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Zwanzigstes Kapitel

Ein stiller Winter ging über Klähns-Hallig, ein Winter, der keine Nachricht bringen konnte von jenen, die draußen waren; denn kein Boot vermochte einen Weg durch Nebel und treibendes Eis zu finden.

In diesen Winter war Knudt Klähn mit doppelt wachen Augen getreten, weil er wußte: wenn sie die Luken aller Häuser dicht gemacht haben, daß kein hastiger Wind hindurchfege, da spinnt die Sorge in den Ecken um so heimlicher.

Ocke Frerksen hatte keinen Frühling und keine neue Fahrt zu erwarten. Darum sagte der Kapitän: »Das sind arme Tage, in denen nicht für die folgenden zu sorgen ist; das sind faule Tage, und in ihnen verstauben die Herzen.«

Wenn ein Morgen langsam auf die Kante der Hallig gestiegen war und den Kapitän geweckt hatte, rief Knudt Klähn von drüben schon nach Frerksen: »Steck die Pfeife an, Kapitän; es ist viel Arbeit heute!«

Und Ocke Frerksen fuhr in die Seestiefel, nahm den gebräunten Kalkstummel zwischen die Zähne in die linke Mundecke, drückte sich den brüchigen Südwester auf das immer stärker ergrauende Haar und stapfte zu Knudt Klähn.

»Arbeit, sagst Du?« – Dabei fiel sein Blick auf das Seehundsfell, das über Klähns Schiffskiste hing; das sah Frerksen mit traurigen Augen: »Nicht einmal einen Hund kann einer mehr schlagen, wenn er taube Ohren hat!«

Der Alte haderte um jedes Ding mit seinem Schicksal.

Da nahm Knudt Klähn die Haut von der Wand und warf sie in die Kiste. »Wir haben bessere Arbeit, Frerksen, als auf dem Sande einen armseligen Hund zu schlagen!«

Der Kapitän zuckte wehmütig mit den Achseln. Es war eine harte Pflicht, die Knudt Klähn an jedem Tage rief: sie galt tauben Ohren und einem verkümmerten Herzen.

Auch heute saß der Schiffer neben dem Kapitän rauchend über die Karte der friesischen Utlande gebeugt. Draußen ging eine Luft, die nicht wußte, ob sie dem Winter nach- oder dem Frühling vorlief. Der Kapitän hatte die auf dem Tische ausgebreitete Karte vorher nie gesehen; sie war aus Jürgen Bonkens Schiffskiste in den Besitz Knudt Klähns übergegangen.

»Wie heißt das?«

Frerksen legte den Finger unter die Schriftzeichen und fuhr daran hin. » Ducatus Sleswicensis ... Nova tabula edita a ... Wie heißt der Mann? Joh. Baptista Homanno, Norimbergae –« buchstabierte der Kapitän.

»Homann!« erklärte Klähn.

Frerksen schüttelte den Kopf: »Klähn, dat is nich deutsch, nich dütsch un ok nich meckelnborgsch. Die drei Sprachen versteh' ich außerdem.«

Klähn lächelte, »'s ist das Bild der Inseln um 1634 – vor der großen Flut, Frerksen!«

»Woll, woll. 1634. Wo ist denn Nordstrandischmoor! Ah so! Das gab's ja damals noch gar nicht! Das war damals noch die große Insel Nordstrand; nun ist die See daraufgelaufen. Kennt einer sein eigen Heimatland nicht einmal mehr, so hat's die See zerrissen, und wie hat sie gearbeitet! Alles in Stücke gefressen. Woll, woll – Gräber aufgescharrt, woll, ich weiß ...«

Der Kapitän ließ die Karte, die er ein wenig gegen das Licht gehoben hatte, auf den Tisch fallen, stützte die Stirn auf die Hand und starrte zum Fenster hinaus. Die Knochen der langen Lene ... die Toten standen wieder auf und rüttelten des Kapitäns Gewissen.

