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II.

Lieber Freund, ich bin wieder zu Haus und war weder am Nordpol noch auf dem Mars. Und was das Drolligste ist: ich habe immer noch keine Geliebte. Dabei habe ich mir hoch und heilig geschworen, bis an das Ende der Welt zu wandern und erst am Ziele Halt zu machen. Ach, ich bin nicht einmal an die Grenze der Stadt gekommen!

Woran das liegt, weiß ich nicht. Das ist mein Verhängnis. Nehme ich mir vor, morgen auszugehen, dann bleibe ich bombensicher zu Haus. Will ich in die Galerie gehen, so verliere ich mich in eine Kirche. Will ich in die Oper, so verlaufe ich mich in ein Kabarett. Manchmal irre ich wer weiß wohin. Die Straßen verführen mich. Wenn ich mir vorgenommen habe zu schlemmen, faste ich – und umgekehrt. Ich glaube beinahe, ich finde die Gesuchte aus dem einfachen Grunde nicht, weil ich mir gerade dies in den Kopf gesetzt habe.

Wie ist es mir nun gestern ergangen?

Zwei volle Stunden hatte ich auf meine Toilette verwendet. Ich war schließlich ganz leidlich mit mir zufrieden. Alles tiptop. Guten Muts verließ ich meine Wohnung. Selbstbewußt und siegessicher schritt ich durch die Straße. Ich kam mir vor wie Jason, als er auszog, das goldne Vließ zu holen. Ach ja, Jason hatte mehr Glück als ich: er brachte nicht nur das Goldne Vließ heim, sondern auch noch eine schöne Prinzessin.

Ich ging also meines Wegs. Jedes weibliche Wesen, das mir begegnete und von weitem des Ansehens wert dünkte, musterte ich prüfend. Manche schauten tugendsam an mir vorüber. Andre ärgerten sich erst über mich, dann aber lächelten sie, das heißt, nur, wenn sie hübsche Zähne hatten. Wieder andere wandten sich nach ein paar Schritten nach mir um und wurden kirschrot, wenn sie sahen, daß wir uns gegenseitig nachstarrten.

Das Wetter war prächtig und die Promenade voller Leben. Eine Beobachtung drängte sich mir alsbald auf: das sogenannte schöne Geschlecht – bei aller meiner Vorliebe für diese interessanten Wesen muß ich das sagen – ist eigentlich verteufelt häßlich. An jeder bemerkt man gleich immer auch einen tüchtigen Fehler. Und abgesehen von Gestalt, Gesicht, Haut, Gang, Haltung, das heißt vom Rein-Körperlichen: wie ermüdet der Ausdruck fast aller ist, verblüht und vergrämt durch Alter und Sorgen, verbraucht und verlebt durch niedere Leidenschaften und kleine Laster. Wieviel Neid, Bosheit, Neugier, Habsucht und freche Koketterie machen sich da bemerkbar! Unschöne Frauen sind viel häßlicher als unschöne Männer.

Aufgefallen ist mir keine, ausgenommen ein paar Ladenmädel. Die reizen mich nicht. Baumwolle! Ich liebe Seide! Tatsächlich, unter allen Tieren auf Gottes Erdboden ist der Mensch – Mann wie Weib – das abscheulichste. Dieser auf seinen Hinterbeinen stolzierende Vierfüßler maßt sich den ersten Rang in der Schöpfung an. Aber Löwe, Pferd und Hund sind schöner als der Mensch. Das einzelne Tier erreicht häufig die Idealschönheit seiner Art. Unter den Menschen ist das der Ausnahmefall. Auf einen Antinous kommen immer hunderttausend Thersitesse. Auf eine Helena eine Legion Nachteulen.

Ich fürchte mehr und mehr: ich werde mein Traumbild nie in meine Arme schließen, obgleich ich im Grunde gar nichts Außergewöhnliches begehre, gar nichts Übernatürliches. Ich erträume mir keine Märchenfee. Ich verlange weder Elfenbeinbrüste, noch Marmorschenkel, noch Azuraugen. Ich lasse die Sonne am Himmel und hole die Sterne nicht herunter. Mein Ideal ist beinahe spießbürgerlich-einfach. Mich deucht, für ein paar Dukaten könnte ich es mir auf dem ersten besten Sklavenmarkt in Konstantinopel oder Smyrna erstehen. Vielleicht wäre es da nicht einmal so teuer wie hier ein Vollblüter oder ein Rassehund. Und so etwas soll mir unerreichbar sein? Mir ists, als fände ichs nicht. Das ist zum Verrücktwerden.

Vielleicht ist das Glück einmal an mir vorübergegangen. Ich Blinder hab es nur nicht erschaut. Vielleicht hat es mich leise angesprochen, aber der Schrei meiner Sehnsucht hat seine Worte übertönt. Vielleicht hat mich heimlich ein schlichtes Herz geliebt; ich hab es nicht gemerkt und hab es zertreten. Vielleicht war ich das Heiligenbild eines Herzens, der Pol einer todtraurigen Seele, ihr Traum in der Nacht, ihr Gedanke bei Tage. Hätte ich zur rechten Zeit niedergeblickt, so hätte ich vielleicht eine Magdalena mir zu Füßen geschaut, in aufgelöstem Haar, nach köstlicher Narde duftend. Aber ich streckte meine Arme gen Himmel, um fliehende Sterne zu erhaschen. Das Veilchen im Verborgenen, das sich mir im Morgentau öffnete, übersah ich.

