, aber vornehm zurück. Er hatte noch kein Wort gesprochen, aber – seinen Revolver in der Hand – winkte er jetzt zwei seiner Leute herbei und hieß sie ganz ruhig die Herren visitieren, die er dann mit trockenen Worten aufforderte, herauszugeben, was sie an Geld oder Wertsachen bei sich hätten.

»Compannero,« rief er dabei seinem anderen Gefährten zu, »überwache du einmal dies Geschäft, indes ich nach jenen Gepäckstücken sehe – der erste, der sich widersetzt, bekommt eine Kugel durch den Kopf.«

Dieser schien der Anführer der Bande zu sein; er sprach wenigstens, als ob er keine Widerrede gestatte, und die übrigen gehorchten ihm schweigend.

Der Kutscher hatte sich indes mit den Maultieren beschäftigt und dabei nur einmal im Vorbeigehen einen Blick auf den vom Wagen gestürzten jungen Franzosen geworfen – aber auch nur einen Blick, denn er war tot – und der andere? – Er lag oben über den Sitz gebeugt und mußte jedenfalls schwer verwundet sein, denn er rührte sich nicht mehr – aber was konnte e r dabei tun? Er war nicht imstande, ihm zu helfen, und hatte auch jetzt mit seinen Tieren so viel zu schaffen, daß ihm keine Zeit für andere Gedanken blieb.

»Caballeros,« sagte indes der Bursche, dem das eigentliche Ausrauben übertragen worden, mit der größten Artigkeit, indem er jetzt aber den Revolver schußfertig vorhielt – »vor allen Dingen ersuche ich Sie um Abgabe Ihrer Waffen – halt!« rief er aber, als Tromme in seine Tasche greifen wollte, – »keine Bewegung, Sennor, oder Sie sind eine Leiche. Ihre Revolver werde ich mir vor allen Dingen selber nehmen,« und die eigene Waffe gespannt in der Hand, trat er auf ihn zu, befühlte ihn mit der linken Hand und fand bald, was er suchte.

»Die anderen Herren haben gar keine Schießwaffen?«

»Ich noch,« sagte der eine Mexikaner, »ich habe zwei Revolver.«

»Sehr schön,« – nickte der Bandit – »im Gürtel?«

»Nein, in beiden Brusttaschen.«

Die Untersuchung ergab, daß er wahr gesprochen. – »Die anderen Herren also nicht mehr?« fragte er noch weiter – keine Antwort erfolgte – »sehr schön,« fuhr der »Herr der Straße« dann freundlich fort, »dann ersuche ich Sie, Caballeros wie Sennoritas, alles, was Sie an Geld oder Wertsachen bei sich führen sollten, vor sich auf die Erde niederzulegen – aber alles, verstehen Sie mich? Bei wem nachher noch etwas gefunden wird, den binden wir an einen Baum und lassen seinen Rücken für die Mühe bezahlen, die er uns gemacht hat. Sie haben mich doch genau verstanden?«

»Caramba, Sennor,« sagte der eine Mexikaner mit einem etwas verunglückten Lachen. »Sie drücken sich vollkommen deutlich und in gutem Mexikanisch aus, und was ich bei mir habe, steht Ihnen gern zu Diensten,« damit griff er in seine Taschen, aus denen er aber nur etwa vier oder fünf Silberdollars hervorbrachte, und legte sie vor sich auf die Erde nieder.

»Hören Sie, Tromme,« flüsterte Herr von Belchmeier, der totenbleich geworden war, dem neben ihm stehenden Gefährten zu, »Sie verstehen die verdammte Sprache dieser Schufte, sagen Sie ihnen doch, daß ich kaiserlicher Beamter wäre, und daß der Kaiser –«

»Wollen Sie gehangen werden, Herr von Belchmeier?« unterbrach ihn aber Tromme, »dann erwähnen Sie derartiges. Sehen Sie denn nicht, daß diese Schufte zu den Liberalen gehören? Auf die beiden französischen Offiziere haben sie schon geschossen, und sobald sie erführen, daß wir beide in kaiserlichen Diensten ständen, könnten wir uns auf ein ähnliches Schicksal gefaßt machen. – Hier hilft es nichts,« setzte er dann hinzu, indem er in die Tasche griff und ein paar dort steckende Reale zusammensuchte – es war das ganze bare Geld, das er bei sich führte, »und wir müssen schon gute Miene zum bösen Spiel machen.«