Da schlug ihm der Schiffer hart auf die Schulter: »Frerksen! Frerksen, hierher gesehen. Einen Mann wie Dich, den brauch' ich gerade. Mir ist's just recht, daß Du nicht mehr fährst. Mir und der Heimat, Frerksen! Siehst Du nicht: wir zweie warten auf Dich?«

Aber Frerksen schaute zu Klähn auf wie einer, der keinen Weg sieht und nicht weiß, wo er herbergen soll, und ist doch schon Nacht ringsum: »Was kannst Du mit einem halben Menschen wollen, Knudt Klähn?« –

Das ist's: Ocke Frerksen hat eine trutzige Kraft und weiß es nicht, oder er weiß wenigstens nicht, wie er sie gebrauchen soll. Und sie wär' ein gut Gewaffen in dem Kampf gegen die See! Wenn dies Herz doch wenigstens mit seinem Trutz gegen Klähns Willen sich aufbäumen wollte. Das wär' eine Lust, und das wär' ein Sieg! Aber Frerksen mag nicht; er ist lau, er ist zag.

Da schlägt Knudt Klähn den morschen Kalkstummel auf das Tischblatt, daß er in Stücke geht: »Ist das ein Halber, der ein Paar solche Augen im Kopfe hat und solche Glieder am mächtigen Leibe? Kapitän, Du mußt noch Deine helle Freude an Dir haben. Hergesehen!«

So schlägt Klähn dem Alten Feuer ins Herz: Hergesehen!

Er langt sich eine neue Kalkpfeife vom Brett und deutet auf die Karte: »Da ist das große Nordstrand, das alte ...«

»Hm,« brummte der Kapitän, »alles weg. Das alte Nordstrand – die See hat's gefressen und hat uns die Knochen liegen lassen. Diese Knochen nennen sie nun die ›Halligen‹, und wir nennen sie ›unsere Heimat‹. Hahaha, wenn die See bei Laune ist, frißt sie auch die noch!«

Frerksen sprach bitter; die Pfeife ward ihm kalt über seiner Rede; aber Knudt Klähn hörte: das ist ein ehrlicher Haß, der drängt sich aus dem Herzen herauf, und dies Herz wird wach. Es fängt ein Feuer an zu brennen. Schür diesen Brand, Knudt Klähn!

Und der Schiffer hörte mit heimlicher Freude in die harten Worte des Hasses und deutete unentwegt auf die Karte, die von dem Vernichtungswerke der See erzählte: »Und da im Norden von Nordstrand, dicht an der Kante, die Hallig Gröde, weiter nördlich: Appelland, dann Lundingland, zuletzt Oland.«

»Lundingland?« fragte der Kapitän. »Auf der Karte, ja, aber die See hat's längst fortgespült. Und Appelland – wann war's doch – 1860? Ganz recht. 1860, da war's noch so groß wie Langeneß. Alles weg. Und zwischen Gröde und Langeneß, wo heute die Süderaue mit dem Schlütt geht, war damals nur ein ganz schmales Tief. Weißt Du noch, Knudt Klähn, und heute – haha, heute liegt ein Meer dazwischen! Und hier, wie heißt das doch? Südhorn? Galmsbüll? Is alles nich mehr. Weißt Du noch, daß es da war, Klähn? Ich hab's noch gesehen.«

Frerksen starrte dem Schiffer ins Gesicht. Da sah der: solche Augen hat die Mutlosigkeit nicht. Solche Augen hat der Haß.

Der Kapitän stand auf; da verlöschte das Feuer in seinem Blicke wieder, und über seine Stirn flog der freudlose Schatten von vorhin, als Frerksen fortfuhr: »Sage mir bloß, Knudt Klähn, warum zeigst Du mir denn das alles? Willst Du sagen: sieh, Kapitän, so verderben wir? So frißt uns die See, uns, unsere Kinder, unser Hab und Gut, unsere Arbeit und unsere Mühe? Willst Du mir sagen: Pellworm, Nordstrand, Nordstrandischmoor sind die armen Trümmer von dem riesenhaften Alt-Nordstrand, aus dem einer Föhr, Amrum und alle Halligen von heute dazu hätte machen können? Was willst Du damit, Knudt Klähn?«

Der Schiffer richtete sich hoch auf: »Ich will Dir sagen: mach Deine Augen auf, Kapitän, und sieh! Es ist ja richtig: wir können die See nicht halten, Frerksen, wir können der Wilden kein Zaumzeug anlegen, sie läßt sich nicht von uns zwingen. Aber nur von uns nicht, Kapitän! Wir müßten Berge von Gold und Silber umwerten und sie ihr in Blöcken von Stein auf die Füße wälzen, wir müßten ihr Granit in den Rachen schieben, damit sie sich die Zähne ausbricht.«

