Ludwig Ganghofer
Schloß Hubertus
Ludwig Ganghofer

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10

Die herbstlichen Frühnebel, die einen schönen Tag versprachen, verzogen sich langsam über den Wipfel des Parkes, als um die neunte Morgenstunde alle Glocken des Kirchturms zu läuten begannen. Der Platz vor dem Schlosse war schwarz von Menschen. Aus dem Dorf und allen benachbarten Ortschaften waren die Bauern zusammengeströmt und rissen die Augen auf, als sie den feierlichen Prunk des Kondukts unter den getragenen Klängen des Trauermarsches sich entwickeln sahen. Die Mannsleute musterten neugierig die Pferde mit den nickenden Federbüschen, während die Neugier der Weiber und Mädchen den uniformierten Fackelträgern und den in schwarze Seide gekleideten Pagen galt. Hinter dem Sarge gingen Graf Egge und Robert mit vier Offizieren, die Willys Regiment geschickt hatte. An die Honoratioren schloß sich der Schwarm der Dorfbewohner an. Unbekümmert um Choral und Trauermarsch, beteten sie nach ihrer Gewohnheit mit lauten Stimmen und hatten dabei für alles ein Auge, besonders für den Adlerkäfig, an dem der Zug vorüber mußte. Eng aneinander gedrückt saßen die fünf Vögel auf der höchsten Stange und drehten unruhig die Köpfe mit den blitzenden Augen.

Im Gottesacker gab es eine lange Feier; nach der Grabrede des Geistlichen sprach einer der Offiziere, und dann fielen die Sänger ein: »Es ist bestimmt in Gottes Rat –«

Graf Egge schien nicht zu sehen, nicht zu hören, bis ihm der Geistliche die kleine Schaufel reichte, schon mit Erde gefüllt. Polternd fiel die Scholle über den Sarg. Dann nahm die Schaufel ihren Weg durch hundert Hände. Als die Bauern sahen, daß die Offiziere, wenn sie die Schaufel weiterreichten, auf den Grafen zutraten und ihm die Hand drückten, befolgten sie dieses Beispiel mit würdevoller Umständlichkeit – und Graf Egge bekam blaue Finger von der Teilnahme, die sich mit derben Fäusten an ihn herandrängte.

Hinter dem Rücken der Bauern, die sich vor dem Grafen hin und her schoben, kam einer scheu bis zum Grab geschlichen, faßte mit der Hand einen Brocken Erde, ließ ihn hinunterfallen in die Grube und wollte wieder gehen.

Graf Egge gewahrte ihn. »Franzl!« rief er mit erloschner Stimme. »Komm her! Gib mir die Hand!«

Es schüttelte den Jäger, als hätte ein Krampf seine Schultern befallen. Dem Grafen, der diesen ehrlichen Kummer erkannte, ging die kalte Ruhe in heißer Rührung unter, und er begann zu weinen. Robert, von dieser Schwäche des Vaters peinlich berührt, zischelte dem Geistlichen ein paar Worte zu, worauf der Hochwürdige Herr den Jäger beiseiteschob und den Arm des Grafen nahm. »Kommen Sie mit mir in die Kirche, Erlaucht, bei Gott ist Trost, nicht bei Menschen.«

Die Glocken läuteten zum Totenamt, und während das Grab geschlossen und der Hügel mit den hundert Kränzen bedeckt wurde, füllten sich alle Bänke der Kirche.

In einem Winkel neben dem Portal stand der Seewirt und wartete, bis sich der Gottesacker geleert hatte; dann drückte er den Hut übers Haar und rannte davon.

Wenige Minuten später kam vom Seehof ein geschlossener Landauer gefahren und hielt vor der Kirchenmauer. Der Seewirt, der neben dem Kutscher auf dem Bock saß, sprang herunter und öffnete den Schlag.

Tassilo stieg aus. Er schien seine Bewegung gewaltsam niederzukämpfen, doch sie redete aus einem entstellten Gesicht. Als er zwischen den Grabsteinen und eisernen Kreuzen den blumigen Hügel sah, stockte sein Schritt.

In der Kirche klangen rauschende Orgeltöne und die Stimmen des Chorgesanges; aus einem offen stehenden Fenster quoll der Duft des Weihrauchs, und über den Scheiben flimmerte ein Widerschein der brennenden Kerzen.

