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Achtundzwanzigstes Kapitel

Die Septemberseide flog.

An einem der Tage, in denen die leisen Fäden gingen, segelten sie auf dem gleichen Wege über das Watt nach Lütt-Jens-Werft, auf dem Jochen Klähn einst seine Schwester Antje dem Elternhaus entgegengeführt hatte, als die Zeit gekommen war, die ihn vier Jahre von der Heimat hielt.

Nun hatten sie die drei Boote fertig gemacht, über deren Segeln bunte freudige Wimpel flatterten: Jochen der Seefahrer kommt!

In dem einen der Boote stand Knudt Klähn, und sein Blick eilte dem fliegenden Schifflein vorauf, dem großen Damm entgegen; der hochgewachsene junge Schiffer, der drüben vor dem Hause Niß Nissens im Golde der Septembersonne steht und den Hut schwingt: das ist Jochen Klähn!

Hurra, Jochen Klähn ist da!

Und Niß Nissen, dem greisen harten Seemann, der neben Jochen auf dem Außendamm stand und wartete, gingen die Augen über, als die vielstimmige Freude der Inselleute aus den nahenden Booten auch an sein Herz flog.

Jetzt treiben die Boote nebeneinander her; der am Steuer in dem zweiten, das ist Uwe Nomsen. Und Schwester Antje sitzt im Boot, und auf ihrem Schoße steht Jochen Nomsen und läßt ein weißes Fähnlein zum Gruße des Heimgekehrten flattern; die beiden Jochen kennen sich noch gar nicht. Und Jens Klähn ist ein Mann geworden und war doch fast Kind, als der Bruder auszog. Und Binne Bonken und Hertje Nomsen, die in dem Boote sind, dessen Steuer Ocke Frerksen in der breiten Faust hat, sind zu Jungfrauen gereift. Das alles sieht Jochen Klähn; und er sieht auch: In Knudt Klähns blonden Bart und in die kurzen krausen Haare über seinen Schläfen ist ein Reif gefallen. Antje Nomsens Augen lachen noch immer wie Frühlingshimmel; sucht Jochen Klähn das Glück: in diesen Augen wohnt es!

Und Jochen Klähn half ihnen die Boote ans Land ziehen und fest machen.

»Das sollst Du nicht,« riefen die aus den Schiffen ihm zu, »dazu hast Du heut keine Zeit!«

Sie wollten ihm alle dienen; und es war ein geschäftiges Eifern der Liebe, das die Wangen rötete und die Augen mit seligem Glück füllte. Die Segel fuhren herab, daß die Leinen in den Ösen pfiffen. Nun sprangen die Menschen an Land – von fern hatten Stimmen und Blicke den am Strande eilfertig frohe Botschaft getragen. Und nun standen sie sich Aug' in Auge gegenüber, legten ihre Hände ineinander und sagten nichts als: Goden Dag.

Mutter Goede Klähn aber vergaß selbst das, die legte ihre Stirn an die Brust ihres hochgemuten Sohnes und weinte. –

Goden Dag, Jochen Klähn!

Sie wußten: es ist kein Wort, das die Freude dieser Stunde zu fassen vermag.

Dann gingen sie die Schräge des Außendammes wieder hinan, der längs der See so scharf das blanke Blau des Tages zerschnitt. Die Schafe Niß Nissens nagten an der Böschung die letzten grünen Grasbüschel ab, und von ihren Pelzen wehten die weißen Fähnlein der Herbstseide.

Das Dach von Niß Nissens Kate schaute wie in sommermittäglichem Traum über den Damm. Die Kate drückt sich dicht gegen die Rückseite des Deiches, wo sich drüben der gewaltige Koog ansetzt, in dessen Süßwassertümpel Niß Nissen die Aalreußen legt. Nur ihren First und eine Handbreit Giebel des moosgrünen Rohrdaches läßt die Kate den Seewind sehen: er ist ein wilder Spieler.

Dann gingen sie, Niß Nissens Gäste zu sein; auf dem Wege zum Hause tastete immer noch manchmal eine Hand nach der Jochen Klähns. Die Hände Binne Bonkens aber hielt der Heimgekehrte lange in den seinen und sagte: »Du bist stark und schön geworden, Binne Bonken.«

Da schlug Binne Bonken die Augen nieder. –

Nur Olk Eike war nicht mit herübergesegelt.

Aber sie dachten der alten Frau und dachten, wie ihr Herz nun ungeduldig sei, das vier Jahre schweigend gewartet hatte. Darum drängten die Frauen schon heim, wie sie erst eine kurze Spanne Zeit bei Niß Nissen zur Rast gesessen hatten. Auch die Ebbe war im Anzug. Und wenn die See tief stand, lag ja zwischen Lütt-Jens-Werft mit Nissens Kate und zwischen Klähns-Hallig das weite Wattland mit den glucksenden Wassern. Bei Hohlebbe läuft auch ein Wattenweg von Klähns-Hallig nach Nissens Werft, den gehen sie aber nur im Winter, wenn's der Winter leidet: im Sommer segeln sie.

