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5.

Auf ihren Umwegen begegneten die zwei keinem Menschen. Von einer Langeweile wurden sie deswegen nicht geplagt. Sie wären einander für eine längere Reise als die jetzige genug gewesen. Als sie vom Bergsattel talwärts gingen, lief ihnen ein junges, schlankes Mädchen über den Weg. Das kam links aus dem Stangenholze und brach rechts so gewandt wie ein Reh in das unwegsame Dickicht ein.

»Veferl!« schrie der Alte. Da streckte es das rosige Gesichtchen aus dem Grün. Die Augen, mit denen es die Männer anleuchtete, schienen aus zwei Stücken des allersonnigsten Frühlingshimmels gemacht zu sein.

»Bist du vor wem auf der Flucht?« fragte der Ruhsam.

Die schüttelte den Kopf. Ihr Blondhaar setzte hundert Fünkchen auf, wenn sie es bewegte.

»Ich renn' vor niemandem«, antwortete sie dann in einem sehr frischen, übermütigen Tone.

»Also wem rennst du denn zu?« fragte der Ruhsam. Sie lächelte ein wenig. Eine Antwort gab sie nicht. Und dann schlugen die Zweige hinter ihr zusammen. Basili tat es leid, dass sie sich nicht länger sehen ließ.

Der Ruhsam merkte ihm die Trauer an.

»Ich errate schon, wem die zurennt«, sagte er. »Und es wird wohl recht sein, wenn wir ihr nachpürschen.«

Der junge Mann zeigte nun einen freudigen Eifer.

»Soll ich vorausspüren?« fragte er.

»Nein«, antwortete der Ruhsam. »Du gerietest vielleicht zu nah hinter sie. Und sie soll nicht wissen, dass wir ihr nachgehen.«

Er drang in das Dickicht ein. Und Basili folgte ihm. Von dem Mädchen sahen und hörten sie nun nichts mehr. Aber der Alte kämpfte sich durch das Gestrüpp wie einer, der da weiß, wohin er soll.

Vor einem hochstämmigen Föhrenbestande hörte das Dickicht auf. Knapp vor dem gangbaren Walde schlüpften die Männer noch ein gutes Stück weit durch die Büsche. Und dann guckten sie ein jeder durch eine andere Staudenluke in die lebendige Säulenhalle hinaus. Unweit von ihnen stand das Mädchen und nestelte mit flinken Fingern an der schweren blonden Haarkrone. Dabei redete sie unablässig zu einem jungen Menschen, der neben ihr recht emsig Waldstreu aufrechte. Der Boden hatte hier eine faustdicke Mooshülle, die ihm von dem zähen Wurzelwerke des Heidekrautes gar fest verbunden wurde. Mit einem Streurechen riss der Bursche an diesem oben samtgrünen und untenhin moderbraunen Pelze. Dazu brauchte er seine ganze Kraft. Der Schweiß fiel ihm sogar in schweren Tropfen von dem kurzgeschnittenen schwarzen Haare und durchnässte ihm das grobleinene Hemd, dass es an den schmalen Schultern klebte. Und doch machte ihn die Plage blass anstatt rot. Sie war für seinen hochaufgeschossenen Körper zu schwer. Er zeigte auch so eine Miene, als ob er bei seiner Arbeit von jemandem mit einer Geißel angetrieben würde. Sein verhärmtes Gesicht erhellte sich nicht einmal, wenn er sich ein wenig aufrichtete und das Mädchen ansah.

Aus seinen großen, dunklen Augen sprachen nur lauter Jammer und Sehnsucht. Ein gutes Herz konnte er mit seinen Blicken wohl gleich gehörig rühren. So betrachtete denn auch Basili durch seine Staudenlücke bald nicht so viel das blühende Veferl als den armen, müden Burschen.

