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11.

Als Cyrill auf den Lockerhofgrund kam, hatten Basili und Thomas schon ein großes Stück der Pflanzsteig umgegraben. Cyrill wollte nur dem Thomas und der Hanni die mitgebrachten Schätze zeigen. Er rief dem Jungen von Weitem zu: »Geschwind, geh zu mir!«

Thomas sagte zu dem Basili: »Du sollst auch sehen, was er bringt. Komm mit.«

Aber Basili antwortete: »Du willst ihn dazu zwingen, dass er mir vertraut. Das find' ich nicht klug. Geh nur allein. »In der Stube legte denn Cyrill vor der Hanni und dem Thomas das Geld und den Inhalt des Rucksackes auf den Tisch, und dabei erzählte er fleißig. Er verschwieg den beiden nicht, dass er das Bild erkannt und den guten Pfarrer betrogen habe.

Dass er Veferl so heldenhaft widerstand, als sie ihn versuchen wollte, das sagte er nur dem Thomas, als Hanni in die Küche gegangen war.

Darauf sprach Thomas: »Das ist von allem, was du bisher vollbracht hast, das Größte.«

Aber er verriet es dem Cyrill nicht, dass ihn Veferl auch vergeblich versucht hatte.

Dabei kränkte er sich freilich genug darüber, dass er nicht zwischen allen Menschen alle Geheimnisse abschaffen konnte.

»Hat dir der Basili schon etwas von dem Bilde erzählt?« fragte nun Cyrill. Thomas schüttelte den Kopf.

»Ich meine, es ist seinetwegen in das Wasser gekommen«, sagte Cyrill. »Weiß er denn nichts davon?«

»Wenn er etwas davon wüsste, so hätte er es mir wohl schon erzählt«, meinte Thomas. Denn ging er zu dem Basili hinaus und fragte ihn: »Ist gestern abends zwischen dir und dem Veferl was Besonderes vorgekommen?«

»Nein«, antwortete Basili.

Thomas sah ihn nun recht scharf forschend an. Darauf errötete Basili. Er schämte sich plötzlich seiner Lüge und erzählte dem Thomas alles, was er gestern in dem Schmotzerhofe erlebt hatte.

Dem Thomas tat es nun wieder unendlich leid, dass er nicht auch ganz aufrichtig sein konnte.

Er verschwieg es, dass Veferl um die Mittagszeit bei ihm und bei dem Cyrill gewesen war.

Und er verriet auch nicht das, was Cyrill an dem Pfarrer verbrochen hatte.

»Wirst du es dem Veferl sagen, wo das Bild jetzt ist?« fragte er dann.

»Ja«, sagte Basili. »Sobald ich unter vier Augen mit ihr reden kann.«

Aber er kam nun nicht so bald zu einer solchen Unterredung. Am Abend verließ Veferl nicht mehr das Bett. Und am nächsten Morgen war sie noch in den Federn, als Basili wieder zu seinem Tagewerke ging. Dann stand sie aber auf und erging sich auf der Wiese. Von den Heilmitteln der Mutter war ihr um nichts besser geworden. Aber sie hatte doch gut geschlafen.

Auf der Wiese begegnete sie dem Barthl. Der brachte für den Basili Kleider und Wäsche.

Er kam auf weiten Umwegen von der Heimat her. In einigen Suttendörfern und in Lhotka hatte er für seinen Vater Rupfen bestellt. Dann war er über Stiggestal bachaufwärts gegangen.

Er war bisher noch niemals in dem Schmotzenhofe gewesen. Sein Vater und der Thomas hatten ihm freilich von der Schmotzin und Veferl schon genug erzählt.

Jetzt erkannte Barthl das Veferl von Weitem daran, weil sie müßig auf der Wiese herumging. Und sie erkannte ihn an dem großen Binkel, den er auf dem Rücken trug.

»Das muss der Ruhsambub sein«, dachte sie. »Kein anderer Mensch hätt' jetzt Ursach', mit einem Binkel zu uns zu kommen. Der bringt jetzt dem Basili seine Gluft Gluft = Kleider.

Die zwei wurden nun sehr neugierig aufeinander. Als aber Barthl das Mädchen in der Nähe sah, ereignete sich etwas Unerwartetes.

Es befiel ihn ein solcher Schrecken, dass er die Zipfel des Binkels los ließ. Der Binkel fiel zu Boden. Barthls blühendes Gesicht war ganz blass geworden. Und in seine vorhin noch lustig blitzenden Augen war der Ausdruck einer großen Scheu gekommen.

Veferl erschrak über seinen Schrecken.

