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9.

Cyrill hatte sich noch gar niemals so tugendeifrig umgetan als wie jetzt.

Thomas wollte Streu aufladen. Da nahm ihn Cyrill in die Arme und setzte ihn sanft auf den Boden hin. »Du sollst rasten«, sagte er.

Die Streufuhre machte er nicht zu groß, damit dem Thomas nicht um die Kuh Leid geschehe. Dann fuhr er nicht wie sonst von dem Thomas fort in das Taldorf. Er verzichtete auf das Nachtmahl, welches er dort unten für diese Fracht bekommen hätte.

Den Thomas wollte er auf die weiche Ladung betten. Gar so sorgsam ließ sich jedoch der junge Bursche nicht behandeln. Als sie hernach heimgingen, hielt ihn Cyrill immerfort zärtlich umfasst.

Und die Kuh bekam auf diesem Wege keinen Schlag. Es geschah nun zum ersten Male, dass Cyrill eine Fuhre Streu in den Lockerhof brachte.

Hanni schleppte bisher alles heim, was hier der Kuh gefüttert und gestreut wurde. Als das arme Weib die Burschen kommen sah, meinte es, dass Cyrill auf seiner Talfahrt im Hofe Rast halten wolle. Er fuhr in die zerlumpte Scheune. Hanni aber konnte deswegen noch immer nicht glauben, dass er ihr die Streu daheim lassen werde.

Sie fragte und redete nun nicht nach Weiberart, sondern wollte vor allem die Kuh ausspannen und in den Stall bringen.

Da hob sie Cyrill so behutsam, als ob sie ein Butterteig wäre, von dem Tore weg und sagte: »Du hast dich heute schon genug geplagt. Lass mich ein wenig für dich arbeiten.«

Nun staunte sie freilich. Cyrill führte die Kuh in den Stall.

Thomas erzählte es nun seiner Mutter, dass Cyrill deshalb so fleißig sei, weil der Ruhsam einen Helfer gebracht hatte.

Da schüttelte Hanni den Kopf. »Anstatt dass der Ehnl dem Narrenspiel ein End' machen tät', hilft er dabei mit«, sagte sie.

Jetzt kam Cyrill aus dem Stalle. Mit einem Arme umhalste er wieder Thomas. Und die Hanni nahm er an einer Hand.

So führte er die beiden in die Stube. Hanni ging mit, weil sie ihn an nichts Gutem hindern wollte. Aber ihr Mitgehen kam ihr dennoch dumm genug vor, denn sie glaubte nicht, dass Cyrill auf irgendeinen Fall hin eine Stunde lang freundlich bleiben könnte. Die Stube war groß und licht. Ehedem war sie gut eingerichtet gewesen. Aber Cyrill hatte sie nun schon stark ausgeräumt. Als es heuer zu lenzen begann, hatte er sogar den schönen, grünen Kachelofen verkauft.

Ein Bett stand noch hier und ein Eichentisch. Das Bett gehörte der Hanni. Und sie ließ es sich nicht nehmen, so gern es der Cyrill auch zum Stiggestaler Juden gebracht hätte. Und der Eichentisch war einer von jenen alten, die bei dem Hausbau in der Stube gezimmert wurden. Er wäre nur zur Türe hinauszutragen gewesen, wenn man ihn vorher zerschlagen hätte.

In der Fensterecke hing ein Kreuz. Das hatte der Thomas geschnitzt. Das alte, welches einmal dort war, hatte der Cyrill auch verkauft.

An Sitzgelegenheiten fehlte es in der Stube nicht, denn unter den Balkenwänden waren niedrige, ungemein breite Mauerbänke. Dieses Mauerwerk und auch die Balken hatte Thomas schön geweißt. Und die hölzerne Decke hatte er nach altem Brauche mit Schweinsblut bestrichen.

Sie war so schön dunkelbraun, als ob sie ein Schreiner geölt hätte.

Und Hanni hatte die Tischplatte und den Fußboden rein gescheuert, das Bett blütenweiß überzogen und die Fenster geputzt, dass sie fast so durchsichtig waren wie dort, wo ihnen das Glas fehlte.

Cyrill setzte nun die beiden auf die Mauerbank hin. Dann nahm er zwischen ihnen Platz und sagte: »Ich will jetzt ganz nach eurem Sinn brav werden. Sagt mir, wie ich das anfangen soll.«

»Fang so an: Lass uns beide von dir fortziehen«, riet ihm Hanni.