Das junge Mädchen warf nun seinen blassblauen Leibelkittel Leibelkittel = Ein mit Achselträgern versehenes Miederleibchen und ein an dieses genähter Rock. ab. Hernach stand sie in Unterkleidern da, die aus einem noch gröberen Zwilch waren als das Hemd des Burschen. Nicht weit von ihr lag ein Streurechen. Sie holte dieses Werkzeug. Dann arbeitete sie so wie der Bursche. Ihr Mäulchen plapperte dabei noch immerfort. Weil sie jetzt mit dem Gesichte den Männern zugewandt war, hörten sie diese besser als zuvor.

»Auf der Straße habe ich deinen Großvater gesehen«, sagte sie. »Der bleibt heut gewiss bei euch über die Nacht. Aber diesmal geht er nicht handeln um. Einer ist mit ihm. So einen Schönen hast du noch nie gesehen, Thomas. Wer nur der sein mag? Dein Großvater hätt' gern gewusst, wohin ich geh'. Die Alten sind so viel neugierig. Der andere hätt' es freilich auch gern gewusst. Ich hab' ihm das angekannt.«

»Ich hab' meinem Großvater schon längst vertraut, dass du mir allweil heimlich arbeiten hilfst«, sagte der Bursche.

»Dass er das noch nicht meiner Mutter hinterbracht hat, ist mir von ihm nicht genug«, entgegnete Veferl. »Die Alten reden gern.«

»Mein Großvater hält zu mir«, sagte Thomas.

Veferl lächelte spöttisch. »Alle Braven, die wir kennen, halten zu dir«, sagte sie. »Und wer von allen hilft dir?«

Nun zeigte sich auf seinen Lippen der Anflug eines bitteren Lächelns. Es gefiel ihm nicht, dass sie gelobt sein wollte.

Aber er meinte das sagen zu müssen, was sie zu hören verlangte. »Nur du hilfst mir«, antwortete er ihr. »Nur du. Sonst niemand. Das ist wahr.«

Jetzt sah sie ihm forschend in das Gesicht. Darauf wurde sie rot.

»Und zum Dank verspottest du mich«, sagte sie plötzlich in einem sehr heftigen Tone.

Thomas erschrak. »Fahr' doch nicht gleich so auf«, bat er sie.

»Soll ich mir vielleicht deine Grobheit ruhig gefallen lassen?« fragte sie den Burschen.

»Oder soll ich mich stellen, als verstünd' ich sie gar nicht?«

In ihrem Grimme zog sie so ruckhaft an dem tief in das verfilzte Moos gehackten Rechen, dass der Happ Happ = das mit den Rechenzähnen versehene Holzstück stecken blieb und sie dann nur den Stiel in der Hand hielt.

Darüber wurde sie erst recht zornig. Sie scharrte mit ihren schönen, kleinen Zähnen. Dann schlug sie dem Thomas die Rechenstange um die aus den zerflickten Kniehosen hervorstehenden nackten Waden. Der Bursche lächelte. Es war freilich ein Lächeln der Scham und Hilflosigkeit. Er hob das Happ und den Stiel auf. Dann nahm er sein Taschenmesser und machte sich emsig an das Wiederherstellen des Werkzeuges.

Veferl ergriff indessen den Rechen des Burschen und arbeitete weiter. Und dabei redete sie.

»Was ich aus purer Barmherzigkeit für dich tue, ist nimmer zu beschreiben. Aber du hast keine Erkenntlichkeit. In der trabigsten Zeit renn' ich meiner Mutter davon und helf' dir. Alle erdenklichen Lügen hab' ich schon deinetwegen angewendet, wenn mich meine Mutter gefragt hat, wo ich war. Hundertmal wärst du schon von deinem Bruder geschlagen worden, wenn du ihm nicht meine Arbeit als die deine vorgewiesen hättest –«

»Der Cyrill ist nicht mein Bruder«, warf Thomas ein. »Wir sind uns mit keinem Blutstropfen verwandt. Und ich dien' ihm auch aus Barmherzigkeit.«

»Aus Feigheit dienst du ihm!« rief sie. »Du weißt, dass er dich mit Schlägen heimtreibt, wenn du ihm fortgehst.«

Thomas seufzte. »Ich fürcht' die Schläg' schon bald nicht mehr«, sagte er.