Man hatte schon zur Wandlung geläutet, als Tassilo den Friedhof verließ, in der Hand einen kleinen Zweig mit welkenden Blumen, den er von Kittys Kranz gebrochen hatte.

Vor dem Wagen nickte er dem Seewirt zu. »Ich danke Ihnen!« Er stieg ein und sagte heiser: »Den Brief an meine Schwester besorgen Sie selbst, nicht wahr?«

»Jawohl, Herr Graf.«

»Jetzt, noch ehe die Messe zu Ende ist?«

»Sofort, Herr Graf.«

Der Seewirt schloß die Wagentür und schlug, während die Kutsche davonrollte, in flinkem Gange die Richtung nach Schloß Hubertus ein.

Die Orgel rauschte. Und als die von München verschriebenen Sänger ein schönes Lied begannen, zwitscherten die Vögel auf allen Akazienbäumen des Friedhofes.

Unter dem Schlußgeläut der Glocken wanderte Graf Egge mit Robert und den Offizieren die Straße hinaus. Schweigend traten sie in den Park, und je mehr sie sich dem Schlosse näherten, desto längere Schritte machte Graf Egge, so daß Robert und die Offiziere hinter ihm zurückblieben. Als er den Flur betrat, warf er den Zylinder in einen Winkel und riß den schwarzen Rock herunter.

»Moser! Bring' mir mein Jagdzeug, die Schuhe Modell 64! Flink!« Er trat in die Kruckenstube.

Moser sprang, daß ihm der Kopf rot wurde. Nach zwei Minuten hatte er alles beisammen: Joppe, Flanellhemd, Lederhose, Wadenstutzen und Schuhe. Während er seinem Herrn beim Umkleiden behilflich war, wollte er seinem Jammer Ausdruck geben.

»Schweig!« fuhr ihn Graf Egge an. Als er sich bückte, um mit den nackten Füßen in die Schuhe zu schlüpfen, fiel sein Blick unter das Bett. Er wurde unruhig und kaute am Schnurrbart. Dann sagte er plötzlich: »Da drunten liegt was. Her damit!«

Moser kroch unter das Bett. »Jesus Maria, das schöne Gwichtl!« Mit kreideblassem Gesicht brachte er seinem Herrn die beiden Hälften des entzweigebrochenen Geweihes und stotterte: »Meiner Seel, Herr Graf, ich hab dös Gwichtl mit keiner Hand net angrührt!«

Graf Egge griff zögernd nach den beiden Stücken und betrachtete sie. »Was kann das Geweih dafür?« Er reichte dem Büchsenspanner die Stücke. »Flick' die Schale wieder zusammen! Gib dir Mühe, daß man den Schaden nicht merkt. Dann male mir ein schwarzes Kreuz darauf und häng' das Geweih dort über mein Bett!« Diese Entscheidung schien sein gepreßtes Gemüt erleichtert zu haben. Er fuhr aufatmend in die Joppe. »Den Hut und die Büchse!« Ehe Moser zur Tür kam, fragte Graf Egge: »Warum kommt die kleine Geiß nicht herunter zu mir? Weiß sie nicht, daß ich schon daheim bin?« Der Jäger stotterte ein paar Worte. Graf Egge hörte nicht. »Die arme Schmalgeiß! Sie muß eine böse Stunde gehabt haben, so allein daheim!« Mit dem Ellbogen schob er den Jäger beiseite und verließ die Stube.

Im Flur hörte er aus dem Billardzimmer die Stimmen Roberts und der Gäste. Einen Augenblick zögerte er, als käme ihm die Pflicht des Hausherrn zum Bewußtsein. Unter einem Laut des Widerwillens verzog er das Gesicht und stieg die Treppe hinauf.

»Grüß' dich Gott, Geißlein! Da bin ich wieder!« sagte er, als er in Kittys Zimmer trat. »Eine bittere Stunde war's. Auch das hat überstanden sein müssen! – Geiß? Warum siehst du mich so merkwürdig an?«

Kitty stand mit dem Rücken gegen das Fenster; in ihrem beschatteten Gesicht brannten die Augen, die starr am Vater hingen.

Dieser Empfang verdroß ihn. »Ach so? Vielleicht, weil ich schon wieder in den Ledernen stecke? Ich hätte wohl bleiben sollen? Das stimmt. Aber ich halt es hier nicht aus. Das Dach erstickt mich. Und ich rieche immer die verwünschten Kerzen! Ich muß hinauf. Muß die Büchse in der Hand spüren, wenn ich Trost finden will. Muß Berge sehen! Wild!« Da gewahrte er den Brief in Kittys Hand. »Was hast du da?«

Wortlos reichte sie ihm das Blatt.