»Nein. Das vermag ich nicht«, antwortete er. »Ich will es dahin bringen, dass ihr gerne bei mir weilt.«

»Das kannst du nicht«, sagte sie. »So brav kannst du nicht werden.«

»Lass es ihn doch versuchen«, sagte Thomas zu seiner Mutter. Dann redete er zu dem Cyrill: »Geb das niederträchtige Kauffahren ab. Werd' ein ehrlicher Bauer. Bei der rechten Arbeit wirst du gewiss auch besser. Werken wir von jetzt an nimmer auf fremdem Grund, sondern auf dem deinen. Dann wird es uns hier gut gehen.«

»Ich tue alles, was du willst«, sagte Cyrill. »Wenn ich jetzt meine Felder pflegen soll, so werd' ich dabei freilich verhungern müssen, denn zwischen dem Ackern und Fechsen ist eine lange Zeit. Aber dir zu Liebe verhungere ich auch. Du sollst es sehen.

Thomas war nun wirklich gerührt. Und er hoffte schon, dass es ihm gelingen werde, den Cyrill zum Guten zu lenken.

Hanni hielt die jetzige Entsagungswilligkeit Cyrills auch für ungeheuchelt. Aber sie war doch überzeugt, dass er bald wieder Kies führen werde.

»Wenn mich der liebe Herrgott beratet und wenn du mir folgst, dann wirst du nicht verhungern«, sagte Thomas. »Übermorgen fangen wir das Brachfeldackern an. Und morgen gehst du zum Stiggestaler Pfarrer. Der hilft dir, wenn er kann. Dem sag, dass du jetzt ehrlich hausen möchtest und bitt ihn, er möcht' dir was borgen oder schenken, damit du dich bei dem Rechttun eine Zeitlang erhalten kannst.«

Cyrill willigte nun nicht gleich ein. Er demütigte sich gar zu ungerne vor jemandem anderen als vor dem Thomas.

Die Hanni missbilligte den Vorschlag ihres Sohnes: »Das hieße den Pfarrer betrügen«, sagte sie. »Ich glaub', der Cyrill sieht es selber ein, dass er die gut Gesittung eher verlassen müsst', als er des Pfarrers Gab' verzehrt hätt'.«

»Nein«, antwortete ihr Cyrill. »Ich seh' jetzt, dass ich durchaus so gut werden kann, wie mich der Thomas haben will, und dass sich darum bisher alle an mir geirrt haben – nur er nicht.« Und zu dem Thomas sagte er: »Ich weiß auch, dass du mich bald mehr achten wirst als den Basili.«

»Es ist alles möglich«, antwortete Thomas. »Aber bis du so gut bist, wie ich dich haben will, dann wirst du wohl auch den Basili liebhaben.«

Cyrill bestritt nun auch diese Worte nicht, denn er wollte das neue Vertrauen des Freundes nicht abschwächen. Und sich selbst wollte er das neue Bewusstsein nicht stören.

Er hielt nun schon seine eigene Güte für unermesslich. Den Abend über setzte er die Sanftmutsübungen eifrig fort. In der Bodenkammer hatten die zwei Burschen ihr gemeinsames Nachtlager. Das bestand aus einer Strohschütte und aus zwei Kotzen. Thomas lag diesmal lange neben dem schlafenden Freunde wach und sah durch das viellukige Dach zu dem Sternenhimmel empor. Er hatte hier schon in gar vielen Nächten für den Cyrill gebetet. Und jetzt dankte er zum ersten Mal dafür, dass er diesen Menschen besaß.

Am nächsten Morgen ging Cyrill nach Stiggestal. Vorher hatte er sich noch so sorgfältig wie zu einem Beichtgange gesäubert, und sein blühendes Gesicht passte wahrlich nicht schlechter als die jungen Sommerblumen in den schönen Junitag. Er war auch heute so viel über sich selbst entzückt als wie gestern.

Und um ja in nichts zu ermangeln, machte er sich nun auch zum Anreden des Pfarrers einen schönen Mut.

Neben einem Bächlein, das in der Hauswiese seine klaren Quellen hatte, ging Cyrill abwärts. Durch eine kleine Schlucht kam er aus dem Hügelkranze, in welchem der Lockerhof lag.

Auf dem Schluchtgehänge stand ein üppiger, junger Fichtenaufwuchs. Thomas hatte im vorvergangenen Frühling diese Bäumchen gesetzt. Die größten von ihnen waren nun zwei Spannen lang.

Hinter der grünen Enge war wieder ein ebenes Bodenfleckchen. Das war gar sorgfältig mit lauter schätzbaren Gemüsearten und sogar mit Blumen bepflanzt. Und mitten in der köstlichen Herrlichkeit stand die armselige Fitzlerveichtlhütte. An drei Seiten des lieblichen Grundes ragte turmhoch finsterer Tannenwald empor.

Links war über dem Baumgipfelgezacke der wildstruppige Katzenbuckelberg zu sehen.

