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6.

Der arme Bursche war auf dem Lockerhofe daheim. Das war eine gar viel ausgeschriene Bauernwirtschaft. In weiter Umgegend sagte man von besonders verwahrlosen Äckern, sie seien wie Lockerhofers Feld, und von langsamen Zugtieren, sie liefen wie Lockerhofers Ross. Ehedem hatte sich diese Wirtschaft in bester Ordnung befunden. Ihre gute Zeit hörte auf, nachdem der Lockerhofer seinen dümmsten Streich beging. Er heiratete in seinem siebzigsten Jahre ein junges Weib. Sein Liebesglück dauerte nicht lange. Dann starb er daran. Der kurzen Ehe entstammte ein Kind, der Cyrill. Das Weib heiratete hernach einen jungen Bauernsohn, den Peterhansl. Aber sie ließ sich bald zu dem Alten legen. Der junge Mann hatte ihr übel angeschlagen. Der Hof gehörte dann dem Cyrill. Bis zu der Großjährigkeit des Erben sollte der Peterhansl die Wirtschaft führen. Was er dabei erübrigte, sollte er behalten. Den Zustand des Hauses, der Wälder und Felder durfte er verbessern, verschlechtern nicht. Und den Cyrill sollte er christlich erziehen. Er ließ sich bei dem Abgange des Weibes zu allem, was sie wollte, verpflichten. Hernach tat er, was ihm gefiel. Das Weib hätte auch bedenken sollen, was es von ihm verlangte. Er konnte und wollte gar niemals brav wirtschaften, sondern nur immer verschwenden und verwüsten. Und zum christlichen Erziehen eines Kindes fehlte es ihm weit am Geiste. Als Witwer trieb er es so toll, dass ihn die Leute mit einem von der Kette abgelassenen Fanghunde verglichen. Dann heiratete er die Ruhsamtochter, die Hanni. Die konnte ihn um nichts vernünftiger machen.

Sie wollte ihm aber doch einen Ernst beibringen, der ihm furchtbar traurig vorkam.

Er wehrte sich seines Wesens und schlug die Hanni, bis sie ihm so feind wurde, dass sie nichts mehr zu ihm sprach.

Damit sie böse bleibe und nichts mehr rede, unterließ er dann alles, was ihr gefallen hätte. Seinen ihm anvertrauten Stiefsohn ließ er wirklich so heidnisch wild werden, wie es der auf dem einschichtigen Lockerhofe aus freien Stücken wurde. Aber dann machte er den Buben zu seinem Kameraden. Die beiden sagten einander in ihrer Rauheit zu. Cyrill wuchs pilzenschnell empor und war in seinem siebzehnten Jahre so stark wie der damals schon alternde Peterhansl.

Einmal kam die Hanni dazu, wie sie einander in der Scheune ihre Leibeskräfte maßen.

Zuerst gewann der Peterhansl. Dann war der Cyrill der Geschicktere. Er warf seinen Stiefvater über den Haltbaum Haltbaum = zwischen der Legestelle und der Tenne angebrachter Balken. in die Legestelle, dass der die Beine emporstreckte.

»Jetzt sind wir unseresgleichen«, sagte hernach der Alte zu dem Buben.

Der Cyrill erkannte erst, dass er einen liederlichen Verweser hatte, als der Lockerhof schon eine weitbekannte Spotwirtschaft war.

Aber der Peterhansl war ihm eben durch die Liederlichkeit lieb geworden. Deshalb verzieh er ihm die. Eine Zeitlang hausten die zwei auf dem Lockerhofe nicht anders, als ob sie von Kriegs wegen hier gewesen wären. Als dann der Alte starb, trauerte der Cyrill wie um einen noch so braven und wertvollen Freund.

Der Peterhansl und die Hanni hatten nur ein Kind, den Thomas. Den erzog das Weib nach ihrem Sinne. Sie sah, wie ihr Mann den Cyrill verdarb. Deshalb behütete sie den Thomas vor dem Vater wie vor dem Teufel.