Ich habe einen großen Fehler begangen. Ich habe von der Liebe etwas andres denn Liebe erheischt, etwas, was sie mir gar nicht schenken kann. Ich hatte es vergessen, daß die Liebe nackt ist. Ich verstand dies schöne Symbol nicht. Ich wollte sie in kostbaren Kleidern, im Besitz von Gold und Edelsteinen, mit hoher Bildung, in künstlerischer Verklärung, in Schönheit, Jugend und Macht schauen. Alles das hat nichts mit ihrem Wesen zu schaffen. Die Liebe vermag nur sich selber zu geben. Wer andres von ihr erwartet, verdient nicht, geliebt zu werden.

Zweifellos hatte ich es viel zu eilig. Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Die Schöpfung hat mir das Leben gegeben und wird es mir nicht wieder nehmen, ehe ich es ausgelebt habe. Ein Menschenleben ohne Liebe ist wie eine Harfe ohne Saiten, ein Widerspruch der Natur. Sicherlich wird mir im richtigen Augenblick die Frau in den Lebenskreis treten, die ich lieben soll und die mich lieben wird.

Warum aber ist mir die Liebe eher genaht als die Geliebte? Warum spüre ich Durst und habe doch keinen Quell, meinen Durst zu stillen? Warum vermag ich nicht zum Wasser zu fliegen wie die Vögel der Wüste?

Für mich ist das Leben eine Sahara ohne Oasen und Dattelpalmen. Nicht einen einzigen Schattenwinkel habe ich, wo ich vor dem Sonnenbrand Schutz fände. Die Gluten der Leidenschaft verzehren mich. Ich kenne alle ihre Qualen, nicht aber ihre Wonnen und Seligkeiten.

Wer du auch seist, Engel oder Teufelin, Dame oder Kurtisane, Hirtenkind oder Fürstentochter, im Norden oder im Süden Geborene, mir Unbekannte und doch so Geliebte, laß mich nicht länger deiner harren! Sonst verbrennt die Flamme den Altar, und statt meines Herzens findest du nur noch ein Häuflein kalter Asche! Schwebe aus deinem Himmel hernieder und kühle meine Seele mit dem Schatten deiner Fittiche. Komm, geliebtes Traumbild! Komm nicht zu spät, damit ich noch die Kraft habe, dich zu lieben!

Lieber Freund, Gefährte meiner Kindheit, Du bist der Einzige, dem ich solche Dinge erzählen kann. Schreibe mir, daß Du mich bedauerst und daß Du mich nicht für einen Neurastheniker hältst! Tröste mich! Ich habe das nötiger denn je.

Ich verliere mich immer wieder in Grübeleien und Zweifel. Ich sage mir: wenn die Geliebte, die ich mir erträume, nirgends auf Erden wandelt, was ist das dann für eine rätselhafte Kraft, die mich in etwas Unmögliches verliebt macht? Und nicht in etwas, was leibt und lebt? Wer legt in mein Herz das Bild eines imaginären Wesens? Wer hat die hehre Gestalt meiner Visionen geformt?

Wir sagen oft von einer Frau, sie sei schön, sie sei häßlich, sie sei hübsch. Wo ist das Urbild, das Muster, der Typ, der uns hierbei den Vergleich ermöglicht? Schönheit ist nichts Absolutes. Man kann sie nur in ihrem Unterschiede von einem heimlichen Ideal bestimmen. Haben wir das vor unserm Erdendasein geschaut? Haben wir es einem früh vergessenen Erlebnisse zu verdanken? Einer seltsamen Begegnung? Oder entstammt es einem Kunstwerke? Einem Bilde Lionardos, einer Gestalt des Praxiteles, des Myron? Einer Madonna, einer Diana, einer Aphrodite, einer Beatrice?

Wie Adam sitze ich vor der Pforte des Paradieses, an der Treppe, die in eure Welt führt, ihr Maler, Bildhauer und Dichter! Durch das Tor fallen Lichtschimmer, heller als Sternenschein; dringen verwehte Klänge seraphischer Musik. Jedesmal, wenn ein Begnadeter des Sonnenreiches aus- oder ein geht, beuge ich den Kopf vor, um einen Blick in die Herrlichkeit zu tauchen. Ich sehe ein Märchenschloß in einem Zaubergarten …

Aber das Tor schlägt zu, und meine sehnsüchtigen Augen sehen wie zuvor nichts als das nüchterne Erdengeschlecht, blaß und blutlos, in armseligen Behausungen und in tristen Lumpen. Nichts als die elendigliche Wirklichkeit. Felsenland, auf dem nichts gedeiht.