Der wölbte sich von dem Hügelkranze der Lockerhofmulde zu den Schmotzengründen hinüber.

Cyrill ging rechts an dem Bächlein zwischen Feld und Wald dahin.

Wenn er hier sonst vorüberwanderte, so schmiss er wenigstens die scheußlichen Krautscheuchen um, welche von den Fitzlerveichtlbuben aufgestellt waren.

Oder er steinigte den Hund.

Diesmal richtete er zwei Krautscheuchen, die der Wind umgeworfen hatte, wieder auf.

Dem Hund warf er ein Brotkrümchen zu. Dann tat er noch der Henne, die jämmerlich glucksend am Bache auf und ab lief, einen Liebesdienst. Das arme Tier war so aufgeregt, weil ihm eine Schar winziger Entlein gar zu lange nicht aus dem Wasser kommen wollte.

Cyrill trieb die kleinen Schwimmer zu ihrer Pflegemutter an das Land. Da äugte die Henne zu ihm empor, als ob sie sagen wollte: »Ich danke dir, schöner, braver Bub'.«

Cyrill wusste nicht, dass ihn die Fitzlerveichtlin von ihrer Hütte aus beobachtete. Bisher hatte ihn dieses alte Weib noch nichts Gutes tun sehen.

Deshalb war sie nun völlig verblüfft.

»Jetzt ist er entweder gescheit oder närrisch geworden«, sagte sie zu sich selbst.

Im Walde verließ Cyrill das Bächlein. Auf steinigen Holzwegen und schmalen Pürschpfaden überstieg er zwei Waldberge.

Von dem Gipfel des ersten sah er den Schmotzenteich. In diesem klaren Wasser spiegelten sich jetzt lichte Wölkchen so schön, dass es selber wie ein herabgefallenes Stück des Himmels aussah. Der zweite Berg war viel sanfthängiger als der erste, und an seinem Fuße kam Cyrill wieder zu dem Bächlein.

Das war unterdessen von einigen Waldquellen um ein Beträchtliches größer geworden.

Es hatte nun auch kein erdweiches Bett mehr, sondern ein grobsteiniges.

Cyrill betrat jetzt eine halbrunde, wohlgerodete Einbuchtung jenes Tales, das vor dem Katzenbuckelberge anfing.

An diesem Winkel der großen Berggasse hatte das Hügelgesenke breite Bodenstaffeln, die ganz mit Roggen bebaut waren.

Der Roggen hatte hier schon abgeblüht, und er wogte, dort mischten und wendeten sich seine zwei Farben, die grüne und die silbergraue, wie die eines Seidenstoffes. Draußen vor der Talbucht rann ein Bach vorüber.

Das war derselbe, welcher in seinem Oberlaufe den Schmotzenteich bildete.

Hier unten war er schon so groß, dass er Holzflöße tragen konnte.

Ihm eilte das Bächlein zu, das aus der Heimat Cyrills kam.

Vor der Mündung des Bächleins standen die Bauschaften des Dorfes Stiggestal.

Eine leuchtende Kirchturmkuppel und eine blühende Linde ragten über die graue Dächerschar empor.

Die Linde war viel höher als der Turm, zu dem sie gesetzt worden war, als seine Glocken zum ersten Mal läuteten.

Cyrill umging auf Angern und Rainen eine Hälfte des Dorfes. Dann war er hinter dem Pfarrhofe, der sich äußerlich von den Bauernhäusern des Dorfes nicht viel unterschied.

Im Gemüsegarten fand Cyrill den Pfarrer. Das war ein großer, alter Mann. Er hockte an einem Möhrenbeete und riss Unkraut aus.

Cyrill blieb nahe an dem Möhrenbeete stehen. Er nahm den Hut ab und sagte: »Ich wünsch' Ihnen einen schönen, guten Morgen.«

Der Pfarrer sah und hörte ihn nicht.

Es fehlte ihm schon ziemlich arg am Gehöre und am Augenlichte.

Schreien wollte nun Cyrill höflichkeitshalber nicht und noch weniger den Pfarrer antippen. Deshalb bückte er sich und zupfte auch Riedgras und Mäuseleitern aus.

Der Pfarrer sah nun die flinken Finger des Burschen. Aber er betrachtete sie nicht genauer. Er meinte, dass sie seiner Schwester angehörten, die ihm schon seit manchem Jahre die Wirtschaft führte.