»So?« rief sie. »Du fürchtest sie nicht mehr? Ja, weshalb plag' ich mich denn dann nachher noch für dich? Ich helf' dir mit aller Kraft, dass du keine Schläg' kriegen sollst. Und du fürchtest sie nicht. Da kann ich ja heimgehen.«

Sie warf den Rechen weit von sich. Dann lief sie zu ihrem an einem Aste hängenden Leibelkittel und zog sich an.

Thomas ging ihr nach, um sie zu begütigen. Ehe er zu einem Worte kam, redete sie weiter: »Das ist ja schön, dass du das Ehrgefühl schon glücklich überwunden hast. Da brauch' ich mich jetzt nimmer um dich sorgen. Seit wann hast du dich denn so weit verändert, dass zu den Stecken deines Bruders nicht mehr fürchtest?«

»Darauf will ich dir antworten!« rief nun der Ruhsam und trat hinter der Staude hervor. »Seit du auf den Thomas zuhaust, fürchtet er von seinem Bruder die Hieb' nicht mehr so. Das wirst du ja selbst einsehen: Wenn einen ein Weibsbild schlägt, so ist die Schand' viel jämmerlicher, als wenn einer von einem Manne geschlagen wird. Der Bub da traut sich nicht, dass er dir das sagen tät. Du entziehst ihn aus Barmherzigkeit einer Schmach und unterwirfst ihn aus Grausamkeit einer viel ärgeren. Und aus lauter schuldiger Dankbarkeit meint der gute Bub, er darf dich nie und nimmer beleidigen. Er glaubt an deinen guten Willen vielleicht noch mehr als du selber. Für dein bissl Güt' will er sich deine ganze Grobheit gefallen lassen. Zu einem ähnlichen Bescheiden ist freilich die wahre Armut überall in der Welt angehalten. Das bleibt schon vorderhand noch so. Und es wär' da schad' um ein Ereifern. Ich hab' dir aber so viel sagen müssen, damit du weißt, dass du nicht im Recht bist. Und damit du auch weißt, dass eine Barmherzigkeit wie die Deine bei Weitem nicht so viel gibt als sie verlangt. Als seine Helferin bist du jetzt ohne weiteren Dank abgedankt. Geh heim zu deiner Mutter. Und geh fleißig in dich, so kannst du vielleicht bis zu deinem siebenzigsten Jahr so brav werden – als du dann schön bist.«

Veferl war zuerst über das plötzliche Kommen des Alten erschrocken. Und als hinter dem Ruhsam Basili erschien, wurde sie über und über rot. Aber dann hörte sie dem Alten mit einem spöttischen Lächeln zu. Und jetzt stellte sie sich dicht vor ihn hin.

»Tust du nun predigen anstatt rupfenhandeln?« fragte sie. »Da fang' doch bei deiner Sali an. Und wenn die so viel Lehr' annimmt, dass du es nur halbwegs bei ihr aushalten kannst, so freu dich deiner Weisheit und bleib daheim. Verstehst du mich?« Gleich darauf wandte sie sich an Basili: »Wer bist denn du, ha? Deinem Dreinschauen nach bist du dem Alten sein Jünger. Ich kann besser unterweisen als der. Wenn du wo siehst, dass ein armes Dirndl von einem Rüpel beleidigt wird, so nimm dich ihrer an, sonst bist du die Hosen nicht wert, die du anhast.«

Basili schüttelte ernsthaft den Kopf. »Nein, nein«, sagte er. »Die Hosen bin ich dann wert, wann mich auch das schönste Dirndl von dem nicht abbringen kann, was ich für recht erkenn'.«

Da wurde das Veferl wieder sehr böse. »Vielleicht kannst du das für recht erkennen, wenn du gehörig darüber nachdenkst«, sagte sie und schlug ihn dabei auf die Backe.

