Gustaf af Geijerstam
Die Brüder Mörk
Gustaf af Geijerstam

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Achtes Kapitel

So saßen die beiden Brüder Mörk, jeder auf seinem Gut, Jahr um Jahr; und ihr Haß war jedermann bekannt. Keiner von den beiden gab sich mehr Mühe, ihn zu verheimlichen. Der Major auf Kolsäter, der Hüttenherr auf Björknäs, so hießen die beiden Brüder jetzt im täglichen Verkehr. Sie waren beide alt geworden; und beide hatten sie die Zeit überlebt, in der der schwedische Adel noch etwas in der Gesellschaft bedeutete.

Den Kampf um die Repräsentationsveränderung illuminierten die Siege der neuen Zeit. Bauer und Bürger drangen vor und rissen die Macht in der Gesellschaft an sich. Und auch in diesen Kämpfen waren die Brüder Gegner gewesen. Als 1865 der letzte Ständereichstag bevorstand, schrieb Nils Göran an den Bruder und fragte ihn, ob er sein Recht als Chef der Familie geltend machen und an den Reichstagsverhandlungen teilzunehmen gedenke. Andernfalls beabsichtige er selbst das zu tun. Der Major beantwortete diesen Brief überhaupt nicht, sondern reiste kurzerhand nach Stockholm, was in der ganzen Gegend großes Aufsehen erregte. Denn seit der Krankheit und dem Tod der Gnädigen war der Major, soweit man es wußte, keine Nacht mehr von Kolsäter weg gewesen. Er blieb in Stockholm, bis die heißen Septembertage vorüber waren. Von seinem Platz unter dem Adel hörte er die lange Debatte jener vier Tage mit an; und er war unter denen, die zu Protokoll zu geben wünschten, daß sie im Namen des Vaterlands freiwillig von jahrhundertalten Rechten abstanden. Als der Major durch die Wälder wieder heimwärts fuhr, wußte er kaum, hatte er eine Pflicht erfüllt oder eine entehrende Handlung begangen, so schwankte er zwischen den Schalen der Wage hin und her. Sein Verstand und sein Gerechtigkeitsgefühl gaben der neuen Zeit und ihren Forderungen recht; und in Übereinstimmung damit hatte er auch abgestimmt. Aber im Herzen war er noch immer der alte Bauernfeind, und der Sieg, zu dem er beigetragen hatte, machte ihm nur wenig Freude. Dabei wußte er aber doch im Innersten, daß er sich, bizarr genug, im Augenblick der Tat gefreut hatte; aber weniger über den Sieg des Liberalismus, als über die Kränkung, die der Bruder empfinden mußte, wenn er den Familiennamen auf der unrechten Seite sehen würde. Denn der Hüttenherr auf Björknäs war seiner ganzen Natur und Überzeugung nach ein Konservativer vom reinsten Wasser. Das Geld der Bauern nahm er gern; aber ihre Interessen zu fördern, das fiel ihm gar nicht ein.

So getrennt durchlebten die Brüder auch die Jahre der Krise, die nun folgten. Kaum war die neue Staatsordnung zur Wirklichkeit geworden, so legte auch schon ein allgemeiner ökonomischer Rückgang das Land und vor allem die Hüttenindustrie lahm. Das alte schwedische Eisen hatte nicht mehr denselben Marktwert wie einst. Schweden war zurückgeblieben. Das Rohmaterial war gut wie immer; aber es wurde nicht in der richtigen Weise verarbeitet. Die alten Hämmer hatten ausgedient; die meilenweiten Fuhren durch die Wälder machten sich nicht mehr bezahlt. Eisenbahnen waren zu wenig da. Erz, Gußeisen, Stangeneisen, alles mußte auf Schlitten oder Wagen geführt werden. Kein Mensch hatte früher so genau mit ein paar Meilen mehr oder weniger durch die Wälder gerechnet. Jetzt auf einmal empfand man es als eine Last, daß Schweden so groß und daß die Entfernungen zwischen seinen einzelnen Teilen so furchtbar weit waren.

Die Lagerplätze der Hämmer standen voller Eisen; aber in den Kassen herrschte Ebbe. Dazu kamen Zeiten der Teuerung und Not über das Land. Hungernde Männer, Weiber und Kinder streiften, Arbeit und Brot suchend, durch das ganze Land.

Die alten Güter, die Generationen lang ein und derselben Familie gehört hatten, begannen ihre Besitzer zu wechseln. Konkurse gehörten zur Tagesordnung. Jede Post brachte Nachrichten von neuen, großen Unglücksfällen. Die Unsicherheit war eben so groß, wie die Insolvenz allgemein war. Wer heut' reich war, ward morgen arm. Hüttenbesitzer und Magnaten machten Bankerott. Ihre Besitzungen kamen unter den Hammer. Und sie selber mußten, wenn sie bei Jahren waren, das Gnadenbrot bei Verwandten essen, oder, wenn noch Kraft und Tüchtigkeit zu ernsthafter Arbeit in ihnen steckte, sich Arbeit im Dienst des Staats oder bei Privatpersonen suchen.