Der Peterhansl stritt auch nicht mit ihr um den Buben. Der stand ihm nicht dafür. Als der Peterhansl starb, war der Cyrill dreiundzwanzig und der Thomas fünfzehn Jahre alt. Die Witwe hätte dann mit ihrem Kinde den Lockerhof gleich verlassen mögen. Ihr Recht zum Hierbleiben wäre damals auch wirklich aus gewesen. Es war ihr auf dem Hofe weder ein Ausgedinge noch sonst etwas verschrieben. Und um den Wert dessen, was ihr der Peterhansl sonst hinterließ, hätte ihr kein Schuster einen Schlapfen geflickt. Hanni hatte sich auf dem Lockerhofe wie eine rechte Magd geplagt. Als ihren Lohn konnte sie die Schläge betrachten, welche sie für die feste Treue und den guten Willen bekam. Sie hätte dann in irgendeinen Bauerndienst einstehen mögen.

Und der Thomas hätte sie neben sich als einen Mähner Mähner = Jungknecht, der »Mähnen«, das heißt beim Pflügen die Ochsen führen muss. verdingt. Zu der weinenden Mutter wäre sie nicht heimgegangen. Lieber hätte sie sich noch fernerhin von einem groben Manne prügeln lassen. Sie kam aber aus dem Lockerhofe nicht fort. Sooft sie gehen wollte, trieb es der Cyrill derart, dass sie wieder bis auf ein Weiteres blieb. Sie hatte ihn gar niemals gern gehabt. Sein stürmisches Wesen bereitete ihr zu viele Schrecken. Leiblich verpflegte sie ihn, so gut sie konnte. Er war ihr dafür nicht dankbar, noch besonders zugeneigt. Aber er wusste, was er an ihr besaß. Einen Dienstboten hätte er nicht bezahlen können. Von der Pflegemutter verlangte er, dass sie ihm eine Magd abgab. Es blieb ihm niemals ein Gulden für sie übrig. Hanni wollte dann wenigstens ihr Kind aus dem Lockerhofe fortbringen. Da stellte es sich heraus, dass Cyrill noch eher auf sie als auf den Thomas verzichtet hätte. Cyrill war sonst niemandem richtig hold als diesem Knaben. Zu anderen Leuten zog ihn fast nur sein böses, leidenschaftliches Empfinden. Mit allem, was in ihm gut und kindlich war, verlegte er sich auf den Thomas.

Die Gegenliebe des Jungen konnte er nie erlangen. Dazu war die gesamte Güte und Bravheit Cyrills nicht groß genug. Er vermochte auch bei seiner besten Lieb das arge Wesen nicht so weit wegzulassen, dass bei ihm Thomas eine gute Stunde gehabt hätte. Aber er verzieh ihm für das bisschen Güte gar viel.

Hanni erfuhr von den wenigsten Schlägen, die ihr Liebling von dem rohen Burschen bekam. Ihr war das zu viel, was sich Cyrill vor ihren Augen auf den Knaben anmaßte.

Der Ruhsam fand ein Haus, in dem es Thomas als Mähner sicherlich recht gut gehabt hätte. Und eines Tages wollte er den Enkel auch wirklich dort einstellen. Da zeterte Cyrill, als ob der grausamste Raub an ihm verübt würde. Und er glaubte auch wirklich, dass ihm das größte Unrecht geschah, wenn sie ihm den Thomas nahmen. Solange Cyrill nur schrie und tobte, war Thomas zum Gehen gewillt.

Aber dann weinte Cyrill.

Da erwachte in dem Knaben ein großes Erbarmen. Und er sagte gleich mit vieler Entschiedenheit, dass er den Cyrill nicht verlassen könne.

Der Ruhsam und die Hanni meinten zuerst, dass sein Erbarmen kein vernünftiges wäre. Aber Thomas hielt es doch für vernünftig und war in seiner Erkenntnis nicht zu beirren.

Sie hätten ihn nicht anders als mit Gewalt auf jenen Dienstplatz bringen können. Einen Zwang wollten sie ihm nicht antun. So ließen sie ihn denn hier bleiben.

Cyrill ging hernach mit dem Jungen nicht besser um als zuvor. Zu mancher Grobheit ließ er sich von der Armut zwingen, die damals auf dem Lockerhofe schrecklich überhandnahm.

