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1.

Es war an einem jener Junitage, die den frömmsten Bauern wild machen. Frühmorgens hatte der Wind das Nachtgewölk verjagt, dass nicht einmal in den tiefsten Bergschründen ein Nebelrestchen blieb.

Da taten die Talleute nichts, was sich aufschieben ließ und liefen auf die Wiesen, um die nassen Schöber zu zerstreuen. Wer sich an diesem Morgen wusch und kämmte, der wurde von den anderen als ein Tagdieb verflucht. Aber dann verfluchten die Braven ihren eigenen Fleiß. Als die meisten Schöber fein säuberlich verzettelt lagen, trieb der boshafte Wind eine dicke Gewitterwolke heran. Gerade über dem Wiesengrunde ließ er das Unding rasten, damit es sich auf den schönen Heuscheiben entleeren könne. Dann schob er es weiter und machte den Himmel so rein wie am Morgen. Nun wurde das Heu gar eifrig gewendet und geschmissen, damit es vor dem Abende zum Wiederaufschöbern trocken genug werde. Jedoch ehe ein Schober entstand, brachte der teuflische Wind abermals einen Regen. Dann mussten die Emsigen einsehen, dass es weit besser gewesen wäre, wenn sie den Tag verfaulenzt hätten.

Der Ruhsam Festl war einer von den wenigen, die sich von dem schönen Morgen zu keiner Eile verleiten ließen. Er traute dem aus dem Böhmischen herwehenden Winde nicht. Sein Weib wollte, dass er diesmal mit nüchternem Magen auf die Wiese renne. Er aber gedachte zu frühstücken wie in der ruhevollsten Zeit. Das Weib begriff ihn nun nicht. Es kam oft vor, dass sie ihn nicht begriff. In solchen Fällen gab er ihr keine Aufklärung. Sein Wesen widerstrebte solchen Mühen. Das Weib hingegen verachtete den blinden Gehorsam. Deshalb kochte sie das Frühstück nicht. Viel länger als sie zu der Zubereitung der Milchsuppe gebraucht hätte, saß sie müßig am kalten Herde. Sie hätte lieber gearbeitet als gefeiert. Aber solange Festl drinnen in der Stube saß und wartete, wollte sie ihn warten lassen. Sie hielt es für unvernünftig, ihre Kräfte zu erschöpfen, während er die seinen schonte.

Seine Rüstigkeit erschien ihr so wie so gegen die Ihrige zu groß. Er hatte sich bei schwerer Feldarbeit und bei vielem Laufen schlank und gelenkig erhalten. Ihr aber kürzte das Fett schon den Atem. Sie dachte oft, dass er sie überleben würde. Und da musste sie immer bitterlich weinen. Ihr geschah überhaupt bei einem jeden Anlasse schwer leid um sich selbst. Während ihrer nun bald dreißig Jahre langen Ehezeit beweinte sie sich alltäglich. Dabei war ihr niemals ein Unglück zugestoßen. Festl sorgte dafür, dass keine Not in das Haus kam. Und ihre drei Kinder bereiteten ihr weit weniger Kummer als sie ihnen. Jetzt war nur mehr Barthl, der Jüngste von den dreien, daheim, die zwei anderen hatten schon hinaus geheiratet. Sie heirateten nur, um von der beständig klagenden Mutter loszukommen.

Beide wollten lieber selbst weinen, als der Weinenden immerfort zuhören. Dem Jüngsten war das Ausharren auferlegt, denn er sollte einmal den Hof übernehmen. Er erlitte es auch bei der Alten williger als sonst jemand. Und sie gab ihm dafür mehr zu leiden als jedem anderen. Sonst half sie ihm wenigstens allmorgendlich bei der im Hause vorkommenden Weiberarbeit, die er nicht gerne tat. Aber heute ließ sie ihn alles das verrichten, wozu von Rechts wegen eine Magd hergehört hätte.

Seit einigen Monaten mochte die Bäuerin keinen weiblichen Dienstboten mehr.

Ihre letzte und vorletzte Magd hatten sie zu viel gekränkt und beleidigt.

Sie behauptete, dass ihr gar keine Arbeit so schwer fallen könne, als ein ferneres Ertragen der Dienstbotengrobheit.

Dabei überließ sie alle schwere Arbeit dem Barthl. Sie hielt es für richtig, dass er alles tue und dabei doch überzeugt sei, dass sie alles getan habe.

Er beleidigte sie, wenn er nur von seiner Arbeit sprach. Und seine leiseste Klage hätte sie tief entrüstet und geschmerzt. Deshalb wusste er auch nicht, wie er reden sollte, als er jetzt zu ihr in die Küche kam. Er brauchte den warmen Trank für die Kälber und sah zu seinem Schrecken, dass sie noch nicht einmal Feuer gemacht hatte. Eine Mahnung wagte er nun nicht. Und nicht einmal ein höfliches Ersuchen, dass sie ihn die Kälbersuppe kochen lassen solle, hielt er für ratsam. Wenn er länger stehen blieb und sie ansah, wurde sie gewiss ärgerlich.

