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VII.

Am andern Morgen ließ sich der Chevalier gegen seine Gewohnheit zeitig bei Rosette melden.

»Du bist es!« sagte sie verwundert. »Fast möchte ich fragen: So früh? Aber du kommst mir nie zu früh! Zur Belohnung darfst du mir die Hand küssen!«

Sie reichte ihm aus den flandrischen Spitzen ihrer Decke heraus das allerzierlichste Frauenhändchen.

Der Chevalier drückte galant einen leichten Kuß darauf.

»Und das Schwesterlein, soll das nichts bekommen?« fragte er.

»Ach du mein Gott! Warum nicht? Ich bin heute in Sonntagsstimmung. Da!«

Die andere Hand kam zum Vorschein und tippte den Chevalier auf den Mund. »Bin ich nicht riesig nett?«

»Mehr noch! Die Grazie selbst! Man sollte dir einen weißen Marmortempel in einem Myrtenhaine weihen. Wahrlich, ich glaube, es ginge dir wie der Psyche: Aphrodite würde eifersüchtig auf dich!«

Er küßte Rosettens beide Hände.

»Das sagst du alles so, als hättest du das auswendig gelernt.«

Rosette schmollte kokett.

»Das ist nicht der Fall. Aber für dich kann man seine Sätze nicht genug ziselieren.«

»Ah! Was ist denn in dich gefahren? Du bist übergalant! Bist du krank? Oder deinem letzten Stündlein nahe? Weißt du, wenn sich jemand ohne rechte Veranlassung urplötzlich völlig wandelt, so ist das ein schlimmes Zeichen! Alle Frauen, die es bisher auf sich genommen haben, dich zu lieben, sind sich darüber einig, daß du für gewöhnlich ein unausstehlicher Griesgram bist. Und mit einem Male so! Mein verehrter Chevalier, du siehst tatsächlich ganz blaß aus! Reiche mir deinen Arm! Ich will einmal deinen Puls fühlen.«

Rosette streifte seinen Ärmel zurück und zählte mit drolligernster Miene des Chevaliers Pulsschläge.

»Merkwürdig! Es geht dir ausgezeichnet. Nicht die leiseste Spur von Fieber! Dann muß ich also heute berückend hübsch aussehen. Gib mir einmal den Spiegel da! Ich will mich überzeugen, ob deine Galanterie berechtigt ist.«

D'Albert holte einen kleinen silbernen Handspiegel vom Toilettentisch und legte ihn ihr auf das Bett.

»Wirklich!« erklärte Rosette. »So unrecht hast du nicht! Mein Herr Poet, warum machen Sie kein Sonett auf meine bildschönen Augen? Warum nicht? Ich bin recht unglücklich daran. Was nützt es mir, daß ich solche Augen habe und einen veritablen Dichter dazu, wenn er mir kein Gedicht darauf macht? Da könnte ich ja auch einäugig sein und zum Liebsten einen Schulmeister haben! Du liebst mich nicht mehr! Geh! Meinen Namen hast du auch noch nie verherrlicht. Und meinen Mund auch nicht! Den Mund, der dich schon tausendmal geküßt hat!«

»Rosette, rede nicht so leichtsinnig! Du weißt, daß ich dich liebe!«

»Das weiß ich gar nicht ganz genau! Du vielleicht?«

»Natürlich. Ganz genau weiß ich das. Und wenn du deine Tür verschließen wolltest, ich würde doch einen Weg zu dir finden!«

»Was du sagst! Ich habe zwar große Lust, den Beweis davon zu sehen, indessen: mein Haus soll doch lieber offen bleiben! Die Sonne scheint für jedermann, und meine Schönheit soll eine Sonne sein! Du hast wohl nichts dagegen?«

»Doch! Ich finde das abscheulich! Aber ich mache dir trotzdem keine Vorschriften. Ich bin dein Diener und Sklave!«

»Das ist nett! Bleibe dies!«

Der ewig lächelnde dicke Neger, Rosettens Boy, erschien in der geöffneten Tür und meldete:

»Herr Marquis von Serannes bittet um die Ehre, seinen Besuch machen zu dürfen!«

»Ich lasse den Marquis bitten!« erwiderte Rosette und zog ihre Spitzendecke bis ans Kinn hinauf.

