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V.

Ich habe mich getäuscht! Mein böses, der Liebe unfähiges Herz hat mir etwas vorgelogen, um mich von der Bürde der Dankbarkeit zu erlösen, die ich nicht zu schleppen vermag. Und mit Freuden habe ich diese Lüge ergriffen, um mich damit vor mir selber zu rechtfertigen. Sie war mein ganzer Halt, diese große Unwahrheit.

Rosette spielt keine Komödie. Wenn je ein Weib wahrhaftig sein kann, dann ist sie es.

Ach, fast grolle ich ihr ob der Aufrichtigkeit ihrer Leidenschaft. Sie bindet mich. Sie erschwert mir den Bruch und läßt keine Entschuldigung zu. Ich wünschte, Rosette wäre flatterhaft und treulos.

Eine verrückte Sache! Man will gehen und – bleibt! Man möchte sagen: Ich hab dich satt! – und man sagt: Ich liebe dich! Das Einst treibt einen immer weiter, läßt einen nicht stillstehen, nicht umkehren. Man bleibt treu und ärgert sich über dieses Treubleiben.

Wenn eine neue Liebe die alte vertreibt, dann fällt einem der Bruch leichter. Dann helfen einem tausend Dinge. Wohl versuchen auch dann Gewissensfragen ihre Stimmen zu erheben, aber das Leitmotiv der neuen Musik übertönt sie. Das Herz war leer und ist nun mit einem Male wieder reich. Die alten Erinnerungen weichen den neuen Erlebnissen. Mir kommt diese Hilfe nicht. Ich liebe niemanden. Nur Überdruß und Langeweile, mehr vor mir selbst als vor Rosette, drängen mich von ihr fort.

Meine alten Träumereien, die ein wenig eingeschlummert waren, sind wieder erwacht; sie sind toller denn je. Wie ehedem quält mich die Sehnsucht nach meinem Ideal, selbst in Rosettens Armen. Es lächelt mir aus seiner Himmelshöhe zu. Wie einst bilde ich mir ein: wenn ich mich unverzüglich in die Postkutsche setzte und weit, weit wegführe, dann käme ich an einen Ort, wo sich mein Schicksal erfüllte. Ich fühle es: irgendwo auf Erden harrt die Erlesene ungeduldig meines Kommens. Aber meine Flügel haben sich in einem Netze verfangen, und ich kann nicht fort. Ich vermag es nicht zu zerreißen und abzustreifen.

Geliebtes Traumbild, wieviel Zeit habe ich verloren, ohne den geringsten Versuch zu machen, dich zu finden! Ich habe mich in den Rausch der Sinnenlust verloren. Ich bin dir zu begegnen kaum noch würdig.

Rosette …

Eigentlich habe ich ihr nichts vorzuwerfen. Höchstens ihre Vergangenheit. Mir ist sie treu wie Gold. Und dann dürfte man überhaupt keine schöne Frau lieben. Jede hat eine Vergangenheit. Wenn man auch manchmal nicht weiß, wer vor uns ihr Geliebter war: einer war es, ein paar! Sicherlich aber ist man der erste, den sie wahrhaft liebt! Der andre? Nur ein unseliges Verhängnis hat sie in die Arme dieses Unwürdigen gejagt. Die unklare Sehnsucht ihres liebesüchtigen Herzens hatte sie verführt. Die Enttäuschung war alsbald da …

Es ist etwas Häßliches, daran denken zu müssen, daß man die Küsse seines Vorgängers wegküßt! Daß im tiefsten Seelenwinkel der Geliebten eine unerbittliche Erinnerung lauert, die der Gegenwart Wonnen mit denen von einst vergleicht!

Und eins muß ich noch bekennen. Wenn ich mit Rosette breche, dann dauert es unbedingt einige Zeit, ehe eine andre an ihre Stelle tritt, so leicht es an und für sich ist, die Nachfolgerin zu finden. Ich habe mich mit Rosette an eine erlesene Art des Sinnengenusses gewöhnt. Es wird mir schwer fallen, sie zu entbehren. Es gibt ja Kokotten, und ganz nette. Ich habe ihnen manche vergnügliche Stunde zu danken. Aber über diese Zeiten bin ich längst hinaus. Heute widern sie mich an.