Dann schoss sie förmlich wie ein Pfeil in das Dickicht hinein.

Basili war aber gleich hinter ihr her.

Ein Stück weit drinnen im Föhrengestrüpp fing er sie ab. Sie wehrte sich nicht wenig. Aber er umfasste sie bald mit seinen Armen.

»Schlagen darf ich dich nicht. Ich will dich besser bestrafen. Ein Kuss wird dir gewiss mehr weh tun als ein Schlag. Aber du sollst nicht meinen, dass ich dich aus Leidenschaft küss. Ich tu's nur, um dich zu strafen.«

Er küsste sie wirklich nur um die Strafform zu erfüllen auf die Wange.

Darauf hätte er sie allerdings sehr gern inniger küssen mögen. Aber er schämte sich auch gleich dieses Gelüstes und ließ das Veferl los. Sie wäre ihm nun für ihr Leben gern mit ihren Fingernägeln über das Gesicht gefahren, ballte jedoch in ohnmächtiger Wut die Fäuste. Dann fuhr sie in das Gebüsch hinein. Basili horchte ihr ein Weilchen nach. Er hörte neben dem Knacken der vor ihr brechenden Zweige auch einen leisen, hohen, wimmernden Ton.

Sie weinte im Forteilen –. Da tat sie ihm plötzlich leid. Und er sagte sich, dass er sie doch hätte ungestraft lassen sollen. Sie hatte ihn freilich auch sehr stark in das Ohrläppchen gebissen, als er sie auf die Wange küsste. Zu all diesem Wehtun wurde er noch ausgescholten, als er in den hohen Wald zurückkam.

»Das hast du von deiner Schneid«, sagte der Ruhsam. »Jetzt musst du bluten. Und ich glaub' nicht, dass das Veferl gestraft ist.«

»Ich glaub doch«, sagte Basili.

Der Ruhsam schüttelte den Kopf. »Noch zorniger wirst du sie gemacht haben, demütiger gewiss nicht.«

Darauf nahm der Alte von einem Huflattichstocke zwei große Blätter. Mit diesen stillte er dem Basili das Blut. Der junge Mann wunderte sich nun über den Thomas. Dieser war schon wieder so emsig bei seiner Arbeit, als ob es jetzt für ihn nichts Neues zu sehen gäbe. Er wandte keinen Blick vom Boden ab. Von seinem Gesichte fielen große Wassertropfen. Basili meinte, dass Thomas schon wieder so viel schwitze. Aber dem Burschen kam nun fast all dieses Wasser aus den Augen. Er geriet vorhin, als Basili dem Veferl nachstürmte, in eine angstvolle Erregung und wollte zu den beiden in das Dickicht. Der Ruhsam hielt ihn zurück. »Wart, bis eines um Hilf' schreit«, sagte er. Da wurde Thomas gegen seinen Großvater zum ersten Male sehr heftig. »Du bist abscheulich grausam gegen das Dirndl«, schimpfte er.

»Sie war gegen dich noch grausamer«, antwortete der Alte.

»Nein«, sagte Thomas. »Das Veferl hat mich nie so empört wie das Unrecht, das ihr heut' geschieht. Dem Dirndl verzeih' ich das Wilde. Das liegt ihr im Wesen und tut ihr eh kor Kor = weh, schmerzhaft anliegend genug. Und sie könnt' das nicht anders ablegen als mit ihrem Leben zugleich. Eines, das nicht zähmbar ist und eher zugrund' geht, als es eine andere Art annimmt, soll man lassen, wie es ist, und nicht nutzlos quälen und reizen mit Zucht und Straf'.«