»Ich bin ein bisschen wirblig gewesen«, sagte nun Barthl. »Das wird wohl von der Hitz' sein.«

»Nein, nein!« rief das Veferl. »Sag mir nur, was du an mir so Erschreckliches siehst. Du brauchst gar nichts umschneiden.«

»Nun gut«, sagte er. »Ich war heut' in Lhotka. In dem Kreuzgang, der dort um das Kirchlein herum ist, haben sie gerad' ein Bild aufgemacht. Und wie ich dich jetzt gesehen hab', ist es mir so gewesen, als ob dasselbe Bild vor mir lebendig geworden wär'! Aber was hast du denn? Um Gottes willen! Jetzt wird sie wirblig!«

Ihr wollten nun die Sinne vergehen.

Weil sie aber ihre ganze Kraft aufbot, vermochte sie sich doch auf den Beinen zu erhalten.

Barthl warf den Binkel hin und wollte sie stützen. Aber sie ließ sich von ihm nicht berühren.

Nach einem Weilchen begann sie zu gehen.

Und als sie spürte, dass ihr die Beine wieder gehorchten, lief sie talabwärts.

Barthl lief ihr nach. »Wenn du vielleiht diejenige bist, der das Bild in das Wasser gefallen ist, so geh jetzt ja nicht in die unteren Taldörfer!« rief er. »Die Leut' täten dich dort erschlagen.«

Sie gab ihm keine Antwort. Er wollte sie nun mit Gewalt zurückhalten. Aber da stieß sie ihn derb gegen die Brust.

Weil er auf so viel Grobheit nicht gefasst war, kam er auf das schlammige Bachufer zu sitzen.

»Jetzt weiß ich freilich, dass du dich wehren kannst«, sagte er.

Veferl rannte weiter, dass jetzt die Leute in dem Kreuzgange vor ihrem Bilde beteten, das war für sie von allem, was sie sich vorstellen konnte, das Entsetzlichste. Sie hielt sich auf einmal für eine große Verbrecherin, weil sie solchen Irrtum verursacht hatte.

Und es graute ihr nun unsäglich vor der Leidenschaft, in welcher sie das Bild in den Teich geworfen hatte. Vor dem Erschlagenwerden fürchtete sie sich gar nicht. Sie glaubte es zu viel verdient zu haben.

Aber vor der Hölle fürchtete sie sich und noch mehr vor den Teufeln. Diesen glaubte sie nun nimmer entgehen zu können.

Und an den Basili dachte sie jetzt nur, wenn sie der Ursache ihrer Schlechtigkeit nachgrübelte.

Da sie so übermächtig von ihrem Schuldbewusstsein erfüllt war, blieb ihr für die bisher so viel gefürchtete Liebe freilich nicht viel Empfinden übrig.

Das Bild wollte sie selbstverständlich auf keinen Fall in dem Kreuzgange lassen.

Es war gegen elf Uhr vormittags, als sie in das böhmische Dorf kam.

Der Kreuzgang bildete einen Kreis um die Kirche.

Nach außen hatte er vier Türen und nach der Kirche hin eine schöne Säulenrunde. Die Kirche war ein zierlicher Rundbau. Zwischen ihr und dem Kreuzgange lag ein breiter Rasenstreifen, auf dem hie und da ein blühender Rosenstrauch war.

Veferl sah nun ihr Bild. Es hing zwischen zwei großen Kreuzwegbildern an der Wand. Der Stiggestaler Pfarrer hatte es noch gestern hierher gebracht. Als es heut in dem Kreuzgange aufgehängt wurde, da wussten die Lhotkaer schon, was sich gestern im Stiggestal zwischen den Deutschen und den Böhmen abgespielt hatte. Veferl hätte nun das Bild gleich von der Wand reißen und mitnehmen wollen. Aber da standen nun etliche Weiber davor und beteten. Und mit denen wollte Veferl nichts zu tun kriegen.

So wollte sie denn warten, bis sie allein in dem Kreuzgange war und hernach das Bild heimlich forttragen.

Sie blieb hinter einer Säule stehen. Die Weiber fingen dann miteinander böhmisch zu reden an. Veferl verstand diese Sprache ein wenig, denn auf dem Schmotzenhofe waren schon oft ganz böhmische Dienstboten gewesen.

Die Weiber sprachen von dem Bilde. Sie waren verschiedener Meinung darüber, wie es an den Bach gekommen war. Dann sagte eine, dass ihm das Hierhergelangen vorbestimmt gewesen sein müsse.

Eine zweite meinte gar, es sei nur deshalb aus dem oberen Tale herab geschwommen, weil es nicht bei den dort lebenden Deutschen bleiben, sondern lieber zu den Böhmen kommen wollte. Darauf redete nur eine, die im Dorfe für besonders gescheit galt.