Am schlimmsten traf es die Adelsfamilien und deren Güter. Auf diese Männer und Frauen, die geboren und erzogen waren in der Vorstellung, daß sie die Herren des Landes waren und in dieser Stellung auch stets verbleiben würden, mußte der Schlag, wenn er sie traf, geradezu betäubend wirken. Dafür kamen jetzt auf einmal die Kleinen herauf, kleine Kapitalisten, die sich zusammentaten, kleine Geschäftsleute. In ihre Hände gerieten nun die einstigen herrschaftlichen Angestellten; und groß war unter diesen das Entsetzen vor der neuen Zeit, die jetzt hereinbrach. Der Tag, an dem der Herr mit seiner Familie für immer von dem alten Gut fuhr, war für alle ein Tag der Trauer. Fremde Herren kamen jetzt, die keiner kannte, von denen keiner wußte, ob man sich auf sie verlassen konnte, wenn die Not vor der Tür stand...

Viele dieser Alten, die die neue Zeit beiseite geworfen hatten, empfanden es als ganz besonders eigentümlich, daß die schweren Tage so gleichsam in einem Atem damit kamen, daß der alte Adel in Schweden zu existieren aufhörte. Sie sahen im Zusammentreffen der Umstände eine Art Zusammenhang; und wenn diese Alten, Grauen auf die Erfahrungen ihres Lebens zurückschauten, so sahen sie weder für sich und ihre Nachkommen noch für Schweden im allgemeinen mehr einen neuen Tag heraufdämmern. Sie waren, so schien es ihnen, rettungslos dazu verdammt, im Dunkel zu erlöschen.

Manche kamen aber auch über die kritischen Jahre weg; und zu diesen Glücklichen gehörten die beiden Brüder Mörk. Kolsäter blieb in der Hand des Majors und Björknäs in der des Hüttenherrn.

Ein Unterschied machte sich aber doch bemerkbar. Des Hüttenherrn Besitz mehrte sich von Jahr zu Jahr; und mit sechzig Jahren war Nils Göran der reichste Grundbesitzer der ganzen Gegend. Es war, als triebe ein eiserner Wille ihn vorwärts, als winke ihm nur ein einziges Ziel, das er nie aus den Augen verlor. Von Jugend auf war in Nils Göran Mörk der Neid gegen den älteren Bruder gewesen und ständig gewachsen. Es war, als sei die Bruderliebe nur ihm eine Last gewesen, deren Abwerfen ihn nur energischer und kräftiger gemacht hatte. Als er sich endlich dem Bruder gegenüber verraten hatte, so war das in ihm wie eine Art vulkanischen Ausbruchs; nachdem das unterirdische Feuer einmal die Dämme gebrochen hatte, floß der Lavastrom weiter und weiter, und alles, was dereinst in ihm gut gewesen, versteinerte. Nils Göran Mörk war ein Mann voll Kraft nach diesem Geschehnis. Aber auch ein harter und ein rücksichtsloser Mann. Der Wald war nicht das einzige, was er verkaufte. Er beschränkte sich auch keineswegs darauf, nur das, was sein war, zu verkaufen. Er kaufte von anderen auf und verkaufte wieder mit Gewinn. Getreide, Wald, Mühlen, Sägewerke, ganze Besitzungen kaufte er auf. Mit einem Wort – der Hüttenherr spekulierte. Und weil er ein kluger und bedächtiger Mann war, spekulierte er bloß in Dingen, auf die er sich verstand, und über die er ein Urteil hatte. Nur selten konnte man dem Hüttenherrn auf Björknäs nachsagen, er habe sich verrechnet; er glaubte auch selbst blind an seine Berechnungen, etwas, was unbedingt notwendig sein soll für jeden, der in solchen Sachen Glück haben will.

Nils Göran Mörk hatte auch Glück; und er war auf seine kalte, scharfe Art ganz zufrieden mit den Siegen, die er so, langsam und stetig, errang. Er wurde auch ein Mann, dem andere vertrauten; und dadurch, daß er andern Dienste leistete, verstand er es auch, sich Freunde zu machen. Er verlangte viel von den Menschen, aber es konnte ihm auch keiner nachsagen, daß er sich selber schonte; und hätte er eine andere Lebensweise geführt, er hätte sicher ein hohes Alter erreicht und wäre als das Orakel und der Patriarch des Kirchspiels gestorben.

