Ludwig Ganghofer
Schloß Hubertus
Ludwig Ganghofer

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17

Im Süden blühten die Rosen – auf den Bergen um Hubertus kämpfte der Föhn seinen brausenden Frühlingskampf gegen den letzten Schnee, der noch schwer auf den Zinnen der Felsen lag.

Im tieferen Bergwald, in dem nur vereinzelte Schneeflecke noch als verlorene Posten des besiegten Winters zwischen Felsblöcken und in schattigen Mulden lagen, brach schon das lichtgrüne Laub aus allen Buchenknospen.

»Buchlaub raus,
Hahnfals aus!«

So sagt ein alter Jägerspruch. Und Franzl, der an jedem Morgen die Balzplätze abwanderte, gewahrte mit Sorge, daß ein Auerhahn um den anderen sein Liebeslied verstummen ließ.

»Wenn er kommt, der Graf, wird's schlecht ausschauen mit die Hahnen!«

Tag um Tag verging. Graf Egge erschien nicht in der Dippelhütte.

Während er mit dem Bund um die Augen in der verdunkelten Kruckenstube saß, dachte er wohl in Zorn und Ungeduld an seine Auerhähne. Aber der »Leinwandriegel«, der ihn am Bergsteigen hinderte, hatte dauerhaften Halt. An jedem Morgen empfing Graf Egge den Doktor mit einem Ungewitter. Diesem maßlosen Zorn gegenüber verhielt sich der alte Arzt sehr wortkarg und hatte nur immer den einen Trost: »Geduld, liebe Erlaucht! Geduld!« Zuerst mit scheuem Zögern, dann immer eindringlicher machte der Doktor den Vorschlag, einen Spezialisten aus München zum Konsilium zu berufen.

»Unsinn!« murrte Graf Egge. »Lassen Sie mich mit dem städtischen Quacksalber in Ruhe! Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Sie werden mir meine Lichter schon wieder sauber putzen.«

Eine ähnliche Abfertigung wurde Fritz zuteil, als er fragte: »Soll man nicht der gnädigen Konteß von Erlauchts Unpäßlichkeit Mitteilung machen?«

»Daß du dich nicht unterstehst!« lautete die Antwort. »Die arme Geiß soll die schöne Zeit da drunten ungestört genießen, damit sie mir gesund an Leib und Seele nach Hubertus heimkehrt! Sonst braucht sich niemand um mich zu kümmern. Wen du die Frechheit hast, eine Zeile nach München zu schreiben, werf' ich dich aus dem Haus.«

Die Pflege des Kranken hatte der alte Moser übernommen, die »Weibsbilder« vertrug Graf Egge nicht in seiner Nähe. Mit Moser konnte er auch von der Jagd schwatzen, von dem »verwünschten Horst« in der Hangenden Wand und von den Auerhähnen. Diese Gespräche füllten fast den ganzen Tag. Wurde Graf Egge des platonischen Jagens müde, so ließ er sich eines der an der Wand hängenden Gemsgehörne reichen, befühlte die Schale und das gekrümmte Horn mit pedantischer Aufmerksamkeit, maß mit der Handspanne die Länge und Weite der Haken und riet, in welchem Jahr und auf welchem Berg der Bock geschossen wäre. Fast immer traf er das Richtige. Oder er schickte Moser aus der Stube und öffnete, im Lehnstuhl ruhend den eisernen Schrank. Eine Lade um die andere zog er auf, legte die Samttablette vor sich aus und ließ die tastenden Finger über die Steine gleiten. Bevor er den Schrank nicht geschlossen und den Schlüssel abgezogen hatte, durfte Moser die Stube nicht betreten.

So saß er wieder einmal vor dem offenen Schrank und zählte die Steine. Da hörte er das Geläut der Kirchenglocken, und die Klänge schienen ihn unbehaglich zu berühren.

»Moser!«

Der alte Büchsenspanner erschien.

