Ludwig Ganghofer
Schloß Hubertus
Ludwig Ganghofer

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11

In der Wohnstube der Horneggerin saß Franzl am blau gedeckten Tisch, und seine Mutter brachte die Brotsuppe. Sie wollte gerade die rauchende Schüssel auf den Tisch setzen, als sie am Hof das Zauntürchen gehen hörte und eine Blick durch das Fenster warf. Im ersten Schreck hätte sie fast die Suppe fallen lassen. Erst wurde sie kreidebleich, dann dunkelrot bis unter die grauen Haare. »Jesus Maria! Bub! Da kommt der Herr Graf!« Während Franzl auffuhr, als hätte der Blitz vor ihm in die Schüssel geschlagen, griff die Horneggerin an ihre Frisur, riß die Küchenschürze herunter und stotterte: »Mar' und Joseph! Wie schau und denn aus! Halb angezogen! Und jetzt kommt der Herr Graf!« Sie wollte in die Kammer springen, aber die Knie versagten ihr. Und da ging schon die Stubentür auf, und Graf Egge erschien auf der Schwelle.

Den Bergstock hatte er im Flur gelassen. Einen wortlosen Gruß nickend, stellte er die Büchse an die Mauer, nahm den Hut ab und warf ihn auf das Fensterbrett. Schweigend sah er den Jäger an, dem die Erregung alle Glieder zu lähmen schien, betrachtete die alte Frau, die zitternd hinter dem Ofen stand, und während seine gebeugte Gestalt sich langsam streckte, ließ er den Blick über alle Wände und Geräte des Stübchens gleiten. Tief atmend drückte er die Fäuste auf die Brust, als wäre zwischen diesen engen, niederen Mauern ein wohltuendes Gefühl der Erleichterung über ihn gekommen. Nun ging er auf den Jäger zu und bot ihm die Hand. »Grüß' dich Gott, Franzl! Ich seh' es ein, ich hab' dir unrecht getan. Das will ich wieder gutmachen. Schlag ein und trutz' nicht! Sei wieder mein Jäger, mein bester, wie du es immer warst! Ich muß doch einen Menschen haben, von dem ich weiß, er hängt an mir! Schlag ein, Alter!«

Während die Horneggerin im Ofenwinkel unter Tränen die Augen aufschlug, als wäre dem lieben Herrgott ein Wunder gelungen, bot Franzl den Anblick eines Menschen, der ein paar tiefe Krüge über den Durst getrunken hat. Er machte wohl den Versuch, in militärischer Haltung vor seinem Herrn zu stehen, aber es zog ihm den Kopf in den Nacken, und dabei würgte er immer das eine Wort heraus: »Aber Herr Graf! Aber Herr Graf! Aber Herr Graf –«

»Mach' keine Geschichten, sondern schlag ein! Oder soll ich die Hand eine halbe Stund' lang herhalten?«

Da griff der Jäger mit beiden Händen zu, und der Druck fiel so kräftig aus, daß Graf Egge die Zähne übereinanderbiß.

»So! Und jetzt zur Schüssel und iß! Wenn du fertig bist, packen wir auf und marschieren.« Graf Egge schob den Jäger zur Bank und wandte sich an die Horneggerin, wobei seine Sprache zu vollem Dialekt wurde. »Geben S' an Löffel her, Mutter! Ich halt mit. Zwei Tag lang hab ich kein Bissen nimmer nunterbracht. Jetzt krachen mir alle Rippen. An Löffel her!«

»Aber gern! Es is mir ja die größte Ehr!« Die Försterin wußte vor Freude und Verwirrung nimmer, was sie beginnen sollte. »Jesus, wann ich nur auf so was gfaßt gwesen wär! Da hätt ich aufkocht, ich weiß net was! Und grad heut muß ich so a grings Mittagessen haben. Die Brotsuppen da – ich trau mir's gar net sagen – und Tirolerknödl mit Selchkraut! D' Suppen, mein ich, wär net übel. Aber die Knödl, Herr Graf, die Knödl halt! Soviel sinnieren hab ich müssen, derweil ich kocht hab. Und da hab ich's net gwissenhaft gnug mit die Knödl gnommen. Wenn s' Ihnen nur net drucken! Jesus Maria! Dös wär mir 's ärgste!«

»Ich kann mir was ärgers denken!« Unter müdem Lächeln schob sich Graf Egge hinter den Tisch. »Wenn alles andre so leicht hinunterging wie gschmalzene Knödl. Also Mutter, geben S' den Löffel her!«

»Jesses ja! An Löffel! Wo hab ich denn mein Kopf!« Die Horneggerin rannte in die Kammer hinaus.