Aber in seinen späteren Jahren fing der Hüttenherr das Trinken an. Es kam überhaupt in sein ganzes Wesen etwas, das an den Vater, den alten Henrik Gören Mörk, der vor ihm auf Björknäs gesessen hatte, erinnerte. Zechgelage gingen Hand in Hand mit den Geschäften und waren die Einleitung und der Abschluß der Gewinne, die auf der Bank deponiert oder in einträgliche Unternehmungen gesteckt wurden. Und der Hüttenherr sparte sich beim Glas ebensowenig wie bei der Arbeit. Nacht für Nacht zechte er durch, ob daheim, ob draußen. Und wie spät er auch ins Bett kam, jeden Morgen früh saß er korrekt, aufrecht in seinem Kontor oder machte die Runde im Hammer, wo sein bloßer Anblick auf die Faulen und Saumseligen wie Peitschenhiebe wirkte. Den sonstigen Lastern des Vaters fröhnte der Hüttenherr nicht. Dazu war er viel zu korrekt und zu besorgt um seinen guten Ruf.

Jedenfalls war es nicht Mina Charlotta, die in dieser oder irgend einer andern Beziehung irgendwelchen Einfluß auf ihren Mann ausübte. Die beiden Gatten hatten im Lauf der Jahre die Rollen in ihrer Ehe gründlich getauscht. Ebenso sicher und stark, wie Mina Charlotta in früheren Jahren ihren Mann beherrscht hatte, war jetzt die Gewalt ihres Mannes über sie. Mina Charlotta hatte den Tag ihres Triumphs erlebt, als ihre Ränke Frucht getragen hatten. Mit einem Sieger voll Siegesbewußtsein hatte sie damals Kolsäter den Rücken gewandt und hatte geglaubt, jetzt sei sie frei von allem, was sie bedrückt hatte.

Aber es ging ihr wie in der Fabel vom Zauberlehrling: Die Geister, die sie gerufen, ward sie nicht mehr los. Und diese Geister übten ihre Rache an der, die sie heraufbeschworen. Denn von jenem selben Tage änderte sich auch ihr Geschick. Es war, als habe der Hüttenherr auf einmal klar erkannt, wer ihm den meuchlerischen Trunk gereicht, der ihm das kranke Blut vergiftet hatte. Und das Gift wirkte weiter. Es hörte nie auf zu wirken. Der Neid auf den Bruder hatte ihm Riesenkräfte verliehen, mittelst derer er sein Ziel erreicht und aus dem Hüttenherrn auf Björknäs etwas Größeres gemacht hatte als der Major auf Kolsäter war. Aber von der Stunde an, da in seiner Seele die Liebe zum Bruder starb, war der Hüttenherr nicht mehr der alte. Auch Mina Charlotta büßte ihren Platz in seinem Herzen ein. Er duldete nicht länger, daß sie sich in seine Angelegenheiten mischte. Er wurde wortkarg, reizbar und hart daheim. Seine ganze Person verbreitete Schrecken um sich, und Mina Charlotta war's, die am meisten darunter zu leiden hatte. Aus der Frau, zu der er einst emporgesehen hatte, machte der Hüttenherr eine geduldige, bittere und sklavische Untergebene. Wie durch ein Wunder war der ehemalige Pantoffelheld plötzlich zum Despoten geworden. Und unter der eisernen Hand, die sie jetzt beherrschte, schrumpfte Mina Charlotta zusammen zu einer fügsamen, nachgiebigen und schweigsamen Ameise, deren ganzes Bestreben nur dahin ging, es dem Mann recht und sich selber so klein wie möglich zu machen.

In einer einzigen Sache hatte der Hüttenherr sich aber doch verrechnet. Er hatte zu den wenigen gehört, die die finanzielle Krise längst vorausgesehen hatten, und er war überzeugt, als sie endlich kam, daß der Bruder ihr zum Opfer fallen würde. Mit einer Art grausamer Befriedigung sah er schon den Tag vor sich, an dem er dem Bruder anbieten würde, ihm wieder auf die Beine zu helfen. Denn darüber war er sich klar – trotz allem, was zwischen ihnen lag, mußte er das tun, schon um der Familie willen.

Dieser Tag kam jedoch nicht. Das Barvermögen, das die selige Exzellenz hinterlassen hatte, war doch zu groß, als daß eine derartige Möglichkeit auch nur denkbar gewesen wäre. Als der Sturm kam, nahm der Major vom Kapital, so viel als notwendig war, um ihn auszuhalten; und als er vorüber war, saß er noch immer auf Kolsäter, zwar ärmer als vorher, aber ebenso unempfindlich auch hiergegen wie gegen alles andre überhaupt. Die Zeit war an ihm vorübergegangen; lang hatte er einsam gelebt. Erling bestand sein Bergbauexamen und machte darauf eine Auslandsreise. Fast drei Jahre hatte diese Reise jetzt gedauert, und noch machte der Sohn nicht Miene, heim zu kommen. Der Major hatte ihn auch gar nicht dazu aufgemuntert. Das Leben hatte ihn wund geschlagen; und er brauchte länger, als andern nötig oder verständlich schien, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Er gewöhnte sich ans Einsamsein und blieb auch einsam. Der Major gehörte zu den Menschen, von denen alle nur Gutes zu sagen wissen, die aber, wenn sie alt werden, die meisten doch scheuen. Es ist, als strahlten solche Menschen ein Fluidum aus, das um sie her eine Leere schafft. Und es sieht oft so aus, als wäre diese Leere, die sich um solch einen Menschen bildet, die eigentliche Lebensluft, ohne die er überhaupt nicht atmen könnte.