Er nahm es. Das Blut schoß ihm dunkel in die Stirn, als er die Schrift erkannte. Und dieser Schrift war es anzumerken, daß der Brief in Minuten der furchtbarsten Erregung geschrieben war. Er lautete: »Meine gute Schwester! Draußen läuten für den armen Jungen die Glocken, und ich sitze im Seehof und versuche zu schreiben. Du sollst wissen, daß ich kam. Wie mich das Entsetzliche getroffen hat, dafür hab' ich kein Wort. Es wird dir nicht anders ums Herz sein als mir. Anna wollte mich begleiten, auch auf die Gefahr hin, sich versteckt halten und eine demütige Rolle spielen zu müssen. Das litt ich nicht und kam allein. Ich habe dabei nur an dich gedacht und an den Vater, an seinen Kummer und an meine Pflicht, euch beiden eine Stütze zu sein. Wie hätt' ich mir denken können, daß man es mir verwehren würde, den Bruder auf seinem letzten Weg zu begleiten und dich zu sehen! Um so tiefer hat mich das getroffen. Ich will gegen Papa nicht klagen, aber es war nicht gut, daß er Robert schickte. So hab' ich zwei Brüder an einem Tag verloren. Robert hat mich so tief verwundet, daß ich von ihm gelöst bin fürs Leben. – Wie ein Dieb muß ich mich an das Grab des Bruders schleichen, während Papa in der Messe ist. Und muß fort, ohne dich gesehen zu haben! Wie soll das nun weiter kommen? Alles über mich, in Gottes Namen, wenn nur die Sorge um dich in meinem Herzen schweigen möchte! Jetzt darf ich dir auch nicht mehr sagen: Wenn du meiner bedarfst, so komm zu mir! Nur denken darf ich an dich, für dich alles Glück erhoffen, das du verdienst. Und in Gedanken dich an mein Herz drücken, dich küssen wie jetzt. – Dein Tas.« Der Brief hatte noch eine Nachschrift: »Verbrenn dieses Blatt.«

Graf Egge legte den Brief auf die Tischplatte und sagte rauh: »Wer auf der einen Seite ein Loch gräbt, muß auf der anderen Seite den Hügel aufwerfen. Dir gibt er doppelt als Bruder, was er als Sohn den Vater entbehren ließ. Du hättest seine Nachschrift befolgen sollen. Es wäre besser gewesen!«

Kitty stand regungslos, ohne Tränen. »Ich wollte, daß du lesen solltest.«

»Wozu das? Willst du wieder den Sturmbock deiner schwesterlichen Zärtlichkeit für ihn einlegen, wie gestern?«

»Nein, Papa! Ich wollte an dich nur die Frage richten, ob es mit deinem Willen geschah, was Robert tat?«

»So? Und wenn es so wäre? Was willst du sagen dagegen?«

»Nichts, Papa!« Kittys Augen hingen mit einem Blick unsäglicher Trauer am Vater. »Nichts – oder mehr, als gut wäre für dich und mich!« Sie rang nach Atem. »Nein! Nicht heute. Das wäre unmenschlich!« Mit zitternden Händen griff sie an ihre Schläfe. »Ich bin dein Kind, und du bist mein Vater.«

Die Brauen furchend, trat Graf Egge zurück. »So? Das fällt dir also auch noch ein? Viel ist es freilich nicht, was nach alles Zärtlichkeit für den anderen noch übrigbleibt für mich. Und zu sprechen brauchst du nicht. Ich habe schon mehr als genug gehört. Und meine Antwort darauf –« Ein Blick in Kittys Augen ließ ihn verstummen. Er zerrte die Hände durch den Bart und ging mit den klappenden Nagelschuhen ein paarmal im Zimmer auf und ab. Sich gewaltsam beherrschend, blieb er stehen. »Vielleicht hast du recht. Das ist heute nicht der richtige Tag. Ehe wir beide miteinander ins klare kommen, brauchen wir Zeit, um ruhig zu werden.« Je länger er Kitty betrachtete, desto mehr verloren seine Worte den gereizten Klang. »Das wird sich leichter machen, wenn wir Luft zwischen uns beide legen. Ich geh in meine Hütte hinauf, und du – versteh' mich nicht falsch, das ist nichts anderes als eine vernünftige Überlegung – Onkel Benno in Eggeberg erwartet dich ohnehin mit Ende des Monats, er wird sich freuen, wenn du ein paar Wochen früher kommst. Dort hast du Zeit, über alles nachzudenken. Dann wähle zwischen dem anderen und mir. Ich hoffe, du wirst das Rechte finden!« Er legte die Hand auf ihre Schulter. »Du sollst mir bleiben, Geiß! Aber ich will dich ganz haben. Halbheiten vertrag' ich nicht. Und jetzt genug! Wenn du willst, kannst du schon morgen abreisen. Ich sitze dann auch ruhiger in meiner Hütte droben. Auch steht die Hirschbrunft vor der Tür, und da hätt' ich ohnehin keine Zeit für dich. Wo ist die Kleesberg? Ich will die Sache mit ihr in Ordnung bringen.«