»Habt ihr schon gebetet?« fragte Graf Egge, während er die Füße unter den Tisch streckte.

Franzl brachte keinen Laut heraus und nickte nur.

Graf Egge lehnte sich an die Wand zurück, verschlang die Hände über dem Gurt der Lederhose, sprach halblaut ein Vaterunser und bekreuzte sich; dann griff er über den Tisch, faßte den Blechlöffel der Horneggerin, wischte ihn am Zipfel des blauen Tischtuches ab und fuhr in die Schüssel. »Schieß los, Franzl!«

Als die Försterin kam, mit dem silbernen Patenlöffel ihres Buben und einem blanken Hirschhornbesteck, das sie vor Jahren auf dem Münchener Oktoberfest im Glückshafen gewonnen hatte, war die Suppenschüssel schon halb geleert. »Packen S' wieder ein, Mutter!« sagte Graf Egge und behielt den Blechlöffel.

Mit Zittern und Bangen trug die Horneggerin das Kraut und die Knödel auf; doch das derbe Gericht erwarb sich so ausgiebig die Gnade des Gastes, daß Franzl und seine Mutter zu kurz kamen. Da fand die Försterin unter scheuem Lächeln sogar den Mut zu der Bemerkung: »Mir scheint, Herr Graf, sie schmecken Ihnen?«

»Prämieren tät ich Ihnen grad net für so an Exemplar. Aber der Hunger treibt Bratwürst nunter. Ich hab harte Fasten hinter mir.«

»O mein Gott, gelt, vor lauter Kümmernis haben S' nix mehr essen können?« Die Augen der Horneggerin füllte sich wieder mit Tränen. »Dös kenn ich, wie so was is! Und wie so an Unglück nur kommen kann! Gestern noch's lachende Leben, und heut der ewige Schlafe! Da wär's kein Wunder, wann der Mensch zittert vor jeder Stund, und wann er ›Gott sei Dank‹ sagt hinter jedem Tag, der glimpflich vorbeigangen is!«

Eine Weile noch hörte Graf Egge den herzlich gemeinten Jammer der alten Frau geduldig an. Dann legte er plötzlich die Gabel nieder, würgte den letzten Bissen hinunter und erhob sich. »Mach' fertig, Franzl, ich wart' im Hof!« Er reichte der Horneggerin, die erschrocken verstummte, die Hand über den Tisch. »Vergelts Gott, Mutter!« Dann griff er nach seiner Büchse und verließ die Stube.

Franzl schob sich aus der Bank heraus. Da nahm die Horneggerin sein Gesicht zwischen die Hände. »Bub! Was sagst! Gestern hast mich in deiner Kümmernis erbarmt, daß ich mir 's Herz hätt aussireißen können. Und heut is alles wieder gut!«

Franzl nickte; dabei sprach aus seinen Augen etwas, das mit dieser Zustimmung nicht harmonieren wollte. Er umschlang die Mutter und schmiegte die Wange an ihr graues Haar. So standen sie eine Weile, bis Franzl aufatmend sagte: »Jetzt mußt mich auslassen. 's Warten hat er net gern.« Er rannte zur Stube hinaus. Eine Minute später kam er die Treppe herunter, fertig für den Berggang. Die Mutter wollte ihm die Stirn mit Weihwasser besprengen, aber bei Franzls Eile gingen die heiligen Tropfen daneben.

Graf Egge trommelte schon mit dem Fuß und drängte: »Vorwärts! Vorwärts!«

Mit langen Schritten wanderte das Paar davon, an den welken Hecken entlang.

Als sie die Wiesen überschritten und zu den dichter stehenden Häusern des Dorfes kamen, klang hinter ihnen ein Gewinsel, Gebell und Geheul, das sich näherte und immer lauter wurde. Franzl drehte das Gesicht: »Um Gottes willen, Herr Graf! Was kommt denn da daher?«

Mit Springen und Stürzen, Überschlagen und Kollern näherte sich ein lebendig scheinender Knäuel von flatternden Leinwandfetzen und lang nachschleifenden Bändern, die sich durcheinanderringelten wie kämpfende Schlangen. Je näher das seltsame Ungeheuer kam, desto deutlicher ließen sich die wirbelnden Füße, der zuckende Kopf und die schlagende Rute des Hundes erkennen, der als heulender Kern in dieser absonderlichen Schale steckte.