Der Major fing in dieser langen Zeit an, so nach und nach mit seinem eigenen Leben zurecht zu kommen. Aber erst jahrelang nach Brites Tod vermochte er sie zu betrauern. In der ersten Zeit empfand er ihren Tod bloß als Erleichterung. Die Schreckensszenen, deren Zeuge er in den letzten Lebensjahren seiner Frau oft gewesen war, machten sogar die Erinnerung noch unheimlich. Hauptsächlich ein gespenstisches Bild verfolgte ihn jeden Abend. Es war die Erinnerung an den Lichtschein, der aus Brites Fenster immer über das Dunkel des großen Hofplatzes gefallen war. Das Licht war erloschen; aber vor der Einbildung des Majors flackerte es noch lang zwischen den Ulmen des Hofs, so oft die Dämmerung über die Fluren sank. Es kam dem Major lang so vor, als würde er Brite überhaupt nicht als tot betrauern können. Allzu lang hatte er sie als Lebende betrauert. Diese letzten Jahre hatten in ihm etwas verbrannt und ihn leer gemacht.

Lange, lange dauerte es, bis diese unheimlichen Erinnerungen verblaßten, und die wirkliche Brite das Zerrbild der dunkeln Tage verdrängte. Lange Jahre mußten darüber hingehen.

Und der Major ward in dieser Zeit unzugänglich. Mit keinem Menschen, sei es Gast oder Untergebener, redete er mehr als das Allernotwendigste. Man bekam ihn auch nur selten zu Gesicht, und niemand wurde vorgelassen, ehe nicht Tilda ihn erst sorgfältig gemustert hatte und dann durch die festgeschlossene Tür zu des Majors Zimmern verschwunden war, um sich zu erkundigen, ob der Herr von Kolsäter zu sprechen war oder nicht.

Grau an Bart und Haar war der Major geworden. Und wenn er jetzt in dem kurzen Umhang mit dem Sammetkragen oder im Winter im Pelzrock mit dem Biberaufschlag um Hals und Ärmel auf dem Gut die Runde machte, da schüttelte manch einer von den Untergebenen den Kopf und meinte, die Zeiten der seligen Exzellenz seien wiedergekommen. Alles, was von der alten Exzellenz erzählt wurde, stimmte ganz gut mit der jetzigen Lebensweise des Majors überein. Er war allerdings weder hart noch gefühllos andern gegenüber. Aber er lebte wie ein Sonderling, und redete nicht mehr, wie früher, mit seinen Angestellten. Und die Alten behaupteten steif und fest, wenn man ihn von hinten sähe oder wenn seine Augen so scharf unter den buschigen Brauen hervorblickten, da sei es, als sähe man die alte Exzellenz leibhaftig vor sich.

Der einzige, der auf Kolsäter ab und zu ging, als wäre er daheim, war Doktor Roeler. Wie der Major hatte auch der Doktor sein Leben hinter sich und redete nie davon. Sein ganzes Leben konzentrierte sich in zwei Hauptpunkten: Den frühen Tod seiner Frau und die unglückselige Operation, die einem Patienten das Leben gekostet hatte. Aber das alles war in Stockholm geschehen, viele Jahre waren seitdem vergangen, in dem Distrikt, in dem er jetzt Arzt war, wußte man kaum von diesen Begebenheiten, und die wenigen, die einst davon gewußt hatten, hatten es längst vergessen. Darum war der Doktor eigentlich jetzt glücklich. Das Vergangene hatte er überwunden; und seine Umgebung hatte keinen Anlaß, sich mit seinem früheren Leben zu beschäftigen.

Er war ein humoristischer Melancholiker. Aber die Melancholie behielt er gewöhnlich für sich, und wies seinen Freunden nur eine Akt scharfen, scherzhaften Wohlwollens. Dem Major war er nach und nach ganz unentbehrlich geworden. Wenn eine Woche verging, ohne daß des Doktors Fuhrwerk auf Kolsäter verfuhr, so wurde der Major schon ungeduldig und empfing den Gast, wenn dieser endlich kam, mit einem Schauer von Scheltworten.

»Zum Kuckuck auch,« antwortete dann der Doktor, »warum kannst du denn nie zu mir kommen?«

»Ich gehe nirgends hin, das weißt du wohl,« fauchte der Major. »Ich sitze in meinem Loch. Das bekommt mir am besten.«

Eines Februarabends, als der Doktor sich lange nicht mehr auf Kolsäter hatte sehen lassen, kam er noch spät in der Dunkelheit gefahren. Der Major empfing den Freund mit dem Gefühl, daß dieser ihm eine Wohltat erweise. Er ließ oben im Giebelzimmer Licht machen und holte seinen besten Kognak. Auf dem Tisch zwischen den zwei Männern dampfte aus schweren, geschliffenen Gläsern das heiße Wasser, und der Major bereitete sich auf einen der ruhigen Abende vor, die ihm nach und nach das Liebste geworden waren.