»Es ist schön, dass du mir wieder hilfst«, sagte er. »Musst nimmer harb werden. Es steht gar nichts dafür. Und mich kannst du nimmer ändern, wenn du auch noch so viel flennst und tückelst und tobst. Gestern hab' ich völlig recht getan. Dem Huierbauern hätten sie heute wirklich das Vieh verpfändet. Ich hab' ihm um meiner Seligkeit willen meinen letzten Kreuzer geben müssen. Und wenn du heut' und morgen kein Rindfleisch holen lassen kannst, so brauchst du dich nicht schämen. Aber du hast gewiss noch einen heimlichen Pfennig. Und das ist eine niederträchtige Schlechtigkeit. Ja. Eigentlich sollt' ich deinetwegen heulen und toben.«

»Sie vermeinen diese Worte wohl einem anderen!« schrie nun Cyrill.

Jetzt hörte der Greis. Er sah empor.

In seinem tiefdurchfurchten, schmalen Gesichte malte sich der Ausdruck eines gelinden Schreckens.

»Nun freilich«, sagte er. »Ich hab' gemeint, dass meine Schwester da knotzt. Du hast ja beinah' so braune, grobe Hände als wie sie. Jetzt kenn' ich dich schon, du bist mein schöner Hasenjäger.« Er stand auf und richtete sich so weit gerade, als das noch möglich war. »Red das nicht weiter, was du da von mir gehört hat«, sagte er. »Die Leut' könnten sonst meinen, dass ich und die Stanzi streiten tun. Und wir sagen uns doch nur unsere Meinung. Dass ich dem Huierbauern geholfen hab', sollen die Leut' schon gar nicht wissen. Es möchten sonst gar zu viele etwas von mir. Und dann würde meine Armut bekannt, die freilich meine Ehr' ist. Aber ich will nicht, dass meine Ehr' ausgeschrien wird.«

Cyrill sagte darauf nichts. Es rollten ihm zwei Tränen über das Gesicht, denn er meinte nun, dass er umsonst hierhergekommen war.

Vorhin hatte er schon gar zu sicher und zu freudig darauf gerechnet, dass ihm der Pfarrer recht viel geben würde. Er hatte gedacht: »Je größer die Borgschaft oder das Geschenk sein wird, um desto mehr Gelegenheit zum Bravsein habe ich dann.« Jetzt gab er das schöne Erhoffen dieser Gelegenheit auf. Es befiel ihn eine große Verzagtheit. Und er bekam auch gleich eine solche Wut über sein Unglück, dass er gern das ganze Möhrenbeet zerstampft hätte.

Der Pfarrer wollte ihn nun zu einer Antwort auffordern. Aber da lief ein kleiner Junge zur Gartentüre herein und an den beiden Männern vorüber dem Pfarrhofe zu.

»Micherl!« rief ihm der Pfarrer nach.

Der Kleine blieb stehen.

»Warum bleibst du denn nicht bei den Gänsen?« fragte ihn der Greis.

Micherl war nämlich der Hüter der pfarrherrlichen Gänseherde.

»Weil ich geschwind dem Fräul'n Stanzi was sagen muss«, antwortete er.

»Was denn?« fragte der Pfarrer.

Da geriet der Junge in eine merkliche Verlegenheit.

»Ihnen darf man ja nichts schirgen Schirgen = vertratschen, verraten.«, sagte er. »Sonst greinen Sie gleich mit einem.«

»Ich möcht' aber doch wissen, weshalb du den Gänsen davon bist«, sagte der Pfarrer.

»Weil am großen Bach gerauft wird«, erklärte Micherl. »Von eh haben sich die Weiber geschüppelt. Und jetzt raufen die Männer als wie die Hund'.«

»Warum denn?« forschte der Greis.

»Weil ein Bild auf dem Bach' daher geschwommen ist«, sagte Micherl. »Ein Himmelmutterbild. Um das raufen's.« Sonach rannte er in das Haus.

Und Cyrill lief, ohne noch vorher etwas zu sagen, dem Pfarrer davon und dem großen Bache zu.

Er hatte sich noch niemals einer Rauferei ferngehalten, wenn er ihr nahe sein konnte. Und zugesehen hatte er bei dem Raufen auch sehr selten, sondern meistens mitgetan. Er konnte leichter bei der schönsten Tanzmusik stille stehen als angesichts einer Balgerei.

Aber er wäre nun sicherlich fromm und artig bei dem Pfarrer geblieben, wenn er von dem noch so wie früher einen Anlass zum Bravsein erwartet hätte.

Wegen der üblen Aufführung des Schicksals, das gerade jetzt dem Pfarrer den letzten Kreuzer nahm, meinte Cyrill mit Fug und Recht wild werden zu dürfen.

Als er an den großen Bach kam, wurde hier zu Wasser und zu Lande gestritten. Auf dem Ufersande hüpften mehrere junge und alte Weiber immerfort gegeneinander, dass dies einem Hahnenkampfe gleich sah.