»Bleib bei der Tür stehen! Ich will nur fragen – wem wird denn da geläutet?«

»A Kindl tragen s' aussi.«

»Wem hat das Kind gehört?«

»Dem Bruckner-Lenzi. Jetzt hat der arm Teufel schon 's zweite verloren. An der Halsbräune. Jaaa, ich sag's allweil: der Hals und d' Augen, dös sind zwei heiklige Sachen. Der Hals bei die Kinder und d' Augen bei uns alte Leut!«

»Rindvieh!« brummte Graf Egge und griff an seine Binde. »Der Bruckner-Lenzi? Von dem du immer sagtest, daß er gegangen wäre?«

»Ja, Herr Graf! Ich hab mich auch net täuscht seinerzeit. Aber jetzt, mein' ich, is er sauber. Jetzt geht er nimmer.«

»So? – Setz' dich wieder hinaus und mach' die Tür zu! Fest, daß ich es höre! – Mich geniert die Zugluft.«

Graf Egge tastete an en Steinen umher und begann zu zählen.

Nach einer Weile verstummte das Geläut.

An diesem Abend wurde in der Schifferschwemme des Seehofes wieder ein »Gsturitrunk« gehalten. Und wieder blieb, während die Gäste laut durcheinander schwatzten, der Bruckner-Lenzi stumm und mit gläsernen Augen hinter der Flasche sitzen. Mali mahnte ihn nicht mehr an den Heimweg. Als zum Ave-Maria geläutet wurde, erhob sie sich wortlos und ging.

Schon wollte sie den stillen Hof des Bruders betreten, als über den Zaun die Stimme der Nachbarin klang: »Mali? Bist du's?«

»Ja, Nachbarin!«

»Geh, komm a bißl eini! 's Netterl verlangt soviel nach dir.«

Kein Wunder, daß Mali erschrak. »Um Gotts willen! 's Kindl wird doch frisch sein?«

»Aber freilich! Schaut aus wie 's Leben! Aber allweil verlangt's nach dir.«

Mali empfand die Anhänglichkeit des Kindes wie einen warmen Trost. Dennoch zögerte sie mit der Antwort. »Ich trau mich net recht, ich könnt vom Halsgift was im Gwand haben.«

»Ich gib dir von mir an Rock und an Janker.«

Diesen Vorschlag nahm Mali an. Und dann saß sie in der Kammer bei dem Kinde, das mit seinen glänzenden Augen aussah, als hätte ihm die Verbannung aus dem Vaterhause so wohl getan wie einem Stadtkind die Sommerfrische.

Es ging auf die Abendstunde, als Mali das Kind in Schlaf gesungen hatte und von der Nachbarin Abschied nahm. Immer wieder drückte sie die Hände des Weibleins. »Tausendmal Vergelts Gott! Meiner Seel, Nachbarin, was dem guten Kind z'lieb tan hast, vergiß ich dir meiner Lebtag net!«

»Geh, was redst denn! Mach lieber, daß d' heimkommst! Den Schlaf kannst brauchen!«

»Ja, Nachbarin, heut brauch ich d' Ruh. Aber morgen in aller Fruh wird 's Haus aufgwaschen, Türen und Fenster aufgrissen und alles ausgräuchert. Ehnder trag ich 's Kindl net heim. Und unser Herrgott wird mithelfen. Es muß doch wieder amal Tag werden bei uns!«

Als Mali den Hof des Bruders betrat, sah sie Lichtschein an den Stubenfenstern.

»Gott sei Dank, er is schon daheim! Da kann er doch kein Rausch net haben.«

Sie bekreuzte sich aus Freude über das gute Anzeichen. Doch als sie die Stubentür öffnete, erschrak sie, daß ihr das Blut wie zu Eis wurde. Der Bauer stand am Tisch, hatte den Hut auf dem Kopf, einen Bergsack hinter den Schultern und wischte mit einem schmutzigen Lappen den Rost von einer alten Büchse.

»Lenzi!«

Er wandte das verwüstete Gesicht. »Der Schnaps will nimmer helfen. Probier ich halt 's ander wieder.«

»Lenzi! Um Gotts willen!« Eine namenlose Angst schrie aus dem erstickten Wort.

Er zuckte die Achseln. »Ich muß für d' Leichenkosten sorgen. Der Doktor tät warten. Der Pfarrer pressiert.« Er schleuderte den Lappen in einen Winkel.