Die sagte, das Bild sehe ihr zu deutsch aus, als dass sie glauben möchte, es sei durch ein Wunder in das Böhmische gekommen. Die Weiber sollten es nur recht ansehen, sagte sie. Und sie sollten dann sagen, ob das kein deutsches Gesicht sei und ob es sich recht schicke, so ein Bild in einem böhmischen Orte aufzuhängen. Sie könnte auch den Pfarrer deswegen nicht recht begreifen, weil er von dem alten Stiggestaler Herren so ein deutsches Bild angenommen habe. Der Maler, der dieses machte, habe wohl auch wenig Verstand gehabt. Die Himmelmutter dürfe man nicht deutsch darstellen. Sie sei keine Deutsche gewesen.

Somit wollte sie fortgehen.

Als sie sich aber von den Weibern abkehrte, sah sie dem Veferl in das Gesicht.

Und da glaubte sie, das Bild sei lebendig geworden.

Sie dachte auch gleich, dass ihre Worte, bei denen sie sich freilich gar hässlich ereifert hatte, ein Verbrechen seien.

Und Veferls Gesicht kam ihr gar drohend vor. Veferl sah freilich gerade recht finster drein.

Wenn die Böhmin auch ein wenig von dem Gesichte des Mädchens abwärts auf den bäuerlichen Leinenkittel geblickt hätte, so wäre sie wohl gleich aus dem Schrecken gekommen.

Aber sie sah nur das Gesicht und die leuchtenden Haarwellen, dann fiel sie in ohnmächtig auf das Backsteinpflaster hin.

Veferl erschrak nun auch nicht wenig. Damit hier ihretwegen nicht noch mehr geschehe, lief sie aus dem Kreuzgange fort. Von den übrigen Weibern wurde sie gar nicht bemerkt.

Die hatten kaum einander viel angesehen, während sie redeten, sondern immer nur das Bild. Und als die Gescheite umfiel, sahen sie nur diese an.

Sie hörten nicht einmal das Mädchen davonlaufen, denn dieses lief außerhalb der Säulen auf dem weichen Rasenstreifen dahin.

Eine Weile machte das Entsetzen die Weiber ganz ratlos.

Aber in ihrem Denken taten sie gleich der lieben Himmelmutter unrecht, indem sie glaubten, diese habe das Weib für sein Reden gestraft.

Und sie glaubten sogar, dass nun dieses Bild für die Deutschen und gegen die Böhmen ein Wunder gewirkt habe.

Dabei fürchteten sie sich aber vor ihren eigenen Gedanken, denn sie meinten, dass sie hier allzu leicht gestraft werden könnten.

Ein Reden hielten sie für noch gefährlicher.

Es waren freilich etliche unter ihnen, die leichter ihren Gedanken als ihren Worten gebieten konnten.

Und sie sagten bald trotz Furcht und Grauen mehr als genug.

Die Ohnmächtige hoben sie zunächst gar nicht auf, denn einige behaupteten, es sei nicht recht, einer derart vom Himmel Niedergeschlagenen Hilfe zu leisten.

Dann trugen sie aber doch das Weib in sein Haus. Sie hätten nun gleich den Pfarrer gerufen. Aber der war in einem benachbarten Dorfe bei einem Kranken.

Das Weib blieb lange besinnungslos, und viele Dorfleute liefen nun zwischen ihr und dem Bilde mehrmals hin und her. Dabei fürchteten sie das Bild mehr, als sie es verehrten.

Veferl war aus dem Dorfe über eine Böschung hinaufgerannt. Oben, wo ein dichter Jungwald anfing, verkroch sie sich in einer großen Haselnussstaude. An dem Hinfallen des Weibes gab sie sich ganz und gar die Schuld.

Und sie wollte nun beten, damit diese Böhmin wieder glücklich zu sich kommen solle. Aber sie war von dem Erlebten so verwirrt und betäubt, dass sie zu keiner Andacht kam.

Bei all ihrem Jammer blieb sie doch entschlossen, das Bild aus dem Kreuzgange fortzunehmen. Sie wollte warten, bis es finster wurde. In den Kreuzgang glaubte sie auch dann leicht zu können, wenn seine vier Türen versperrt waren.

Sie sah an dem Wege, der unter der Böschung war, lange, feste Zaunstangen. Eine von diesen wollte sie an das niedrige Dach des Kreuzganges lehnen.

In den Schmotzenhof war sie auch schon oft an solchen Stangen gelangt.

Während sie nun in dem Busche versteckt blieb, ereignete sich oben in ihrer Heimat auch mancherlei.

Barthl war von der Schmotzin freundlich empfangen worden. Er wollte ihr nur für den Basili den Binkel übergeben. Aber sie wollte ihn mit Weißbrot, Butter, Honig und Most bewirten.