Gundi Kleesberg erschien auf der Schwelle des anstoßenden Zimmers. »Ich habe bereits gehört!«

Dieser Ton, die Erregung, die aus Tante Gundis Haltung sprach, und ihre strafenden Augen schienen Graf Egges Verwunderung zu wecken. Er war gewohnt, die Kleesberg in seiner Nähe das zitternde Kaninchen spielen zu sehen. »Oho! Sie haben ja Feuer unter dem Dachstuhl, scheint mir! Was ist Ihnen über die Leber gelaufen?«

»Meiner Sprache fehlt es zwar an den höchst gewählten Bildern, wie Erlaucht sie zu gebrauchen belieben. Aber wenn Sie mir eine Unterredung unter vier Augen gewähren wollen, hoffe ich doch, ein paar bezeichnender Worte zu finden.«

Graf Egges Erstaunen wuchs. »Ach so? Sie sind gegen mich geladen? Und wie ich merke, bis an den Hals. Nur losgeschossen! Ich habe kein Geheimnis mit Ihnen. Sie können auch hier sprechen.«

Ich bedaure, daß mir die Gegenwart der Komtesse eine Rücksicht auferlegt, deren Notwendigkeit Erlaucht nicht zu empfinden scheinen – wie mich der Ton des Gespräches vermuten läßt, dessen unfreiwillige Zeugin ich leider wurde. Ich, Erlaucht, weiß, wie ich mit Ihrer Tochter zu sprechen habe. Ich bin nur ihre mütterliche Freundin. Aber ich glaube, mein Herz würde das Richtige um so besser finden, wenn sie mir gegenüberstünde als mein leibliches Kind!«

Kitty wankte auf Gundi Kleesberg zu und legte unter flehendem Blick die Hand auf ihren Arm.

Nun schien Graf Egge zu verstehen. Seine Augen wurden klein, und dick schwollen die Adern an Hals und Schläfen. »Moderieren Sie sich, meine Beste! Ich spreche zu meinen Kindern, wie es mir beliebt. Wenn Sie den unwiderstehlichen Trieb zu einer Vorlesung verspüren, so predigen Sie doch lieber Ihrem eigenen Gewissen! Wenn sich das Mädel heute nicht klar ist über den Platz, an den meine Tochter gehört, so liegt die halbe Schuld an Ihnen!«

Gundi Kleesberg wollte sprechen, aber sie kam nicht zu Wort.

»Auf die Mühe, dem Mädel die Pflichten eines Kindes klarzumachen, scheinen Sie nicht viel Zeit verwendet zu haben. Daß es so kommen wird, da hätt' ich voraussehen können. Die Historie Ihrer Jugend war für Sie nicht die beste Empfehlung. Sie wissen, was ich meine. Und jetzt hab' ich die Bescherung! Dazu hab' ich mitgeholfen. Ich hätte mir sagen müssen, daß Sie viel eher die geeignete Person wären, um in dem Kind das Blut der Mutter zu wecken, statt Respekt und Liebe für den Vater. Jetzt rate ich Ihnen, in Eggeberg, nachzuholen, was Sie in Hubertus versäumt haben. Gottbefohlen!« Mit klappernden Schritten, von denen jeder sie Spur der genagelten Sohle auf den Dielen zurückließ, ging Graf Egge aus dem Zimmer.