Da tat der Kapitän die Hand vom Ohre, die er wie eine Muschel darumgelegt hatte, und sank mit schallendem Lachen in den Rohrstuhl: »Berge von Gold und Silber! Haha! Knudt Klähn, Du hast tolle Einfälle!«

Nun stand der Schiffer breit vor Frerksen, hatte die Hände tief in die Taschen geschoben und blies dicke Wolken Tabakrauchs über die Lippen: »Nenn's wie Du magst! Aber kennen sollst Du diese tollen Einfälle! Verlach sie – immerzu! Wenn ich sie festhalte, wirst Du sie hassen. Und wenn Du sie hassest, wirst Du sie bekämpfen. Und dann wollen wir miteinander ringen, zu sehen, wer recht hat, und im Ringen soll uns die Kraft wachsen. Und was ich weiter denke? Jetzt – hör zu: dann würden wir eine rasche gewaltige Kulturarbeit vollbringen, die nicht ihresgleichen hätte. Aber wir müßten Hilfe haben – Preußen müßt' uns helfen.«

Der Kapitän winkte ärgerlich ab: »Dat gäb' doch allens wedder ›Berliner Blau‹.«

»Nein, Frerksen: Preußen würde sich, wenn es die Halligen hielte, zehntausende von Hektaren Land gewinnen. Das müßte sich ein kerniges, dankbares, festes Geschlecht heranziehen, ein Geschlecht, Frerksen, das mit der See von Kind auf zu kämpfen gewöhnt ist, das mit klarem Blick in die Fernen zu schauen sich geübt hat und das dermaleinst, mit der Waffe in der Faust, zu Deutschland und seinem Kaiser sagen könnte: Wir danken Euch unsere Heimat, das beste, was einer sein nennt; so wollen wir Euch mit dem starken Mut und der herrlichen Kraft, die uns diese Heimat wiedergeschenkt hat, nun auch dienen!«

Da ward Ocke Frerksen lebendig. Ein hartes Eisen und ein harter Stein, die geben Feuer. Und Knudt Klähn schlug Funken aus diesem Herzen: »Knudt Klähn, so geh doch zum Kaiser! Sag ihm: Majestät, eine Handvoll Bettler von wankenden Schollen brauchen Berge von Gold. Knudt Klähn, was gewännst Du denn, wenn Du die Halligen halten könntest? Für Millionen – arme Stücke Land, die kein Korn Roggen, keine Kartoffel tragen. Arme Stücke Land, Knudt Klähn, die vor jedem Winde zittern und über die die See mit kleinem Anlauf springt, so oft sie Lust hat. Arme Stücke Land, die ihre Leute nicht nähren, so daß sie fort müssen und sich dem tückischen Meere anvertrauen, nur daß sie auf der Heimatscholle nicht verhungern. Und dafür Berge von Gold? Auf solch ein Geschäft läßt sich Preußen nicht ein, Schiffer!«

Knudt Klähns Auge ward immer klarer – die Freude sprang hinein: »Das will ich nicht, weil ich's nicht kann! Dazu gehören andere Männer, Frerksen. Aber das kommt, gib acht, und wir zwei, wir müßten's noch erleben! Das wär' etwas. Aber bis die andern Männer kommen, solange wir zwei noch allein sind, müßten wir eben doch schon Hand anlegen, müßten probieren und der See – weil wir nicht die Kraft dazu haben, ihr ein Bein zu stellen – mit List einen Teil der Heimaterde wieder abgewinnen. Wär' das nicht eine Arbeit, der Kraft zweier Männer wert? Sieh die Karte. Sieh rings die Halligkante selbst. Im Westen frißt die See, und ewig heißhungrig, wie sie ist, läßt sie nicht ab. solange man ihr nicht Steine in den Hals wirft. Aber im Osten, wo die Insel selbst schützend davorliegt, da gibt sie freiwillig einen Teil von dem geraubten Gute zurück. Und das Neuland, das aufschlickt, müssen wir ihr heimlich aus den Zähnen rücken.«

Klähn sprach lauter und eifriger, als es seine Art war. Er hatte den Mund gegen Frerksens Ohr geneigt und wußte: kein Wort geht dem Alten verloren. Jetzt – wie ein Frühlingssturm muß der Mut des Schiffers in den Staub dieses Herzens fegen!