Der Peterhansl hatte noch, kurz bevor er starb, seinen Hinterbliebenen einen Streich gespielt. Er verkaufte das Korn, welches er aussäen sollte. Und das Geld vergeudete er.

Da war denn hernach auf dem Lockerhofe ein fast ernteloses Jahr. Nur auf dem hinter dem Hause liegenden Gartenfelde hatten Hanni und Thomas einige Äcker mit Erdäpfeln besteckt und einige mit Hafer und Leinsamen besät. Cyrill half ihnen bei solchen Arbeiten nicht. Er sah sich nach Geschäften um, die ihm gleich etwas einbrachten. Am liebsten fuhr er Kies in die Glashütte. Für die Fuhre bekam er dort vier Gulden. Er hatte sonst kein Fuhrzeug als einen kleinen Mistwagen. Zum Ziehen verwendete er seine einzige Kuh. Wenn er die auf dem Wege auch noch so viel schlug, so musste er doch mehr erschieben, als sie zog. Er brauchte zu so einer Fahrt gewöhnlich drei Tage – einen hin und zwei zurück, denn auf der Heimreise hielt er sich so lange in den Wirtshäusern auf, bis die vier Gulden dahin waren. In den Wirtshäusern molk er auch die Kuh und ließ sich für die Milch Bier geben. Solange er aus war, mussten Hanni und Thomas Wassersuppe essen.

Cyrill hatte das Kiesfahren von dem Peterhansl gelernt. Daran dachte die Hanni. Sie büßte still für ihren Mann. Der Peterhansl fuhr wenigstens mit einer Mähre. Auch die richtete er zugrunde, ehe er starb.

Den Kies nahmen sie immer von den Lockerhoffeldern. Dabei zerwühlten und zergruben sie den urbaren Grund, dass es förmlich zum Himmel schrie. Hanni war über diesen Gräuel immer fürchterlich entsetzt. Sie hatte aber selbst mit gegraben, wenn sie nicht geschlagen werden wollte.

Für den Cyrill musste dann bald der Thomas graben. Der tat es auch willig und bekam doch Püffe dabei. Der Cyrill konnte das Zustoßen so wenig geraten wie mancher Stier. Thomas verlor dann zuweilen die Geduld. Aber er wurde doch niemals so gnadenlos, dass er den Cyrill im Stiche lassen wollte. Er glaubte, dass sich Cyrill um ihn zu Tod heulen würde. Und er wollte ihn nicht so erbärmlich eingehen lassen.

Hanni und Thomas wurden später noch froh, wenn Cyrill Kies fuhr. Es kam eine Zeit, wo sie ihn daheim durchaus nicht so verköstigen konnten, wie er es vor früher her gewohnt war. Da wurde er ihnen bei jeder Mahlzeit wild. Hanni musste für ihn im Frühjahr die Sau abstechen, welche bis zum Herbst gefüttert werden sollte. Er aß ihr auch das sämtliche Geflügel lange vor der richtigen Zeit auf.

Und sie und der Thomas aßen sonst fast nichts als das, was ihnen der Ruhsam ohne Wissen seines Weibes zukommen ließ. Gerade als den beiden das Kiesfahren zu gefallen begann, hörte es bis auf ein Weiteres auf, weil in der Glashütte der Vorrat zu groß geworden war. Ein gutherziger Bauer gab dann dem Cyrill zu dem Ausrechen einer großen Waldfläche die Erlaubnis. Cyrill ließ den Thomas rechen. Er selbst fuhrwerkte nur wieder. Von den Kleinhäuslern des Tales bekam er für die Fuhre Waldstreu dreißig Kreuzer. Drei Fuhren vermochte er an einem Tage zu leisten, wenn er den Thomas und die Kuh fleißig antrieb. Cyrill stillte sich bei diesem Verdienste in dem Talwirtshause nur den größten Hunger. Dabei regte er sich dort einen mächtigen Durst an, für den kein Wasser half. Er war deshalb recht verzagt. Und wenn er im Unglücke war, ließ er seinen liebsten Menschen, den Thomas, so viel als möglich mitleiden. Das Glück ertrug er leichter allein. Für den Winter hatte er ein größeres Einkommen in Aussicht. Der Stiggestaler Pfarrer, welcher ein großes Jagdgebiet gepachtet hatte, ließ ihn dann Wild schießen gehen und schenkte ihm jeden dritten Hasen. Jeden zweiten nahm sich Cyrill selbst.