Wie eine Verzweifelte stürzte Mali auf ihn zu und umklammerte seinen Arm. »Lenzi! Hat dich denn unser Herrgott ganz verlassen?«

»Ah na! Er hat sich bsonders um mich kümmert. Fleißig treibt er 's Engelmachen. Respekt!« Heiser lachend schüttelte Bruckner die Schwester von sich ab.

Sie versuchte ihm das Gewehr zu entreißen.

Bruckner lachte. »Tu dich net sorgen! Ich geh dem deinigen net ins Gäu. Ich such mein' alten Spezi wieder auf. Der laßt mit ihm reden, hat er gsagt.« Er stieß die Schwester von sich und riß die Tür auf. Ein rauschender Luftstrom fuhr in die Stube und löschte die Kerze.

»Lenzi!« keuchte das Mädel. Im finsteren Flur, in den der Föhn durch die offene Haustür brauste, holte sie den Bruder ein, klammerte sich an ihn und ließ sich schleifen. »Lenzi! Denk, was deiner armen Resi gschworen hast! Um aller Heiligen willen – Lenzi –« Von der Faust des Bauern zurückgeschleudert, taumelte sie gegen die Wand. Stöhnend raffte sie sich auf, rannte in die Finsternis hinaus und schrie den Namen des Bruders. Der rauschende Föhn verschlang den gellenden Laut.

Hinter eine Hecke geduckt, mit der Büchse in der Hand, eilte Bruckner über die Wiesen, erreichte den Steg, der die Seebachklamm überbrückte, und gewann den Wald. Im schwarzen Schatten der Bäume schöpfe er Atem und lud das Gewehr. Dann stieg er bergwärts durch die Finsternis.

Je höher er kam, desto schwächer wurde das Wehen, das durch die Wipfel ging. Zwei Stunden war er gestiegen, als er mitten im Hochwald eine Blöße erreichte. Es war eine Kohlenstätte. Drei Meiler dampften, und vor einer Rindenhütte lag ein Gluthaufen, der die Stätte mit rotem Schein überstrahlte. Bruckner lehnte die Büchse an einen Stamm, ging auf den Meiler zu, griff mit beiden Händen in den auf der Erde liegenden Kohlenstaub und schwärzte das Gesicht. Dann stieg er weiter.

Es ging auf die zweite Morgenstunde, als er das Steinfeld erreichte, in dessen Mitte, wie ein schwarzer Klumpen, die Diensthütte Schippers lag. Roter Herdschein blinkte aus dem kleinen Fenster.

»Schau, zeitlich is er auf! Leicht geht er aufs Hahnverlusen?«

Die aus dem Fenster fallende Helle beleuchtete den Rauch, der über das Schindeldach niederwallte und sich zu Boden schlug – ein Zeichen, daß der Morgen schweren Nebel bringen würde.

Neben dem flackernden Feuer saß Schipper auf dem Herd, schon angekleidet, aber noch mit nackten Füßen. Während der fertige Schmarren in der vom Feuer genommenen Pfanne dampfte, überwachte der Jäger die blecherne Kaffeemaschine, aus der sich ein dünnes Rieseln vernehmen ließ; als es verstummte, erhob sich Schipper, streckte gähnend die Arme, nahm eine irdene Schale vom Geschirrahmen und füllte sie mit schwarzem Kaffee. Nun setzte er sich, schlug die Beine übereinander, blies die rauchende Brühe und kostete.

Da wurde, ohne daß sich ein Schritt vor der Hütte hatte hören lassen, die Tür aufgestoßen, und auf der Schwelle stand eine Mannsgestalt mit geschwärztem Gesicht, die Büchse in der Hand. Im ersten Schreck ließ Schipper die Blechschale fallen, daß ihm die heiße Brühe die Lederhose übergoß. Und sein graues Gesicht wurde so weiß wie Kalk.

Langsam näherte sich der Wildschütz und sagte mit lachendem Hohn: »Wenn's jetzt an andere wär als ich? Der hätt dir bei deiner Kuraschi den Vortl gschwind abgwonnen.«

Von seinem Schreck sich erholend, riß Schipper die Augen auf. »Aaah! Da schau! Der Lenzi!« Er hob die Blechschale von der Erde. »Schad um mein' Kaffee!« Trotz der Ruhe, mit der er diese Bemerkung machte, schien er sich doch nicht sonderlich behaglich zu fühlen. »Magst mithalten? Grad hab ich kocht.«

Bruckner stand wortlos und hing mit heiß funkelnden Augen an dem Jäger.