Aber dieses Herz fand sich besser zurecht in dem Grau seiner Tage: »Ganz recht, Klähn: das neue Schlickland ist ihr eigen Werk, aber darum macht die See auch damit, was sie mag. Sie zerstört es wieder, wenn die Lust dazu sie überkommt.«

Aus Ocke Frerksen redete der Zweifel; aus Knudt Klähn sprach die Freude, sprach der Mut. Und Knudt Klähn hatte seine Trümpfe noch lange nicht ausgespielt. Er hätte in diesem Augenblicke wohl noch nicht preisgegeben, was er in langen Nächten mit seinem Sohne Jochen, über die Karte gebeugt, erkannt, berechnet, geplant hatte. Die Sorge und die Liebe zur Heimat hatte diese langen Nächte mit den beiden in der niederen Stube wachgesessen. Aber keiner der Halligmänner hatte erfahren, wie diese Pläne reiften: Noch ist's zu früh! Noch dringt die See nicht hart genug auf diese Menschen ein; noch setzt sie den Fuß nicht auf die letzte Breite ihres Weidelandes und rührt nur erst unter der Peitsche des Sturmes an die Werft, die die schützenden Dächer trägt. Aber wenn einst See und Menschen Aug' in Auge sich gegenüberstehen werden, wenn die gierige Flut zum letzten Kampfe ruft, dann mag sie staunen über den tollen Mut dieses armen Geschlechts, das um eine Scholle Landes in den Tod geht. Und das wird kommen – aber dies Letzte muß verhütet werden!

Und Knudt Klähn hätte die Pläne seiner Nächte in diesem Augenblicke noch nicht preisgegeben – aber die Sorge um Ocke Frerksen öffnete dem Schiffer den Mund und das Herz. Anfangs fanden seine Worte nur zaudernd den Weg über die Lippen; denn der Mann wußte: hart, wie der Kampf gegen die See, ist der Kampf gegen den Willen derer, die da sagen: die See ist stark wie Gott, und gegen die See kämpfen heißt: wider Gott kämpfen.

Knudt Klähn legte von neuem den Finger auf die Karte: »Kapitän, siehst Du nicht, wie die See baut? Sie baut aber langsamer, als sie zerstört, und darum verschließt Ihr Euch dieser Wahrnehmung und sagt: nützt alles nichts; den Grassoden verschlingt sie hektarweise und in Fußbreiten gibt sie rohes Land zurück. Und Ihr mögt Euch deshalb um diese kargen Striche Neuland nicht gern mühen, die sich erst nach Jahren dazu verstehen, einen Halm Gras zu tragen, wenn sie den Schweiß Eurer Stirnen getrunken haben.«

Knudt Klähn redete mit eiferndem Feuer; er dachte: wenn Frerksens Ohren noch offen wären, sein Herz würde diesem Ansturme nicht widerstehen können.

Und jetzt saß der Alte und zog die Schäfte der Seestiefel über die Knie, als rüste er zu einem Gange gegen Wind und See. Da erkannte Klähn: Frerksen sträubt sich noch; denn es ist zu lange her, seit er in Hoffnung und in Freude an dem heimatlichen Eilande gehängt hat: darum weiß er mit diesen helläugigen zweien nichts mehr anzufangen. Und wenn ihm auch die Freude an der Heimat noch einmal begegnete, die Hoffnung auf einen Sieg gegen die See, die wohnt nach der Ansicht des Alten ja doch nur in den närrischen Herzen der beiden Klähns. Früher hat ihm Jürgen Bonken auf der Fahrt in müßigen Stunden wohl auch schon einmal von derlei Dingen erzählt – nun ja, in müßigen Stunden gehen die Herzen wunderliche Wege. Und Ocke Frerksen ist schon damals Jürgen Bonken mit lachenden Zweifeln begegnet: Bonken, was ist das für ein närrischer Gedanke!