Und der Thomas sollte im Winter von dem schotterreichen Pletschenberge Steine in das Tal schlitten. Für einen vorschriftsmäßigen Schotterhaufen bekam hernach Cyrill von den Straßenerbauern einen Gulden.

Im Winter konnte auch die Hanni mit ihrem Jungen tagwerken. Sommersüber hing sie an ihrer Feldarbeit. Das Veferl half dem Thomas, seit er in dem Großbauernwalde streurechte. Früher waren diese beiden einander niemals recht gut gewesen.

Gekannt hatten sie einander schon vom Kühehüten her, denn die hintersten Waldblößen des Lockerhofes grenzten an die über alle Maßen wohlbetreuten Schmotzengründe. Die drei schönen Kühe der Schmotzin hatten es auf der fetten Weide um so viel zu gut, dass sie oft gern auf den mageren Nachbarsgrund hinüberliefen. Und der Hirtin, dem Veferl, gefiel es auf schroffigem Boden immerfort besser als auf den flachen, samtweichen Rainen der Mutter. Thomas trieb dem Veferl nur einmal die Kühe zurück. Dafür zauste sie ihn, dass er niemals darauf vergaß.

Sie war um drei Jahre älter und viel besser genährt als Thomas. Er verwehrte dann ihren Kühen nichts mehr. Dafür setzte ihm der Cyrill grob zu. Aber Thomas ließ sich lieber von Cyrill peinigen als von dem Mädchen.

Der Cyrill und das Veferl befehdeten sich schon seit ihrer Kindheit. Einmal wäre er gern ihr Gespiele gewesen, verstand sie aber nicht anzugehen, sondern kam ihr zu keck. Sie bezahlte ihm das nicht anders wie eine wilde Katze.

Er getraute sich hernach bei all seinem Mute nicht mehr zu ihr und ärgerte sich, weil er sie fürchten musste. Wo er ihr aus der Ferne etwas zu fühlen geben konnte, dort tat er es.

In seinen Knabenjahren blies er ihr manchen Borstenbolzen in das Fleisch. Sie verachtete ihn dafür. Das war jedoch durchaus keine edle Verachtung. Einst fing ihn das Veferl mit Hilfe ihrer Freunde, der Fitzlerveichtlbuben, ab und rupfte ihm eine Hälfte des dichten braunen Schopfes glatt weg. Auch seine Hose nahm sie ihm und zog diese auf ihren Waldgängen an.

Sie kannte sonst keine Kinder als Cyrill, Thomas und die Fitzlerveichtlbuben. Und weil alle diese Hosen trugen, hatte sie sich im Kittel immerfort geschämt. Als sie aber ahnte, dass sie mit ihren Bekannten nicht ganz eines Geschlechtes sei, hing sie die Hose Cyrills an einer hohen Föhre über einem Rabenneste auf.

Später sah Cyrill, wie wunderbar ihr Äußeres erblühte. Und da hätte er ihr dieser Schönheit wegen viel verzeihen mögen. Er glaubte, dass sich auch in ihrem Innern neue Wunder vollzogen haben könnten. Deshalb wollte er wieder eine Annäherung wagen, die höflichste, zu der er sich zwingen konnte. Aber das Veferl traute ihm nicht. Sie hielt es noch damals für möglich, dass er wieder sein Blasrohr im Gewande habe und ihr einen Bolzen in den Leib schießen wollte.

Auf ungefähr zwanzig Schritte ließ sie den Freier auf sich zukommen. Dann kegelte sie ihn mit Steinen. Da wusste er, dass sie in ihrem Inneren vorderhand noch so ziemlich dieselbe geblieben war. Er brachte sich ihr aus der Wurfweite.

Aber er hoffte doch weiter auf sie. Und sie hielt ihn fernerhin für ihren gefährlichsten Feind.