Der fuhr mit dem Löffel in die Pfanne. »Was stehst denn wie der Hackstock? An was denkst denn?«

»An alles, was ich dir verdank! Und wieder frag ich mich, wie schon hundertmal: ob ich denn alles, was mich druckt, mit Recht am Buckl trag?«

»Mach's wie ich! Nimm's leichter!«

»Ob ich 's Recht net hätt dazu?« Bruckner streckte sich. »Zwei Büchsen haben kracht, zwei Kugeln sind gflogen am selbigen Johannistag. Eine bloß hat troffen. Ob's die deinig war? Oder die meinig?«

»Troffen hat ihn du!« erklärte Schipper mit Seelenruhe, während ihm der Schmarren, an dem er kaute, zwischen den Zähnen krachte. »Mir is der Schuß in d' Luft auffigfahren. Da kann ich schwören drauf. Dös hab ich auch deiner Schwester gsagt, wie s' mich im Herbst mit ihrem Bsuch beehrt hat.« Ein häßliches Lächeln verzerrte seine grauen Lippen. »Lenzi, dös war a dumms Stückl, daß deiner Schwester alles verzählt hast. Die macht dir Unglegenheiten. Wie sich 's Madl für'n Franzl ins Zeug glegt hat! Ui jegerl! Und ich wär noch der gute Kerl gwesen und hätt's gheirat – daß die dumme Gschicht in der Familli bleibt.« Schipper griff fleißig in die Pfanne. »Aber lassen wir die alten Gschichten! Reden wir lieber vom Allerneuesten.« Er deutete mit dem Löffel auf Bruckners Büchse. »Is dös noch allweil die alte Spritzen?« Er lachte. »Hat' dich wieder grissen? Mußt dir Geld machen?«

Der Bauer atmete schwer. »Könnt schon sein, daß ich Geld brauch. Der Wasen im Kirchhof hat sein Preis.«

»Ah ja, richtig, ich hab ghört, was für a Kreuz mit deine Kinder hast.« Schipper wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. »Ja, wo was is traurig!«

Diese Äußerung des Mitleids wirkte auf Bruckner, als hätte ihn ein Peitschenhieb ins Gesicht getroffen. Mit grober Faust packte er die Schulter des Jägers. Dann wandte er sich ab, spie in das Feuer und ging zur Tür.

Schmunzelnd sah Schipper ihm nach.

Bruckner faßte die Klinke und drehte das schwarze Gesicht. »Daß ich mir Geld mach mit deiner Hilf? Ah na! Ich hab zwei Küh im Stall und hab noch allweil a Hemmed am Leib! Hörst an Schuß in der Fruh, so kannst suchen untertags. 's Wildbret laß ich dir liegen. Es hat mich heut in der Nacht aus'm Haus trieben, weil ich was haben muß fürs Blut. Wie Feuer hab ich's in mir. Und kühl muß ich's machen. Drum rat ich dir im guten: Steig mir net nach! Du!« Dem Bauer brach die Stimme mit heiserm Laut.

»Aber Lenzi! Geh, geh, geh! Du hast z'viel Vaterunser gnottelt in die letzten Täg. So was macht ein' wirblet!«

Bruckner antwortete nicht gleich. »Ja! Kunnt schon wahr sein! Hast du noch a richtigs Vaterunser, so bet, Schipper, daß mir 's Netterl bleibt! Müßt ich 's letzte auch noch verlieren, so weiß ich, was ich tu. Da mach ich saubern Tisch in mir, und geh zum Gricht. Den Weg mach ich net allein.« Der Bauer öffnete die Tür. Rauschend flackerte das Herdfeuer. »Bet, Schipper, daß mich 's Netterl anlacht, wann ich heimkomm aus 'm Berg!«

Der Jäger saß auf dem Herd, als wäre ein Sturz eiskalten Wassers über ihn niedergegangen. Als vor der Hütte der schwere Tritt verhallte, sprang Schipper auf und lauschte in die Nacht hinaus. Mit beiden Händen griff er an seinen Kopf und kehrte zum Herd zurück. Es zuckte und wühlte in seinem Gesicht. Nun stülpte in seinem Gesicht. Nun stülpte er den Hut über den grauen Kopf, stopfte mit zitternden Händen die Bergschuhe in den Rucksack und nahm die Büchse. Scheit um Scheit warf er in die Herdflamme und öffnete die Tür. Der Feuerschein sollte hinausleuchten über das Steinfeld und den anderen glauben machen, daß die Hütte nicht verlassen stünde.