Oft hatten die beiden Männer so gesessen. Manchmal wanderten sie ernsthaft oder scherzend durch den großen Raum, oder erprobten ihre Kräfte an einer Partie Billard. Oder auch holten sie das Brettspiel; und während die Würfel rollten und die Brettsteine klapperten, verging unter Plaudern und Schweigen der Abend. Ab und zu auch wurden die Karten hervorgesucht; und bei einer ruhigen Partie Pikett genossen die zwei alten Herren das Gefühl, daß die Zeit rasch dahinflog. Immer sprachen sie dabei fleißig der Flasche zu. Und wenn das Nachtessen abgetragen war, setzten sie sich zum Plaudern, zu stillem Gespräch zusammen. Dann löste sich beiden die Zunge; und sie lernten einander bei diesen Zusammenkünften nach und nach in- und auswendig kennen. Nichts war in dem Major, das er dem Freund nicht hätte anvertrauen können. Und auch im Leben des Doktors war keinerlei wichtige Episode, von der nicht der Major wußte.

Ihre allerbesten Abende waren es, wenn Billard, Brettspiel und Karten nicht angerührt wurden. Dann saßen sie Stunde um Stunde beieinander. Die Tabakswolken lagerten sich um sie her. Das heiße Wasser im Krug mußte zwei- und dreimal erneuert werden. Da geschah es auch, daß, wenn andre Gesprächsstoffe ihnen ausgingen, die Ereignisse ihres eigenen Lebens wieder und wieder hervorgeholt und erzählt wurden. Gedanken und Fragen von früheren Gesprächen her kehrten in neuer Form wieder. Ein neues Kapitel in der inneren Geschichte der zwei Freunde ward dann zu den vorhergehenden gelegt, und wenn an einem solchen Abend das Gespräch zu Ende war, so war es immer, als setzten sie mit gutem Gewissen einen Punkt hinter irgend ein abgeschlossenes Kapitel, wie gute Schriftsteller, bereit, weiter zu machen, sobald der Inhalt ihres Lebens neue Frucht in ihnen gezeitigt hatte.

Heute wurde es ganz von selber ein solcher Abend. Es war deutlich zu sehen, daß Doktor Roeler etwas auf dem Herzen hatte. In seiner ganzen Art lag etwas so auffallend Beherrschtes; und während der Major von diesem und jenem sprach, betrachtete ihn der Doktor verstohlen, als wolle er eine geschickte Gelegenheit abpassen, um mit dem, was er eigentlich sagen wollte, herauszurücken.

»Hast du in der letzten Zeit Nachricht von Erling gehabt?« begann er schließlich.

»Ja,« antwortete der Major. »Er schreibt, er komme jetzt bald heim.«

»Es ist nicht zu früh,« entgegnete der Doktor. »Warum hast du ihn eigentlich so lange fortgelassen?«

Der Major strich sich über den Bart und tat einen tiefen Zug aus dem Glas, ehe er antwortete.

»Ich konnte ihn daheim nicht brauchen,« sagte er schließlich gerade heraus. »Es war mir buchstäblich unmöglich. Es war mir damals so viel über den Kopf gekommen, daß ich einfach keinen Menschen neben mir ertragen konnte. Nicht einmal meinen Sohn. Ihn am allerwenigsten.«

Der Major verstummte jäh; er schien danach zu ringen, seine eigene Stimme wieder in die Gewalt zu bekommen. Dann fuhr er fort:

»Daß Brite starb, das konnt' ich ertragen. Auch daß ich meinen Bruder verlor. Aber ich kann nicht aufhören, gerade über dies letztere nachzugrübeln. Es ist mir noch heute unbegreiflich.«

Der Doktor war jetzt auf dem Punkt angelangt, auf den er zielte. Damit der Major nicht wieder abweichen sollte, sagte er rasch:

»Es ist und bleibt für den Menschen immer unbegreiflich, wenn er einen Irrtum begangen hat. Du hast dir ein Bild vom Hüttenherrn auf Björknäs gemacht, das überhaupt nie existierte. Und das hast du angebetet. Als du dann endlich einsahst, wie er eigentlich war, da warst du natürlich wie aus den Wolken gefallen.«

Der Major biß die Zähne zusammen. Der Ton seiner Stimme ward scharf.