Der Bettler an der Tür des Reichen! Das ist mein Schicksal. Es ist das Grausamste, in einer Hütte gegenüber dem Schlosse zu wohnen, mitten im Alltäglichen angesichts dem Märchenhaftesten. Jetzt verstehe ich den herzlosen Haß der Armen auf die Reichen, der Niedrigen auf die Großen. Sie sitzen in Nacht und Not, und von drüben weht der Wind Lautenklänge und Liebesgesänge her.

Ihr Dichter und Maler, Bildhauer und Musiker, warum betrügt ihr uns? Was erzählt ihr von euren Träumen, ihr Poeten? Warum laßt ihr erlogene Schönheit aus eurer Leinwand steigen, ihr Farbenmeister, und ruft: Das ist das Weib! Warum wandelt ihr eure geheimen Lüste zu Marmor, ihr Bildner? Und ihr Tonkünstler, warum stehlt ihr in den Nächten den Sternen und Blumen ihre seligen Rhythmen? Warum sind eure Melodien so wunderschön, daß uns Liebesgeflüster aus süßestem Menschenmunde wie Sägengeknarr und Rabengekrächz klingt? Seid verflucht, ihr Gaukler!

Das ist Überschwang, Verrücktheit!

Ich habe mich in Phantastereien verloren und schwatze schon viel zu lange das lächerlichste Zeug. Zurück zu meinem Thema: der glorreichen und sieghaften Historie vom Chevalier d'Albert, der, wie es in den alten Romanzen und Balladen heißt, auszog, die Minne der schönsten Prinzessin zu erringen. Die Geschichte ist ohne das Beiwerk der Selbstbetrachtung recht dürftig. Ich will hoffen, sie bleibt nicht immer so und der Roman meines Lebens wird wirrer und bunter als ein spanischer improglio.

 

Nachdem ich eine Zeitlang ziellos durch die Stadt geschlendert war, kam es mir in den Sinn, einen Bekannten aufzusuchen. Ich erinnerte mich, daß er mich in ein bestimmtes Haus einführen wollte, wo eine Menge hübscher vornehmer Frauen zu verkehren pflegt. Mein Freund schwärmte mir von ihnen das Unglaublichste vor. Er rühmte sich seiner Erfolge bei fünf oder sechs Schönen. Ich seufzte und bezweifelte, das gleiche Glück zu haben. Er versicherte mir das Gegenteil. Seiner Meinung nach hätte ich nur den einen Fehler, den ich jedoch mit der Zeit im Tun und Treiben der Gesellschaft verlieren würde, nämlich den: die Frau zu sehr zu vergöttern und zu wenig die Frauen! Er mag damit nicht unrecht haben. Wenn ich diese kleine Schwäche überwunden hätte, meint er, würde ich unwiderstehlich sein. Geb es der Himmel!

Offenbar fühlen die Frauen in der Tat, daß ich sie geringschätze. Wenn ich nämlich einer eine Schmeichelei sage, die sie im Munde eines Anderen entzückt hätte, errege ich Mißfallen und Zorn, als ob ich ihr eine bitterböse Malice versetzt hätte. Sicherlich hängt das mit dem zusammen, was mir mein Freund, der Baron von C***, zum Vorwurf macht.

Ich hatte Herzklopfen, als ich die Treppe hinaufstieg. Meine Erregung hatte sich kaum gelegt, als C*** mich anstieß und mich einer Dame vorstellte. Sie mochte dreißig Jahre alt sein. Eine recht hübsche Frau, kostbar, aber erlesen einfach gekleidet. Geschminkt war sie allerdings ungeheuerlich. Es war die Hausherrin.

C*** nahm den näselnden spöttischen Ton an, dessen er sich in Gesellschaft zu bedienen pflegt, wenn er den Galantuomo spielt. Mit übertriebener Verbindlichkeit, deren Ironie sie der gründlichsten Verächtlichkeit gleichstellte, schnarrte er:

»Der junge Herr, von dem ich neulich erzählt! Wirklich ein hervorragender Mensch. Tadellos in jeder Hinsicht. Bin überzeugt, Gnädigste sehen ihn mit Vergnügen im Hause. Habe mir deshalb die Freiheit genommen, ihn Ihnen zuzuführen.«

»Sehr nett von Ihnen,« erwiderte die Dame mit viel Koketterie. Dann wandte sie sich mir zu und musterte mich mit Kennermiene von oben bis unten. Ich ward rot bis hinter die Ohren.

»Seien Sie mir willkommen, verehrter Marquis! Betrachten Sie sich ein für allemal als unser lieber Gast! Kommen Sie, so oft Sie nicht gerade etwas Besseres vorhaben!«

Ich machte eine ziemlich linkische Verbeugung und murmelte ein paar zusammenhanglose Worte, die ihr ganz gewiß keine besonders hohe Meinung von meiner Intelligenz beigebracht haben. Neue Gäste kamen und überhoben mich der unvermeidlichen Langweile einer frischen Bekanntschaft.