»Ach du lieber Gott!« stöhnte Herr Belchmeier, »und die Kette allein hier kostet mich vier mexikanische Unzen.«

Die Mexikaner waren indessen den übrigen schon mit einem guten Beispiel vorangegangen und hatten, vollkommen bereitwillig, ihre Taschen ausgeleert, aber trotzdem war die Summe, die sie dabei zusammenbrachten, nur eine sehr geringe. Schon auf derlei Überfälle vorbereitet, nahmen sie wohl Wechsel, aber nie Bargeld mit, wenn sie auf eine Reise gingen, und die Raubgesellen schienen das auch zu wissen und nicht besonders viel auf sie zu rechnen.

Herr von Belchmeier hielt aber noch immer zurück; er konnte sich nicht dazu entschließen, dem Befehl zu willfahren und seinen Schmuck, auf den er alles hielt, abzulegen. Der Verlarvte aber, der jetzt vor ihm stand, lachte und sagte endlich, indem er den Revolver wie halb spielend, aber in sehr gefährlicher Richtung gegen ihn wandte: »Soll ich Ihnen vielleicht helfen?«

Belchmeier verstand die Worte nicht, aber desto besser die Bewegung der Waffe – er konnte überhaupt kein Schießgewehr leiden. Er fing auch an, seine Taschen auszuräumen, aber doch vorsichtig, und als er einige Unzen zum Vorschein gebracht, hörte er damit auf.

»Welche Zeit haben wir, Sennor?« fragte ihn der Verlarvte.

»Was sagt er?«

»Er fragte Sie, welche Zeit wir haben,« meinte Tromme, der sich über die Not seines ihm überdies verhaßten Vorgesetzten amüsierte.

Belchmeier sah bereitwillig nach; es war ein schöner, goldener Chronometer – »gerade ein Uhr, Sennor« – und damit wollte er seine Uhr ganz harmlos wieder in die Tasche stecken.

»O Felipe!« rief da der Verlarvte einem der Leute zu, »hilf doch einmal dem dicken Herrn hier sein Metall ablegen; er stellt sich außerordentlich ungeschickt dabei an; aber ein wenig rasch!«

Der also angerufene Bursche sprang sehr bereitwillig hinzu, legte sein Gewehr neben sich auf die Erde und riß jetzt ohne weiteres dem zum Tode Geängstigten die goldene Kette mit der Uhr ab, zog ihm die Tuchnadel heraus und wollte ihm die Ringe abstreifen, die aber in den Fettfingern so fest saßen, daß er sie nicht herunterbekommen konnte.

»Werden ihm die Finger abschneiden müssen, Sennor!« rief der Räuber dabei den Verlarvten an.

Dieser zuckte nur mit den Achseln. »Wenn du sie nicht anders bekommen kannst!«

Herr von Belchmeier hatte noch keine Ahnung, welcher furchtbaren Gefahr er ausgesetzt war, und der herzlose Bube zog schon wirklich sein langes und scharfes Messer aus dem Gürtel, als das junge Mädchen, das bis jetzt mit den übrigen Frauen seitwärts gestanden und den Rebozo um ihr Antlitz geschlagen gehabt, von Mitleid und Entsetzen getrieben, vorsprang und ausrief:

»Um der heiligen Jungfrau willen, Sennor, begeht nicht so Furchtbares I Alles was ich bei mir habe, will ich Ihnen ja gern geben.«

Der Rebozo war von ihren Schultern gefallen und enthüllte die in Aufregung und Angst erglühenden, wirklich bildschönen Züge der jungen Sennorita, und der Verlarvte, von ihrem Anblick überrascht, rief aus:

»Caramba Sennorita, der Fleischklumpen da hat eine reizende Fürsprecherin für sich gefunden. Ist es Ihr Vater?«

»Nein,« sagte das junge Mädchen, scheu zurücktretend, »ich kenne den Herrn gar nicht – er ist mir völlig fremd, aber um der Mutter Gottes willen, führen Sie das Furchtbare nicht aus!«

Der Verlarvte wandte kein Auge von ihr ab. » Santisima,« sagte er, »wie hübsch Sie sind, Sennorita – darf ich Ihren Namen wissen?«

»Und weshalb?« fragte die junge Dame, während hohe Röte ihre Wangen färbte – » wir dürfen uns doch im Leben nicht wieder begegnen.«

» Quien sabe – Ihren Namen, wenn ich bitten darf.«

»Ich würde Ihnen doch nur einen falschen nennen,« erwiderte ihm aber die junge Schöne, indem ihre Lippen rasch und fast verächtlich zuckten.