Theodor trat ein, ging rasch auf Rosettens Bett zu und begrüßte sie mit einer tiefen Verbeugung. Sie dankte mit einem huldvollen Kopfnicken und stellte ihn dem Chevalier vor. Der Ankömmling sagte höflich-freimütig:

»Die Herrschaften waren eben in einem anregenden Gespräch. Darf ich bitten, mich daran teilnehmen zu lassen? Ein paar Worte genügen, und ich bin im Bilde!«

»Ach nein!« erwiderte Rosette, ein klein wenig boshaft lächelnd »Wir sprachen von Geschäften.«

Theodor nahm am Fußende des Bettes in einem Lehnstuhl Platz, während d'Albert als Zuerstgekommener am Kopfende saß. Es kam eine Unterhaltung in Fluß, die sehr bald lebhaft und launig wurde.

 

Warum war der Chevalier so zeitig aufgestanden, um seine Geliebte in früher Morgenstunde zu besuchen? Er war doch nicht mehr verliebt. War er eifersüchtig? Gewiß hing er nicht mehr sehr an Rosette; er wäre sogar froh gewesen, ihrer ledig zu sein. Aber er wollte der freigebende, nicht der freigelassene Teil sein. Darin war er eitel wie alle Männer.

Er war mit dem Vorsatze zu Rosette gekommen, sich vor dem Marquis, falls er ihn bei ihr träfe, sehr zugeknöpft zu verhalten. Aber Theodor hatte etwas Sieghaftes in seinem Wesen, eine merkwürdige Mischung von Vornehmheit und Natürlichkeit, so daß ihm niemand mißgesinnt sein konnte, selbst eifersüchtige Männer nicht. Zu seinem größten Erstaunen nahm der Chevalier wahr, daß sein Groll in der Gegenwart dieses jungen Menschen alsbald verflog. Es war ihm unmöglich, nicht ausgesucht liebenswürdig zu sein. Und so kam es, daß man die beiden nach einer halben Stunde für zwei Jugendfreunde hätte halten können.

Insgeheim war d'Albert allerdings davon fest überzeugt: wenn Rosette überhaupt der Liebe fähig war, dann mußte sie diesen Mann lieben. Er hatte also vollauf Grund, eifersüchtig zu sein, wenigstens für die Zukunft, denn davon ahnte er nichts, daß Rosette mehrere Stunden der vergangenen Nacht im Zimmer des Fremdlings verweilt hatte.

Rosette lauschte Theodors Worten andächtig, wie man es tut, wenn man einen geliebten Menschen reden hört. Auch darin konnte d'Albert nichts Beunruhigendes finden, denn Theodor verstand sich aufs amüsante Plaudern. Gegen Rosette benahm er sich artig und ganz wie ein harmloser guter Freund.

»Was wollen wir heute anfangen, Theodor?« fragte Rosette.

»Was meinen Sie? Eine Kahnpartie oder eine kleine Steeplechase hinter den Hunden?«

»Ich bin für das Kavalleristische!« entschied sich Theodor. »Zur Seite eines Schwanes durch das Wasser zu gleiten und Seerosen zu pflücken, das macht melancholisch. Sind Sie nicht auch meiner Ansicht, Herr d'Albert?«

»Ich lasse mich eigentlich lieber in einem Boote den Fluß hintreiben, als daß ich ein armes Füchslein zu Tode hetze, aber selbstverständlich richte ich mich nach Ihnen. Zunächst jedoch müssen wir die gnädige Frau aufstehen und sich ankleiden lassen. Darf ich Sie bitten?«

Rosette klingelte der Zofe. Die Herren gingen aus dem Zimmer, wobei sich der Chevalier an Theodors linken Arm hängte.

 

Eine Stunde später war alles bereit. Der Chevalier und Theodor waren bereits im Sattel, als Rosette auf der Freitreppe erschien. Das kurze knappe Reitkleid stand ihr prächtig.

Ein Diener half ihr beim Aufsitzen. Dann ging es zum Tor hinaus. Auf dem Waldwege galoppierte Rosette an. D'Albert folgte ihr. Theodor ließ den beiden einen Vorsprung und sah sich ein paarmal erwartungsvoll um.

»Theodor, Theodor!« rief ihm Rosette zurück. »Warum kommen Sie nicht? Kann Ihr Gaul nicht?«

Theodor blickte sich noch einmal nach dem Schlosse um, dann begann er in kurzem Galopp nachzureiten. Er hatte gesehen, was er wollte: sein Page verließ soeben das Parktor.