Und sogar die vom Uferschlamme beschmutzte Hose wollte sie ihm abbürsten. Aber er ließ sich nicht aufhalten. Sie erzählte ihm aber doch, dass sie heute auch nach seiner Heimat gehen und dort die alte Zimmerjoslin besuchen wolle. Er ahnte den Zweck ihrer Reise gleich. Von dem Basili fing sie auch zu reden an.

Darauf sagte ihr Barthl von seinem Freunde viel Schönes. Und damit in dem Lobe keine Lücke sei, nannte er ihn sogar einen fleißigen Menschen.

Die Schmotzin fragte auch, wie viel Geld Basili besitze. Barthl sagte: »Ich frage keinen, wie viel Geld er hat. Erfahr' ich aber, dass er zu viel hat, so mag ich ihn nicht.«

Obwohl das für die Alte eine Grobheit war, sagte sie doch, dass er recht habe.

Als er von ihr fort war, machte sie sich gleich auf den weiten Weg.

Barthl lief nach dem Lockerhofe hinüber.

Er traf die drei jungen Männer auf der Pflanzsteig. Cyrill hatte schon am frühen Morgen aus dem Pfarrorte den Rübensamen geholt.

Nun bestellten die drei miteinander die junge Saat.

Barthl bemerkte es gleich, dass sie mit vieler Lust zusammenhalfen. Und da tat es ihm fast leid, dass er sie stören musste.

Basili kam ihm zuerst entgegen und flüsterte ihm in das Ohr: »Gott soll dir's vergelten, dass du mich hierher gebracht hast.«

»Dank nur ihm, wenn's dich hier freut«, antwortete Barthl. Dann fragte er den Cyrill:

»Gelt, du bis gestern in Stiggestal gewesen?«

Cyrill staunte ein wenig. »Jetzt weiß der das auch schon«, sagte er.

»Ich komm' ja über die Eben' her«, sagte Barthl.

»Und so ist mir halt der geschildert worden, der gestern in Stiggestal so vielen das Bild abgewonnen hat. Da hab' ich mir gleich gedacht: Das kann nur der Cyrill gewesen sein. Eine Schramme hast du auch im Gesicht, an der man erkennt, dass du der Tapfere warst. Ich weiß auch schon, von wo das Bild nach Stiggestal gekommen ist. Wie ich vorhin der schönen Schmotzentochter erzählt hab', dass es jetzt im Lhotkaer Kreuzgang hängt, ist sie gleich talzu gelaufen. Ich mein', dass die das Bild nicht dort lassen will. Der Schmotzin hab' ich es nicht sagen wollen, dass sie dem Veferl jemanden nachschicken soll. Aber du solltest schleunig durch das Tal hinabgehen, Basili.

Ich glaub', es könnt' dem Dirndl in Stiggestal oder in Lhotka was Unliebsames geschehen. Vielleicht braucht sie deine Hilf'.«

Da kam in Basili freilich ein großer Eifer.

»Gleich renn' ich«, sagte er. »Aber seh' ich dich noch hier, bis ich wiederkomm'?«

»Nein«, antwortete Barthl. »Ich muss heim.« Dann sagte er leise zu dem Basili: »Die Schmotzin geht heut' auf das Kundschaften aus. Sie will erfahren, wie du bisher warst. Da muss ich vorarbeiten, damit sie nicht das Wahre erfährt. Aber hast du das Veferl wirklich gern?«

Hierauf brachte Basili sein Sehnen zum Ausdruck, indem er seufzte und die Augen verdrehte.

Dann lief er fort. Cyrill lief mit ihm.

»Halt!« rief Barthl. »Dich hab' ich nicht hingeschickt.«

Aber Cyrill kehrte sich nicht mehr um.

»Das ist nicht mehr der Cyrill, den du kennst«, sagte Thomas zu dem Barthl. »Lass den jetzigen Cyrill nur getrost mitlaufen.«

Basili wurde fast ein wenig eifersüchtig, als er den Cyrill neben sich sah. Er dachte: Der könnte sich vielleicht für das Veferl mehr hervortun als wie ich. Deshalb sagte er: »Bleib du nur daheim.«

Cyrill erriet nun wohl, weshalb ihn Basili nicht mitkommen lassen wollte. Und da fühlte er sich gekränkt.

Er wollte sich freilich für das Veferl auszeichnen, aber für den Basili auch. Deshalb sagte er: »Du fürchtest dich jetzt nur um das Veferl. Aber ich fürcht' mich auch um dich.«

»Ist das wahr?« fragte Basili. Und er sah den Cyrill von der Seite forschend an.

Cyrill antwortete nichts. Die Frage Basilis verletzte ihn.