Die Wollust hat mich verweichlicht; ihr Gift ist mir zu tief ins Blut gegangen, so daß ich gar nicht daran denken mag: wie soll ich das Leben vielleicht monatelang ohne Weib ertragen?

Ich weiß sehr wohl, das ist Egoismus niedrigster Sorte. Aber wer hätte aus seinem Leben niemals Ähnliches zu beichten? Die Tugendbolde und Sittlichkeitseiferer sind die allerschlimmsten. Ich bin wenigstens freimütig.

Ohne diese unedle Rücksicht wäre ich längst von Rosette geschieden. Und noch ein Gedanke ist mir gräßlich: von neuem suchen zu sollen! Es ist unsagbar langweilig, einer Frau den Hof zu machen. Verliebte Dummheiten zu reden, die man schon fünfzig andern vorgeschwatzt hat! Den Galanten zu spielen, nette Briefchen zu schreiben, die Erkorene abends eine Stunde weit nach ihrem Haus zu begleiten, sich dabei kalte Füße und einen tüchtigen Schnupfen zu holen, Fensterpromenaden zu machen, Blumensträuße zu schicken und auf Bälle zu rennen! Und alles das, um bloß wiederum dahin zu gelangen, wo ich – mit Rosette – bin! Lohnt das der vielen Mühe? Nein!

An Rosettens Seite empfinde ich satte Ruhe und lässiges Wohlbehagen, wie dies die Befriedigung der Sinne mit sich bringt. Das ist alles. Es genügt mir nicht. Der Schlummer der Wollust wird zu Unempfänglichkeit und der Seelenfrieden zu Langerweile. Und dann kommen die Träumereien, die mich nervös und gemütskrank machen. Diesem Zustande will ich um jeden Preis ein Ende setzen.

Ich verlange vom Weibe nichts als Schönheit. Ich verzichte gern auf Geist und Gemüt. Eine schöne Frau ist für mich immer geistvoll. Schönheit ist körperliches Genie; der Gipfel des natürlichen Menschentums. Blitze aus schönen Augen sind mir lieber denn zündende Worte und funkelnde Gedanken. Ein lieblicher Mund ist mir mehr wert als ein nettes Wort. Eine tadellose Schulter ziehe ich selbst einer der Kardinaltugenden vor. Fünfzig schöne Seelen gebe ich für einen hübschen Fuß und die sämtlichen Werke sämtlicher Poeten meines Jahrhunderts für den Busen der knidischen Aphrodite. Körperliche Schönheit ist das einzige, was der Mensch von der Existenz der Götter zu spüren vermag. Sie ist der Himmel auf Erden.

Ich sehne mich unendlich nach vollkommener Schönheit, wenn ich auch weiß, daß ich ihr wohl nie begegne. Weil Einzelnes an der oder jenen sonst nicht besonders schönen Frau unvergleichlich schön war, habe ich manche geliebt. Ich liebte das Fragment und übersah das übrige. Heute ist meine Phantasie zu nervös dazu. Ich verlange Harmonie. Der Anblick einer gleichmäßig häßlichen Person ist mir erträglicher als der einer nur stückweise schönen. Nichts tut feinen Sinnen weher als ein unorganisches Kunstwerk, als eine schöne Frau mit einem körperlichen Fehler.

Rosette ist ein hübsches Weib, in Einzelheiten sogar von meisterhafter Plastik. Aber mein Schönheitsideal ist ganz anders. Übrigens rede ich nicht nur von der Schönheit der Form und der Linie. Ausdruck, Gebärde, Gang, Farbe, Klang der Stimme, Duft, Kraft, Temperament, Gesundheit, mit einem Worte alles Körperliche spielt mit hinein.

