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Zweiundvierzigstes Kapitel

Das Heu war unter Dach und Fach oder war in Diemen geschichtet, da und dort mit schirmender Pappe beschwert – damit der Wind, der mit sich selber um die weichen Heuhaufen Haschen spielt, sie nicht zerreißen könne.

Vor dem Heu hab' ich mich gefürchtet, dachte Binne Bonken, als sie hochgeschürzt die duftigen Bündel im weißen Tuche vom Grasland auf dem goldenen Haar herübertrug. Und nun stand sie droben auf der unter ihren Füßen wachsenden Dieme und trat den knisternden Wieswuchs zusammen, der so süßen Duft um sie hauchte, und schaute hinein in das blendende Licht des Sommers.

Der Wind spielte mit den goldenen Ringeln über ihrer Stirn. Weit drüben an der Kante sah sie Jochen Klähn durch die Reihen der geschäftigen Arbeiter gehen.

Im Heu, wenn er auf dem benachbarten Meedeland mit wendete, da konnten Jochen Klähns Augen so oft vor sie hintreten wie sie wollten – über Mittag vielleicht, wenn nur Sonne, Stille und Lerchensang draußen sind – die dreie, die ihr den Blick so warm machten und von denen sie ihre Seele so gern streicheln ließ.

Und nun dachte sie: wenn dann Jochen Klähn über das Grasland gekommen wäre und hätte wieder zu ihr gesagt: Binne Bonken, willst du die blauen Blumen nicht noch einmal in dein goldenes Haar tun? ... dann wäre ihr wohl geworden, als hätte sie vor dem hohen Mann in die Knie sinken müssen: Jochen Klähn, sei barmherzig! Jochen Klähn, sieh an mir vorbei – ich hasse dich nicht, bei Gott nicht! Aber ich kann deine Augen nicht ertragen. Und wenn ich sie ertragen wollte, so müßten die Leute dereinst mit Fingern nach mir weisen!

Und nun war Jochen Klähn der einzige gewesen unter allen Halligleuten, der die Sense oder den Rechen nicht mit geführt hatte ...

Natürlich! dachte Binne Bonken; denn sie haben ihn ja zur Bauleitung genommen, sie haben gesehen, wie er es allen zuvortut, und er ist es ja gewesen, der die Befestigungsarbeiten erzwungen hat. So sann sie und überlegte sich; sie ringen der See die Inseln ab, die ihr schon verfallen waren und – Jochen Klähn hat's getan. Sie sagen: Nun ist unsere Heimat gerettet, unser Haus und unser Glück und – Jochen Klähn hat's getan. Er ist mit allen freundlich. Sie gehorchen ihm alle – aber die Augen, die ihr in das Herz sehen, und wenn sie gleich beide Hände schirmend darüber hielte, diese Augen hat er nur für sie!

Inzwischen wuchsen die Ränder der Dieme unter den Händen des Mädchens höher als die Mitte, in der Binne stand. Sie hatte zwischen den Häusern hindurchgeschaut, über das Grasland hinweg, von wo Kei Bonken die letzten Lasten trug. Nun war Binnes Vorrat aufgearbeitet und sie sank ganz verträumt in das schwellende Heu, begraben in Duft und weicher Fülle, die beinah über ihrem Sitze zusammenschlug.

Sie dachte daran, wie ihr Frau Krassen Frerksen erzählt hatte: Ocke Frerksen ist froh gewesen, daß Ipke Tamen und Hertje Nomsen sich gefunden haben. Aber es wäre doch auch gut gewesen, sann Binne Bonken, wenn Hertje noch frei wäre, vielleicht hätte dann Jochen Klähn den Weg gesehen, den nun Ipke Tamen gegangen ist. Aber seit jenem Weihnachtstage hatte sie gemerkt, daß ihre heimliche Hoffnung zerschellen werde ...

Übrigens: warum liegt denn Binne Bonken am hellen Tage im Heu, und es ist doch gar keine Arbeit mehr für sie?

Da sprang sie auf und sprang von der Dieme herunter. Sie lächelte und tröstete sich: es ist ja niemand auf der Werft, als Olk Eike. Die sitzt drüben in der Sonne.

Und Binne Bonken löste den Riemen um ihre Hüften, mit dem sie den Rock geschürzt hatte, und schwenkte das weiße Tuch, das sie über dem Haar getragen hatte, knallend in der Sonne. Die Halme flogen heraus.

Es war so still, daß das Singen der Heimchen und das Summen der blitzenden Fliegen wie der Klang sanfter Saiten war.

Da huschte Binne Bonken über das Steinpflaster zwischen den Häusern hin; sie trat in Klähns kleinen Garten und guckte um die Ecke. An der Schattenwand saß Eike Klähn, die Hundertjährige, und der Holler hielt seine Äste über sie. Nur ein wenig Sonne fiel hindurch und rann über Olk Eikes vergilbtes Bibelbuch.

»Eike Klähn,« rief sie. »darf ich Olk Eike die Zeit vertreiben?«

Die Greisin wendete das Gesicht gegen Binne und streckte ihre Arme aus. Diese Stimme hörte sie gern, sie hatte einmal gesagt: es sei »Einsamkeit« in ihr.

Binne Bonken ließ sich auf ein Knie zur Seite Olk Eikes auf den Grasgrund nieder und legte die Hände leicht in ihren Schoß. Hohe weiße Lilien standen an der andern Seite des Sitzes und viel roter Mohn. Die Sonne tastete mit goldenen Fingern an der flammenden Seide seiner Blüten.

»Hast Du eine große Sehnsucht, Binne Bonken?« fragte Olk Eike. »Damals, wie wir froh waren, hab' ich sie zum ersten Male gehört.«

»Wie wir froh waren?« entgegnet Binne Bonken. »Ach, als Olk Eike hundert Jahr alt wurde? Das war schön.«

Dann begann Eike Klähn wieder: »Nun werde ich bald fortgehen, Binne Bonken, aber doch nicht früher, als bis ich noch die große Freude gesehen habe.«

»Von welcher Freude redet Olk?«

»Ich kenne sie noch nicht, Kind, aber es ist noch eine ...«

Die Alte schloß die Augen wie immer, wenn sie in weite Fernen sah. Sie streichelte die Hand des Mädchens: »Mir ist, Du müßtest mir meine Freude bringen! Du und Jochen. – Wie stehst Du denn mit ihm, Binne Bonken?«

Da fühlte sie, daß aus dem Auge des Mädchens eine Träne auf ihre Hand fiel.

»Du weinst?« fragte sie.

»Ja – denn manchmal tut mir das Herz so weh. Und jetzt ist das wieder. Ach, es mag sein, weil der rote Mohn und die weißen Lilien und der süße Duft vom Heu um uns sind.«

Aber die Alte merkte, daß ihr Binne Bonken auswich: »Jochen Klähn redet oft von Dir. Er sagt, Du solltest mehr mit Antje zusammen sein und mit uns allen. Weißt Du, daß Jochen Klähn sehr klug ist?«

Da drückte das Mädchen die greise Hand: »Ich weiß alles, Olk; und er ist so stark und still. Aber – ich fürchte mich vor ihm.«

»Du fürchtest Dich vor ihm?« fragte Olk Eike mit zitternder Stimme. »Dann muß mir die große Freude wohl von anders her kommen ...«


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