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4.

Barthl stellte trotz der Geschirrnot ein Frühstück her, das arme Leute für ein Mittagsmahl gehalten hätten. Er war kein schlechter Koch, wenn er genug gute Sachen verbrauchen durfte. Dem Ruhsam und seinem Träger tat nach diesem Essen eine Fußreise ordentlich not. Hier im Dorfe hatte der Ruhsam noch niemanden um Rupfen angeredet. Den hübsch zusammengefalteten Strohsack trug er selbst. Basili wollte das nicht zulassen. Aber der Alte sagte: »Was wir erhandeln, das soll dir schon aufgepackt werden.« Während sie auf Rainen und Fuhrsäumen das Saatengefilde durchquerten, sah der Alte öfters nach einem über dem Walde stehenden lichten Wolkenkopfe. Was dem Nebelgebilde anhing, zeigte sich ihnen erst später, als sie eine Ecke des Bergleibes umgangen hatten. Vor ihnen stand nun ein wirrer Haufen waldiger Höhen. Der hatte, von hier gesehen, gar keinen ebenen Einschlupf. Wenn man ihm in die Nähe kam, tat er einem aber doch recht schöne Gassen auf. Der Fluss schied die steinernen Ansätze der Höhen durchaus genau von dem weichen Boden der Ebene. Die vorderen Berge waren ganz im Sonnenscheine, über den ferneren kämpfte das Licht mit den Wolkenschatten. An den hintersten Höhen hatte sich eine graue Nebelmasse mit dichten Regensträhnen förmlich verfangen. Aber dann kam der Wind, riss das Gewölk von den Bergen los, auf die es sich sonst hingelegt hätte und jagte es herwärts. Der Ruhsam nickte dem kommenden Regen gönnerhaft und beifällig zu. »Es freut mich, dass ich wieder einmal recht hab'«, sagte er. »Wenn ich mich am Wetter irr', schäm' ich mich immer mehr, als wenn ich mich um fünf Gulden verrechnet hätt'. Weil wir Bauern unsere Werkstätt' unter freiem Himmel haben, so sollten wir ihn auch ein wenig kennen.« Und dann fragte er freundlich: »Wo wirst du denn einmal deine Werkstätt' haben, Basili?«

»Wo Gott will«, antwortete der junge Mann. »Bisher hat er mir noch keine gewiesen.«

»Nun, da wart' halt«, sagte der Ruhsam.

»Manchmal wart' ich schier ein wenig sehnsüchtig«, gestand Basili. »Aber das Gewissen hat mir dabei noch nichts gemacht. Es ist mir schon lieber, ich tue nichts, als ich tue das Falsche und Unrechte. Die Leut' halten mich für gottlos faul, weil ich in keinen Dienst einstehen und auch der Jukunda nichts helfen mag. Sag du, soll ich einem andern dienen, wenn ich keine Lust dazu hab' und wenn es auch gar nicht notwendig ist?«

Der Ruhsam schüttelte den Kopf. »Gott bewahr«, sagte er. »Tue das ja nicht. Einem andern dienen soll man nur aus Lieb' oder aus Barmherzigkeit. Anders ja nicht. Außer man müsst'.«

»Und ich muss nicht!« rief Basili stolz und fröhlich. »Brot und Unterstand hab' ich. Bereichern will ich mich nicht. Da wär' es doch ein Unsinn, wenn ich einem andern hälfe, dass er reich wird.«

»Das wär' mehr als ein Unsinn«, sagte der Ruhsam. »Weil das Reichsein sündig ist, so hat man auch eine Sünd, wenn man freiwillig dazu hilft, dass einer reich wird. Darum werd' du beileib' keines Menschen Knecht.«

Basili ward nun von dieser Aneiferung völlig begeistert. Es tat ihm nur leid, dass er an dem Alten erst jetzt einen Gesinnungsfreund entdeckte.

»Ich bleib' frei!« rief er.

Da lächelte der Ruhsam ein wenig und sagte: »Wenn du's schon bist, so bleib's.« Basili musste nun nachdenken, und da fand er freilich, dass er noch nicht frei war und dass niemand frei ist, der es nicht verdient.

Jetzt brachte der Wind die ersten schweren Tropfen von der Wolke her. Da entfaltete der Ruhsam den Strohsack und warf ihn seinem Begleiter um die Schultern.

»Dich ließe ich schon nass werden«, sagte er, als sich Basili gegen die Fürsorge auflehnen wollte. »Nur dein schönes Gewand will ich schützen.« Das war nun freilich erlogen. Er fürchtete sich um den verweichlichten, schönen Burschen mehr als um dessen Gewand. Sie waren nun in einen Föhrenbestand gekommen, der den Regen nicht sobald zur Erde ließ.

Ehe es recht schwer von den Ästen tropfte, erreichten die beiden das Ende des Waldes.

Indessen hatte der Regen aufgehört, und über den Bergen rückte das Gewölk schon fleißig aus dem blauen Himmel. So geschah es, dass auch dem Ruhsam der Rock fast trocken blieb.