»Jesus Maria! Herr Graf! Unser Hirschmann! Der is dem Tierarzt durchbrennt, hat heimgsucht und is auf unser Fährten kommen!« Franzl legte den Bergstock und die Büchse ab und rannte dem Hund entgegen. »Hirschmanndl! Hirschmanndl! Da komm her! Ja Hirschmanndl! Was is denn mit dir? Wo kommst denn her?«

Wie der Hund in seinem zerzausten Spitalgewand herangeschossen kam; wie er in winselnder Freude an dem Jäger emporzuspringen versuchte, sich in die schlagenden Fetzen verwickelte, laut heulend stürzte und fröhlich bellend wieder aufsprang; wie Franzl ihn haschen wollte und nur die flatternde Bandage zu fassen bekam, aus der sich der Hund unter Geheul und Gezappel vollends hervorkugelte; wie der Jäger nun selbst zu Boden taumelte und der befreite Hund mit ungestümer Liebkosung über ihn herfiel – das war ein so drolliger Anblick, daß Graf Egge lachen mußte. Aber dieses Lachen schien ihn zu schmerzen, denn er preßte die Hand an den Hinterkopf.

Auch Franzl lachte. Die lärmende Freude des treuen Tieres ließ ihn des Kummers vergessen, den auch die Aussöhnung mit seinem Jagdherrn nicht hatte beschwichtigen können. Auf der Erde sitzend, hielt er den zappelnden Hund umschlungen und blickte lachend zu Graf Egge auf: »Jetzt, Herr Graf, jetzt sind wir wieder alle beinander!«

»Alle? Da fehlt noch viel, scheint mir!« Dem Grafen war das Lachen vergangen. Nun erkannte der Hund auch ihn, riß sich aus den Armen des Jägers und kam gesprungen. Mit zerstreuter Freundlichkeit tätschelte ihm Graf Egge den Kopf; dabei wurde das Tier ruhig und zog den Schweif ein.

In Franzl erwachte die Sorge, ob der Hund auch völlig geheilt wäre; Hirschmann ersparte dem Jäger die nähere Untersuchung; als Graf Egge sich in Gang setzte, übersprang der Hund eine Planke und sauste wie verrückt auf den Wiesen herum; dabei schüttelte er immer wieder das Fell, drehte sich im Kreis und schnappte mit den Zähnen nach seinen Flanken.

»Der is freilich gsund! Ja!« meinte Franzl. »Aber d' Haut muß ihn spannen. Vom Verband hängt ihm noch 's ganze Fell voller Pech.«

Während die beiden das Dorf durchschritten, drehte sich ihr Gespräch nur um den Hund, der bald vor, bald hinter ihnen seine vergnügten Sprünge machte. Die Leute, die ihnen begegneten, grüßten scheu und mit großen Augen. Immer huschte, wenn Franzl sich für einen Gruß bedankte, eine dunkle Röte über sein schmal gewordenes Gesicht. So erreichten sie den Ländeplatz. Der Seewirt, der auf der Veranda mit einem Touristen plauderte, kam gelaufen und zog die Mütze.

»Seewirt!« Graf Egge hatte die Hand auf Franzls Schulter gelegt. »Ich habe leider hören müssen, daß im Dorf ganz unqualifizierte Redereien über den Hornegger umhergetragen werden. Das ist böswilliger Quatsch. Hornegger hat sich im Dienst nicht das geringste zuschulden kommen lassen. Wenn ich in grundlosem Zorn eine Übereilung begangen habe, so liegt die Schuld an mir! Ich sage Ihnen das, damit Sie es unter die Leute bringen. Verstanden? Und jetzt mein Schiff!«

Während der Seewirt davoneilte, wechselten Röte und Blässe auf dem Gesicht des Jägers. »Aber Herr Graf! Was machen S' denn für Gschichten! Dös is doch z'viel, Herr Graf!«

»Halt' den Schnabel, du dummer Kerl, du guter! Ich hab' dir einen Treff ins Blut gegeben, jetzt will ich dir auch das rechte Pflaster auflegen. Was ich dem Seewirt gesagt habe, wird umlaufen im Dorf wie ein Windspiel. Und die Leute, die uns heut miteinander gesehen haben, werden ihren Metzen Korn auf deine Mühle schütten. Schau nur, da drüben steht schon wieder einer und reißt das Maul auf!«

Als der Bauer, der inmitten der Straße stand, die Aufmerksamkeit der beiden Jäger auf sich gerichtet sah, wandte er sich ab und ging seiner Wege. Es war der Bruckner. Bevor er um die Ecke bog, warf er noch einen scheuen Blick zu den Bergen hinauf, als wäre dort oben für ihn ein Gegenstand der Sorge.