»Ich will sie nur von dir abbringen«, sagte der Ruhsam. »Und das kann ich leider nicht so, dass es euch beiden nicht weh tät'. Dieser Wildling ist mit seinen Dornen schon zu tief in dich verspießt.«

»Ich häng' nur mit meinem Erbarmen an ihr«, beteuerte Thomas. »Und ich mag lieber viel ertragen, als ein Unrecht, das ihr geschieht. Ich weiß, wie ihr ist, wenn sie so in ihrem Zorn brennen muss. Zuerst hast du sie ohne alle Barmherzigkeit anzunden. Jetzt heizt ihr dein Mitgeher zu. Und du leistest ihm Vorschub. Wenn du aber wüsstest, wie leid mir um das arme Dirndl ist –« Sein Empfinden zwang ihn plötzlich zum Weinen. Er wandte sich von dem Alten ab. Den ganzen Schmerz wollte er ihm nicht offenbaren. Seine jetzigen Tränen waren ihm gar heilig. Er glaubte, dass sie der Alte nicht recht würdigen könnte. Sonst hatte er viel mehr auf den Großvater gehalten. Jetzt war er an ihm irre geworden. Er konnte einen jeden Menschen leichter begreifen als einen solchen, der einen anderen zu verdammen vermag. So einen konnte dann der Thomas auch verdammen. Er ging schnell zu seinem Rechplatze. Dann bückte er sich bei der Arbeit recht tief. Der Ruhsam sah die Tränen seines Enkels wirklich nicht. Aber er fühlte sie alle. Das reine Erbarmen des Jungen war ihm recht wohl bekannt. Es freute und bekümmerte ihn gebührlich, dass der Thomas gar so weich und gut war.

Schlechter und härter wollte er ihn nicht machen. Erhalten wollte er ihn. Und heute sah er, dass zu dieser Erhaltung bald etwas geschehen müsste. Das abgebrochene Gespräch stückelte der Alte nicht an. Er ging langsam dem Dickichte zu. Und dann hätte er den Basili gerufen, wenn der nicht bald gekommen wäre. Das hätte der Ruhsam nicht aus Angst oder Ungeduld getan. Er wollte nur seinen Enkel nicht zu lange auf den Basili warten lassen.

Und dann sah Thomas bei all seiner Neugier den Basili nicht an. Dem Großvater hatte er aus Stolz die Tränen nicht gezeigt. Dem Basili wollte er das verweinte Gesicht zumeist aus Eitelkeit nicht sehen lassen. Dabei wusste er nicht, was er tun sollte, wenn ihn nun Basili ansprach. Und lange dauerte es nicht, dann fragte ihn Basili: »Warum schaust du mich denn gar nimmer an?«

Thomas arbeitete mit gesenktem Kopfe schweigend weiter und quälte sich um einen guten Rat.

»Er ist harb«, erklärte alsbald der Ruhsam dem Basili. »Er will nicht erlöst werden. Da werden wir ihn halt seinem Schicksal überlassen müssen. Denkst du nicht auch so?«

Der Alte hatte eine kleine Hoffnung, dass nun Basili neugierig und teilnahmsvoll den näheren Verhältnissen des Burschen nachfragen und sich dann zu jeder tunlichen Hilfe bereit erklären würde. Basili fragte aber nichts, um sich zu nichts verpflichten zu müssen. Er antwortete auch gar nichts, sondern zuckte bloß mit den Achseln.

Der abgeplagte Bursche tat ihm leid. Aber deswegen drängte es ihn nicht zu Opfern und Taten. Er ahnte, dass ihn der Alte gern hilfsfreudiger gesehen hätte. Ein wenig bedauerte er es sogar, dass er sich so schwer zum Wohltun begeistern konnte. Vorheucheln wollte er dem Ruhsam nichts. Er sagte sich: »Täusch' ich ihm eine Güte vor, die mir nicht gegeben ist, so macht er mir gewiss gleich einen Vorschlag zu einer Dienstleistung, die ich nicht tun mag.« Basili hätte nicht eine Stunde lang für den Thomas arbeiten mögen. Er glaubte das Mitleid, welches er für den Armen hatte, leichter ertragen zu können als das Kreuzweh, welches man nach fleißigem Streurechen bekommt.