Die Schönheit ist meine Religion. Im übrigen bin ich ein Erzheide. Ich stehe der christlichen Askese verständnislos gegenüber. Da Gott die Sinnenlust in die Welt gesetzt hat, ist es ein Frevel wider Gott, sich der Freuden zu enthalten. Es gibt eine Sonne; darum verlange ich nach ihr. Ich will viel Sonne, viel Licht, wenig Schatten! Ich liebe die Farbe, die schöne Linie, die edle Form. Ich liebe die hehre Nacktheit. Warum soll sich der Menschenleib seiner schämen? Er ist nichts als ein Lobgesang zum Preise des Allerhöchsten.

Ich kaufe einem häßlichen Blumenmädchen nie etwas ab, aber einem in Lumpen gehüllten braunen Italienerjungen, von dem man nichts sieht als seine glühenden großen Augen, dem schenke ich wer weiß was. Ich kann ein edles Pferd oder einen schönen Hund nicht schlagen. Ich möchte nie einen Freund haben, der kein mich gewinnendes Gesicht hat. Der Anblick garstiger Dinge oder kranker Menschen macht mich halbtot. Ein Zimmer kann noch so bequem eingerichtet sein, eine einzige Geschmacklosigkeit an nur einem Möbelstück macht es mir unbehaglich. Den erlesensten Wein schätze ich nur in einem kostbaren Glase. Ich ziehe ein einfaches Butterbrot auf einer silbernen Platte dem leckersten Rebhuhn auf einem gemeinen Steingutteller vor. So stark beeinflußt mich das Äußere. Wenn ich Maler wäre, – es ist mein bitterster Kummer, daß ich keiner bin! – malte ich nur Göttinnen, Feen, Nymphen, Madonnen, Engel und Amoretten.

 

Unsre Gäste sind eingetroffen, darunter einige liebenswürdige fröhliche junge Herren und ein paar recht hübsche Damen.

Gestern hat sich ein junger Edelmann dazu gesellt, der mich vom ersten Augenblick an bezaubert hat. Er gefiel mir bereits, als ich ihn vor dem Hause von seinem Pferde absitzen sah. Graziöser kann man nicht sein. Eine nicht allzu große, aber schlanke Erscheinung. Er hat etwas unsagbar wohltuend Weiches in seinem Gang und seinen Gebärden. Manche Frau wird ihn um seine Hände und Füße beneiden. Für einen Mann ist er beinahe zu schön, besonders zu fein im Gesicht. Augen wie seine, so wundervoll klar, dabei tiefschwarz, habe ich noch nie gesehen. Es ist ihnen ein rätselhafter Ausdruck eigen. Er ist blutjung und hat kein bißchen Bart. Das braune Haar trägt er lang. Auch das verleiht ihm ein eigentümliches Etwas, über das man nachsinnen muß.

Jetzt habe ich endlich mein Traumbild lebend und leiblich vor mir. Jammerschade, daß es in einem männlichen Exemplar erschienen ist, und nicht als Weib. Ach, ich müßte eine Frau sein!

Übrigens ist mein Antinous geistig sehr reg und vielseitig. Er ist wirklich ein Ideal. Dazu kleidet er sich kostbar und mit geschultem Geschmack. Er hat ein arabisches Vollblut mitgebracht, das wundervoll zu ihm paßt. Ein gleichfalls berittener Page begleitet ihn, ein junger blonder Knabe, der wie ein Engel aussieht. Als sie ankamen, war der Kleine von den Strapazen des langen Rittes dermaßen erschöpft, daß ihn sein Herr aus dem Sattel heben und auf dem Arme in sein Zimmer tragen mußte. Rosette hat den Ankömmling sehr freundschaftlich begrüßt. Es sieht mir ganz so aus, als wolle sie meine Eifersucht erwecken. Aber ich habe keine Neigung, eifersüchtig zu werden. Der Fremdling gefällt mir. Ich würde mit Freuden meine Liebe hingeben, wenn ich dafür seine Freundschaft gewönne.

Er heißt Theodor Marquis von Serannes.


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