»Das ist eine Lüge,« sagte er und schlug auf den Tisch. »Eine verdammte Lüge. Nils Göran war einmal, wie ich ihn mir vorstellte. Und da liegt das Rätsel, und darüber komm' ich nicht hinweg. Prosit!«

Der Major trank und fuhr fort:

»Was wollt' ich doch sagen, als du mich in deiner dummen Art unterbrochen hast? Ja – also das alles konnt' ich ertragen. Ich habe auch Brites langes Kranksein und den Tod des Kindes ertragen. Alles. Sogar die fürchterlichen Nächte, die ich nie vergessen werde. In dem alten Haus hier sind die Erinnerungen um einen lebendig, das glaub' mir, du! Wenn alles still ist, und ich ganz allein von einem Zimmer ins andre gehe und denke, immer nur denke, da hör' ich manches, was ich gar nicht erzählen kann. In jedem Zimmer begegnet mir etwas, das ich längst vergessen glaubte.«

»Was war es also, was du nicht ertragen konntest?« unterbrach ihn der Doktor.

»Wart' ein bißchen. Ich muß erst nachdenken. Wenn ich in die Erinnerungen hinein komme, bin ich wie in einem Wirbel. Ja, also! Was ich nicht ertragen konnte? Es war nicht einmal das, daß alles so plötzlich kam, so auf einmal, daß in mir alles war, als ob die ganze Welt um mich zusammenfiele, und ich mit ihr. Es ist eine ganze Kleinigkeit, die doch mehr war als alles andre. Nämlich, als all das geschehen war – du weißt, ich hab' es dir ja schon oft erzählt – da war ich reinewegs verrückt, so daß ich einfach davonfuhr. Ohne Brite ein Wort zu sagen, fuhr ich einfach davon. Und weißt du, was ich tat? Ich fuhr in die Stadt. Ich ging zu Freunden. Und was für Freunden! Ein Haufe Banditen, die ich heute nicht mehr mit der Feuerzange anrühren möchte! Mit denen lebte ich in Saus und Braus, spielte, trank, verschlief die Tage und verwachte die Nächte. Schlimmer als in meiner schlimmsten Leutnantszeit ging's zu. Du kannst mir's glauben – alle fanden sie, der Major von Kolsäter sei ein lustiger Teufel, jawohl!«

Aufs neue machte der Major eine Bewegung, als wolle er trinken. Aber er schob das Glas von sich und fuhr fort:

»Sie war ganz allein. Keine Zeile schrieb ich ihr. Und da ging sie zugrunde, ohne daß ich es überhaupt merkte. Und darum sitz' ich jetzt da als ein Bettler!«

Des Doktors Antlitz hatte sich verfinstert, während der Major erzählte. Schweigend, an seiner Zigarre ziehend, saß er in seiner Ecke. Und noch wehmütiger als sonst blickten seine Augen unter der kahlen Stirn vor.

»Wenn man verzweifelt ist, Freund, macht man eben Dummheiten,« sagte er beschwichtigend. »Wenn ich damit anfangen wollte – da fänd' ich kein Ende!«

»Ja, du,« erwiderte der Major. »Aber was hilft das mir?«

»Ach was, Geschwätz,« entgegnete der Doktor mit seiner unerschütterlichen Logik. »Du ahntest doch nichts vom Zustand deiner Frau. Wie kannst du es dir zur Last legen, daß sie nichts sagte?«

»Und damit meinst du, hast du die Worte aller Weisheit gesprochen!« antwortete der Major. »Begreifst du denn nicht? Wenn ich Augen im Kopf gehabt hätte, hätt' ich es doch verstehen müssen! Siehst du denn nicht ein, daß gerade hierin meine Schuld liegt – die Schuld, die ich nie werde abtragen können?«

»Hör' einmal, du,« unterbrach ihn jetzt der Doktor. »Jetzt fängst du an, zu reden wie ein Pfarrer.«

»Die Pfarrer haben gar nicht so unrecht in allem,« erwiderte trocken der Major. »Das ist ein Vorurteil, wie so vieles andre auch. Und was Hab' ich nachher getan? Einen Monat um den andern ließ ich vergehen. Ich sah, wie Brite litt. Ich hätt' ihr helfen können. Aber ich tat's nicht. Ich bildete mir ein, ich könnt' es nicht, stellte mich selber mit Wissen und Willen taub und stumm. Und weißt du, was noch das Allermerkwürdigste war? Daß ich nämlich den ganzen Winter ganz gut wußte, daß das Unglück über mir war, und doch wie ein Verrückter handelte. Ich begreif' ja wohl, daß du das nicht glaubst. Und doch war es so. Ich wußte, das Unglück war über mir wie ein Geschwür, das sich mehr und mehr nach innen zieht. Und ich lief herum wie ein Nachtwandler und wartete nur immer auf das Unglück. Na! Du weißt es ja selber – ich brauchte nicht vergebens zu warten!«

Wieder wollte der Doktor unterbrechen; aber der Major kam ihm zuvor.