Das merkte ihm Basili an. Und da schämte er sich plötzlich seiner Eifersucht. Er nahm den Cyrill an der Hand.

Und dann hielten sie einander lange an den Händen. In Stiggestal fragten sie den am Bache sitzenden Gänsehirten des Pfarrers, ob er kein goldhaariges Weib vorübergehen sah.

»Ja«, antwortete der. »Ehvor ich zum Essen gegangen bin, ist drenters Bach so eines talab geflogen.«

Sie gingen dann in das böhmische Dorf hinunter. In dem Kreuzgange sahen sie das Bild. Jetzt knieten einige Kinder davor.

Basili, der ein wenig böhmisch konnte, ließ sich mit den Kleinen in ein Gespräch ein.

Er fragte, weshalb sie nur besonders an dieser Stelle so andächtig waren.

Da erzählten sie ihm, was sie von dem Bilde wussten.

Und sie sagten auch, dass die Bäuerin, welche hier umfiel, wieder zu sich gekommen sei, und dass sie nun behauptete, das Bild sei lebendig geworden und hätte sie bös angesehen.«

»Die hat das leibhaftige Veferl gesehen«, sagte hernach Cyrill zu dem Basili.

»Ja, so ist es«, sagte Basili. »Das Veferl ist richtig da gewesen. Und sie hätte gewiss gern das Bild weggenommen. Aber wo ist sie jetzt? Wenn sie durch das Tal heimgegangen wär', hätten wir sie sehen müssen. Vielleicht ist sie auf einem Umweg heimgelaufen. Oder ist sie noch irgendwo hier im Dorf?«

»Wir wollen halt spähen«, sagte Cyrill

»Ja, aber nicht so, dass sie uns auch sieht«, entgegnete Basili. »Sie soll es nur dann wissen, dass wir ihr nachgegangen sind, wenn das nötig ist.«

»Zu so einer heimlichen Pürsch' bin ich geschickter als du«, meinte Cyrill.

Das musste Basili freilich zugeben.

Zu einer der Kreuzgangtüren kamen sie in einen großen Obstgarten hinaus.

Der grenzte an den Bach.

Basili setzte sich am Ufer in dichtes Erlengrün. Und Cyrill suchte das Veferl.

Es verging eine geraume Zeit, ehe er zu dem Basili zurückkam.

»Oben am Waldrand sitzt sie in einer Haselstaude«, sagte er lächelnd. »Mit ihrem leuchtenden Haar hat sie sich verraten. Ich bin ihr nicht einmal ein wenig vor den Wind gekommen. Sonst hätt' sie mich gewittert.«

»Ich glaube, die wartet, bis es Abend wird«, sagte Basili. »Und dann wird sie wahrscheinlich herunterkommen und wird das Bild nehmen und vernichten wollen. Die meint vielleicht, dass es eine Sünd' wär', wenn sie es nicht vernichten tät'. Wie sollen wir das Bild vor ihr schützen, wenn sie nun wirklich herunterkommt. Da täten wir sie nur in einen wahnsinnigen Zorn bringen. Und hernach ging' sie bei der nächstbesten Gelegenheit erst recht auf das Bild los.«

»Ja«, sagte Cyrill. »Ich sehe, dass du sie schon ziemlich gut kennst.«

»Die Lhotkaer können wir doch nicht vor ihr warnen«, redete Basili weiter. Wir wollen ihr doch nicht schaden und sie nicht ins Geschrei bringen.«

»Beileibe nicht«, sagte Cyrill. »Da weiß ich nun wahrhaftig nicht, was wir sollen.«

Basili dachte eine Weile nach. Dann sagte er: »Wenn ich es ganz sicher wüsst', dass sie das Bild zugrund' richten will, so ließ ich es nicht da.«

»Was tätest du denn damit?« fragte Cyrill.

»Das weiß ich noch nicht«, antwortete Basili.

»Ich möcht' es nur retten. Einen Missbrauch tät' ich gewiss nicht damit treiben.«

Dann lächelte er ein wenig. »Die tät' schauen, wenn sie dann in den Kreuzgang käm' und das Bild nicht mehr fänd'. Vielleicht tät' sie dann an ein Wunder glauben. Und das könnt' ihr heilsam sein. Aus freien Stücken wird die eh nimmer fromm.«

Cyrill dachte nun: »Du willst sie für dich fromm machen.« Und trotzdem konnte er dem Basili nicht unrecht geben.

Sie blieben nun lange bei den Bachstauden. Zuweilen kletterte Cyrill an einer reichästigen Weide empor.

Von dem Gipfel des Baumes sah er nach jener Stelle des Waldrandes, auf welcher sich das Veferl verborgen hielt.

