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3.

Die Ruhsam Festlin glaubte nun wirklich an die mit Geld gefüllte ürene Hose. Es war leicht an den Fingern auszurechnen, dass der Ruhsam kein Geld erspart haben konnte. Aber dem Weibe lag jetzt das Glauben näher als das Rechnen. Sie hatte schon genug nachgeforscht, wie groß sein Falsch gegen sie sein möge. Und er blieb ihr an dieser Stelle unergründlich wie an mancher anderen.

Ihr Wissen von ihm war klein und ihr Verdacht gegen ihn groß. Deshalb wunderte sie sich kaum über das neue Stück seiner Falschheit, das sie da abzusehen meinte. Über seine Schlechtigkeit selbst war sie nicht so betrübt als über den Schaden, den sie sich von ihm zugefügt sah. Sie betrachtete genau, um was er sie am Lebensgenusse zu kurz kommen ließ, indem er ihr seinen Reichtum verhehlte. Und da zerschnitt ihr das Leid um sich selbst wie noch niemals das Herz. Ihre Tränenbächlein umflossen sonst in tiefen Speckfalten die roten Wangenberge. Diesmal überschwemmten sie das ganze Gesicht. Sie betrauften auch die etwas vorstehende Unterlippe und drangen sogar bis in den Mund. Deshalb musste das Weib immerzu ausspucken.

Der Ruhsam hörte das. Er kam zur Küchentüre und guckte ein Weilchen auf das Weib. Dann hüpfte er wie ein Junger in die Stube zurück, patschte mit den Händen wie beim Neubayerischtanzen und lachte Tonleitern herunter, von denen er immer eine höher als die andere anfing, bis ihn endlich die Stimmanstrengung zum Husten brachte.

»Jetzt weiß ich, warum die Alt' so viel spuckt!« rief er. »Vor ihren Tränen tut ihr grausen! Ja, endlich einmal graust auch ihr davor! Das ist gut! Das ist recht!« Er lachte abermals übermäßig.

Dabei sah er wieder auf das Weib in die Küche hinaus. Sie weinte noch immer. Da stellte sich der Mann verwundert.

»Wenn es dir eh schon so viel widersteht, Sali«, sagte er, »was weinst du dann noch? Willst du dir das Weinen mit aller Gewalt ganz und gar verekeln? Was wirst du denn nachher tun, wenn dich einmal, was Gott verhüten soll, eine Traurigkeit befällt?«

Sali weinte jetzt nicht mehr. Sie geriet über das spottvolle Reden in einen so großen Zorn, dass ihr der Tränenborn rasch versiegte.

Eine mündliche Antwort gab sie dem Manne nicht. Aber nach dem ihr zunächst stehenden irdenen Topfe langte sie.

Da stellte sich der Ruhsam erschreckt. Eilig schloss er die Türe zu.

Sali hatte den Mann bisher niemals tätlich bedroht. Sie wusste nicht, wie er sich gegen so einen Angriff gestellt hätte. Sein Zurückweichen machte ihr vielen Mut. Sie warf den großen Topf an die Türe.

Der Ruhsam verhielt sich in der Stube ganz stille. Auf seiner Truhe saß er und verhielt sich den Mund. Er spürte einen großen Lachreiz. Zumeist belustigten ihn das dumpfe, hohle Zerplatzen und das großmächtige und doch so wohlfeil tönende Scherbengeschepper des weiberkriegsmäßigen Geschosses.

Sali horchte ein Weilchen, ob er sich auf den Wurf hin gar nicht rühren werde, dann schmiss sie einen zweiten Topf an die Türe und einen dritten.

Sie wollte wissen, ob er es wagen würde, ihr Einhalt zu gebieten. Einmal wollte sie doch seinem Wesen auf den Grund kommen. Dem Ruhsam aber gefiel es über alle Maßen, wie sie nach und nach um nichts und wieder nichts ihr ganzes Kochgeschirr zerschlug. Er bog und krümmte sich auf seiner Truhe, um nicht laut lachen zu müssen. Nach vollbrachtem Werke verließ Sali die Küche. Der Ruhsam hörte, wie sie hinter sich die Vorhaustüre zuwarf.

Dann fragte er sich: »Ist das jetzt wahr? Wird es in Zeiten der Traurigkeit wirklich so lustig bei uns hergehen?«

Er kannte seine Sali auch noch nicht. Die stieg jetzt vom Wirtschaftshofe über eine Leiter auf den Schüttkasten.

In dem großen, luftigen Raume hingen ihre Kleider.