»Nur noch einen Augenblick. Hab' Geduld,« sagte er. »Dann magst du reden, soviel du willst. Siehst du, aus dem allen entstand in mir etwas, was man Bruderhaß nennt. Du hast mir in diesem Punkt immer gepredigt, und ich hab' dich auch ruhig machen lassen. Aber einmal sollst du mich doch hören, sollst verstehen, was dieser Haß, wie du es nennst, eigentlich ist. Ich wünsche ihm gar nichts Böses, hab' es nie getan. Aber verstehst du mich denn nicht? Verstehst du nicht, daß alle die falschen Beschuldigungen, die Ungerechtigkeiten und Lügen, mit denen er mich überschüttet hat, mich schlecht gemacht haben? Mich so tief trafen, daß sie mich schlecht gemacht haben? Sie zwangen aus mir etwas heraus, das überhaupt gar nicht da war. Sie machten mich eine Zeitlang fast so, wie er behauptete, daß ich wäre. Wir hatten ein ganzes langes Leben miteinander gelebt, er und ich. Nichts gab es, das mir selber teuer und wert war, von dem ich nicht wollte, er sollte teil daran haben, von dem ich nicht glaubte, ich teilte es mit ihm. Und alles hat er in den Schmutz gezogen. Keinen Winkel hat er mir gelassen in meinem Leben, an dem ich mich noch freuen kann. So nah' hab' ich ihm einst gestanden. Mag sein – es war bloß Einbildung! Aber begreifst du denn nicht, wie das alles war? Wir hatten uns ja oft entzweit, er und ich, wie sich Brüder eben entzweien. Aber ich hatte das alles vergessen. Ich glaubte an ihn, wie an den lebendigen Gott. Und wie er sich so plötzlich vor meinen Augen verwandelte, da verlor ich den Kopf. Und Brite hat darum sterben müssen! Verstehst du mich jetzt? Das ist ja Wahnsinn, das alles! Meines Bruders Neid, seine Beschuldigungen, seine Ausfälligkeiten, meine Trauer, mein Haß, mein Tun, meine Worte – all das war und ist Wahnsinn. Einfach alles vollständig Wahnsinn! Aber was hilft es mir, daß ich das einsehe?«

Mit zitternder Hand mischte sich der Major einen neuen Toddy. Der Doktor fragte:

»Sag' mal, Karl Henrik – du hast mir da so viel erzählt. Warum hast du mir das alles nicht früher gesagt?«

»Hm!« erwiderte nachdenklich der Major. »Ich habe lange gebraucht, bis ich es selber verstand, und dann noch länger, bis ich soweit ruhig geworden war, daß ich darüber sprechen konnte. Tatsachen – die kann man ja immer erzählen. Aber was sind Tatsachen? Nichts.«

Der Doktor lächelte; hinter seiner Brille leuchteten die klaren Augen.

»Freund und Major,« sagte er, »du hast dein ganzes Leben in dieser ganzen Zeit mehr und mehr auf die schiefe Ebene gebracht. Entschuldige, wenn ich das sage!«

»Was, zum Henker, willst du damit?« entgegnete der Major.

»Glaubst du, das Leben, das du führst, ist dir auf die Dauer gesund? Ich meine, daß du dich von allem so abschließest?«

»Und was machst denn du?« rief höhnisch der Major.

Über des Doktors Gesicht glitt ein Ausdruck von Resignation.

»Ich schließe mich nicht ab,« erwiderte er. »Jeden Tag fahre ich auf Praxis bei den Menschen herum. Und ich grüble auch nicht.«

»Um so besser für dich,« sagte gereizt der Major.

Aber der Doktor ließ sich nicht stören.

»Weißt du, mit wem die Leute dich schon vergleichen?« fuhr er fort.

»Was kümmert mich das?« lautete die Antwort.

Der Doktor zögerte einen Augenblick. Dann lächelte er durch die Tabakswolken dem Freund zu und antwortete:

»Die Leute nennen dich die alte Exzellenz Nummer zwei.«

Im Gesicht des Majors zuckte keine Miene.

»So,« sagte er ruhig. »Tun sie das? Das wundert mich gar nicht und kränkt mich auch gar nicht. Ich bin schon lange selber hinter die Ähnlichkeit gekommen, überhaupt sind da verwandte Züge zwischen dem Alten und mir. Das versteh' ich gut. Und vielleicht war es mehr als ein bloßer Zufall, daß er grade meinen Namen in sein Testament setzte – zum Ärger für so viele. Zu etwas Derartigem wär' auch ich imstande.«

»Freilich, freilich,« entgegnete sarkastisch der Doktor. »Ich glaub' dir's. Aber es ist eben doch ein großer Unterschied zwischen euch beiden.«

»Du meinst, ich sei bei Verstand,« sagte der Major.

Der Doktor schüttelte den Kopf und lächelte gutmütig.

»Bei Verstand – das warst du nie,« meinte er. »Du hast dich bloß ein bißchen besser maskiert. Aber du hast einen Sohn, und das hatte er nicht.«

Und damit schwieg der Doktor, als habe er nun gesagt, was ihm am Herzen lag, und erwartete ruhig die Wirkung seiner Worte.