Weil sie ihn als solchen auch heimlich beobachtete, sah sie, wie er mit dem Thomas verfuhr.

Da ging sie zu dem jungen Burschen und half ihm arbeiten.

Sie tat es aus Mitleid und teilweise auch deshalb, um es sich selbst zu zeigen, dass sie um vieles besser als der Cyrill war.

Den Cyrill wollte sie es nicht wissen lassen, dass sie so brav war. Sie war überzeugt, dass er ihre Barmherzigkeit verhöhnt hätte. Deshalb glaubte sie ihn erst recht verachten zu dürfen.

Und nun hatte sie der Ruhsam so abgefahren, als ob sie noch schlimmer gewesen wäre als der Cyrill.

Ihr hätte das lange den Ärger wach erhalten, wenn ihr nicht gleich etwas noch Größeres zugefügt worden wäre. So aber vergaß sie über den Basili fast den Ruhsam.

Wenn sie sonst recht erbost war, riss sie junge Tännlinge mitsamt den Wurzeln aus und rüttelte an dicken Bäumen.

Für ihren jetzigen Zorn fand sie gar keine entsprechende Betätigung. Deshalb legte sie sich auf einer menschenfernen Waldstelle nieder und wimmerte.

Der Ruhsam ging geradeaus zu der Schmotzin.

Aus dem Dickichte kam er auf urbaren, wohlbebauten Boden, der als ein buntfarbiges Band zwischen zwei Bergreihen von der Flussebene bis hinauf zu der katzenbuckelähnlichen Höhe zog, mit welcher die Lockerhofwildnis anfing.

Oben trennte ein kleiner Teich von der schönen Flur ein Endchen ab, und dieses gehörte der Schmotzin. Ihr Haus war nahe vor dem Katzenbuckel in einer steinigen Waldecke. Es wurde dorthin gebaut, damit der köstliche Ackergrund ganz blieb. Vorn war die Heimstatt gemauert, hinten hatte sie Holzwände. Gedeckt war sie durchaus mit schönen, dicken Strohtaken. Von außen konnte man die Mauern nicht sehen, weil vor ihnen kurzgehacktes Knittelholz aufgeschichtet war. Nur vor der Türe und den fünf Fenstern hatten die Knittelstöße hübsch abgepflöckte Lichtungen. Der Ruhsam hörte es von Weitem, dass hinter dem Hause zwei Leute Streu hackten.

Eines hackte schnell, das andere langsam. Das Fleißige war die Schmotzin, das Faule ihre junge Magd, die Durl. Die Schmotzin war ein langes, mageres Weib. Ihre großen, grauen Augen blickten immerfort von einem Dinge zum andern.

Sie konnte mit ihrem kurzstieligen Beile ein ganzes Büschel Astwerk auf dem Holzstocke klein zerhacken und dabei bald der Durl auf die Hände sehen, bald auf die Hühner, welche immerfort auf dem nahen Flachsacker Löcher kratzen wollten. Hinter den beiden lag ein großer Reisighaufen, den sie noch aufzuarbeiten hatten, vor ihnen die Hackstreu und die Knitteln.

Die Durl war riesenhaft groß und stark. Sie hatte an ihren Armen mehr Fleisch als die Schmotzin am ganzen Leibe. Ihr Gesicht war rund und rosig, aber sie machte es lang, weil sie den großen, schlaffen Mund immer weit hinab hängen ließ.

Die blondbewimperten Augenlider senkte sie auch immer so tief, dass von den mattblauen Augen nur schmale Streifchen unbedeckt blieben.

Die Schmotzin hatte außer diesem Dienstboten noch einen jungen Knecht, der jetzt auf der abgeheuten Wiese die Wassergräben anschwellte.

Als ihr Mann noch lebte, brauchten sie kein Gesinde. Der hatte bei der Arbeit immer seinen Fleiß verdoppelt und sich das Leben um die Hälfte verkürzt. Als der Schmotz gestorben war, berief die Witwe ihren einzigen Bruder zu sich. Das war ein bettelarmer Maler. Seine Armut hatte er vorsätzlich verschuldet, weil er lauter so brauchwidrige Bilder malte, als wie einen heiligen Florian, der kein schon halb verbranntes Haus neben sich hatte und Engel, die ohne Vogelflügel in der Luft schwebten.