Als dann Cyrill schon beim Abenddämmern abermals auf dem Weidenbaume war, flüsterte er dem Basili zu: »Jetzt verlässt sie das Lager. Wie eine Feh Feh = Füchsin. schleicht sie durch das Korn über die Böschung herab. Sie will daher auf den Bach zu. Wenn du das Bild nehmen willst, so musst du geschwind sein.«

Basili blieb nun nicht mehr unschlüssig.

Er lief in den Kreuzgang und trug das Bild heraus. Dann verkrochen sich die zwei wieder in dem Erlengewucher. Sie hatten in ihrem Verstecke noch nicht oft Atem geholt, als das Veferl ein Stück weit von ihnen durch den Bach ging.

Von dem Ufer bis zur Kreuzgangtüre flog sie förmlich.

Als sie in dem Kreuzgange war, kicherte Cyrill ein wenig.

»Ich möcht' sehen, wie dumm die jetzt dreinschaut«, flüsterte er.

Dem Basili wurde jedoch wieder bange um sie.

»Wenn ihr der Schrecken nur nicht gar zu weh tut«, murmelte er.

Hierauf hätte ihn Cyrill auslachen mögen. Aber dabei sagte er sich: »Er hat doch eine zärtlichere Liebe für sie als ich.«

Bald darauf kam Veferl durch die Türe in den Garten. Sie wollte wieder laufen. Aber sie torkelte wie ein Betrunkener.

Im Bachbette blieb sie stehen und netzte sich die Stirne und die Augen.

Sie war nahezu davon überzeugt, dass die Lhotkaer das Bild aus dem Kreuzgange entfernt hatten. Aber sie musste sich doch immerfort fragen: »Könnt' es deshalb von selbst verschwunden sein, weil ich es habe wegnehmen und zerreißen wollen?«

Und weil sie darauf keine ganz sichere Antwort fand, wurde sie vom Entsetzen geschüttelt, dass ihr fast die Sinne vergingen.

Längs des Dorfes ging sie neben dem hier durchwegs von Erlen und Weiden beschatteten Bachbette bergwärts.

Zuweilen verursachte ihr die Erregung ein solchen Schwindeln, dass sie sich an den Ästen festhalten musste. Die jungen Männer folgten ihr so vorsichtig wie Jäger einem einziehenden Rehe.

Durch die Felder und Wiesen, welche zwischen den zwei Dörfern lagen, ging Veferl auf dem Fahrwege hin.

Es war nun schon finster. Vom Osten her schob sich ein schwarzes Wolkenungeheuer langsam vor den Sternenhimmel.

Nahe vor Stiggestal führte der Weg über eine Brücke. Veferl wollte aber den Bach zwischen sich und dem Dorfe lassen. Deshalb ging sie dann auf steiglosem Wiesengrunde.

Dort sank sie mit jedem Schritte bis über die Knöchel ein. Zu ihrem übrigen Elend kam nun alsbald auch eine große Müdigkeit.

Das viele Wehtun machte sie eine Weile bewusstlos.

Sie brach zusammen und lag wie tot auf dem Rasen.

Darüber verlor Basili seine meiste Fassung. Den Cyrill befiel auch eine ziemlich große Angst.

Sie liefen gleich zu ihr hin. Das Bild legte Basili nahe bei ihr nieder.

»Was tun wir denn jetzt?« jammerte er.

Dabei fing er schon zu weinen an. »Heimtragen können wir sie doch nicht. Es ist zu weit. Liegen lassen können wir sie auch nicht. Sollen wir die Stiggestaler um Hilf' anrufen? Täten die nicht gleich was ahnen und grob, anstatt hilfreich sein? Und was machen wir jetzt mit dem Bild? Sie darf es nicht sehen, wenn sie wach wird. Und wir werden sie dann doch heimführen müssen. Soll einer bei ihr bleiben und der andere das Bild in Sicherheit bringen?«

Darauf dachte er aber gleich, dass er dem Cyrill weder das Veferl noch das Bild anvertrauen möchte.

»Wir werden das Bild hier irgendwo verstecken müssen«, redete er weiter. »Aber wenn sie erwacht, was sollen wir ihr dann vorlügen, damit sie nicht ahnt, dass wir ihr nachgestiegen sind?«

Cyrill wusste freilich nicht gleich einen Rat.

Basili lief zum Bache. Dort schöpfte er mit seinem Hute Wasser. Den vollen Hut gab er dem Cyrill und sagte: »Das lass ihr langsam auf die Stirne rinnen.«

Hernach nahm er das Bild, um es zu verstecken. Zuerst wollte er es vergraben. Er riss der Wiese ein Stück Rasen vom Leibe.

Aus der Bodenwunde rann gleich viel Wasser, in welches er das Bild nicht legen wollte.