»Und doch verlangen Sie eine Gefälligkeit von mir? Nur unter – ha!« rief er und fuhr zurück, denn in dem Moment traf ihn eine Kugel am Kinn, oder streifte vielmehr nur von oben herab seinen rechten Mundwinkel bis zum unteren Kinnbacken nieder, zu gleicher Zeit dröhnte der Schutz, und unmittelbar darauf folgte ihm ein zweiter aus denselben Rohren, der jedoch sein Ziel gänzlich fehlte.

Es war der junge, unglückliche Offizier, der von dem ersten erhaltenen Schutz wie betäubt zusammengebrochen. Da aber niemand von ihm weiter Notiz genommen, war er langsam wieder zu sich gekommen und feuerte jetzt, sich schwer verwundet fühlend, mit der letzten Kraft noch seine Waffe auf den Banditen da unten ab. Aber er kam nicht zum dritten Schuß, denn aus zwei Gewehren knallte es zu gleicher Zeit – die Waffe entfiel seiner Hand, und oben auf dem Verdeck des Wagens sank er tot zusammen.

Der Führer der Schar war indessen, den Revolver in der Hand, vorgesprungen, übersah aber mit einem Blick, wie die Sachen standen, und hatte auch rasch seine Dispositionen getroffen.

»Caracho Compannero, bist du noch nicht mit der Gesellschaft fertig?« rief er zornig seinen jüngeren Begleiter an, »was gibt's noch?«

» El gordo (der Dicke) da,« rief dieser, indem er ein weißes Taschentuch herausnahm und gegen sein Kinn hielt, um das Bluten der leichten Wunde zu verhindern – von dem Angriff selber wurde gar nicht weiter gesprochen – »hat eine Menge wertvolle Ringe an seinen dicken Fingern, und wir können sie nicht herunterbekommen.«

»Da ist eine Zange,« rief der Führer, der auf solche Fälle vorbereitet schien und eine kleine scharfe Kneipzange, wie sie die Goldschmiede brauchen, dem einen Burschen zuwarf – »aber nur rasch – ich habe gefunden, was wir suchten.«

»Das Gold?« rief der jüngere Verlarvte rasch.

»Gewiß,« lachte der erste wieder – »unser Kundschafter hatte recht und die zwanzig Unzen ehrlich verdient. Hat der Dicke kein Geld weiter bei sich?«

»Er sagt nein.«

» Veremos!« nickte der Führer und hatte kaum die Hände an dessen Taschen gelegt, als er auch schon die verheimlichten Unzen darin fühlte.

»Caracho! Seht da!« rief er aus – »Schuft, willst du uns betrügen? Sechs, acht, zehn – zwölf Unzen noch – nehmt ihm die Ringe ab und gebt ihm dann ein Andenken, daß er sich unser noch einige Zeit freundlich erinnert. Und jetzt zwei Maultiere her – rasch – schirrt sie aus – wir brauchen sie zum Transport.«

» Pero Sennor« bat der Kutscher mit einer wahren Jammermiene – »zwei von den Tieren haben Sie mir erschossen, einem ist das Bein zerschlagen, zwei wollen Sie jetzt noch nehmen, wie bringe ich denn meine Passagiere nach Cuernavaca? Haben Sie Mitleiden mit einem armen Teufel!«

»Es bleiben dir immer noch drei,« sagte der Führer, sich ruhig von ihm abwendend, »und der Weg zieht sich von hier an fast die ganze Strecke zu Tal. Wo es nicht geht, mögen die Passagiere zu Fuß gehen; die Bewegung wird ihnen Appetit zum Mittagessen machen.«