C*** zog mich alsbald in eine Fensternische und hielt mir folgende Standpauke:

»Zum Teufel, willst du mich blamieren? Ich sage dich an als wahres Wundertier von Witz und Temperament, als einen Menschen von phänomenaler Phantasie, als Dichter von Gottes Gnaden, als leibhaften Übermenschen … und dann stehst du da wie ein Holzklotz und sagst keinen Ton! Einfach unglaublich. Hielt dich wirklich für geistreicher! Menschenskind, bring deine Zunge etwas in Schwung! Schwatze meinetwegen drauf los! Tiefsinniges und allzu Gescheites brauchst du ja gar nicht vom Stapel zu lassen! Im Gegenteil. Das wäre zu nichts nütze. Rede! Das ist die Hauptsache. Rede viel! Rede lange! Lenke die Aufmerksamkeit auf dich! Nur nicht ängstlich und bescheiden! Bilde dir ruhig ein, sämtliche Anwesende seien Schafsköpfe oder wenigstens nahezu! Und vergiß nicht, daß ein Redner, der fesseln will, seine Zuhörerschaft niemals genug vor den Kopf stoßen kann … Na, wie gefällt dir die Frau des Hauses?«

»Kein bißchen! Obgleich ich keine drei Minuten mit ihr gesprochen, habe ich mich geödet als wäre ich ihr Ehemann …«

»Ist das wirklich deine Meinung?«

»Aber ja!«

»Also unüberwindliche Abneigung auf der männlichen Seite! Schade! Anstandshalber hättest du mit ihr anbändeln müssen. Und wenns nur auf vier Wochen gewesen wäre. Das hätte einen guten Eindruck gemacht. Es gilt für fashionabel, sich von ihr protegieren zu lassen.«

»So! Dann werde ich sie mir zulegen,« sagte ich in ziemlich kläglichem Tone. »Ists denn aber wirklich so nötig, wie du mir das einredest?«

»Doch. Unumgänglich! Ich will dir erläutern, warum. Frau von Themines ist en vogue. Sobald eine Modetorheit aufkommt, ist sie obenan. Oft erfindet sie selbst die neueste Mode. Nur mit der von gestern hat sie nichts zu schaffen. Sie ist immer von heute. Was sie trägt, tragen alsbald die Andern. Aber was die Andern tragen, trägt sie nicht mehr. Sie ist reich, und alles, was sie hat, beweist ihren Schick und Geschmack. Geistvoll ist sie nicht, aber recht witzig. Sie ist sehr sinnlich, wenn auch nicht besonders leidenschaftlich. Man kann ihr gefallen, aber ihr Innerstes gewinnt man nicht. Ihr Hirn ist lüstern, ihr Herz kalt. Wenn sie das hat, was man Seele nennt, (ich bezweifle es so ziemlich,) dann hat sie die einer Teufelin. Ich traue ihr jede Bosheit und jede Niederträchtigkeit zu. Indessen ist sie außerordentlich gewandt und weiß immer den Schein zu wahren. Man kann ihr nicht das geringste Schlimme nachweisen. So zum Beispiel schläft sie kreuzfidel mit einem Manne zusammen, aber er bekommt auch nicht das gleichgültigste Briefchen von ihr. Selbst ihre herzlichsten Freundinnen können ihr weiter nichts vorwerfen, als daß sie sich ein bißchen zu stark schminkt, oder daß gewisse Körperteile an ihr in Wirklichkeit nicht so rundlich seien wie sie scheinen … Übrigens eine Verleumdung!«

»Woher weißt du das?«

»Die Frage ist gut! Woher man solche Sachen weiß? Na, durch eigene Anschauung.«

»So hast du also Frau von Themines …?«

»Gewiß! Warum auch nicht? Es wäre maßlos inkorrekt von mir gewesen, wenn ich sie nicht gehabt hätte. Sie hat mir große Dienste geleistet, für die ich ihr riesig dankbar bin.«

»Ich verstehe nicht, was für große Dienste das gewesen sein könnten.«

Mein Freund sah mich mit der pfiffigsten Miene der Welt an.