Dann lief er zur Brücke.

Er hoffte das Bild hinter dem Holzwerke verbergen zu können. Aber von der Brücke aus bemerkte er das Marterl, welches vor dem Zäunerwirtshause auf dem Bleichanger stand.

Da meinte er nun für das Bild einen rechten Ort gefunden zu haben. Er ging hin und stellte es in das Marterl.

»Hier ist es wohl für eine Weil' gut aufgehoben«, dachte er. »In der Nacht wird es hier von niemandem gefunden werden. Und ich hole es wieder, sobald das Veferl daheim ist. Es wird nicht früher Tag werden.«

Dann rannte er zu dem Veferl.

Er kam mit dem Cyrill zugleich zu ihr. Der hatte nun schon zum dritten Mal von dem Bache Wasser geholt. In seinem guten Willen schüttete er ihr nun wieder den ganzen Hut voll in das Gesicht.

Darauf rührte sie sich. Da zog Basili den Cyrill von ihr weg.

»Vielleicht kommt sie wieder von selbst auf«, flüsterte er. »Es wär' mir recht, wenn sie heimgehen könnt', ohne dass sie uns sehen müsst'.«

Sie richtete sich wirklich wieder auf. Basili und Cyrill traten unterdessen leise von ihr weg.

Veferl sah und hörte die beiden nicht. Sie wollte sich wieder auf den Heimweg machen. Aber nachdem sie einige Schritte getan hatte, blieb sie stehen.

Drüben auf dem Bleichanger schrie ein Mann: »Da seht her! Das Bild ist da!«

Er schrie nach dem Zäunerwirtshause hin, aus dem er gerade zuvor gekommen war. Bei dem Marterl hatte er sein Abendgebet verrichten wollen. Die Zäunerin hörte ihn schreien. Sie lief zu ihm. Ihr folgten zwei Bauern, die eben auch in der Wirtsstube gewesen waren.

Dann kam noch der Joggerl heraus.

Der trug einen brennenden Kienspan.

Veferl ging nun ohne Weiteres durch den Bach. Sie wollte es sogleich wissen, ob ihr Bild in dem Marterl war. Als sie an das Ufer des Bleichangers kam, zeigte sich ihr in dem Lichte des Kienspanes das Werk des alten Gabriel. Sie legt sich an dem Ufer hin, um von den Leuten nicht gesehen zu werden.

Und sie glaubte nun ernstlich an ein Wunder. Dabei begriff sie nicht, wie es kam, dass ihr nicht gleich wieder die Sinne vergingen.

Die zwei jungen Männer krochen auf der Wiese etwas näher herzu, um das erlauschen zu können, was nun vor dem Marterl gesprochen wurde.

Basili war auf die Folgen dessen, was er da getan hatte, neugierig genug. Cyrill kicherte leise. Ihn belustigten das Zusehen und das Zuhören.

Als die Zäunerin das Bild wieder erkannte, war sie auch davon überzeugt, dass hier ein Wunder geschehen sei. Sie kniete nieder und fing laut zu beten an.

Einer der Bauern sagte: »Das Bild ist nicht von selbst hierhergekommen. Da hat jemand einen kecken Spaß gemacht.«

Darauf entgegnete der andere: »Tue doch auch lieber was Schönes als was Schlechtes glauben.«

Dann beteten die drei Bauern und der Joggerl mit der Zäunerin.

Vom Marsaschenwirtshause gingen etliche Böhmen herüber. Die wollten wissen, weshalb hier geleuchtet und gebetet wurde.

Mit ihnen kam die Marsaschin. Als sie sahen, dass das Bild in dem Marterl war, wurden sie sehr erregt. Die Marsaschin wollte sagen: »Da ist ein Betrug dahinter.« Aber dann dachte sie, dass eine, die vor diesem Bilde auch zu viel gesagt hatte, umgefallen war. Aus Furcht schwieg sie. Etliche andere schwiegen aus derselben Ursache. Aber ein alter Böhme fing alsbald in seiner Sprache laut zu schreien an: »Das ist ein heimgehendes Bild! Es gibt solche Heiligenbilder, die nur an einem Orte bleiben und an keinem anderen zu erhalten sind. Dieses hier ist so eines. Das ist ein deutsches Himmelmutterbild. Weil es deutsch gemacht ist, deshalb ist es nicht recht gemacht und deshalb will die Himmelmutter nicht, dass es im Böhmischen bleibe. Und so hat sie es den Deutschen hierher zurückgeschickt. Ja, es hat hierher müssen! Und es ist heut' im Böhmischen durch das Bild Ungnad' geschehen, weil es nicht dorthin gehört und weil es der Pfarrer nicht hätte hinbringen sollen.«

Die meisten der Anwesenden meinten, dass nun dem Alten auch gleich etwas geschehen würde. Aber der blieb stehen.