Aber sie waren dabei viel lauter als kämpfende Hähne.

Und auf dem Bachbette stießen und schmissen sich gegenseitig etliche Männer herum.

Der Bach war hier freilich nur knietief und sein Grund feinsandig.

Bisher hatte noch keiner der Männer das Bild berührt, welches ganz nahe von dem jenseitigen Ufer auf fast gefälllosem Wasser lag. Sooft einige von ihnen etwas weiter hinauskamen, wurden sie von anderen eingeholt und zurückgedrängt, denen es nachher auch so erging.

Und so blieben sie lange auf einem Flecke, obwohl sich alle bestrebten, dem Bilde näherzukommen.

Die Malerei war nach aufwärts gekehrt und sah in dem hellen Sonnenscheine gar lebendig aus.

Der gestrige Abendwind hatte das Bild wahrscheinlich bald dorthin getrieben, wo der Bach den Schmotzenteich verließ. Aber auf der Bachfahrt mochte es von Steinen und Weidenwurzeln aufgehalten worden sein, sonst wäre es wohl nicht erst vor einer Weile bei dem Dorfe Stiggestal angekommen.

Hier konnte es kaum merklich weiterschwimmen, denn gleich unterhalb des Dorfes wurde das Wasser von einer großen Mühlenwehr gestaut.

Zwei Weiber hatten nun fast allzugleich das Bild bemerkt.

Und sie hielten es sofort für ein Muttergottesbild. Die eine von den beiden war die Zäuner Miglin.

Sie hatte eben am Bache einen jungen Widder gesäubert.

Die andere war die Marsaschenbäuerin. Sie hatte ein großes Butterfass abgewaschen.

Diese zwei sahen einander sehr oft am Bache. Aber sie redeten selten miteinander.

Wenn es zwischen ihnen zu einer Aussprache kam, so hatte dann eine jede an dem Gehörten lange genug.

Der Neid hatte sie zu der gegenseitigen Feindschaft gebracht.

Ihre Höfe standen am Bache. Zwischen den zwei hölzernen Bauschaften lag der große Gemeindeanger, auf welchem alle Dorfleute Wäsche bleichen durften.

Vor dem Zäunerhofe lehnte ein uraltes, steinernes Marterl an den drei Bändern einer festen Eisenspreize.

Und vor dem Marsaschenhofe stand eine neue Kapelle. Das Marterl war ein Kunstwerk. Sein Granitsockel stellte einen steilen Berg dar. Auf dem Berge standen sieben schlanke Sandsteinsäulchen. Die trugen ein zierliches Steindächlein. Und zwischen ihnen hatte die Miglin Heiligenbilder aufgestellt. Die Kapelle war ein gegen den Marsaschenhof hin breit ausgemuldetes Ziegelgemäuer.

Die Mulde war vergittert. Drinnen hingen Heiligenbilder.

Bei dem Marterl sowie auch bei der Kapelle waren aus Pflöcken und Läden etliche Bänke hergestellt.

Und hier wie dort versammelten sich an schönen Sommerabenden und auch an Sonntagnachmittagen Dorfleute, um gemeinschaftlich zu beten.

Ehedem war vor dem Marterl in zwei Sprachen gebetet worden, denn in Stiggestal lebten deutsche und böhmische Leute.

Dann wurde die Kapelle eigens für die Böhmischen gebaut.

Seitdem wurde vor dem Marterl nur noch deutsch gebetet.

Die Marsaschin hatte zu dem Kapellenbau den Grund gespendet.

Sie war eine Böhmin.

Der Mann war ihr im zweiten Ehejahr gestorben. An dem Tage der Kapelleneinweihung hatte die Witwe auf dem Marsaschenhofe einen Bierschank eröffnet.

Die deutsche Miglin hatte schon vordem Bier ausgeschenkt.

Und sie verdankte den meisten Ertrag ihres Geschäftes dem alten Marterl, denn die Dorfmänner gingen von dem Betplatze selten anderswohin als in das Wirtshaus.

Die zwei Weiber hätten das Bierschenken keineswegs nötig gehabt. Aber sie wollten viel unter den Leuten sein und mehr verdienen als recht ist.

Und sie tranken auch allzu gern selber einen Schoppen.

Die Miglin war verheiratet.

Von ihrem Manne gab es allzuwenig zu sagen. Er hatte immer fleißig auf den Feldern und in den Ställen zu tun.

In die Schankstube kam er nicht, wenn Gäste da waren.