»Bist du wirklich so dumm? Ich möchte es beinahe meinen. Ich muß wohl deutlicher werden. Also, Frau von Themines gilt, und zwar mit Recht, in gewissen Dingen als eine Meisterin sondergleichen. Ein junger Mann, der eine Zeitlang in ihrer Schule gewesen, kann sich getrost allerwegen sehen lassen. Er ist ein begehrter Artikel. Sobald die sogenannten Damen der Gesellschaft sehen, daß du der erklärte Geliebte dieser Frau bist, erblicken sie ihr Vergnügen und ihre Pflicht darin, dich der Modekönigin abspenstig zu machen, und wenn sie dich noch so häßlich fänden. Du brauchst nicht das Geringste dazu zu tun. Hast nur die Qual der Wahl. Bist die Zielscheibe der Koketterien und Eroberungsversuche aller … Genug! Da sie dir aber ganz und gar mißfällt, so laß sie! Es zwingt dich nichts, höchstens die Höflichkeit und das allgemeine Beispiel. Entschließe dich zu einer Andern! Aber schnell! Die dir am besten gefällt, oder die dir die meisten Avancen macht, die attackierst du! Sowie du zögerst, verlierst du den Vorteil der Neuheit, den du ein paar Tage lang vor sämtlichen Rivalen hast. Alle diese Frauen haben kein Verständnis für Leidenschaften, die heimlich entstehen und in stiller Verehrung wachsen. Sie sind für das Kommen-Sehen-Siegen. Hat auch was für sich! Da gibt es keine langen und langweiligen Belagerungen, kein ewiges Hin und Her wie in den Liebesromanen der guten alten Zeit, erfunden, um das, was doch zum Schluß kommt, unnötig hinauszuschieben. Die Damen von heute sind mit ihrer Zeit geizig. Sie dünkt sie so kostbar, daß sie über jede unnütz verronnene Minute untröstlich sind. Im Grunde eine höchst lobenswerte Menschenliebe. Man soll den Nächsten lieben wie sich selbst. Das tun sie. In christlichster Weise. Aus purer Barmherzigkeit lassen sie es nie so weit kommen, daß sich ein Mann aus unglücklicher Liebe totschießen könnte. Um alles in der Welt keine Wertheriaden! Drei oder vier sind dir allemal gewogen. Ich gebe dir aber den freundschaftlichen Rat, kümmere dich um selbige, anstatt daß du mit mir hier in der Fensternische schwatzt. Das bringt dich keinen Schritt vorwärts!«

»Aber, bester C***, auf diesem Gebiete bin ich gänzlich Anfänger. Bin viel zu wenig Gesellschaftsmensch, um auf den ersten Blick zu erkennen: diese Frau interessiert sich für mich und jene nicht. Ich werde dir die unglaublichsten Dummheiten begehen, wenn du mir nicht mit deiner Erfahrung zur Seite stehst.«

»Tatsächlich, du bist von einer geradezu vorsintflutlichen Naivität, wie sie mir noch nicht vorgekommen ist! Der reine Urmensch – und das in unsrer begnadeten Kultur! Zum Teufel, wozu hast du eigentlich deine beiden großen pechschwarzen Augen? Wenn du diese Dinger gehörig zu benützen verstündest, könntest du jedes Frauenzimmer zur Strecke bringen! Schau dich einmal um! Dort in der Kaminecke, die kleine Frau in Rosa, die späht mit ihrem Lorgnon nach dir seit einer Viertelstunde mit einer Beharrlichkeit, die höchst verheißungsvoll ist. Es ist ihre Spezialität, bei aller Dreistigkeit überlegen und vornehm zu bleiben. Den andern Damen mißfällt das aufs allerärgste. Keine kann ihr nämlich diese entzückende Unverschämtheit nachmachen. Den Männern gefällt sie selbstverständlich über die Maßen, das heißt denen, die Dirnenhaftes an Damen reizend finden. Aber man muß es ihr lassen, sie ist bei aller Verdorbenheit reizend, voller Launen und Einfälle, und von wunderbarem Temperament. Für einen jungen Mann, der noch in Vorurteilen steckt, ist sie die beste Geliebte, die er sich wünschen kann. Binnen acht Tagen hat sie dir die Seele von jedwedem Bedenken gereinigt und dir das Herz gefeit, gegen was es auch sei. Nie machst du dich wieder lächerlich. Sentimentalität kennst du nicht mehr. Über jedwedes Ding hat sie ein sicheres Urteil. Mit erstaunlicher Fixigkeit durchschaut sie alles. Diese kleine Frau ist die verkörperte Mathematik. Für einen Träumer und Schwärmer ist sie gerade die rechte. Sie wird dich im Handumdrehen von deinem überspannten Idealismus heilen und dir damit einen großen Dienst erweisen. Übrigens wird sie mit dem größten Vergnügen dazu bereit sein. Es liegt ihr im Blute, Poeten die Romantik zu rauben.«

Damit hatte mich mein Freund angestachelt. Ich gab meinen Beobachterposten auf, schlängelte mich durch die verschiedenen Gruppen und näherte mich der Dame in Rosa. Ich sah sie mir genau an. Sie mochte fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt sein. Sie war nicht groß, aber ebenmäßig gebaut und ein klein wenig zur Fülle geneigt. Ihre Arme waren rund und weiß, die Hände elegant, der Fuß anmutig, beinahe zu zierlich, die Schultern voll und glatt wie Elfenbein. Soweit ich den Hals sehen konnte, befriedigte er mein Auge und ließ mich vom Übrigen nicht Unübles ahnen.

Ihr Haar schimmerte wie blauschwarzes Vogelgefieder. Die Augen hatte sie eigentümlich mandelförmig. An der feinlinigen Nase weiteten sich die Flügel, und unter dem wolllüstigen Mund machte sich auf der Unterlippe eine kleine Scharte bemerkbar. In all dem atmete Leben, Beweglichkeit, Gesundheit, Kraft und eine eigentümliche leise Sinnlichkeit.