Die Sonne spannte goldene Brücken über die See, als die Boote an Klähns-Hallig anlegten. Die Nachbarn geleiteten Jochen und standen lauschend an der Tür, zu sehen, wie Olk Eikes letzte Hoffnung sich erfüllte.

Jochen Klähn reichte ihr die Hand; aber die Greisin hatte die Lider geschlossen und fuhr mit der tastenden Rechten über die Hand und den Rock des Seefahrers und sie sprach: »Meine Augen sind dunkel geworden, mein Sohn Tobias; und ich weiß, daß ich schon einmal Abschied von Dir genommen habe, weil ich damals dachte: es ist spät, und die Nacht steht vor der Tür. Aber nun weiß ich auch: es ist noch eine große Freude auf dem Wege zu mir, und auf diese Freude will ich warten wie auf die letzte Hoffnung meines Lebens, die sich in dieser Stunde erfüllt hat.«

Da fühlte Jochen Klähn, wie der welke Mund der Greisin über seine Hand sich neigte und diese Hand küßte.

Dann redete er zu der Greisin: »Ich will nun immer hier bleiben und will das Werk in Angriff nehmen, von dem ich gedacht habe, daß es mir gelingen müsse. Ich habe inzwischen manches gelernt, was meine Arbeit fördern helfen wird.«

In den Häusern der Werft aber erzählten sie: Olk Eike wartet noch auf ihre große Freude; aber sie wußten nicht, woher die kommen sollte.

Dann gingen die düsteren Tage des Herbstes über die Hallig, in denen sich die Nebel auf das Land wälzten; die Dächer fingen an zu triefen, und hoch im Grau des Herbstes flogen Scharen schreiender Vögel.

Während dieser Tage stand Jochen Klähn mit seinem Vater und Frerksen bei den Buhnen; die Männer prüften und besserten aus, sahen, wie die See hinter dem schwachen Schutze gebaut hatte, den Menschenhand aufgerichtet, und maßen und planten. Jens Klähn aber packte allerlei Dinge in seine blaue Schiffskiste – das war die gleiche, die Jochen von der Seefahrt heimgebracht hatte –, und Binne Bonkens Herz sah in heimlicher Sorge dem Tage seines Auszugs entgegen. Und sie hütete diese Sorge ängstlich wie ihre Liebe – nicht einmal Frau Kei Bonken hatte das stille Feuer brennen sehen, das jene weiche Nacht um Mittsommer zur heißen Flamme entzündet hatte.

Wie die Wildgänse in kreischenden Geschwadern durch die fallende Nacht segelten, schritt ein einsamer junger Mann von der Werft und lenkte seine Schritte gegen die Pipe. Es war Jens Klähn. Der nahende Winter hatte schon Reif an den Felsblock geblasen, der draußen vor den Trümmern der alten Werft liegt. Und wie die Nacht vollends hereingebrochen war, und Jens in trübem Sinnen gegen den Stein lehnte, trat Binne Bonken zu ihm: »Wie mir das Herz schwer ist, Jens!«

Da streichelte er ihr die Wange: »Wenn ich Dich nicht daheim lassen müßte, wie frohgemut und wie voller Hoffnung würde ich hinausziehen!«

Der Reifnebel ward dichter und die Nacht finsterer. Das Mädchen zog das Wolltuch fester um seine Schultern; denn der Wind begann um Pipenwarf ein unheimliches Spätlied zu singen.

An der Luvseite des Steines standen die beiden eine Weile schweigend – sie waren gekommen, Abschied zu nehmen, der grauende Tag führte Jens Klähn der Heimat fern.

Da tat Binne Bonken das schützende Tuch auseinander. »Nimm,« sagte sie, »es ist Vater Jürgen Bonken sein Ring, und 's ist alles, was ich von ihm habe!«

Da faßte Jens Klähn nach dem Geschenk. »Jürgen Bonkens goldener Fingerring?« fragte er freudig verwundert.

»Ja, Jens. Ich hab' ihn an ein Band aus blauer Seide geknüpft und habe gedacht: Du sollst ihn auf der Brust tragen oder auch am Finger, wenn Du fort bist. Wie Du magst. Nur denken sollst Du manchmal an mich, wenn Du den Ring siehst.«

Da faßte der Wind den Reif am blauen Seidenband und schlug ihn gegen den Stein; er gab leisen Klang.

»Wie Grabläuten,« sagte Binne Bonken und schrak zusammen.

»Wie Hochzeitsglocken!« entgegnete Jens, aber seine Stimme zitterte.

Er hing sich den Reif an dem seidenen Schnürlein unter den Rock vor die Brust und hat ihn nicht abgetan, solange sein Herz darunter schlug.


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