Die Dorfleute sagten niemals »Der Zäuner Migl«, sondern immer nur: »Der Zäuner Miglin ihr Joggerl.«

Das Weib weinte eigens um einen jeden Heller, der ihr seit der Eröffnung des Marsaschenwirtshauses entging. Aber er wäre zwischen den beiden Schenkinnen doch zu keiner so großen Feindschaft gekommen, wenn es nicht Männer im Dorfe gegeben hätte, welche nicht recht wussten, ob sie mehr deutsch oder mehr böhmisch waren, und die deshalb bald hüben, bald drüben beteten und einkehrten.

Um diese Halben stritten die zwei Wirtinnen. Ein Ganzer hätte um sich nicht streiten lassen.

Als nun das Bild vor den beiden auf dem Wasser erschien, glaubten sie ein heiliges Wunder zu sehen.

Und dabei dachte sofort eine jede daran, dass ihr Betplatz kraft dieses Bildes ein vielbesuchter Wallfahrtsort werden könnte.

Sie hüpften fast zugleich in das Wasser.

Etliche Schritte vor dem Bilde stießen sie zusammen. Eine jede wollte die andere zurückdrängen. Und eine jede schwor, dass sie das Bild zuerst gesehen habe und dass es ihr gehöre. Ihr großes Geschrei wurde sogleich im Dorfe gehört. Es liefen Deutsche und Böhmen herzu. Und als die Leute erfuhren, worum es sich handelte, gerieten sie alle in einen großmächtigen Eifer.

Die Deutschen machten mit der Miglin gemeinsame Sache und die Böhmen mit der Marschin.

Und alle meinten sich bei dem Streite um den Himmel und um die Ehre ihres Volkes verdient zu machen.

Cyrill half nun weder zu den Deutschen noch zu den Böhmen.

Er glaubte, dass hier ein jedes so ziemlich für sich selbst kämpfte und dass hernach das Bild dem Stärksten gehören würde.

Deshalb dachte er: »Wenn so viele das Bild wollen, wird es gewiss so viel wert sein, dass ich es auch brauchen könnte.«

Er fuhr so schnell wie ein Marder den Männern zwischen den Beinen hindurch und auf das Bild zu.

Einige warf er dabei in das Wasser hin.

Ehe er aber das Bild anfassen konnte, fielen ihn schon zwei junge Bauern an.

Die hatten sich freilich an ihm geirrt.

Der schlug so viel auf sie zu, dass sie meinten, er müsste plötzlich mindestens zehn Hände bekommen haben.

Und ehe sie nach den Maulschellen, die er ihnen gab, die Augen aufzutun vermochten, lief er schon mit dem Bilde auf dem Anger dahin.

Da ließen die Kämpfer voneinander ab und rannten dem Cyrill nach.

Sie konnten ihn nicht einholen.

So flinke Beine wie er besaß niemand in Stiggestal.

Obgleich ihn nun so viele verfolgten, wollte er doch nicht sofort das Dorf verlassen.

Er sagte sich, dass er das Bild nirgends so gut verkaufen könnte als eben hier.

Und er hielt es sogar für möglich, dass sich gerade die eifrigsten Verfolger mit ihm auf einen gütlichen Handel einlassen würden.

Aber stehenbleiben und ihnen das Bild anfeilen wollte er doch nicht. Er fühlte, dass er am klügsten tat, wenn er in den Pfarrhof lief.

Der Pfarrer stand nun an der Haustür.

Er hatte unterdessen schon mehr von dem erfahren, was an dem Bache vorgekommen war.

»Ich hab' das Bild gewonnen!« rief nun Cyrill dem Greise zu. »Und hab' dem Kampfe ein End' gemacht!«

Dann begab er sich hinter dem Pfarrer in den Flur. Und von dort aus sah er auf seine Verfolger zurück.

Die waren vor der Gartentüre stehen geblieben. Sie glaubten nun, dass ihnen Cyrill im Auftrage des Pfarrers das Bild weggenommen habe.

Gegen den Alten wollten sie keinen Streit führen. Er wusste immer alles, was er tat, gar zu gut zu verantworten.

Er war ein Deutscher. Und er passte kraft seiner Einsicht recht gut als Seelsorger in das gemischtsprachige Dorf.

Die beiden Wirtinnen schritten nun doch bis zu ihm vor.

Sie grüßten ihn recht ehrfürchtig.

Aber dann fingen sie beide zugleich zu reden an.

Und eine jede behauptete, dass sie das Bild zuerst gesehen habe und dass es deshalb ihr gehöre.

Darauf stellte sich der Pfarrer groß verwundert.

»Schau, schau«, sagte er. »Das ist doch gar merkwürdig und rätselhaft. Eine jede hat das Bild zuerst gesehen. Schau, schau. Das ist ein Rätsel, das ich gar nicht lösen kann. Und ich begreif' auch nicht, weshalb das Bild euch gehören soll'! Was tätet ihr denn sagen, wenn jetzt derjenige käm, dem das Bild in das Wasser gefallen ist?«

Darauf antworteten die Weiber, dass sie dem gewiss das Rechte sagen würden. Sie wurden nun völlig der gleichen Ansicht.