Dicht an den Pfosten gedrückt – damit sein Schatten in der auf dem Steinfeld liegenden Feuerhelle nicht bemerkbar würde – schlich Schipper zur Tür hinaus und huschte, jeden Felsblock als Deckung nützend, durch die lautlose Nacht einer tiefer liegenden Mulde zu. Im Schutz der Bodensenke rannte er dem Latschental entgegen, das zur Hangenden Wand führte. Als er die Felswand erreichte, warf er sich zu Boden, um Atem zu schöpfen und die Schuhe anzulegen. Es war die Stelle, an der Graf Egge die Leiter hatte aufziehen lassen; unsichtbar und still hing der Horst in der finsteren Höhe; der Wind, der mit leisem Geraschel über die Felsen niederstrich, hatte matten Aasgeruch.

Schipper nahm die Büchse in die Hand und begann wieder zu rennen; nun brauchte er den Hall seiner Schritte nimmer zu scheuen.

Am östlichen Himmel wollten schon die Sterne erlöschen, als er das Latschenfeld vor der Dippelhütte erreichte. Er sah das rot leuchtende Fensterchen der Herdstube und atmete auf. »Gott sei Dank!«

Da erlosch die Fensterhelle, und in der stillen Nacht klang das leise Geräusch der Hüttentür, die geöffnet und wieder geschlossen wurde. Franzl wollte zu den Balzplätzen der Spielhähne hinaufsteigen. Jetzt sah er zwischen dem finsteren Gezweig die schwarze Gestalt vor sich auftauchen. »Halt!« Mit jähem Ruck hatte Franzl die Büchse an die Wange gerissen. »Wer bist du?«

»Öha! Langsam!« Schipper lachte heiser. »Schnell bist fertig mit der Büchs!«

Franzl ließ die Waffe sinken. Unsereiner muß auf der Hut sein!« Das klang nicht freundlich. »Was suchst denn du in meim Bezirk? Und was schnaufst denn so?«

»Grennt bin ich wie der Teufel. Heut gibt's Arbeit. Ich hab zwei Lumpen in meim Revier.«

Franzl bohrte den Blick in das vom Dunkel verschleierte Gesicht des anderen. Die Sache wollte ihm nicht einleuchten – weil er selbst in einem solchen Fall um Hilfe gerannt wäre.

»Aber Mensch! Hast denn net verstanden? Zwei Lumpen hab ich im Revier!«

Franzl warf die Büchse hinter den Rücken und nahm die Richtung gegen die Hangende Wand. Schipper hielt sich wortlos hinter ihm. Der Himmel wurde bleich; halb verhüllte ihn der schwere Nebel, der aus allen Gründen rauchte, um zu kreisendem Gewölk ineinanderzufließen. Und Gedanken, so grau wie der Nebel, wirbelten durch Franzls Kopf. Immer stand ihm das Gesicht Pattscheiders vor den Augen. Und immer flüsterte eine Mädchenstimme: »Nimm dich vor'm Schipper in acht!«

Da lachte der andere. »Ein merkwürdiger Jager bist. Fragt mit keiner Silben, wo ich d' Lumpen gmerkt hab!«

»Was ich wissen muß, wirst mir schon sagen.«

»Um eins in der Fruh bin ich fort, weil ich am Schneelahner den Spielhahn gern verlust hätt. Wie ich auffisteig über d' Lahneralm und komm zur Sennhütten, merk ich Licht hinterm Fensterladen, schleich mich auf d' Hütten zu und guck durch d' Ladenklums in d' Almstuben eini. Was sagst! Sitzen zwei so gottverfluchte Lumpen drin, jeder mit der Büchs über die Knie! Einer a bißl junger, und der ander a Mordstrumm Lackel mit kohlschwarzem Bart, a bißl angrawelet. Und da hocken s' am Fuier und reden in aller Gmütlichkeit den Pirschgang übern Schneelahner aus!«