Die Kleesberg taumelte auf einen Sessel und bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Das ist zuviel! Ich bleibe keine Minute mehr. Und wenn ich betteln und hungern müßte! Ehe ich bei einem solchen Menschen bleibe – lieber zurück ins Stift, in diese Hölle!« Da begegnete ihr Blick den Augen Kittys, und alle Empörung war verflogen; nur Schmerz und Erbarmen blieben zurück, und sie stammelte unter Tränen: »Ach du mein liebes, gutes Kind! Wie kann ich denn nur das dumme Zeug da reden! Nein! Nein! Ich bleibe. Und wenn er mit Fäusten auf mich losschlägt! Wen hättest du noch, wenn auch ich mich vertreiben ließe! Ich halte stand! Und ich weiß, was ich tue!«

Kitty schien nicht zu hören. Dann hob sie langsam die Augen. »Was meinte Papa, als er von meiner Mutter sprach? Es war ein Ton, der mir das Herz zerriß. Was wollte er sagen damit?«

Gundi Kleesberg erschrak und stotterte einen Schwall von Ausreden.

Kitty schüttelte den Kopf. »Sag' es mir! Es läßt mir keine Ruhe mehr. Ich hab' es gefühlt: er hat übel geredet von meiner Mutter. Hat er ein Recht dazu?«

Während die Kleesberg ratlos nach Worten suchte, ging Graf Egge unter dem Fenster vorüber, den Bergstock in der Hand, die Büchse auf dem Rücken.

Finster musterte sein Blick den weißen Kiesgrund, der zerwühlt war von hundert Füßen. Welke Blumen, die von den Kränzen abgefallen, lagen umhergestreut, und am steinernen Rand des Springbrunnens war eine Stelle dick mit rotem Wachs betropft. Graf Egge machte lange Schritte. Als er die Ulmenallee erreichte, kam Robert ihm nachgelaufen. »Aber ums Himmels willen! Papa! Du wirst jetzt doch nicht auf die Hütte gehen?«

»Willst du mich daran hindern?« Graf Egge griff an die Joppentasche, ob er die Patronen nicht vergessen hätte.

»Aber ich bitte dich, was soll ich denn unseren Gästen sagen? Du bringst mich den Herren Kameraden gegenüber in eine so klägliche Situation –«

»Sonst hast du keinen Schmerz? Na, dann steht es nicht schlecht um dich. Sag' ihnen, was du willst! Du wirst die wohlschmeckende Ausrede leicht finden, wie du heute früh vor dem Gitter da draußen das bitterste Wort gefunden hast.«

Robert starrte den Vater an, mehr verblüfft als beleidigt. »Ich möchte doch ersuchen, Papa –«

»Schweig! Ich mache dir keinen Vorwurf. Die größte Niederträchtigkeit bei der Geschichte hab' ich selbst begangen, weil ich dich schickte. Über den Rest deines Urlaubs kannst du ohne Rücksicht auf mich verfügen. Den schuldigen Abschied nehm' ich als empfangen an. Du wirst ja wohl so bald nicht von dir hören lassen? Da du über deine Apanage hinaus um Geld nicht mehr zu kommen brauchst, wüßte ich nicht, was du mir sonst zu schreiben hättest. Adieu!« Graf Egge zog mit beiden Händen die Lederhose höher an den Leib und schritt davon.

Als er das Adlerhaus erreichte, blieb er stehen, musterte die fünf Vögel und nickte vor sich hin. »Es wird leer. Ich muß für Nachschub sorgen.« Er sah über die Schulter nach Schloß Hubertus zurück. Nun schritt er weiter, die Arme über Lauf und Schaft der Büchse gelegt, und starrte grübelnd vor sich hin. »Sie wird sich besinnen und zu mir halten! Ich such' ihr einen Mann, und das Paar soll mir Leben und Kinder ins Haus bringen. Sie hat Rasse. Das wird Buben geben!«

Um nicht am Zaunerhaus vorüber zu müssen, machte er einen Umweg durch den Wald und suchte auf verstecktem Fußpfad den Friedhof auf. »Gott sei Dank!« murrte er in den Bart, als er den Gottesacker leer sah. Hastig trat er ein und suchte zwischen den Eisenkreuzen das frische Grab.

Leises Gesumm umschwebte den bunten Hügel; der starke Duft dieser tausend Blumen hatte die Bienen herbeigelockt, die auf den herbstlichen Wiesen nur noch spärliche Ernte fanden.

Während Graf Egge auf beiden Knien lag, mit verschlungenen Händen, betrat der Mesner den Friedhof und verschwand in der Kirche.

Es war Mittag, und die Glocke begann zu läuten.


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