Der Ruhsam seufzte. Hernach sagte er: »Es ist traurig, dass wir sein Elend vermehrt anstatt verringert haben. Weil ihm das Veferl nimmer hilft, will er sich jetzt zu tot jageln Jageln = eilevolles Arbeiten.. Und weil dich das Veferl gebissen hat, glaubt er jetzt gewiss, du hast es wüni Wüni = tollwütend gemacht. Da wird ihm die Sorg' wohl noch mehr ant tun Ant tun = schädlich, unzuträglich sein. als die Plag'.«

»Ich muss auf mich schauen, dass ich von dem Biss nicht auch wüni werd'«, entgegnete Basili.

»Ja freilich«, sagte der Ruhsam. »Da geh nur heim und leg' dich nieder. Ich weiß, was ich jetzt zu tun hab'. Durch meine Schuld soll sich der Bub nicht noch mehr erkreuzigen als zuvor. Ich stell' ihm einen Helfer. Von da aus ist der Fitzlerveichtl der nächste menschliche Mann. Zu dem geh' ich. Der hat drei Buben. Er wird mir einen verdingen, der dem Thomas auf alle Arbeitsplätz' nachgeht. Und die alte Schmotzin, dem Veferl ihre Mutter, muss mir den Helfer auf die Hürwa Hürwa = Herberge nehmen. Von der Fitzlerhütte hätt' der Bub zu dem Thomas zu weit. Jetzt verlahnzel Verlahnzeln = versäumen, verlehnen, unnütz verbringen. ich da keine Zeit mehr. Ich geh gleich zum Fitzlerveichtl und von dem zur Schmotzin.«

In den Basili war nun ein ganz anderes Leben gekommen. Er wollte gar gern der Helfer des Thomas werden, wenn er mit dem schönen Veferl unter einem Dache wohnen durfte. Aber ehe er sich nun dem Alten antragen konnte, sah ihn der mit einem fast ein wenig spöttischen Lächeln an und sagte: »Ja, geh du nur heim, mein lieber Basili, geh.« Basili fühlte sich nun beleidigt.

»So vorschnell hättest du mich nicht aburteilen müssen«, sagte er zu dem Ruhsam. »Gerad' hab' ich sagen wollen: du brauchst für den Thomas niemanden aufreden. Der Helfer werd' ich.«

Jetzt lachte der Ruhsam. »Ich hab' dich gar nicht abgeurteilt«, sagte er. »Das hätt' ich erst getan, wenn dir gar kein Angebot abzulocken gewesen wär'. Eh' ich zum Fitzlerveichtl gegangen wär', hätt' ich dich schon noch von anderen Seiten gerügelt Gerügelt = gerührt, gelockert.. Aber zur alten Schmotzin geh' ich jetzt. Will sie fragen, ob sie dir Kost und Unterstand gibt und ob sie dafür was verlangt.«

Er wandte sich zum Gehen.

»Ich geh' mit!« rief Basili.

»Nein«, sagte der Ruhsam. »Ich will wissen, ob sie recht christlich ist. Sie soll erst annehmen und dann besehen. Wart du bei dem Thomas auf mich. Schau ihm halt derweil bei seiner Arbeit zu.«

Darauf ging er in das Dickicht hinein. Den Thomas meinte er gar nicht fragen zu müssen, ob er zur Schmotzin gehen solle. Er hatte vorhin bemerkt, dass dem jungen Burschen etwas an dem Basili lag. Und da glaubte er ihm mit dem Gange sogar eine Freude zu machen. Wie weit sich Basili mit der zuletzt bewiesenen Hilfsunlust um die Neigung des empfindsamen Jungen gebracht haben konnte, das bedachte der Ruhsam nicht recht genau. Er war zu sehr davon überzeugt, dass sein Enkel niemandem böse bleiben könnte.