»Und da bist davongrennt?« Alle Gedanken der letzten Minuten waren in Franzl ausgelöscht, und nur noch der Jäger war in ihm lebendig. »Statt daß die Büchs in d' Hand nimmst und einispringst zur Tür! Die hättst alle zwei im Sack ghabt.«

»Mit 'm Maul is bald einer gfangt. Und daß ich d' Wahrheit sag – ich hab die zwei was reden hören. Und da war mein einzigs Denken: da mußt den Franzl holen! Meiner Seel, ich trau mir's gar net sagen –«

Franzl blieb wie angewurzelt stehen. Seine Lippen bewegten sich ohne Laut. Was hatte er? Furcht war ihm fremd. Dennoch schnürte ihm jetzt ein beklemmendes Gefühl den Hals zusammen.

»Was ich dir sagen muß, is hart für dich.« Das klang wie kameradschaftliches Erbarmen. »Aber es muß sein!« Unter Schippers Hutrand funkelten die Augen. »Wie ich so einilus in d' Hütten, hör ich, wie der jüngere meint: ob net hinter der Dippelhütten der Bessere Pirschgang wär? Da beutelt der ander den Kopf und sagt kein Wörtl und schaut ins Fuier eini. Und der jünger lacht so gspaßig, stupft den andern mit'm Ellbogen an und sagt: ›Gelt, du, dem Franzl gehst lieber aus'm Weg – Der Alte und der Junge – so was wär a bißl z'viel auf ein Gwissen auffi!‹«

Mit ersticktem Laut riß Franzl die Büchse von der Schulter, stürzte auf Schipper zu und faßte ihn an der Brust. »Auf Ehr und Seligkeit, Schipper? Is dös wahr?«

»Auf Ehr und Seligkeit!«

Da löste sich Franzls Faust von der Brust des anderen. »Jetzt sag ich dir Vergelts Gott, daß d' mich gholt hast! Komm!«

Schipper blieb noch ein paar Augenblicke stehen; ein Frösteln, das ihn plötzlich befiel, zog ihm den Kopf in den Nacken.

Sie sprachen kein Wort mehr. Als sie mit schweißüberronnenen Gesichtern aus dem Latschental hervortraten, lag der Nebel so dicht, daß sie im Schutze des grauen Schleiers ungedeckt gegen die Höhe steigen konnten; sie hatten die Schuhe abgelegt und sprangen mit nackten Füßen. Kaum auf dreißig Schritt vermochten sie zu sehen. Doch immer näher klang, wie ein wegweisender Ruf, vom Grat des Schneelahners der lustige Balzgesang des Spielhahns.

Da fiel in der von Dunst umwobenen Höhe ein Schuß, dessen Echo im Nebel erstickte. Der Spielhahn schwieg.

»Dem Hahn hat's gegolten!« zischelte Schipper. »Franzl, jetzt ghört er uns!« In seinem gierigen Eifer merkte Schipper nicht, daß er nur von einem sprach. »Jetzt muß er uns in d' Händ laufen! Nimm du die linke Seit, Franzl, ich nimm die rechte. So haben wir ihn in der Mitt! Und sei gscheit, Franzl! Wenn's drauf ankommt, wart net lang! Lieber der ander als du!«

Franzl antwortete nicht; sein brennender Blick bohrte sich in den grauen Dunst, der die Höhe verschleiert hielt. Sich zur Linken wendend, stieg er lautlos in die Felsen ein.

Schipper huschte nach der anderen Seite. Als er um die Ecke war, öffnete er die Büchse, zog die beiden Patronen hervor, musterte sie genau und schob sie wieder in den Doppellauf. »Für alle Fäll! Ich will mei' Ruh haben!«

Auch Franzl hatte, als er den Einstieg des Wechsels erreichte, den Schritt verhalten, um seinen Atem zur Ruhe kommen zu lassen. Dabei nahm er den Hut ab und drückte ihn an die Brust. Er wußte, daß der Weg, den er betrat, ein Gang auf Leben und Tod war.

Ein Windstoß fuhr über das Gehänge herunter und jagte die Nebelfetzen, während die Dämmerung der Frühe sich in hellen Tag zu verwandeln begann.


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