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Einundvierzigstes Kapitel

Frau Sikke freute sich seit langer Zeit zum ersten Male heimlich über Ketel Klähn. Sie verzieh ihm an diesem Sonntagmorgen das versonnene Schweigen und die Herbheit, die er in den vergangenen Jahren zur Schau getragen hatte, und trat selbstbewußt bei Knudt Klähn ein.

Nach Mittag klangen plötzlich von draußen Finger in sanftem Spiel an die Scheiben bei Ocke Frerksen.

Hertje Nomsen stand draußen und rief nach Ipke Tamen: »Ob Du Frau Sikke nach Habel segeln willst?«

Da trat Ipke Tamen von drinnen ans Fenster: »Wenn Du mitfährst, Hertje Nomsen, dann kann das vor sich gehen!«

Hertje Nomsen schlug die Augen nieder – die Aufforderung hatte sie ein wenig verwirrt, dann sagte sie: »Nun ja!«

Und bald segelten die drei in das Gold des Sommertages hinein. Während der Fahrt gab ihnen Frau Sikke Verhaltungsmaßregeln: sie sollten nicht von dem Briefe reden; das müsse sie mit Ketel Klähn selbst ausmachen.

Ketel Klähn war vergnügt, denn er hatte schon daran gedacht, das Boot seefertig zu machen und Frau Sikke zu holen.

Nun berichtete er mit heimlichem Lächeln von dem eigentümlichen Einfall des Wetterglases. Dann öffnete er die Schranktür und trug zwei Kelchgläslein und die Kognakkaraffe herbei: »Mag Hertje Nomsen auch einen?«

Aber ehe die antwortete, stand er plötzlich still und hielt die Flasche gegen das Licht ...

»Auch runtergegangen – wie das Wetterglas!« murmelte er.

Frau Sikke wurde rot und machte sich eifrig am Ofen zu schaffen.

Die mählich eintretende Ebbe in der Flasche mahnte Hertje Nomsen an die Heimfahrt – sonst müßten sie in die Nacht hineinsegeln.

Bald darauf geleitete sie Ketel an die Kante, wo das Boot im Tief lag, und sah ihnen nach, als sie davonfuhren.

Wie Habel außer Sicht war, lauschten die beiden im Boot in die Stille. Die Wellen brachen sich leise, das klang wie fallendes Gold. Diese Stille war jetzt nur noch selten um sie; denn seit das fremde Leben über Klähns-Hallig gekommen war, versank sie in dem lauten Rufe des Alltags mit seiner harten Arbeit.

»In dieser Stunde ist's wieder einmal wie sonst.« sagte Hertje Nomsen leise. »Manchmal denk ich: es war doch viel schöner, wie die Einsamkeit noch um uns war.« Es war ein weicher Klang in ihrer Stimme. »Wir sind nun daran, den Feiertag gar nicht mehr zu finden, seit wir über der neuen Arbeit stehen.«

»Nur Uwe Nomsen,« sagte Ipke Tamen, »der weiß die alten Wege noch und wird sie nicht verlieren.«

Der junge Schiffer sah über die strahlende See und auch in seiner Stimme war etwas Verträumtes.

Da merkte Hertje Nomsen, daß Ipke ganz vergaß, daß er das Steuer in der Hand hielt. Sie drückte es ein wenig leewärts, und nun lagen ihre Hände aufeinander und ihre Herzen klangen voller denn je.

»Woran denkst Du denn, Ipke?«

Da sah sie Ipke Tamen an: »Manchmal, wenn ich so einen Stein auf den andern lege, fürcht' ich mich ein wenig. Es sind nun so viele Männer auf die Hallig gekommen; und ich denke, es könnte Dich einer liebgewinnen und Dich mit hinausnehmen.«

Hertje Nomsen blieb ganz still.

»Würdest Du mit ihm gehen, Hertje?«

Sie sann ein Weilchen: »Wir Frauen können unser Leben nicht so lenken, wie jetzt wir zweie das Boot!«

Da legte Ipke Tamen auch seine andere Hand auf die des Mädchens. »Aber wenn ich helfe wie jetzt?« lachte er. »Grad heraus, Hertje: wenn ich Dich haben will, so muß ich früh dazu tun. Ich habe nur immer an Ocke Frerksen gedacht, der mich mit meinen einundzwanzig Jahren auslachen wird. Übrigens hat er gesagt, er will mir alles geben, was sein ist, und es muß ja auch nicht gleich geheiratet sein. Wenn ich nur wüßte, ob Du mich wolltest?«

Da schlang ihm Hertje Nomsen die Arme um den Hals: »Ob ich will, Ipke!«

Und weil Klähns-Hallig erst zart aus der Sonne tauchte, fanden sich die Lippen rasch. Der goldene Glanz der Sommersonne umspann sie mit seinen leuchtenden Fäden, als sie aus ihrem Traume erwachten. –

Ein wenig langwieriger als die Segelfahrt Ipke Tamens in das Herz Hertje Nomsens war um die gleiche Stunde die Fahrt Frau Sikkes zu Ketel Klähn. Sikke konnte schwer anlegen, und so viel sie auch Ankerkette ausstach, der Anker biß nicht; es war schwere See.

Und Frau Sikke griff mit weichen Händen zu; sie schonte Ketels Herz; denn sie wußte: es galt den Zusammenbruch des goldenen Traumes vieler Jahre. Aber sie verstanden sich dennoch nicht. Darum redete Frau Sikke endlich gerade heraus.

Ketel Klähn griff nach der Lehne des Stuhles. Sein Herz vergaß den Gleichgang, in dem es dreiviertel Jahrhundert getrottet war. Seine Augen wurden weit. »Der Kaiser?« fragte er. Und seine Blicke hingen an Sikkes Lippen und flehten: bring gute Botschaft! Es war zum ersten Male, daß diese Augen baten.

»Es kann noch alles gut werden,« sagte Frau Sikke, wie sie sah, daß Ketels Herz zitterte. »Der Pastor soll einen Bericht geben, und ich hab' ihm schon gesagt, daß er recht große Zahlen schreibe. Du kannst noch einen Haufen Gold für Deine Hallig kriegen, Ketel!« tröstete sie.

Und an dem Haufen Gold richtete sich Ketel Klähn langsam empor.


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