Er musste froh sein, dass ihn seine Schwester aufnahm. Einige Jahre leistete er ihr, so gut er konnte, Knechtesdienste. Dann starb er. Und er tat das lieber, als er weiter gedient hätte. Die Schmotzin meinte dann, dass ihr das indessen prächtig herangewachsene Veferl die Magd entbehrlich machen sollte. Aber dieser Wunsch blieb ihr unerfüllt.

Als jetzt die Schmotzin den Ruhsam sah, ließ sie freudig die ihr teure Arbeit ruhen und eilte ihm entgegen. Die beiden waren Bekannte, seit er Rupfenhandeln ging. Sie schätzte ihn wegen seines Mannesverstandes. Er vergalt ihr die Ehrungen, welche sie ihm antat, mit Höflichkeiten.

»Wenn du jetzt nicht bald gekommen wärst, hätt' ich zur dir müssen!« rief sie. Dabei ergriff sie seine Hand und wollte ihn in die Stube führen. Aber dann setzten sie sich, weil er es so wollte, vor der Haustüre auf den Steinstaffel.

»Du musst mir raten, wie ich den gottversuchten Hainteufel, mein Veferl, bändigen soll«, begann die Schmotzin ihre unterbrochene Rede wieder. »Heuer büst Büsen = tolles Laufen sie wie noch gar nie. Und ich kann's nicht ergründen, wohin ihr Flug geht. Dass sie noch allweil wie früher im Wald herumkraxeln und boggertuschen Boggertuschen = Purzelbäume tut, kann ich nicht glauben. Heut ist sie mir gar von der Bleich' davon und hat die Leinwand rodldürr werden lassen. Kann das auch noch ein achtbares Weibsbild werden, wenn ihr jetzt, wo sie doch schon heiratsfähig ist, nicht einmal die liebe Leinwand am Herzen liegt? Was wird denn der Mann sagen, der die einmal kriegt? Mir wird er schuld daran geben, dass sie so ist. Er wird sagen, ich hätt' sie nicht erzogen. Was kann denn eine Witwe, der kein Mann beisteht, gegen so einen Huiaus tun? Sooft sie mir recht anheimgefallen ist, hab' ich sie ja eh gemüllt wie einen Bären. Aber jetzt lässt sie sich von mir nimmer ergreifen. Etlichemal möchte' ich ihr noch bei können. Vielleicht würd' sie dann doch dasiger. Aber wer fängt und hält mir sie denn?«

»Ich weiß einen, der sie fangen kann«, sagte der Ruhsam. »Und den bring' ich dir.«

Die Schmotzin konnte nicht glauben, dass der Ruhsam derart scherzte. Deshalb wurde sie erregt und fragte: »Einen Bräutger Bräutger = Bräutigam. hast du für sie? Einen Bräutger?«

»So darf man den noch nicht heißen«, sagte der Ruhsam. »Er will freilich deswegen hierher, weil er sehen möchte', wie er ihr mann's werden könnt. Aber ich bring' ihn hauptsächlich wegen was anderem her. Du musst ihn mir um der Barmherzigkeit Gottes willen auf die Kammer und in die Kost nehmen. Ich brauch' ihn gegen deinen Grundnachbarn, den Cyrill. Der wilde Stößl hetzt, ohne dass er es will, meinen Thomas zu tot. Ich muss dem armen Buben einen Helfer geben.«

»Warum nimmst du denn den Buben dem Cyrill nicht weg?« fragte die Schmotzin.