Thomas war nun aber schon zum Verwerfen des Handels bereit, um den sich der Ruhsam so viel bemühte. Anfänglich hätte der gute Junge dem schönen Basili gleich das ganze Herz auftun mögen. Jetzt war es ihm gewiss, dass Basili so ein Herz nicht verstehen konnte und deshalb auch nicht suchte.

Schier an allem rechten Empfinden Basilis musste er verzweifeln, weil ihm der nicht schon viel Erbarmen bezeugt hatte. Thomas hätte sich aber von diesem Erbarmen durchaus nicht gern unterstützen lassen. Nur sehen wollte er es, weil es ihm das nötigste Zeichen für den Wert Basilis war. Jetzt wartete er nicht mehr darauf.

Er war mit seiner Meinung über den andern schon so weit fertig, dass er ihn loswerden wollte. Auch das Veferl wollte er vor dem Basili behüten. Er wünschte ihr einen besseren Liebhaber als diesen. Gerade einen recht feinfühlenden, tiefvernünftigen hätte er dem Veferl zukommen lassen mögen, nicht so einen, der immer mit ihr zugleich die Einsicht verlor. Basili betrachtete nun wieder ein Weilchen den unablässig Arbeitenden, dann redete er ihn an:

»Ich weiß nicht einmal noch, weshalb jetzt das Streurechen gar so wichtig ist. Und da meint dein Ehnl, ich sollt' mich deswegen schämen, weil ich mich nicht schon fleißig für dich zerreiß'.«

Thomas richtete sich nun auf. Er scherte sich kaum mehr viel darum, ob er noch verweint aussah oder nicht.

»Du brauchst richtig zur Hilfsbereitschaft hübsch viele Ursachen«, sagte er in einem spöttischen Tone.

»Nur lauter nötige«, behauptete Basili. »Und die find' ich halt so selten beieinander, dass ich jetzt schon recht lang faulenzen tue. Und so könnten die Ursachen, aus denen ich faulenze, vielleicht auch so vernünftig sein, als die, aus denen du dich so plagst.«

Thomas schüttelte den Kopf. »Das ist nicht möglich. Das kann nicht sein«, sagte er.

»So lass es doch schon einmal hören, weshalb du arbeitest!« rief Basili.

»Da tät ich gar vergeblich reden. Du könntest mich nie und nimmer verstehen«, antwortete Thomas. Basili ahnte nun erst, wie hoch und mit welchem Ernste sich der andere über ihn stellte.

Wie weit Thomas damit recht hatte, darüber konnte sich Basili keine sichere Meinung machen, aber beleidigt fühlte er sich doch.

»Beweise mir, dass es zwischen uns zwei so groß umsteht!« rief er verteidigungsmutig.

»Das hast du schon bewiesen«, antwortete Thomas.

Basili wurde nun schon ungeduldig und stellte ziemlich rau die Frage:

»Wie lang wirst du denn noch deswegen glungerzen Glungerzen = glucksen, großes Wesen machen., weil ich nicht aus lauter Gefühl für dich augenblicklich um meinen Verstand gekommen bin?« Dann setzte er etwas milder, aber doch mit fester Bestimmtheit die Worte hinzu: »Wir müssen jetzt miteinander gut werden.«

»So? Weshalb denn?« spottete Thomas. »Gelt, nur damit du zu dem Veferl kommst?«

Damit brachte er den Basili in Verlegenheit. Der fand nun wirklich nicht sogleich eine Antwort. Da wurde er zornig und rief: »Du kannst auch harb bleiben. Aber das Mittel, durch das ich in die Schmotzenhütte komm', musst du mir doch abgeben.« Dann ging er zu einem Streuhaufen. Auf diesen legte er sich hin und kehrte dem Thomas den Rücken zu.


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