Und jetzt zieht der Kapitän an den Schäften der Seestiefel: »Klähn, Klähn, wenn Menschen gegen die See ankönnten – denkst Du, es wär' ihnen in voriger Zeit nicht schon einmal eingefallen, ihr den Weg zu verlegen?«

Der Schiffer schwieg; es war ein hartes Mühen gewesen, eine lange Stunde durch taube Ohren einen Weg in ein unmutig Herz zu suchen. Aber er sah: Ocke Frerksens Seele sinnt. Und darum lehnte er sich mit verschränkten Armen gegen die Fensterbank und wartete. Endlich fanden sich die Worte über des Alten Lippen; es war, als würden sie durch eine Muschel gerufen: »Und was soll denn nach Knudt Klähn geschehen – ohne Geld, ohne Hilfe, ohne Material?«

Da richtete sich der Schiffer wieder hoch auf: »Buhnen ins Watt!«

Frerksen schüttelte den Kopf: »Die eine Eisflut wegfegt wie die Hand die Brocken vom Tisch! Damit glaubst Du etwas schaffen zu können, Knudt Klähn? Hast Du denn vergessen, daß die See Länder frißt? Und Du denkst, sie soll sich an dem Kopf einer Buhne aus Reisig und Klei die Zähne einstoßen?«

Während an diesem Wintertage in der Stube der Mut mit dem Mißmut, die Hoffnung mit der Gleichgültigkeit rang, drangen die hartgesprochenen Worte bis hinaus zu den Frauen, die in Küche und Stall ihrem Tagewerk nachgingen.

Frau Goede hatte ihr Lebtag dem unaufhaltsamen Andringen der See wider die Werft gegenübergestanden und hatte sich gewöhnt, mit dem Auge der Inselleute zu sehen. Wenn von den Plänen der Klähns die Rede war, da schwieg die Frau, und das hieß: mir fehlt der Glaube. Antje Klähn aber vernahm mit lachenden Augen die starken Worte der Kraft, die drinnen an Frerksens Herz schlugen wie an die verschlossene Tür eines Hauses, und riefen: Tu uns auf und hilf uns siegen!

Wie die Arbeiten der Frauen verrichtet waren, und auch Eike Klähn, die in der Küche ihr kleines Werk mit ihren greisen Händen gewirkt und an der Wand sich entlanggegriffen hatte, nun in der Stube ihren gewohnten Platz im Rohrstuhl hinter dem Beileger wieder einnahm, setzte sie ihr Spinnrad in Bewegung. Silberner Flachs war reichlich am Wocken, ein Zeichen, daß das Rad noch immer im Gebrauch war, wenigstens während der Wintertage.

Knudt Klähn aber faltete Homanns Karte der Inseln zusammen und dachte: es ist eine harte Mühe. Jürgen Bonkens Erbe, die Idee der Halligbefestigung und Neugewinnung von Land, gegen die Bedenken der Inselleute zu verteidigen. Der Kapitän glaubte, Knudt Klähn werde sich von ihm noch überzeugen lassen; Knudt Klähn aber dachte: Ocke Frerksen beginnt zu erwachen, und ich will Sorge tragen, daß meine Gedanken die seinen werden, über denen er das heimliche Klopfen der Sorge in seinem Hause vergißt. Ocke Frerksen begann wach zu werden, und seine Augen waren heller als sonst, wenngleich er zu Eike Klähn sich wendete und sprach: »Nicht wahr, Mutter Klähn, wir haben beide zu lange zugesehen, als daß wir dem Knudt auf die Schulter klopfen und zu ihm sagen könnten: Mann, Du hast recht, und was Du willst, das wollen wir auch! Wir haben zu lange zugesehen und haben uns gewöhnt zu glauben: gegen die See ist nichts zu machen. Auch uns hat das Herz weh getan, wenn wir uns sagten: die Heimat verläßt uns, die wir liebhaben. Und heute sollen wir um diese Heimat kämpfen! Heute? Wir sind alt geworden und der Einsatz ist zu groß gegen den in Aussicht stehenden Gewinn. Heute ist die Kraft der See längst zu gewaltig gegenüber der kleinen ohnmächtigen Feste und gegenüber denen, die sie verteidigen sollen.«

Da schloß Knudt Klähn die Karte in den Schrank.


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