Sie zog fünf steifgestärkte weiße Unterröcke an und darüber ein blau bedrucktes Gewand. Dann band sie eine schwarzseidene Schürze vor. Auf den Kopf kamen die zwei landesüblichen Tücher, von denen es heißt, dass das eine gegen die Hitze und das andere gegen die Kälte hilft. Das untere war mächtig groß und aus schwerer, schwarzer Seide. Zwei Enden davon wurden fest um das Haupt gewunden und über der Stirne schmuckhaft geknotet. Der dritte Zipfel hing scheublendenartig neben der linken Gesichtshälfte nieder. Der vierte hing zwar hinten hinab, aber deswegen ward doch nach rechts keine Aussicht erlaubt, denn über das seidene Tuch kam das zweite, die wollene Gugel.

Und je weiter die Gugel nach vorne gezogen ward, für desto schicklicher galt es. So konnten dann die auf die allermeiste Schicklichkeit Bedachten keinem Menschen in die Augen sehen.

Für das Haus und das Feld war hier freilich den Weibern die geringste und schlechteste Kleidung als die schicklichste empfohlen. Ging jedoch eine anders als zu schwerer Arbeit über Land, so musste sie sich mit den Röcken »buschet« genug machen und mit den Tüchern vermummen, wenn sie nicht »hoiwachlerisch« genannt werden wollte.

Sali wollte jetzt zu ihrem Geschwisterkinde, der Zahnertoneslin. Sie ging, sooft sie sich recht besonders nach einer Aussprache sehnte, zu dieser Verwandten.

Als sie zum Scheunentore hinaustrat, sah sie ihren Sohn den Garten herablaufen. Er kam gerade vom Weitsprengerhofe zurück. Wie wenn sie mit Barthl nicht reden wollte, ging sie dem talabwärts führenden Feldwege zu. Dabei hielt sie das Sacktuch zum Gesichte. Sie wusste, dass Barthl nun gleich sehr erschreckt und gerührt sein würde.

Der Anblick der weinend aus dem Hause fortgehenden Mutter tat dem empfindsamen Burschen wirklich sehr weh. Wohl war er überzeugt, dass sie nur zur Toneslin wollte, aber es trieb ihn ihr doch nach.

Mit sanfter Gewalt hielt er sie auf und fragte: »Um Gottes willen, Mutterl, wo willst du denn hin?«

Er durfte nicht zeigen, dass er ihr Wegziel kenne. Sonst wäre sie ja beleidigt gewesen.

»Lass mich nur gehen«, sagte sie. »An mir liegt dir eh nichts. Mich lässt du auf das Wichtigste warten, wenn du für deinen Vater das Närrischste zu tun hast.« Diesen Worten setzte sie dann rasch die Frage bei: »Na? Wie schwer schätzest du denn die Ürene?«

Barthl fühlte sich nun zu einer Änderung oder Beendigung des Scherzes, den der Alte angefangen hatte, nicht berufen. Deshalb antwortete er der Mutter: »Ich kann nur sagen, dass sie voll aussieht wie ein aufgeblasener Dudelsack.«

Die Ruhsamin wollte sich es von ihrem vielgescheiten Geschwisterkinde berechnen lassen, was die Ürene wert sein möge.

Damit sie Barthl nun nicht länger aufhalte, ließ sie vom Weinen ab und sagte: »Tue jetzt deine Arbeit. Die Kühe röhren schon genug um dich.«

Barthl hatte gleich nichts mehr gegen ihren Gang, als sie sich dazu nicht mehr so traurig anstellte.

Er lief nun wirklich zu den ihn verlangenden Kühen. Sooft er einen Futterbarren gefüllt hatte, schoss er so schnell wie ein Falke zum Scheunentore und spähte, ob Basili nicht kam.

Fünf Kühen ward gegen den ärgsten Hunger geholfen, ehe der Erwartete oben am Rande der Böschung erschien.

Die übrigen sechs Rinder ließ der Barthl weiter läuten. Er glühte förmlich vor Freude.

Einen Torflügel hatte Barthl schon früher zugelehnt. Hinter den stellte er sich und sah durch eine Bretterklunse auf Basili.

Er war auf das Gesicht neugierig, welches jetzt Basili für sich selbst machte.

Und dieses Gesicht gefiel dann Barthl recht sehr. Er las daraus jene Aufregung, welche er dem Freunde zugedacht hatte.

Als Basili in die Scheune trat, schlang Barthl jählings die Arme um ihn und jubelte: »Jetzt weiß ich, dass du mich gern hast.«

Basili war nun gleich ganz glücklich und zufrieden. Nur mit einer Selbstbetrachtung schuf er sich einiges Leid.