» Si Sennor,« sagte der eine Mexikaner, »das wird sie allerdings, aber Sie haben uns nicht einmal so viel gelassen, daß wir ein Mittagessen damit bezahlen können.«

» Amigo,« sagte der Räuber gutmütig, »daran hab' ich wahrhaftig gar nicht gedacht, aber das läßt sich noch verbessern – hier – wieviel seid ihr – vier, fünf, sechs – da hast du sechs Dollars – einen für jeden von euch, und da bleiben euch noch gerade ein paar Reale, um vier Glas auf meine Gesundheit zu leeren. Apropos, Compannero – sind die Frauen visitiert?«

»Wollen wir es den Damen nicht schenken?« fragte sein Begleiter.

» Caracho no – weshalb? – Alles zählt – aber laß sie meinetwegen nur hergeben, was sie entbehren können. Wir haben diesmal Beute genug gemacht, und dann fort.«

»Sennoritas,« sagte der junge Verlarvte, indem er sich an die beiden älteren Frauen wandte, »Sie haben gehört, wie der Befehl lautete, und ich bitte, sich freundlich dem zu fügen. Ich werde nicht sehr streng mit Ihnen sein.«

Die beiden Frauen griffen hastig in ihre Taschen – sie hatten gar nicht erwartet, so gut wegzukommen, und die eine langte zwei, die andere drei Dollars vor, die der Räuber lachend nahm.

»Und Sie, Sennorita,« wandte er sich jetzt an die Jüngere, »Sie wollen mir nicht Ihren Namen nennen? Aber dürfte ich Sie vielleicht um ein kleines Andenken dieser – für mich wenigstens glücklichen Stunde bitten?«

Die junge Dame öffnete ohne weiteres eine kleine Ledertasche, die sie in der Hand trug, und nahm drei Unzen, die sie dem Verlarvten reichte. Dieser aber trat, mit der Hand abwehrend, einen halben Schritt zurück und sagte kopfschüttelnd:

» Por Dios Sennorita! Nein, so war es nicht gemeint – in einer solchen Art sollen Sie nicht an mich denken. Wir sind keine gewöhnlichen Räuber hier, sondern Männer, die sich dem Drucke der Fremdherrschaft nicht fügen wollen, und entschlossen zusammenstehen, ihr Trotz zu bieten und sie zu schädigen, wo wir nur irgend können. Unser Angriff galt nur dem Golde, das, wie wir erfuhren, der Kaiser nach Cuernavaca senden will.«

»Und was Sie sonst geplündert? – Das Blut, das Sie vergossen?« sagte das junge Mädchen, und ihr Blick haftete kalt und streng an den unter der Maske hervorblitzenden Augen des Räubers.

»Franzosen,« sagte dieser mit einem nur halb unterdrückten Fluch, »wenn wir sie alle so vernichten könnten, denn ganze Ströme mexikanischen Blutes kleben an ihren Händen. – Aber die Zeit ist zu gemessen, Sennorita,« setzte er in einem leicht ironischen Ton hinzu, »um sie hier mit einem politischen Gespräch zu vergeuden. – Ich habe Sie um ein Andenken gebeten und werde Sie dann nicht weiter belästigen – darauf muß ich aber fest bestehen. Um einen Ring ersuche ich Sie. – Caramba, ich glaube doch, Sie dürfen mir noch dankbar sein, daß ich – eben nicht mehr verlange. – Das Zögern nützt Ihnen nichts – ich habe es mir nun einmal fest in den Kopf gesetzt, einen Ring von Ihnen zu tragen.«

Das junge Mädchen hatte ihn, während er sprach, unverwandt, aber wie mit abschweifenden Gedanken angesehen. Jetzt erst zog sie langsam den Handschuh von ihrer linken Hand, die mit Ringen bedeckt war, und nahm von ihrem Zeigefinger einen Goldreif, der oben einen einzelnen, von kleinen Brillanten umgebenen Smaragd trug.

Stumm, und ohne den Blick von ihm zu wenden, reichte sie ihm den Ring, den er hastig ergriff, an die Lippen drückte und dann an den kleinen Finger der rechten Hand steckte.