Sie gefiel mir. Gleichwohl wußte ich genau, daß sie bei allen ihren Reizen mein Traumbild nicht verkörperte. Es kam mir nicht in den Sinn zu sagen: Das ist sie!

Ich trat zu meinem Freunde hin und berichtete ihm:

»Sie gefällt mir ganz gut. Vielleicht werden wir uns verstehen. Aber ehe ich mich entschließe, bitte ich dich, mir gütigst ein paar Worte über die andern Schönen zu sagen, die huldvoll Kenntnis von mir genommen haben. Ich werde dann wählen. Mache mir das Vergnügen und sei mein Cicerone! Gib mir von jeder einzelnen eine kurze Charakteristik! Sage mir, welche Fehler und Vorzüge jede hat, wie man sie belagern muß, welche Behandlung sie liebt und dergleichen. Ich möchte nicht allzu sehr als Provinzler oder Professor erscheinen.«

»Sehr gern, lieber d'Albert!« entgegnete mir mein Freund. »Siehst du dort die leibhaftige Elegie? Wie sie ihren schönen Schwanenhals graziös biegt und ihre Arme wie Flügel bewegt! Sie hat Seerosen im Haar. Eine Unberührbare! Schneestirn, Eisherz, Madonnenblick, Kinderlächeln! Weiß wie ihr Kleid ist ihre Seele. Was Keuscheres gibts nicht. Sie gehört mehr dem Himmel denn der Erde an. Nie hat sie einen bösen Gedanken. Woran sich ein Weib von einem Manne unterscheidet, das weiß sie nicht. Die heilige Jungfrau ist im Vergleich zu ihr eine Bacchantin. Aber alles das hindert sie nicht, mehr Liebhaber gehabt zu haben als sämtliche andre mir bekannten Damen zusammen. Und das will etwas heißen! Betrachte bloß einmal den Busen dieser Sphinx! Eine Raffinerie sondergleichen: bei so viel Verhüllung so viel zu zeigen! Diese Frau ist zehnmal schamloser als ihre Nachbarin zur Linken, die ihre beiden feisten Halbkugeln so tapfer zur Schau trägt. Oder als die ihr zur Rechten, die bis zum Nabel ausgeschnitten geht und mit ihrer Nacktheit so spaßig unverfroren paradiert. Ich glaube mich sicherlich nicht zu täuschen, daß sich dieses keusche Wesen aus deinem blassen Gesicht und deinen heißen Augen bereits den Grad deiner Liebesfähigkeit und Leidenschaft ausgerechnet hat. Sie hat nämlich noch kein einziges Mal zu dir hergesehen, wenigstens anscheinend. Trotzdem ist ihr nichts an dir entgangen. Sie ist eine Meisterin der heimlichen Beobachtungskunst. Wenn du sie dir gewinnen willst, darfst du nicht keck und siegessicher vorgehen. Sprich mit ihr, ohne sie anzublicken, flüsternd, ohne sichtbare Bewegungen! Spiele den Duckmäuser! Auf diese Weise kannst du ihr alles sagen, aber immer hübsch durch die Blume! Sie wird dir alles erlauben, erst in Worten und dann in Werken. Vergiß nur nicht, deine Augen zärtlich zu verdrehen, wenn sie die ihren schließt! Und sprich ihr von den Wonnen der platonischen Verehrung und von der Seelenliebe. Dabei kannst du sie vergnüglichst berühren und wer weiß was machen. Sie ist sehr sinnlich, aber auch sehr empfindlich. Nimm sie dir vor, soviel du magst; höre aber nie auf, sie selbst im inniglichsten Beieinander mindestens in jedem Satze dreimal mit Gnädige Frau! anzureden. Sie hat mir den Abschied gegeben, weil ich einmal Du zu ihr gesagt habe und irgend was Dummes dazu, als ich bei ihr im Bette war. Zum Teufel, man ist doch nicht umsonst eine anständige Frau!«

»Nach allem, was du da erzählst, spüre ich keine große Lust, mich in ein Abenteuer mit ihr einzulassen. Die Mischung keusche Messalina ist mir zu unnatürlich und zu modern!«

»Keineswegs! Hat es immer und überall gegeben. Du solltest sie nicht beiseite lassen! Gerade dieses Weib hat einen ganz besondren Vorzug. Man bildet sich bei ihr immer wieder ein, ein Riesenverbrechen zu begehen. Der leiseste Kuß hat das Aroma der Sünde. Aus diesem Grunde kommt man nie dazu, zu denken, es müsse so sein, daß man sie hat. Sie ist länger meine Geliebte gewesen als jede Andre, und wenn sie mir nicht den Laufpaß gegeben hätte, dann wäre sie es heute noch. Sie ist die einzige, die mir zuvorgekommen ist. Deshalb habe ich vor ihr eine Art Respekt. Sie hat allerlei pikante Tricks, sich zu dem nötigen zu lassen, was sie mit Vergnügen gewährt. Das gibt ihrer freiwilligen Hingabe den Reiz der Vergewaltigung. Nichts ist interessanter als sie zu studieren!«

»Wie alt ist denn dies anbetungswürdige Wesen?« fragte ich. Es war mir nicht möglich, ihr Alter zu bestimmen, so prüfend ich sie mir auch anschauen mochte.