Er rechnete es sich für eine traurige, stumpfsinnige Gemeinheit an, dass er nicht gleich den schönen Grund erriet, aus welchem ihn Barthl hierhergezogen hatte. Sein Glück zeigte er Barthl mit dem Erwidern der Umarmung. Und dann sagte er:

»Weil du die Faulheit für meine stärkste Eigenschaft hältst, freut es dich jetzt, dass ich nicht zu faul zum Hergehen war. Aber ein schönerer Beweis meiner Lieb' zu dir wär's doch gewesen, wenn ich gleich erkannt hätt', dass du mich nur aus einem einzigen Grund versucht hast. Es hat sich jetzt herausgestellt, dass ich mehr dumm als faul bin. Und das sollt' dich betrüben.«

Barthl war auf dieses Meinen des Freundes vorbereitet gewesen. Er konnte zeigen, dass sich jetzt Basili doch für zu dumm hielt.

»Du tust dir unrecht, Basili«, sagte er. »Ich hab' dich wirklich nicht nur aus der einen Ursach' hergezogen. Du musst wirklich Rupfentragen gehen.«

Basili war nun trotz allem wieder mehr erschreckt als beglückt. »Zum Teufel!« rief er. »Jetzt sag' mir einmal, was du davon hast, wenn ich Rupfen trag'.«

»Nein«, antwortete Barthl. »Das musst du jetzt nicht wissen.«

Da lachte Basili. »Also nur folgen muss ich dir!«

»Ja. Oder musst du's vielleicht nicht?«

Bei dieser Frage sah Barthl den andern sieghaft und doch auch recht innig an.

Dann nahm er dessen Hand und führte ihn über den Hof dem Hause zu.

Basili seufzte. »Wenn man so in die Gewalt eines Menschen fällt«, sagte er. »Ist das nicht erbärmlich?«

»Nein«, antwortete Barthl. »Schön ist es! Herrlich ist es!«

In dem Vorhause trat ihnen der Ruhsam entgegen. Der begrüßte Basili wie einen unverhofft gekommenen lieben Gast.

Während sie in die Stube gingen, redete Barthl den Vater an: »Du wirst nicht gewusst haben, wo ich so lange bin?«

»Ich hab' mir gedacht, du suchst mir einen Träger. Hast gewiss keinen gefunden.«

»O doch!« rief Barthl. »Und was für einen! Den da!« Er schlug Basili auf die Schulter. »Der will zeigen, dass er dort gar nicht faul ist – wo er lieben kann – dass er dort sogar aller Demut fähig ist. Als ein braver Mann kann er überall lieben, wo das recht und schön ist. Das möcht' er beweisen. Gelt Basili?«

Da antwortete nun Basili in einem großen Ernste: »Ja, freilich möch' ich das.«

»Siehst du, dass ich nicht lüg'?« sagte Barthl zu seinem Vater. »Beim Rupfenhandel kannst du ihn zu einigen führen, die geliebt werden sollen und zu denen er sonst nicht käme. Heut' bleibst du mit ihm oben in der Greißetau bei meiner Schwester über Nacht, Vater.«

»Nun na, meinetwegen«, sagte der Ruhsam. Und seufzend setzte er hinzu: »Dort gäbe es freilich gar nötig was zum Lieben.«

»Gut«, sagte Basili. »Das will ich sehen.«

Barthl war jetzt glücklich. Er hatte etwas erreicht, wovon er schon lange träumte. Der Ruhsam lud nun Basili zum Niedersetzen ein.

Dann gab er Barthl den Befehl: »Jetzt koch' ein Frühstück, das auch zugleich eine Jause ist.«

Barthl ging ohne Weiteres in die Küche. Gleich, als er sich von den beiden abgewendet hatte, schnitt der Ruhsam ein höhnisches Gesicht und raunte Basili zu:

»Da wird es ihn haben.«

»Weshalb?« fragte Basili.

Und fast in demselben Augenblicke stieß Barthl draußen in der Küche einen Schrei aus.

Der traurige Zustand des vielen Kochgeschirrs hätte kaum ein rechtfühlendes Frauenzimmer mehr entsetzen können als diesen guten Burschen.

Er musste sich gleich fragen, ob seine Mutter diese gräuelhafte Verwüstung angestellt haben konnte. Aus der Kenntnis des mütterlichen Wesens wurde ihm diesmal keine Aufklärung. Und vom Vater wollte er im Beisein Basilis keine Auskunft verlangen. Der Schrei hatte Basili erschreckt. Er wollte gleich zu dem Freunde hinauseilen. Aber der Ruhsam hielt ihn am Rocksaume.

»Was hat denn Barthl?« wollte nun Basili wissen.

»Einen Schmerz, in dem wir ihn nicht trösten können, sondern nur der Hafner«, antwortete der Ruhsam. »Uns ist vorhin eine Windssprauken Windssprauken = Wirbelwind, Gewitterwind. unter die Kochtöpf' gefahren.«


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