»Weil ich jetzt die Barmherzigkeit acht', die der Thomas für den Wildling hat. Die gegen andere so gut sind wie der Bub, muss man in ihrem Wollen nicht stören, sondern unterstützen, denn der Barmherzigkeit geschieht nie genug, und den Schlechten gebührt die Freundschaft der Besten. Und weil die Besten nicht auf sich selbst sehen, soll für sie gesorgt werden. So soll denn der Thomas an den Cyrill denken. Ich denk' an den Thomas. Und so soll es von aller Menschheit gehalten werden: einer für den anderen, keiner für sich selbst. Deshalb musst du jetzt für den Basili sorgen, meine liebe Schmotzin. Du brauchst für ihn nicht besser kochen als für dich. Ich weiß, dass du nichts Schlechtes isst. Die Kammer, in der ehemals dein Bruder, der Maler Gabriel, geschlafen hat, wird dem Basili ganz recht sein. Im Lockerhof könnt' ich ihn nicht unterbringen. Dort gäb's nichts zu essen für ihn. Und dort könnt' ihn der Cyrill auch für seinen Knecht betrachten. Und er könnt' ihm aus mancher Ursach' die Tür weisen. Wann ich dem Basili bei dir einstell', weiß ich noch nicht. Vielleicht heut'. Vielleicht morgen.«

Die Schmotzin zweifelte jetzt zum ersten Mal an der Einsicht des Alten. Das wollte sie ihm höflichkeitshalber nicht mit ihren Blicken zeigen. Deshalb sah sie vor sich nieder, während er redete. Einen Mann, der gesonnen war, aus dem Veferl ein richtiges Eheweib zu machen, wollte die Schmotzin lieber heute als morgen willkommen heißen. Aber auf das Ungewisse hin wollte sie keinen füttern und pflegen. Einen Mieter, an dem sie etwas verdienen konnte, nahm sie gern auf. Für einen Kreuzer plagte sie sich gern recht viel, obwohl sie das schuldenfreie Haus voller Vorräte und viel Geld auf der Sparlade hatte.

Um der Barmherzigkeit Gottes willen konnte sie höchstens einem Bettler eine Gaufe Gaufe = die zwei zusammengefügten Hände voll. Mehl oder etliche Erdäpfel in den Sack tun. Wenn sie jemals aus einer besonderen Ursache mehr verschenken musste, bekam sie vor Neid Herzweh. »Du bist mir allweil ein Freund gewesen«, sagte sie jetzt zu dem Ruhsam. »Wirst doch nicht jetzt auf einmal meinen Z'grundegang wollen?«

»Nein, den will ich nicht«, sagte er und dachte dabei: »Alte, du gehst nicht zugrund, wenn auch zehn solche wie der Basili jahrein, jahraus bei dir essen.«

Sie meinte nun, dass er früher doch nicht ganz im Ernst geredet habe.

»Freilich«, sagte sie. »Wie könntest du mir denn was Ungebührliches auferlegen? Nein, nein, du willst meinen Schaden nicht.«

»Gewiss nicht«, sagte er und dachte: »Es wird dir nicht schaden, wenn du auch einmal was Gutes tust. Freiwillig wärst du eh zu keinem guten Werke zu haben. So musst du halt wider deinen Willen eines tun.«

Sie war nun schon überzeugt, dass er ihr keinen Verlust bereiten wollte. Recht freundlich redete sie weiter: »Du weißt, ich bin dir gern gefällig.«

»Wenn es dich nichts kostet«, fügte der Ruhsam ihren Worten in seinem Geiste hinzu.

Sie setzte ihre Rede fort: »Und wenn du mir den bringst, der den Thomerl behüten soll, so wird er da an der Kost nichts auszustellen finden, außer er wär' ein rechter Schmedigesell Schmedi = Obers, Rahm. Und von dem, was nachher in der Ordnung ist und was sich von selber versteht, brauchen wir jetzt gar nicht reden –«

»Du redest aber schon davon«, hätte ihr der Ruhsam sagen mögen.

»Du bist ein Mann, der zur rechten Zeit das Rechte nicht versäumen wird und der da weiß, was sich gehört«, so lauteten ihre weiteren Worte.

»Ich will tun, was recht ist, verlass dich darauf«, versicherte der Ruhsam. »Und wenn du dann viel dawider hast«, so dachte er – »dann sollst du auch erfahren, was sich da gehört, du schamlose Geldsau, du.« Bald darauf ging er in das Großbauernholz zurück.

Er wollte mit dem Basili noch heute zu der Schmotzin, denn er sah an den Wolken, dass morgen ein schöner Heutag werden konnte.


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