»Ja, wie alt? Ein Kunststück, das zu sagen. Der liebe Gott wirds wissen. Bei ihr verläßt mich mein sonst so gutes Auge. Sagen wir: zwischen achtzehn und sechsunddreißig! Ich habe sie in großer Toilette und splitterfasernackt gesehen und vermag dir hierüber doch nichts Genaues zu sagen. Mein Latein ist hier eben zu Ende. Mir ist sie immer wie achtzehn vorgekommen. Aber natürlich ist sie das nicht mehr. Sie hat den Körper einer Jungfrau und die Seele einer Hetäre. Ein erotisches Genie. Grundverdorben und unverwüstlich. Darum ist sie wohl sechsunddreißig. Aber genau weiß ichs nicht.«

»Hat sie denn keine Busenfreundin, bei der du das herauskriegen könntest?«

»Nein. Sie ist erst vor zwei Jahren hierher gezogen. Aus der Provinz oder aus dem Auslande. Auch das weiß ich nicht.«

C*** machte mich noch auf ein paar andere Damen aufmerksam, die mich seiner Meinung nach menschenfreundlichst erhören würden. Aber ich fand, sie hielten keinen Vergleich zu der Dame in Rosa und der Pseudo-Diana aus. Andre kamen also gar nicht in Frage.

Während des ganzen Abends plauderte ich mit den beiden; zunächst mit der zweiten. Sie sah mich kaum an. Trotzdem glaubte ich ein paarmal, ihren schimmernden Blick eingefangen zu haben. Etliche meiner ihr in dezentester Form verabreichten kecken Galanterien hatten den Erfolg, daß leises Rot unter ihrer feinen Haut hinhuschte, wie Glühwein, den man in eine durchschimmernde Teetasse gießt. Unsre Unterhaltung war überaus diplomatisch und pointiert. So entzückend und amüsant das auf Augenblicke wohl war: auf die Dauer strengte mich es an. Ich mußte beständig bei der Sache und auf meiner Hut sein, ich, der ich in der Plauderei gerade die loseste Ungezwungenheit liebe. Wir sprachen zuerst von der Musik; dies führte uns selbstverständlich zur Oper, dann zu den Frauen und schließlich zur Liebe. Innerhalb dieser Gebiete kommt man am allerleichtesten vom Allgemeinen auf das Besondere. Du hättest gelacht, wenn Du zugehört hättest. Ich habe mich in die Wolken verloren. Ein zweiter Werther! Das war nicht so einfach! Spaß machte mir nur eines: ich hatte wirklich ein paar gute Momente.

Hätte mich mein Freund nicht vorher aufgeklärt, so hätte ich die Dame wirklich für das ätherische platonische Wesen gehalten, das sie mir vorspiegelte. Ich hätte an jeglichem Erfolge gezweifelt und wäre davongelaufen. Wenn einem eine Frau zwei volle Stunden lang doziert, die wahre Liebe äußere sich einzig und allein im Entsagen, Opfern, Verzichten, in der Vergeistigung und in derlei schönen Dingen, kann man dann mit einigem Anstand noch daran denken, die Betreffende eines schönen Tages zu bewegen, sich mit einem unter dieselbe Daunendecke zu begeben, um sich auf das Gründlichste kennen zu lernen?

Meine Unterhaltung mit der Dame in Rosa war völlig anders. Wir haben ebenso viel gelacht wie geplaudert. Wir mokierten uns, und zwar recht witzig, über die anwesenden Damen. Wenn ich sage wir, so ist das nicht ganz richtig ausgedrückt. Ich muß vielmehr sagen: sie mokierte sich, denn ein Mann versteht nicht, sich über eine Frau geistreich zu mokieren. Ich hörte ihr bloß beistimmend zu. Unmöglich kann jemand trefflicher charakterisieren und karikieren als sie. Ich bekam die köstlichsten Satiren zu hören, und in aller Übertreibung und Verzerrung steckte doch ein gut Teil Wahrheit. Mein Freund C*** hat recht. Dieses Weib versteht Poeten zu desillusionieren. Sie leibt und lebt in einer Atmosphäre der Wirklichkeit, in der jeder romantische Überschwang erstickt. Sie ist entzückend und voll der tollsten Einfälle. Aber man hat in ihrer Gegenwart nur sinnliche und gewöhnliche Dinge im Sinne. Während ich mich mit ihr unterhielt, spürte ich allerlei Gelüste, die ganz wo anders hingehörten denn in eine Gesellschaft mit Damen. Am liebsten hätte ich mir eine Flasche Sekt bringen lassen, hätte meine Partnerin auf den Schoß genommen und hätte mir mit ihr zusammen einen Schwips angetrunken. Ich hätte sie auf den Busen geküßt, ihr das seidene Röckchen aufgehoben und hätte nachgeschaut, ob sie die Strumpfbänder unter oder über dem Knie trägt, und weiß der Teufel, was ich noch riskiert hätte. Das Tier war in mir erwacht. Ich hätte mit Vergnügen die Divina Commedia für einen alten Schmöker erklärt und einem Lendenbeefsteak göttliche Ehren erwiesen.