»Dank, tausend Dank,« flüsterte er dabei, aber das junge Mädchen fuhr erschreckt empor, denn nicht weit von ihnen schallte ein durchdringendes Jammergeschrei herüber, und als ihr Blick dorthin flog, sah sie, wie einer der Banditen die gebundenen Hände des Herrn von Belchmeier mit dem Seil an einen jungen Baum festschlang, während ein anderer mit der Peitsche des Kutschers unbarmherzig auf ihn einhieb.

» Purisima! Sie werden ihn töten!«

»Nein,« lachte der Verlarvte, der kaum den Kopf dahin gedreht, »er bekommt nur eine kleine Züchtigung, die ihm nichts schaden kann. Aber ich sehe, die Unseren sind zum Aufbruch bereit – Sennorita, Sie haben sich keinen Undankbaren verpflichtet – ich hoffe, Sie in einer besseren Zeit wiederzusehen,« und sich vor ihr neigend, eilte er hinüber zu seinen Kameraden, die sich allerdings schon sammelten, um die Straße freizugeben. Sie hatten viel Zeit versäumt und waren nicht stark genug, um der Eskorte, wenn diese wirklich der Post unmittelbar gefolgt wäre, standzuhalten. Die Leute, mit derartigen Arbeiten schon vertraut, hatten indessen auch alles zum Aufbruch gerüstet. Die beiden Maultiere waren, so gut das in der Eile gehen wollte, mit dem aufgefundenen Gold und einigen kleinen Koffern bepackt, die so aussahen, als ob sie des Mitnehmens wert wären. Schlüssel dazu brauchten sie nicht, denn die Koffer wurden doch nicht behalten, sondern nur gewöhnlich drin im Walde einfach aufgeschnitten und mit allem unnützen Plunder zurückgelassen.

Die Räuber zogen sich jetzt, nachdem ihr Geschäft beendet, dem Dickicht zu, und kümmerten sich auch nicht mehr um die Passagiere, denn daß sie von denen nichts mehr zu fürchten hatten, wußten sie gut genug. Der Bursche, der Herr von Belchmeiers Rücken bearbeitete, wurde dadurch von seiner Beschäftigung ebenfalls abgerufen, den unglücklichen Mann ließ er gebunden an seinem Baum, und wenige Minuten später war der ganze Schwarm in der Waldung verschwunden.

Die Reisenden blieben in einer halben Betäubung zurück, und noch eine lange Zeit standen sie auf der Straße und starrten der Richtung nach, welche die vermummten Männer mit ihrer Begleitung genommen.

Desto tätiger war aber indessen der Kutscher mit seinem Assistenten gewesen, um den erlittenen Schaden nur wieder – soweit es nämlich anging – auszubessern. Ein Caracho! nach dem anderen entfuhr dabei ihren Lippen, und in der Tat war ihnen diesmal schlimm und rücksichtsloser mitgespielt als je.

Das eine Maultier war tot, das rechte an der Deichsel hatte einen Teil des Schusses in die Weichen bekommen und sich schon niedergelegt. Die beiden vorderen Tiere hatten die Räuber mitgenommen, und von den vieren, die vor der Deichsel in einem Gespann zogen, war dem einen das eine Vorderbein zerschlagen, während das zweite auch einen allem Anschein nach bösen Hieb gegen den linken Schenkel bekommen haben mußte, denn in den Schmerzen suchte es fortwährend damit auszuschlagen. Die beiden übrigen, welche anfangs wie toll gewesen, konnten sich jetzt nicht mehr rühren, so hatten sie sich überall in Ketten und Strängen verwickelt. Es bedurfte auch der ganzen Vorsicht und Geschicklichkeit der Kutscher, sie endlich freizubekommen und aus dem Gewirr zu entfernen. Durch Zureden und Schmeicheln gelang es aber doch zuletzt den beiden mit ihrem Beruf vollkommen vertrauten Männern, ihre schwierige Aufgabe zu lösen, und jetzt erst brauchten sie die Hälfte der übrigen Passagiere, um dem toten sowie den beiden verwundeten Tieren das Geschirr abzunehmen und die Kutsche nachher so aus dem Weg zu schieben, daß sie die gesunden wieder einspannen konnten.