»Theodor!« rief Rosette von neuem. »Ist Ihr Gaul aus Holz? Vorwärts!«

Serannes ließ seinem Araber die Zügel und war bald an Rosettens Seite und über sie hinaus.

»Wer mich liebt, folgt mir!« rief er übermütig und sprang über eine anderthalb Meter hohe Hecke, die den sich wendenden Weg von einer Waldwiese trennte. Jenseits parierte er sein Pferd und nahm die Front wieder gegen das Hindernis.

»Nun, Herr d'Albert, Sie nicht? Ich denke, Poeten reiten Flügelrosse? Schade!«

»Mein Gott,« meinte der Chevalier lächelnd, »man hat nur ein Genick! Hätte ich zwei, so wollte ich eins schon riskieren!«

»Folglich hat mich niemand lieb!« erklärte Theodor.

»Doch!« rief der kleine Page, der sich eben einstellte. Er sah seinen Herrn und Gebieter mit großen Augen an. Dann gab er seinem Tiere die Sporen und einen Schlag mit der Gerte – und drüben war er.

Rosette warf dem Knaben einen pikierten Blick zu, wobei sie ein purpurrotes Gesicht bekam. Ein fester Peitschenschlag traf die Kruppe ihres Rappen – und auch sie war auf Theodors Seite.

»Dachten Sie, ich nicht?« rief sie ihm zu.

Der Page schielte die Reiterin von der Seite an. D'Albert war inzwischen die Straße weiter geritten und sah vom ganzen Zwischenspiel nichts. Seit Urzeiten haben ja Väter, Ehegatten und Geliebte das Vorrecht, nichts zu sehen.

»Du bist toll, Kleiner!« meinte Theodor. »Aus dem Stand solch eine hohe Hürde zu nehmen! Konntest das Genick brechen! Und Sie, Rosette, Sie sind noch toller! Das ist nichts für jemanden, der im Damensattel sitzt! Es konnte Ihr Tod sein!«

»Meinetwegen!« erwiderte Rosette unmutig und so schwermütig, daß ihr der Page die Konkurrenz über die Hecke verzieh.

Schweigend trabte man zum Rendez-vous-Platze, wo die Pikeure, der Huntsman und sechzehn Koppeln englischer Fuchshunde harrten. Von einem runden Platz, auf dem ein sechskantiger Stein stand, gingen sechs schnurgerade durch den Hochwald gehauene Schneisen sternartig aus.

Die Hörner klangen. Die Hunde wurden auf die Fährte Meister Reinekes gesetzt, dem man eine Stunde vorher am nämlichen Orte die Freiheit gegeben hatte, – und die Jagd begann. Theodor als Master vorweg. Die drei andern folgten, erst der Chevalier, dann Rosette und zuletzt der Page. Es ging im Galopp durch eine der Schneisen.

»Achtgeben!« rief Rosette mit einem Male. Ein starker Baumast hing drohend über den Weg. Es war aber zu spät. Der Ast hatte den Pagen bereits vor die Brust getroffen.

Durch die Heftigkeit des Stoßes verlor der Kleine die Steigbügel. Er kam aus dem Sitze und fiel vom Pferde. Besinnungslos lag er nun auf dem Wege.

Rosette war heftig erschrocken, aber sie parierte ihr Pferd sofort, und flugs war sie aus dem Sattel. Als sie sich besorgt über den Pagen beugte, rührte er sich noch immer nicht. Er hatte sein Barett verloren und sein langes blondes Haar fiel ihm über die Stirn. Rosette öffnete ihm Gürtel und Weste und wollte das Hemd unter dem Spitzenkragen lockern, damit er Luft bekäme. Da machte sie eine merkwürdige Entdeckung: der Page hatte einen Busen, wenn auch in jungfräulichstem Ansätze.

»Ein Mädchen!« rief Rosette aus. »Ach, Theodor!«

In diesem Augenblick begann der Page leise zu atmen und schlug verwundert die Augen auf. Er war nur ohnmächtig gewesen, hatte sich aber nicht verletzt. Mit Rosettens Hilfe richtete er sich bald wieder auf und bestieg von neuem sein Pferd. Das war gutmütig stehengeblieben.

Die beiden Herren hatten den Unfall nicht bemerkt. Man traf sich erst am Halali.

Als Rosette den Vorfall kurz erwähnte, verfärbte sich Theodor und war fortan recht einsilbig. Auch Rosette war versonnen; erst recht der Chevalier.


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