Und ging er schweigend wieder hinaus, so verletzte er sie erst recht. Ein Weilchen war nun der schöne, große Mensch so verzagt, dass sich sein vollblühendes, kindlich weiches Gesicht schon zum Weinen verzog.

Und seine Mutter sah ihn durch ihre Tränen an und war neugierig, wie er sich helfen würde. Barthl war oft in solcher Hilflosigkeit.

Gewöhnlich machte er sich dann zum Schlusse aus Verzweiflung eines Heuchels schuldig, vor dem ihm aber dabei immer gebührend ekelte.

Wenn er der Mutter so recht kindlich schmeichelte und ihr Übermaß von Mitgefühl log, wendete er immer die unmittelbarsten Gefahren ihrer Empfindlichkeit von sich ab. So handelte er auch jetzt seinen wahren Gefühlen zuwider, indem er die Alte umhalste und ihr das heute noch ungekämmte Haar von der Stirne zurückstrich. Er zürnte ihr, weil sie aus unvernünftigem Trotz die Kälbersuppe noch nicht gekocht hatte. Auch verachtete er ihre jetzigen Tränen ebenso wie alle ihre anderen, weil er ja überzeugt war, dass sie niemals aus einem edlen Grunde weinte. Und doch wimmerte er, als ob ihn ihr Leid noch so sehr ängstigte:

»Mutterl! Was ist dir denn? Red' doch! Du siehst, ich quäl mich zu Tod um dich.« Sie glaubte ihm. Und ihr war es recht, dass er sich so viel um sie fürchtete. Darum gab sie ihm keine aufklärende Antwort und stellte sich so, als ob ihr der Schmerz die Sprache verlegte.

Aber gleich darauf war sie doch eines Schreies fähig. Sie hörte, dass ihr Mann drinnen in der Stube seine große Truhe aufschloss. Das bereitete ihr einen wahren Schrecken. Wenn der Ruhsam Festl frühmorgens seine große Truhe auftat, so nahm er sich für den Tag keine Bauernarbeit vor, sondern wollte rupfenhandeln gehen.

Das Rupfenhandeln war sein Nebengeschäft. Er hatte gleich in den ersten Tagen seiner Ehe so einen zweiten Beruf gebraucht, der ihn manchmal von dem weinenden Weibe fort führte. Sie vermochte ihn freilich kaum jemals so zu bewegen, dass es ihm merklich geschadet hätte. Aber bei einem längeren Ansehen ihrer Tränenflut spürte er doch, dass ihn diese am Leben lecken konnte. Und dann ging er rupfenhandeln. Er passte recht wohl zu diesem Geschäfte. Zu einem jeden anderen hätte er eine List gebraucht, die ihm nicht gegeben war und die er auch nicht haben wollte. Beim Rupfenhandel konnte er freilich ganz ehrlich bleiben, ohne viel draufzahlen zu müssen. Es ging nicht bald bei einem Handel um so geringe Werte her wie bei diesem. Mit Geld musste sich der Ruhsam dabei kaum jemals herum scheren. Er verabscheute das Zählen und Rechnen mehr als irgendein Laster. Für die Rupfen gab er den Bäuerinnen lauter vollechte, heilsame und nützliche Kräutersäfte und Geistwässer, die er selbst mit mühsam erworbener Sachkenntnis herstellte. In der großen Truhe hatte er immer einen Vorrat der köstlichsten Erzeugnisse. Er hätte nach dem Ehevertrage mit dem Weibe in vollständiger Gütergemeinschaft leben sollen. Aber auf das, was in der Truhe war, gewährte er ihr niemals einen Blick, geschweige denn ein Recht.

Sie vergalt ihm diese Falschheit immerwährend recht fleißig. Jetzt wollte sie ihn von seinem Sohne ärgern lassen. Wenn sie über einen der beiden recht zornig war, hetzte sie gern den andern auf ihn.

Die zwei Männer wussten das schon. Je schärfer sie einander auf den Wunsch der Alten angingen, desto besser unterhielten sie sich dabei insgeheim. Das gute Einvernehmen der beiden war in Wirklichkeit schier unerschütterlich.

»Geh hinein zu ihm«, sagte nun die Alte zu Barthl. »Und sag ihm doch einmal das Nötige. Mich hört er ja gar nimmer. Frag' ihn, warum heute das Rupfenhandeln wichtiger als das Heugen ist? Was denn der Rupfenhandel tragt? Und dann, wie er es mit dir hält? Ob er die Wirtschaft vielleicht gerne dahin brächt', dass du sie nachher nimmer übernehmen kannst?«

Sie hätte ihm noch Verschiedenes für den Alten aufgegeben.