Franzl war merkwürdig still geworden. Während der ganzen Fahrt über den See sprach er keine Silbe und guckte so schwermütig vor sich hin, als hätten die Ereignisse der vergangenen Stunde seinen Kummer um kein Härchen erleichtert.

Neben dem Wetterbach stiegen sie aus. Franzl, den das eigene Schweigen zu drücken begann, versuchte zu plaudern; doch er schwieg wieder, als er merkte, daß sein Her nicht hörte. Erregung wühlte in Graf Egges Zügen. Während sie an der Klause vorübergingen, hielt er das Gesicht abgewandt; als sie den Wildbach überschritten hatten und über einen steilen Hang emporgestiegen waren, blieb er stehen und sah mit funkelnden Augen zurück. Über die welkenden Kronen der Ahornbäume ragte das Dächlein der Klause hervor. »Wenn sie alle gegen mich stehen? Kann es mich wundern? Sie sind die Kinder dieser Mutter!« murrte Graf Egge, ohne sich um die Gegenwart des Jägers zu kümmern. In der Sonne leuchtete die Marmortafel mit der Inschrift: »Hier wohnt das Glück!« Graf Egge faßte mit zornigem Griff die Büchse. Der Schuß krachte, und von der Kugel getroffen, stürzten die Trümmer der zersplitterten Marmortafel mit dumpfem Klatsch zu Boden.

»Herr Graf!« stotterte Franzl. »Um Gotts willen, was treiben S' denn?«

Ohne zu antworten, warf Graf Egge die Büchse über den Rücken und stieg bergan.

Nach dreistündiger Wanderung erreichten sie die Almen. Die weiten, gelblichen Grasgehänge dehnten sich still und öde – während der letzten Tage hatten die Sennerinnen mit ihren Herden die im Seetal liegenden Niederalmen bezogen.

Die Schatten des Abends wurden lang, als der Weg der beiden Jäger zu Ende ging und hinter dem Latschenwald das silbergraue Schindeldach der Dippelhütte hervortauchten. Bei der letzten Biegung des Pfades blieb Graf Egge plötzlich stehen, und in aufbrausendem Zorn klang seine Stimme: »Was will das Weibsbild in meiner Hütte? Das sieht ihm gleich, dem gottverlassenen Kerl, daß er auch noch karessiert in meinem Bett! Und heute!«

Franzl, den die Gedanken an die bevorstehende Begegnung mit Schipper beschäftigt hat, blickt auf. »Was is denn, Herr Graf?«

»Hast du das Weibsbild nicht gesehen, das aus der Hütte kam?«

Der Jäger schüttelt den Kopf.

»Die Person muß ein schlechtes Gewissen haben. Ich hab' es deutlich gesehen, daß sie vor uns erschrocken ist. Warum nimmt sie Reißaus? Warum macht sie den Umweg über die Latschen, über den Steig da droben? Lauf zurück und schneid ihr den Weg ab! Ich will wissen, wer es war, und was sie in meiner Hütte zu suchen hatte.«

Die Büchse in der Hand, lief Franzl über den Pfad zurück. Eine weiße Schürze schimmerte zwischen den Latschen. Er machte noch ein paar lautlose Sprünge. Und nun standen sie voreinander, alle beide zu Tod erschrocken, mit blassen Gesichtern.

»Mali? Du!«

Das Mädel zitterte.

Und Franzl griff an seinen Hals. »Der Herr Graf – gsehen hat er dich – und wissen möcht er –«

Es brannte heiß über Malis Wangen, und wie in Freude stammelte sie: »Der Graf? Und du? Und bitt dich, so red doch, bist denn wieder im Dienst? Und is denn alles wieder in Ordnung?«

Er sah sie betroffen an. Ihre Freude hatte zu deutlich gesprochen, um nicht verstanden zu werden. Aber Franzl hatte während der vergangenen Tage seinen Verstand so bös zergrübelt, daß er keinen ruhigen Gedanken, keinen vernünftigen Schluß mehr fertigbrachte. »Ob ich wieder mein Dienst hab? Warum willst es denn von mir erfahren? Dös hättst doch grad so gut vom nämlichen hören können, der dir selbigsmal so gschwind hat sagen lassen, daß ich gschaßt worden bin. Bis gestern hab ich noch allweil studiert, wie's möglich war, daß die Katz der Maus vorausgsprungen is? Aber gestern is mir a Lichtl aufgangen – seit ich ghört hab, was für a Bsuch bei dir ans Fenster klopft hat. Aber der hat 's Türl schön offen gfunden? Freilich, der hat sein sicheren Posten!«

Mali verfärbte sich, und dennoch atmete sie auf, als wäre ihr eine Sorge von der Seele gefallen.