Jetzt verstehe ich übrigens, warum Homer die Gefährten des Odysseus durch die Kirke in Schweine verwandeln läßt. Das ist eine Allegorie! Die schöne Kirke war so ein Teufelsweib wie meine Dame in Rosa.

Das Geständnis ist fast beschämend: mir war sauwohl zumute, wie man burschikos sagt, als ich fühlte, wie ich vertierte. Ich widersetzte mich dem durchaus nicht; im Gegenteil, ich half noch tüchtig nach. Die Verderbtheit steckt im Menschen als uraltes Erbe. Es ist Dreck in dem Lehm, aus dem er geknetet.

Wirr und erregt kam ich ziemlich spät nach Hause. Welche der beiden Frauen gefiel mir nun besser? Welche sollte ich mir nehmen? Zurückhaltend die eine, entgegenkommend die andre. Wollüstig die, pikant jene. Nach gewissenhafter Selbstprüfung gelangte ich zu dem Ergebnis: ich liebte keine von beiden, begehrte aber alle beide, und zwar so stark, daß sie mich bei Tag und Nacht beschäftigten.

Allem Anschein nach werde ich mir eine von beiden erobern, vielleicht auch beide. Und doch wird mich dies nur halb befriedigen. Gewiß sind beide begehrenswert; aber bei keiner hat eine leidenschaftliche Stimme in mir gerufen: Die ist es! Es war kein Wiedererkennen.

Also eine von ihnen wird demnächst meine Geliebte sein. Sonst soll mich der Teufel reiten! Gut! Aber in meines Herzens Grunde flüstert mir eine Stimme zu: Das ist gemeine Untreue an deinem Ideal! Ja, ich habe mich durch das Lächeln der Erstenbesten ködern lassen, statt daß ich unermüdlich durch die ganze Welt pilgre, über Land und Meer, durch Klöster und Lasterhöhlen, durch Paläste und Spelunken, um die zu suchen, die der Himmel für mich bestimmt hat, sei sie Fürstin oder Magd, Nonne oder Dirne.

Dann wieder sage ich mir: Du jagst Hirngespinsten nach! Denn es ist eigentlich ganz gleichgültig, ob ich mein Lager mit der oder jener teile. Die Erdkugel gerät darum nicht um eines Haares Breite aus ihrer Bahn, und der Sommer folgt auf den Frühling und der Winter auf den Herbst, ein Jahr wie alle Jahre. Es ändert sich nichts. Warum quäle ich mich also?

So rede ich mir zu, aber es hilft nichts. Ich finde weder meinen Frieden noch ein Ziel.

Vielleicht ist mein Einsiedlerdasein daran schuld. In einem so einförmigen Leben sehen kleine Dinge oft ungeheuerlich groß aus. Ich bin allzu sehr Zuschauer meiner vita contemplativa. Ich beobachte mich in meinen Gedanken und Meinungen, ich höre meine Pulse pochen und mein Herz schlagen, ich versuche meine Träumereien aus dem grauen Nebelmeere, in dem sie schwimmen, zu fischen und zu fangen, und möchte ihnen gar zu gern Form und Farben leihen.

Führte ich ein tatenreicheres Leben, so würde ich gar nicht dazu kommen, den kleinen Dingen meines Daseins Augenmerk zu schenken. Ich hätte keine Zeit, meine armseligen Gedanken und meine leisesten Seelenregungen durch ein Mikroskop zu betrachten. Jetzt tue ich den lieben langen Tag ja nichts als das. Tatenmenschen grübeln nicht unnütz nach. Sie halten sich an die Wirklichkeit, nicht an Gespenster. Und von den Frauen verlangen sie nichts, was sie nicht geben können. Nichts denn leibliche Freuden.

In der fortwährenden Ausschau nach meinem Traumbild ist mein Auge fernsichtig geworden. Ich sehe die Nahwelt nicht mehr wie sie in Wahrheit ist. Nun rächt sich die Wirklichkeit an mir. Sie foppt mich alle Augenblicke. Ich ertappe mich häufig dabei, Verrücktheiten zu begehen. Wahrscheinlich vollbringe ich eines schönen Tages eine Riesentorheit. Ich bin ein vollkommener Phantast geworden.

Aber ich will mich zusammennehmen. Ich will meine Hirngespinste hinter Schloß und Riegel legen. Und nun gehe ich frank und frei zu meiner Dame in Rosa. Keine Vergleiche zwischen ihr und dem unmöglichen Trugbild! Ich will mich einmal meines Lebens freuen und Schönheit in Frieden genießen. Ich will sie gar nicht anders haben als sie ist und ihr keine Feengewänder umhängen.

Das ist ein höchst vernünftiger Entschluß. Nur weiß ich nicht, ob ich ihn auch durchführen werde.

Genug! Lebe wohl!


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