Anders als durch eine unerhörte Nachlässigkeit oder durch einen himmelschreienden Frevelmut könne das Bild nicht in den Bach gekommen sein, sagten sie. Und deshalb dürfe man es seinem früheren Besitzer nicht mehr überlassen. Wohl aber verdiene der eine schwere Strafe. Und er solle sich hüten, in dieses Dorf zu kommen. Die Stiggestaler seien christliche Menschen. Und deshalb würden sie ihn züchtigen, wie ihm das für sein Verbrechen gehöre.

Darauf antwortete der Pfarrer: »Ihr verdammt das Verbrechen immer. Und ihr seid meistens froh, wenn eines geschieht.« Dann fragte er: »Nun? Und was möchtet ihr denn mit dem Bilde anfangen?«

»In das Marterl tu' ich es«, sagte die Miglin.

Und die Marsaschin sagte: »Ich tu' es in die Kapelle.«

»Eine jede möchte' es zum Verdrusse und zum Schaden der anderen aufstellen!« rief der Pfarrer. »Und zum Verdrusse anderer Menschen! Zu einem Zankapfel möchtet ihr abscheulichen Weibsbilder die lieb' Himmelmutter machen! Ihr sollt das Bild nicht haben.«

Er schlug ihnen die Türe vor den Nasen zu.

Cyrill hatte unterdessen zur Betrachtung des Bildes Zeit gefunden. Und er sah es nun freilich nicht zu ersten Mal, denn er hatte ja schon oft genug heimlich zu allen Fenstern des Schmotzenhauses hineingeguckt.

Und er war auch öfters bei dem kranken Gabriel gewesen.

Die Entstehungsgeschichte des Bildes hatte er von dem Maler selbst gehört.

Das Veferl hat das Bild in den Bach geworfen, sagte er sich nun gleich. Im Zorn hat sie's getan. Und vielleicht hat sie der Basili so zornig gemacht.

Cyrill hätte nun das Bild heimtragen und für sich selbst behalten mögen.

Aber er wusste jetzt, dass es ihm der Pfarrer so wenig lassen würde wie den Weibern. Deshalb dachte er: Wenn er mir doch wenigstens für die Überbringung des Bildes etwas geben würde. Geld hat er ja keines und aus der Speisekammer wird er mir auch nichts geben können. Da ist die geizige Stanzi davor. Aber er könnte es mir bewilligen, dass ich mir ohne Wissen der Stanzi eine von seinen Gänsen fange. Ich darf es ihm freilich nicht sagen, dass ich das Bild kenn' und dass es kein Himmelmutterbild ist, sonst sagt er am End': Es ist das Hertragen nicht wert.

So weit war er in seinen Gedanken gekommen, als der Pfarrer die Türe zuwarf. Es war nun stockfinster in dem Flure.

Aber der Greis führte den Cyrill in eine große, lichte Stube. Dort besah er das Bild, und er trocknete es sorgfältig mit einem großen Wollen-tuche.

Wenn er wüsste, was das für eine Heilige ist, da täte er ihr gewiss nicht so viel Ehr' an, dachte Cyrill.

»Das ist ein schönes Bild«, sagte nun ernsthaft der Pfarrer. »So ein deutsches, jungfräuliches hab' ich noch kaum gesehen. Wohl aber hätte ich schon lange ein solches sehen mögen. Das kann nur ein gehöriger Deutscher gemacht haben, und man sollt' schier glauben, einer, der mit seiner eigenen Unschuld nicht zuschanden geworden ist. Aber vielleicht hat er nur eine Jungfrau und beileib' nicht die heilige Jungfrau malen wollen.

Und vielleicht ist das Bild gar nicht geweiht. Aber es verdient geweiht zu werden.

Ein Oberntaler Keuschler wird's aus der Welt heimgebracht haben. Einer von denen, die allsommerlich in die großen Städt' arbeiten gehen.

In der großen Stadt wird er das Bild spottbillig gekriegt haben – denn solche Kunst wie diese da – und solche Gesichter wie dieses – sind dort aus dem Brauch. Ja.

Nun, und dann ist halt dem Keuschler sein dummes Weib mit dem Bilde zum Bach' 'gangen und hat's dort säubern wollen. Dort hat's mit der Nachbarin gedrischelt. Und derweil ist ihr das Bild davon geschwommen. Es geschieht ihr ganz recht. Und sie darf auch das Bild nimmer kriegen. Es gebührt ihr keineswegs. Ein paar Taler kriegt's dafür. Die werden ihr ja eh lieber sein.