Dem Jäger wurde die Stimme heiser. »Und gar net schenierst dich? Geht's allweil so bei dir? Bald aussi, bald eini, wie der Kapaziner im Wetterhäusl?« Bei aller Entrüstung, die in ihm wühlte, trieb ihn doch sein Herz, dem häßlichen Raben ein bißchen was von seiner Schwärze zu nehmen. »Hat dir's dein Bruder eingeben? Du sollst den Verstand a bißl walten lassen?«

»Franzl? Was hast denn?« fragte Mali tonlos. »Der Bruder hat nix z'schaffen mit meiner Sach. Ich bin selber so gscheit gwesen. Ich hab mir halt denkt –«

»Denkt hast? So? Denkt?« Franzl lachte und rieb den Hut hin und her. »No schau, jetzt hab ich ja wieder mein Posten! Und wie mich gsehen hast mit der Büchs, man könnt schier glauben, es hätt dich gfreut? Da willst am End gar wieder umsatteln? Viel bild ich mir net ein auf mich. Aber es könnt schon sein, daß dir's lieber wär: der Posten und ich, als der Posten und der ander dazu?«

In der Brucknermali schien der empfindliche Apparat zu versteinern, mit dem die Menschenkinder zu denken pflegen.

Und Franzl lachte, daß es ihm naß aus den Augen sprang. »Viel Zutrauen mußt aber nimmer ghabt haben zu meiner Repatazion! Sonst hättst dich net gar so tummelt, daß dem andern sein' Bsuch wieder heimgibst! Und fein hast dir 's Stündl ausgsucht. Wo er allein in der Hütten war und der Graf beim Gräbnis drunt!« Erschrocken griff sich Franzl hinter's Ohr. »Mar' und Joseph! In meiner Narretei vergiß ich ganz, warum ich dasteh!« Er richtete sich auf. »Mich geht ja die ganze Gschicht nix an! Der Herr Graf möcht wissen, was du in seiner Hütten suchst?« Da schwankte ihm wieder die Stimme. »Und was du mit'm Schipper hast?«

Mali tappte mit beiden Händen nach dem Kopf, als hätte sie Sorge um ihren gemarterten Verstand. Man konnte ihr's ansehen, wie schwer sie die Ausrede fand, nach der sie suchte. »Rasten hab ich müssen, a bißl rasten halt! Sonst hab ich nix in der Hütten gsucht. Bloß rasten hab ich müssen.«

»Rasten? So? Was hat dich denn gar so müd gmacht?«

»Bei der Sennerin bin ich gwesen.«

»So? Bei der Sennerin? Die schon abtrieben hat?«

Ratlos guckte Mali über die stillen Almen hinunter; dann schlug sie den Arm über die Stirn, stolperte über den Grasrain auf den Jägersteig und ging davon.

»Komm gut heim! Dein Weg wird finster!« rief Franzl ihr mit zerdrückter Stimme nach. »Oder soll ich dir leicht den Schipper schicken, daß er dich führt?«

Mali griff nach einem Latschenzweig und drehte das Gesicht; es war entstellt. »Franzl! Nimm dich vor'm Schipper in acht!« Wie von Sinnen rannte sie davon.

Franzl stand so betäubt, als hätte er einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen. Da hörte er einen gellenden Fingerpfiff. »Jesses na!« Er begann zu springen.

Graf Egge empfing ihn mürrisch. »Was ist denn mit dir? Ich wart' mir da die Seel' heraus! Wo bleibst du so lang?«

»Gredt hab ich mit'm Madl,« keuchte der Jäger atemlos, »ich bitt um Entschuldigung.«

Bei Graf Egge schien der Zorn über die weiße Schürze sich schon gelegt zu haben; er nahm die Wanderung wieder auf und fragte zerstreut: »Wer war es?«

Der Name wurde für Franzl eine zähe Sache. »Die Bruckner-Mali.«

»So? Die ist wieder im Dorf? Ihr Bruder, sagt Moser, wär' früher nicht sauber gewesen? Wie kommt das Mädel jetzt in meine Hütte?«

»Rasten hat's müssen, bloß a bißl rasten! Sonst nix, Herr Graf!«

»Rasten? Die soll sich ein andermal auf den Kuhsteig setzen, nicht auf meine Bank!« Damit war die Sache erledigt – wenigstens für Graf Egge.


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