Die fünf Deutschen beteten noch immer. Und die Zäunerin wunderte sich dabei insbesondere groß, weil dem lästernden Alten nichts geschah.

Aber einige Böhmen glaubten nun, dass der wahr gesprochen hatte. Und die wurden gleich so mutig, dass sie ihm beistimmen wollten.

Aber zweien wurde bange. Die begannen auf böhmisch laut zu beten. Diese schrie der Alte an: »Habt ihr mich denn nicht verstanden? Vor der deutschen Himmelmutter soll kein Böhme beten!« Dann wurden die zwei auch von anderen Böhmen ausgescholten und von dem Marterl weggezogen.

Unterdessen kamen noch andere Dorfleute und dann der alte Pfarrer. Der sah nun weder aufgeregt noch verwundert aus.

Die Leute grüßten ihn, und er dankte ihnen. Sie meinten, dass er nun etwas Besonderes sagen würde. Aber er sagte nichts, sondern sah nur über die ihm zugewendeten Gesichter hin und seufzte. Dabei dachte er: »Ob wohl derjenige unter euch ist, dessen Narren ihr jetzt seid?« Das Bild nahm er von dem Marterl weg. Dann trug er es heim.

Die Zäunerin hätte ihn anhalten mögen. Aber sie wagte das nicht.

Als er die Leute nicht mehr hören konnte, redeten sie wieder genug.

Veferl blieb auf dem Ufersande, bis die Leute den Bleichanger verlassen hatten. Dann ging sie heimzu. Sie machte sich es nun gar nicht mehr eilig.

In ihr war der schreckliche Gefühlssturm vorüber. Und es war ihr nun auch sonst viel anders als wie zuvor.

Sie hatte nicht mehr den Wunsch, das Bild vernichten zu können. Verehren wollte sie es jetzt. Sie dachte: »Die Himmelmutter hat nicht wollen, dass ich es vernicht'. Deshalb hat sie es meiner Gewalt durch ein Wunder entzogen. Es war vordem kein heiliges.

Aber jetzt hat es die Himmelmutter mir zur Lehr' zu einem heiligen gemacht. Und so will ich es denn für ein solches halten. Die lieb' Frau hat mir auch gezeigt, dass sie mich gern hat. Sonst hätt' sie das Bild, das mir gleich sieht, nicht derart erhoben. Jetzt muss ich auch dazu schauen, dass ich ihr keine Schande mehr mach' und dass ich so viel als möglich so werd', wie mich der Vetter Gabriel hat haben wollen. Ja, jetzt will ich so werden, wie ich auf dem Bild ausschau', sonst wär' ich das Wunder nicht wert und auch das Glück nicht, dass mir jetzt nach all' meinem heutigen und gestrigen Elend so wohl ist.«

Und erst, als sie sich des Elendes erinnerte, entsann sie sich wieder der Liebe, die ihr so viele Schrecken und Schmerzen gemacht hatte. Da fiel sie plötzlich auf die Knie nieder, hob die Hände gegen den Himmel empor und sagte: »O du meine liebe Himmelmutter! Jetzt weiß ich es erst, dass du noch ein anderes großes Wunder gewirkt hast. Du hast mich ja von dieser Lieb' befreit! Wenn die noch in mir wäre, so hätt' ich doch nicht so lang' auf sie vergessen können. Du hast mir jetzt so viel zu empfinden gegeben, damit diese Lieb' in mir übertöllt Übertöllt = übertäubt. und zunicht' gemacht wird. Wahrhaftig, ich spür' sie nicht mehr! Du hast mir das Herz mit so viel Besserem erfüllt, dass diese Lieb' nimmer darein kommen wird. Mir hat vor der Hingab' so viel gegraust. Ich hab' verlangt, dass du mir die Jungfernschaft erretten sollst. Und du errettest sie mir. Dafür will ich dir danken, solang' ein Atem in mir ist. Die dummen Leut' nennen jetzt das Bild: die deutsch' Himmelmutter. Ich könnt' ihnen jetzt sagen, wie du selber für mich die deutsche Himmelmutter bist.«

Basili und Cyrill sahen es von Weitem, dass sie betete.

Aber hören konnten sie nichts von dem, was sie sprach. Nun flüsterte Basili dem Cyrill zu: »Unser Betrug nützt. Wir haben das Rechte getan. Das Bild ist jetzt gut aufgehoben. Und sie glaubt jetzt an das Wunder. Sie betet. Ich hab' sie also schon um etwas braver gemacht. Die kann noch das sanfteste Weiberl werden.«


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