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Dreiunddreißigstes Kapitel

Seit Jochen Klähn beim Mittagsessen gemerkt hatte, daß die Nebel über See heimtückisch an einem Wetter brauten, schlug sein Herz lauter. Er hatte seinem Vater einen Blick über den Tisch geworfen, als Frau Goede davon zu sprechen begann, daß die Dächer tropften. Nach Tisch ging Jochen Klähn rastlos von einem Nachbar zum anderen; er war wie einer, der Trost sucht, war wie einer, der sich einer häßlichen Gewißheit gegenüber sieht und nun wartet, daß ihm die anderen sagen: sie wird an dir vorübergehen.

Er trat bei Uwe Nomsen ein und sein Blick streifte die Uhr: »Halb vier,« sagte er. »Um zwei Uhr war Hochwasser.«

Aber seine Augen hatten keine Zeit, auch nur eine Sekunde auf den Zeigern zu weilen. Wie ein gescheuchter Vogel flog sein Blick gegen das Fenster, flog hinaus aufs Watt: »Was meinst Du, Uwe Nomsen?«

Aber anstatt zu antworten, öffnete Nomsen den Schrank und suchte die Seestiefel, die vorher seinem Vater gehört hatten. Ein leiser Schimmel lag in den Falten der Schäfte. Nomsen ging hinaus, um die Stiefel mit Tran zu schmieren; denn er dachte: ich werde sie heute noch brauchen.

Überdem ging Klähn wieder heim.

»Dreiviertel vier,« sagte er, als er wieder in die Stube trat. Da langte Schiffer Knudt das Fernrohr vom Bord und suchte durch das geöffnete Fenster draußen auf dem Watt nach einem, der Klähns-Hallig zustrebte.

»Es wird dämmerig,« sagte er, »die ersten Flocken beginnen zu fallen.«

»Schnee?« fragte Jochen und seine Augen wurden weit – »Schnee?«

Er schritt in das Nebenzimmer, und Eike Klähn streifte ihn mit der Hand, als er an ihrem Stuhle vorüberging. Sie war gewöhnt, daß er ihre dargebotene Rechte ein Weilchen in der seinen hielt. Da dies heut nicht geschah, merkte die Ahnfrau: Jochen ist eilig; und an dem Schlage der Sohlen seiner Stiefel erkannte sie die Hast, die ihn trieb, und sie sagte: »Jochen, was sorgt Dich? Deine Kleider künden Nebel und neuen Schnee, mein Sohn.«

Die dünnen zitternden Worte brannten Jochen Klähn ins Herz und sie verbrannten sein letztes scheues Hoffen, daß das Wetter sich wenigstens noch bis in die fallende Nacht halten könne.

Aus dem Pesel ging er hinaus in den Stall, wo Goede und Knudt Klähn nun um das Vieh beschäftigt waren. Er sprach gedämpft; sie antworteten ihm in dem gleichen Tone – der klang, als läge Spinnengewebe darauf. Das hatte die Sorge gesponnen.

Drüben trat Uwe Nomsen aus der Tür. »Klähn,« rief er über den Fething hinweg, »Frerksen ist mit dem Glas an die Kante; wollen wir ihn allein lassen?«

An der Stalltür legte Knudt Klähn das Fernrohr noch einmal an und spähte über das Watt. Eisblöcke ragten weithin, kein Mensch suchte einen Weg darüber oder dazwischen hindurch. Und die Wolken gingen so träge; und die Wolken gingen so schwarz; es war, als könnten sie ihre Lasten nicht mehr tragen. Aber die Flocken fielen nur müde und vereinzelt durch das stumpfe Licht.

Da zog sich Klähn den harten Schifferhut fester auf die Ohren: »Ja, Nomsen, wir gehen! Der Kapitän ist imstande und läuft Tamen auf dem Watt entgegen. Er hört die See nicht zwischen den Schollen daherkriechen, und es könnte kommen, daß sie ihm heimlich den Weg verstellt. Da gibt's kein Zurück mehr – an diesem Tage nicht!«

So schritten die beiden dahin: Nomsen in den ungewohnten Seestiefeln mit breiten, unsicheren Schritten, Klähn vorwärts stürmend: draußen droht ein Unglück!


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