Die Reisenden waren indessen durch das Winseln und den Hilferuf des Herrn von Belchmeier wieder zu sich gekommen. Der unglückliche, noch immer an seinen Baum gebundene Mann schien nämlich die größten Besorgnisse für sein eigenes wertes Selbst zu hegen, und machte sich Luft in Klagen und Ausrufungen. Tromme wurde zuerst darauf aufmerksam und eilte hin, um seinen Vorgesetzten wieder in Freiheit zu setzen, was sich dieser auch mit ruhigem, resigniertem Stöhnen gefallen ließ. Kaum aber sah er sich Herr seiner Glieder, als er sich auch gegen seinen Untergebenen umdrehte und ausrief:

»Sie sind ein Esel, Tromme – weshalb haben Sie denn Ihren Revolver zu Hause geladen und mitgenommen, wenn Sie die Schufte nicht damit über den Haufen schießen wollten, he? Mich lassen Sie binden und mißhandeln, und Sie stehen dabei und halten die Hände in den Taschen.«

»Aber bester Herr Belchmeier,« rief Tromme, der nur mit Mühe eine harte Antwort verbiß, denn er wußte ja, er wäre in dem Fall augenblicklich auf die Straße gesetzt gewesen – »was um Gottes willen konnten wir gegen acht bis an die Zähne bewaffnete Menschen machen?«

»Sie haben allein sechs Kugeln in Ihrem Revolver,« rief aber Herr von Belchmeier, ohne den Einwand im mindesten gelten zu lassen. »Die Mexikaner führten ebenfalls solche Dinge, und die beiden französischen Offiziere waren ringsum besteckt mit ihnen.«

»Sie sind beide tot,« sagte Tromme.

»Wer?« rief Herr von Belchmeier erschreckt, denn er hatte sich um deren Schicksal noch gar nicht bekümmert.

»Die beiden jungen Offiziere,« lautete aber die Antwort. »Der eine liegt oben auf der Diligence, der zweite ist auf die andere Seite hinabgestürzt.«

»Alle Wetter,« rief der dicke Beamte, der in dem Moment fast die erhaltenen Schläge vergaß – »solche Bluthunde! Wenn ich nur das verdammte und gottvergessene Land in meinem ganzen Leben gar nicht gesehen und betreten hätte – aber so viel weiß ich – die erste Eskorte, die wieder nach Vera-Cruz hinübergeht, nimmt Sebastian von Belchmeier ebenfalls mit. Ich werde mich hüten und mich – nur dem Kaiser zuliebe – von seinen Untertanen bei lebendigem Leibe schinden lassen.«

Die Mexikaner, praktisch in dergleichen Dingen und nicht ohne Erfahrung, hatten sich indessen gleich bereit gezeigt, dem Kutscher zu helfen, denn dadurch nur allein durften sie hoffen, von hier fort und aus dem Wald hinauszukommen. Es wäre nicht das erstemal gewesen, daß solche Postwagen in Mexiko zwei- und selbst dreimal an einem und demselben Tage von verschiedenem Raubgesindel angefallen wurden, und fand man in einem solchen Fall nichts Wertvolles mehr bei ihnen, so nahm man ihnen auch das Letzte, was sie hatten, ja in manchen Fällen sogar das Hemd vom Leibe.

Zuerst besichtigten sie die beiden Franzosen, die versucht hatten, den Kampf mit den Räubern aufzunehmen, und schon gleich aus dem Hinterhalt zum Tode verwundet wurden. Denen aber konnten sie keine Hilfe mehr bringen, sie lagen beide still und starr in ihrem Blute und waren auch noch außerdem, wie sich das von selbst verstand, von den Banditen bis auf das Letzte ausgeplündert worden. Es ließ sich nichts weiter mit ihnen tun – denn zurück durfte man sie doch hier nicht lassen – als daß man sie oben auf den Wagen hob, dort festband und mit nach Cuernavaca nahm, wo überhaupt französisches Militär stand. Dann wurde die schwere Kutsche mit vereinten Kräften etwas zurück- und wieder in freie Bahn geschoben, und die drei Maultiere, zwei an der Deichsel und eins vorausgespannt. Jetzt blieb ihnen nur noch übrig, das ausgeworfene Gepäck mit dem Geschirr der getöteten Tiere wieder wegzupacken, worauf sie dann ihre Reise fortsetzen konnten.