»Siehst du«, sagte er zu Basili. »Der kleine Wald hat uns geschützt. In einem großen würden wir erst jetzt bei heiterem Himmel bis auf die Haut nass. Und weil jetzt unsere Kundschaft nicht mehr auf den Wiesen ist, können wir in das Gai.« Gai = Handelsbezirk, Geschäftsbereich.

Nah vor ihnen auf dem Berggehängen war ein Dorf. Dort gingen sie dann in mehrere Häuser. Sie wurden überall mit Ehren empfangen. Den Ruhsam kannten hier sogar die Hunde und Schafböcke.

Einige Leute kannten auch den Basili. Und da wurde denn auch mehr oder minder artig gefragt, was ihn zu dieser Mitfahrt bewogen habe.

Der Ruhsam kam dem Basili gewöhnlich mit der Antwort zuvor. Er gab verschiedene scherzhafte Auskünfte, nach denen sich aber trotzdem ein jeder das Weiterfragen überlegte.

Fast überall wurden den beiden ein Laib Brot und ein mindestens wickelkindsgroßer Strizl Butter vorgesetzt.

So wenig wie heute widerfuhr den Strizeln von einem Träger des Ruhsam noch nicht. Der Alte ging gewöhnlich mit Leuten aus, die sich auf das Butteressen vorgesehen hatten. Von den Geistern, die er im Ranzen trug, wurde ihm in allen Häusern etwas abgenommen. Aber die Rupfen mussten ihm die Leute diesmal schuldig bleiben. Er besah die ihm angebotene Ware und sagte dann: »Bezahlt mich im Herbst, bis der neue Hor Hor = Flachs gebrechelt ist.«

Darauf wollten ihm manche sagen, dass er noch nie so heiklig war wie jetzt. Sie konnten aber zu dieser Rede nicht so bald den Mund stellen, als ihnen der Alte hinter dem Rücken Basilis mit irgendeiner Gebärde Schweigen gebot.

Er wies die Rupfen deshalb zurück, damit Basili keine zu tragen bekam. Der junge Mensch erriet das nicht.

Im nächsten Dorfe fragte der Alte nur bei jenen Bäuerinnen an, die seines Wissens den Flachs schon versponnen hatten.

Über einen waldigen Hügelkamm gelangten dann die beiden an den Rand eines steilen Gesenkes. Von da sahen sie auf einen Teil der Flussniederung, der eine förmliche Bucht in das Bergland hinein machte. Das Halbrund der Höhen fiel auch an vielen Stellen so steil und felsig wie eine richtige Meeresküste gegen das ebene Bodenstück ab.

Der Sommer zeitigte auf der windgeschützten Fläche den Pflanzenwuchs früh.

Die Wiesen waren da schon abgeheut. Und es wurde hier eben jene schöne, kurze Ruhezeit genossen, die zwischen der Heuernte und dem Kornschnitte liegt. Die Heimstellen waren inmitten des sonnbegnadeten Grundes so gereiht, als ob hier die Leute einander viel lieber gehabt hätten wie in den Berggemeinden, wo man von keinem Hause ein anderes mit einem Steine bewerfen konnte. Der Ruhsam wies über die Ebene hin nach einem Bergsattel und sagte: »Hinter der Grensen Grensen = Einschnitt Gerinne. ist unser heutiges Ziel. Schad', dass wir nicht z'ritts Z'ritts = geradewegs, über alles dahin hinüber können. Wir müssen die weite Umreit Umreit = Umweg an den Bergen dahin nehmen.«

»Weshalb denn?« fragte Basili.

»Weil wir da in den Suttendörfern Sutten = ebenes, einlägiges Gelände so viel Butter und Honig essen müssten.«

»So? Müssten wir?«

»Ja. Du weißt, da unten ist schon alles tschechisch. Darum muss man da mit den Leuten viel höflicher sein als bei uns in den deutschen Walddörfern. Die Suttenmänner meinen gleich, du verachtest ihren Tisch, wenn du bei ihnen nicht viel isst. Darum kann ich fast nie durch die Ebene gehen, ohne dass ich entweder meinen Magen überfüll' oder gute Herzen kränk'. Und schau: Jetzt ist in den Suttendörfern grad' die Kirschenzeit. Da musst du in jedem Haus auch von dem lieben Kirschenkoch essen. Und mich quälen nachher die Kern' so viel.«

»Die solltest du doch ausspucken«, meinte Basili.

»Gott bewahr'!« rief der Ruhsam. »Das wär' hier ein arger Verstoß gegen den Tischbrauch. Wer hier die Kern' nicht schluckt, wird zum mindesten für eine Herrischtner angesehen.«

Basili lachte. »In den Städten, wo ich war, kriegen die Leut' von einem einzigen Kirschkern die Blinddarmentzündung.«

»Das kann ja sein«, sagte der Ruhsam. »Einen Kern allein hab' ich noch nie geschluckt. Darum weiß ich auch nicht, wie mir nach so einem einzigen geworden wär. Aber von einer Schüssel voll Kern' krieg' ich keine Blinddarmentzündung. So viel weiß ich.«


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