Ich behalt' das Bild auch nicht, so gern ich es möcht'. Nein. Ich geb' es einem Amtsbruder.

Entweder einem, der nur lauter deutsche, oder einem, der nur lauter böhmische Pfarrkinder hat. Ja. Damit um das Bild nicht gestritten wird. Einem böhmischen geb' ich's. So. Es soll nicht heißen, dass ich den Meinigen mehr zuschanz' als den anderen. Der Lhotkaer Pfarrer kriegt's, der hat eh noch nicht viel Bilder in seinem neuen Kircherl. Ja, dar kriegt's.«

»Wenn ich wüsst', dass der einen guten Bot'nlohn hergeben tät', so trüg' ich es ihm hin«, sagte darauf Cyrill.

»Tust du schon Botengäng' verrichten?« fragte ihn nun der Pfarrer. »Ich hab' geglaubt, du bist ein Bauer.«

»Bisher war ich kein rechter Bauer«, antwortete Cyrill. »Aber jetzt tät' ich gern einer werden. Wenn mich nur wer beim Bravsein so unterstützen möcht', wie das nötig ist. Ich hab' mir heut' von Ihnen eine Borgschaft erhofft, mit der ich das Rechttun hätt' anfangen können. Derweil' ist mir der Huierbauer vorgekommen.«

Der Alte sah nun dem Cyrill forschend in die Augen.

»Willst du denn wirklich besser werden?« fragte er dann.

»Ja, meiner Seel'«, sagte Cyrill ehrlich.

»Und warum denn?« fragte der Pfarrer.

»Z'wegen dem Thomas«, antwortete Cyrill. »Sie haben wohl eh schon von ihm gehört. Das ist mein Stiefbruder. Oder nicht einmal mein Stiefbruder. So eine erheiratete Verwandtschaft ist es halt. Aber er ist doch mein Liebstes auf der Welt. Der hätt' mich schon lang' gerne besser gesehen, als ich bin. Und jetzt möcht' ich ihm halt richtig folgen.«

»Ist denn der selber so brav?« fragte der Pfarrer.

»Unmenschlich brav«, antwortete Cyrill. »Seine Geduld hat nie ein End', sein Erbarmen auch nie und –«

Er wollte nun mittelst seines Mienenspieles etwas Unendliches, Unsagbares ausdrücken. Dabei wurde er so gerührt, dass er fast weinen musste.

»Wenn es sich wirklich so verhält, da folg' ihm nur«, sagte der Pfarrer. »Nach den Barmherzigen geht man am allerwenigsten irr'! Und jetzt muss ich freilich alles Mögliche tun, damit du ihm folgen kannst.«

Und er tat wirklich alles Mögliche.

Vor allem ließ er aber ein gutes Mittagessen auftragen.

Und Cyrill aß sich nun eigentlich zum ersten Mal en seinem Leben satt.

Es war ihm dabei wie bei einem ganz außergewöhnlichen Glücksfalle zumute.

Dann ging der Pfarrer zu der Stanzi und kam nach einer Weile mit fünfzig Gulden wieder.

»Bis das verzehrt ist, kommst du halt wieder«, sagte er zu dem Cyrill. »Vielleicht gibt es Gott, dass derweil' ein paar Reiche sterben.«

Und ehe Cyrill fortging, packte ihm der Greis noch einen Rucksack auf, in dem unter anderem auch eine schöne, tote Gans stak.

Cyrill hatte sich noch gar niemals so reich gefühlt wie jetzt.

Aber je mehr er sah, wie gut der Pfarrer war, desto schlechter und elender kam er sich selbst vor – weil er die Herkunft des Bildes verschwiegen hatte.

Von einem großen Dankbarkeitsgefühl wurde ihm das Gewissen gar lebendig gemacht.

Er hätte recht gern zu dem Pfarrer gesagt: »Ich habe Ihnen die Wahrheit vorbehalten. Verzeihen Sie mir. Ich hab's aus Hunger getan. Hätt' ich aber gewusst, wie gut Sie sind, so hätt' ich sie gewiss nicht betrogen.«

Aber er dachte: »Wenn ich ihm das sag', muss er mir böse werden. Und dann darf ich wohl nicht mehr zu ihm kommen und krieg' nichts mehr von ihm.«

Aus Furcht und Eigennutz verschwieg er seine Sünde. Auf dem Heimwege fasste er dann einen Vorsatz.

»Bis ich mich so weit emporgearbeitet hab', dass ich den Pfarrer nicht mehr brauch', dann gesteh' ich alles ehrlich ein«, dachte er.

So war er nun noch weit glücklicher und frömmer als auf dem Herwege.


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