Das Schweigen zwischen den beiden ward lang und peinlich. Der Major starrte in die Dämmerung, die den großen Raum erfüllte und strich sich den ergrauenden Backenbart, wie er immer zu tun pflegte, wenn er sein Mienenspiel verbergen wollte.

»Du glaubst, ich habe meinen Sohn vergessen?« sagte er endlich nachdrücklich.

»Nein,« erwiderte der Doktor. »Ich wollte dir nur zeigen, daß du mehr hast, wofür du leben kannst, als du überhaupt weißt.«

»Sprich nicht davon!« fiel ihm der Major ins Wort. »Meinst du denn, ich wisse das nicht? Begreifst du denn nicht, daß mich das grade am allermeisten plagt? Dann hab' ich freilich all die Jahre durch tauben Ohren gepredigt!«

»Nein, das begreif' ich wirklich nicht!«

Der Major seufzte; ein eigentümlich müdes Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Nichts ist hoffnungsloser, als wenn man versuchen will, sich zu erklären,« sagte er dann. »Jeder hat eben das Seine zu tragen. Und jeder tut am klügsten daran, wenn er es für sich behält.«

Plötzlich schlug er einen andern Ton an, blickte dem Doktor fest in die Augen und sagte:

»Wo willst du denn eigentlich hinaus mit dem allem?«

»Wo ich hinaus will?«

»Ja, du hast etwas auf dem Herzen. Heraus damit! Sag's! Wie eine Katze gehst du um den heißen Brei. Erst machst du mich sentimental, und dann fällst du mit deinem Sarkasmus über mich her. Du bist ein schlechter Diplomat, lieber Doktor. Heraus damit, sag' ich, zum Teufel noch einmal! Glaubst du, ich merkte nicht, daß du gern etwas sagen möchtest und dich bloß nicht getraust?«

Der Doktor blickte dem Major die ganze Zeit über steif in die Augen; als er fertig war, erwiderte er:

»Ich habe dir auch tatsächlich etwas zu sagen. Den ganzen Abend wart' ich auf eine Gelegenheit, es dir zu sagen, ohne so gradezu mit der Tür ins Haus zu fallen. Du machst es einem nicht grade leicht, lieber Freund, das ist schon wahr! Also, was ich sagen wollte: Dein Bruder liegt im Sterben.«

Der Major stieß seinen Stuhl zurück und sprang heftig auf.

»Woher weißt du das?« rief er.

»Ich hab' es bei einem Krankenbesuch gehört. Und da bin ich gleich hierher gefahren. Deshalb bin ich so spät noch gekommen.«

»Und jetzt meinst du, ich soll nach Björknäs fahren und mich mit meinem Bruder aussöhnen.«

Die Worte klangen kurz und höhnisch. Aber der Doktor sah, daß der andre mit den Tränen kämpfte.

»Ich wollte nur, du solltest es wissen,« erwiderte er einfach. Der Major setzte sich wieder. Wie zur Antwort auf seine eigenen Gedanken sagte er:

»Ich kann nicht.«

Der Doktor verstand ihn. Er beugte sich sachte zu ihm hinüber und fragte:

»Möchtest du allein sein?«

»Nicht nötig,« antwortete kurz der Major.

Eine Weile darauf erschien Tilda unter der Tür und meldete, daß das Nachtessen serviert sei.

Die beiden Herren gingen miteinander ins Eßzimmer. Als sie unten an der Treppe angelangt waren, faßte der Major den Freund am Arm, schaute ihm fest in die Augen und sagte:

»Du bist ein guter Freund, und ich danke dir! Du getraust dich sogar manchmal, mir harte Dinge zu sagen. Und du sagst sie ohne Hintergedanken. Aber denk' an eins: Einst, in alten Tagen, schloß eine Geschichte, wie wir sie heut' wieder berührt haben, damit, daß der eine Bruder zum Hof des andern zog und ihm diesen Hof über dem Kopf niederbrannte. Mit Mann und Maus. Glaubst du, die Menschen hätten das getan, um ihrem Opfer Schaden oder Schmerz zuzufügen? Nein, sie taten es, um endlich zu wissen, daß der Feind fort und daß die Luft um sie wieder rein war.«

Der Major war in höchster Erregung, als er diese Worte sprach. Als er den Freund zurückzucken sah, fügte er hinzu:

»Über derartiges bin ich längst hinaus. Aber soviel hab' ich doch empfunden, daß ich glaube, ich verstehe unsre heidnischen Vorväter.«

Dann öffnete er mit einem finstern Lächeln die Eßzimmertür und bat seinen Gast, einzutreten. Als sie sich zu Tisch setzten, sagte er noch:

»Morgen bekommen wir Sturm.«

Der Wind heulte im Kamin; und an die Scheiben peitschte der trockene Schnee.



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