Aber Barthl tat, als ob er seinen Unwillen gegen den Vater nicht weiter zurückhalten könnte. Mit schier kriegsmäßigen Schritten ging er in die Stube. Jedoch drinnen zeigte er dem vor der Truhe Sitzenden ein über und über lachendes Gesicht. Und der Alte nickte ihm lustig lächelnd zu.

Dann brüllte Barthl wie ein richtiger Wüterich. Seine Worte waren allerdings dieselben, welche ihm die Mutter vorgesagt hatte.

»Warum ist denn heut der Rupfenhandel wichtiger als das Heugen? Was tragt er denn?« schrie er.

»Musst du es gleich wissen, was er tragt?« fragte der Alte spöttisch lächelnd – gegen die Küchentüre hin.

»Ja!« schrie Barthl. »Deck's nur auf, um was ich bei deinem Taratschen Taratschen = Herumziehen, Sachenverschleppen zu kurz kommen bin.« Bei diesen Worten ahmte er ein klein wenig die Sprechweise seiner Mutter nach.

»Gut«, sagte der Ruhsam Festl. »Wenn es denn sein muss, so will ich Rechnung legen. Schau her – so viel hab' ich mir an Barem erwerkt.«

Er hob eine alte ürene bockledern Hose empor, die mit verschiedenen dürren Kräutern vollgestopft war. Unten war sie abgebunden und oben zugeknöpft. Einer der Knöpfe war ein angeöhrelter alter Groschen. Den hielt der Alte dem Jungen vor das Gesicht. »Siehst du«, sagte er, »g'rad um den hab' ich zu viel. Der geht nimmer unter das andere drein. Darum hab' ich ihn da auswendig angenäht. Gelt, ich geb' gebührlicher Rechenschaft, als du sie verlangst. Aber so viel sag' ich dir, ausreden darfst du mir nichts von dem, was du da gesehen hast – sonst erschlag' ich dich. Einen andern als dich, meinen Erben, geht auch das, was ich da hab' nichts an.«

»Und die Mutter?« fragte Barthl heuchlerisch vorwurfsvoll.

»Die Mutter sagt, der Rupfenhandel tragt nichts«, antwortete der Ruhsam. »Und die kann man nicht Lügen strafen. Das täte ihr weh. Was sie sagt, das muss wahr sein. Hat sie schon einmal unrecht gehabt?«

»Nein, ihr Lebtag nicht, Gott bewahr'«, versicherte Barthl.

»Nun also«, sagte der Alte. »Sie soll auch weiterhin recht haben. Darum sei still.« Nun schloss er die Truhe zu.

Er brauchte zwei Gepäckstücke zu seiner Handelsfahrt: einen alten Lederranzen und einen stubentürgroßen Strohsack.

Den Ranzen, in dem die Geistflaschen staken, trug er selbst. Und den Strohsack, in den die Rupfen gesteckt wurden, musste der jeweilige Mitgeher des Ruhsam auf den Rücken nehmen. Diesmal wollte er keinen Rupfenträger suchen. Er wusste, dass jetzt kein Mensch mehr vom Heu wegzubringen war. »Das Sacktragen verdrießt mich zwar«, sagte er zu Barthl. »Aber deswegen bleibe ich doch nicht daheim.«

»Ich weiß einen im Dorfe, der nicht heugt«, sagte Barthl. »Einen baumstarken Lackl. Der könnt' mit dir gehen.«

»Her mit dem!« rief der Ruhsam.

»Ich hol' ihn, Vater. Ein bissl warten musst du halt, weil er jetzt noch schläft. Er ist kein Frühaufsteher, der Weitsprenger Basili.« Der Ruhsam ärgerte sich nun über seinen Sohn. »Manchmal machst du noch recht sinnlose Späß'«, brummte er. Ihm war schon der Gedanke zu dumm, dass der Basili jemandem einen Arbeiter abgeben könnte. Der Basili arbeitete für sich selbst nichts. Eher als ihm hätte man dem Pfarrer das Rupfensacktragen zumuten können. Barthl gab es nun aber nicht zu, dass er einen Unsinn geredet hatte, sondern rief: »Ja, der Basili muss dir diesmal die Rupfen tragen. Und ich hol' ihn gleich.«

Er lief zunächst gegen die Türe. Aber dann dachte er daran, dass ihn draußen die Mutter aufhalten könnte. Deshalb sprang er durch eines der offenen Stubenfenster hinaus.

Der Ruhsam setzte sich auf seine Truhe und redete vor sich hin: »Vielleicht hab' ich ihn jetzt doch wieder für dümmer gehalten, als er ist. Vielleicht muss ich ihn gar für noch gescheiter halten als mich selber. Mir wär's recht. Ich bin keiner von den vielen Vätern, denen das nicht recht wäre.


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