Einen schweren Stand hatte indessen das junge Mädchen mit der einen alten Mexikanerin – die andere schien ihre Duenna oder Begleiterin. Die Alte nämlich, welche bis dahin kein Wort eingewendet, machte ihr jetzt die bittersten Vorwürfe, daß sie dem »blutdürstigen Vagabunden« einen Ring zum Andenken geschenkt habe. Den würde er jetzt tragen und sich seiner »Novia« rühmen, und sie selber könne sich jetzt nur, ihr ganzes Leben lang, als die Braut eines gemeinen Straßenräubers und Banditen betrachten.

Die Sennorita erwiderte kein Wort,, keine Silbe zu ihrer Entschuldigung – nur fest und sicher schlug sie den Rebozo um ihre Schulter, nahm ihren Sitz im Wagen wieder ein, lehnte sich dort zurück und schloß die Augen; aber ihr ganzer Körper zitterte in Aufregung, und die großen, hellen Tränen liefen ihr, unbeachtet, an den Wangen nieder.

Gerade als die Passagiere die letzte Arbeit mitgetan hatten und aufgefordert worden waren, einzusteigen, bog die Eskorte um die kaum zweihundert Schritt entfernte Wendung der Straße und kam in Sicht der Diligencia, deren Schicksal sie leicht erraten konnte. Sie beeilte ihre Schritte aber nicht etwa deshalb, sondern hielt ihren gewöhnlichen und steten Marsch inne, bis sie die Stelle erreichte, auf welcher der Wagen noch, sie erwartend, hielt. Hier aber löste sich, ohne einen weiteren Befehl abzuwarten, die Kolonne plötzlich auf, und suchte die Einzelheiten des Überfalls von den beiden Kutschern zu erfahren.

Diese fanden sie übrigens in der besten Stimmung und bekamen mehr Flüche zu hören als Antworten. Nicht einmal die Richtung, welche die Räuber genommen haben konnten, waren sie imstande ihnen anzuzeigen, nur die Stelle im Busch, wo sie sich zum letztenmal gezeigt, und wenn sie ihnen folgen wollten, mußten sie sich von da an selber ihre Bahn suchen. Derartige Burschen, wenn sie auf einen Raub ausgehen, haben aber gewöhnlich ihre Pferde in der Nachbarschaft versteckt angebunden, um sie einesteils zu einer raschen Flucht bereitzuhalten, oder auch ihre Beute auf ihnen in Sicherheit zu bringen. Was wollten die Fußsoldaten deshalb bei einer Verfolgung ausrichten? Gar nichts. Sie fanden höchstens den Platz, wo jene aufgesessen waren, und mußten dann unverrichteter Sache wieder abziehen.

Der Offizier hielt es übrigens für seine Pflicht – oder es war ihm auch vielleicht gerade so bequem, die Hälfte seiner Mannschaft zur Verfolgung der flüchtigen Räuber auszuschicken, die Soldaten gingen selber mit einigem Eifer daran, als sie hörten, daß die Banditen aus der Post einen ganzen Sack mit Unzen geraubt hätten. Sie waren rasch abgeteilt und drangen an der nämlichen Stelle in den Wald ein, die ihnen von dem Kutscher bezeichnet wurde, um dort nur vor allen Dingen die frischen Fährten zu finden und diesen dann zu folgen.

Der Postwagen, der bei der Sache doch nichts weiter tun konnte, rasselte indessen mit seinen davorgespannten drei Maultieren den Hang hinab, um diesmal in einem ziemlich traurigen Zustand die nächste Station, die kleine, reizend gelegene Station Cuernavaca zu erreichen, der Offizier aber, der mit den übrigen Soldaten zurückblieb, befahl seinen Leuten, ein paar ordentliche Feuer anzuzünden, um dabei zu lagern. Sie mußten jedenfalls warten, bis ihre Abteilung zurückkam. Der von dem Weg begünstigten Diligence vermochten sie doch nicht zu folgen, und vielleicht kamen auch die Frauen bald nach, wo sie denn gleich dort, wo sie sich gerade befanden, ihre Abendmahlzeit halten konnten.


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