Ludwig Ganghofer
Das Gotteslehen
Ludwig Ganghofer

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7

Im Zwielicht des Abends flackerten die Wachskerzen auf den drei kupfernen Kronleuchtern des Kapitelsaales, der mit seiner Säulenreihe und den hohen Spitzbogen sich ansah wie das Doppelschiff einer gotischen Kirche. An der äußeren Langwand führte eine breite Steintreppe hinauf zu den kleinen Gärten, die zwischen dem Stiftsgebäude und der Wehrmauer dem steilen Felsgehänge abgewonnen waren; unter dieser Treppe ging eine Wendelstiege hinunter zum Kreuzgang und zu den Kellern. Drei hohe, mit Schnitzereien verzierte Türen, welche die innere Langwand durchbrachen, verbanden den Kapitelsaal mit dem Refektorium und den Korridoren des Klosters. Zwischen den Türen standen große, schwer mit Eisen beschlagene Schränke, die das kostbare Kirchengerät, die Weihgeschenke fürstlicher Herren und alle wichtigen Urkunden des Stiftes unter Schloß und Riegel verwahrten. Ein mächtiges Rosettenfenster, neben der Steintreppe in die südliche Schmalwand gebrochen, erleuchtete am Tage den langgestreckten Raum, den jetzt in der Dämmerung die hundert flackernden Kerzen nur spärlich erhellten. Licht und Schatten überzitterten die weiß getünchten Wände, deren strenger Schmuck aus einem riesigen, von den Fliesen bis hinauf zum Gewölbe reichenden Kreuzbild und aus roten Marmortafeln bestand, welche die Wappen aller Pröpste zeigten, von Eberwein, dem Gründer des Klosters, bis auf Friedrich von Ortenburg, den zwölften der Pröpste von Berchtesgaden.

Ein klobiges Holzgeländer, stark und hoch, als hätte so feste Schranke ihre guten Gründe, teilte der Breite nach den langen Saal und schied den Platz der dienenden Brüder vom Kapitelraum der Chorherren. Hier standen in zwei Reihen, die eine der anderen gegenüber, an die zwanzig hochlehnige Stühle, jeder mit dem Wappen des Chorherren, dessen Platz der Sessel war. Dem Kreuzbild zu Füßen, auf einer Marmorstufe, stand der Fürstenstuhl, der auf Herrn Friedrich wartete.

Zunächst dem Sessel des Propstes saß Wernherus, schweigend und mit kaltem Lächeln. Immer wieder huschte sein Blick über die Türen hin, während er dem Geplauder der Chorherren zu lauschen schien, die um ihn her standen. Das waren die Würdenträger des Stiftes: Der Jägermeister Siegfried von Schneid, Ulrich von Thurn, der Kämmerer, Herr Rupert von Hohenmoos, der über die Fischweid zu wachen hatte, Pabo und Gunthar, die beiden Kapläne des Münsters, und Konrad von Bergheim, der Kellermeister, einer menschgewordenen Tonne gleichend, mit rot geränderten Backen und kleinen weinseligen Augen.

Ganz zuunterst in der Reihe, gebeugt und wie in Schlaf versunken, saß ein weißhaariger Greis, Dietmar Scharsach. Der hatte einst als rauflustiger Burgherr auf unbezwinglicher Feste gehaust; als ihm aufrührerische Knechte das Weib und drei Töchter ermordet hatten, war ihm die Weltlust vergangen, und er hatte mit seinem Sohne Linhart den Trost der klösterlichen Mauern gesucht. Jetzt waren die beiden nicht mehr Sohn und Vater, sie waren Priester, gleichberechtigte Kapitularen, und nannten einander »Herr Dietmar« und »Herr Linhart«. Aus einem schwermütigen Klosterschüler, dem immer die Tränen in den Augen standen, hatte sich der junge Scharsach im Lauf der Jahre zu einem Manne mit derbem Gesicht und groben Fäusten ausgewachsen, der an das Trauerspiel seines Hauses nimmer dachte und der beste Freund des Kellermeisters war. Man hatte ihn aus der Weinstube zum Kapitel holen müssen, daß er lange dort gesessen, war aus seinem Lachen zu hören.

Zwei andere Chorherren, Otto von Goldeck und Düring von Steflingen, hatten ihre nachbarlichen Plätze eingenommen.

Laut schwatzend standen die drei Heinriche beisammen: der Eschelberger, der von Pühel und der Bruckberger. Einer mit buckliger Schulter, Herr Isengrimm von Niederheim, wanderte zwischen den Stühlen auf und nieder, während die beiden jüngsten Chorherren, Marquard Hausperg und Walter von Wenns, unter kicherndem Gezischel bei der Treppe standen.

Eine bunte Mischung von Gestalten und Köpfen! Neben kräftigen Männern, die der Harnisch besser gekleidet hätte als das weiße Ordensgewand, sah man Gestalten von kränklicher Schwäche und wohlgenährte Herren; neben einem sonnverbrannten Gesicht ein bleiches, neben gallig verdrossenen Mienen energische Züge und runde Vollmondgesichter, denen die Freude am Leben aus den Augen glänzte.

Draußen heulte der Sturm und trommelte der strömende Regen gegen Mauer und Fenster. Das machte jede Stimme laut, die gehört sein wollte. Es war ein Schwatzen und Lachen, als wäre das Kapitel nicht versammelt, um Gericht und Rat zu halten, sondern um eine Lustbarkeit zu beschließen. An einem gereizten Wort, das zum lachenden Ton nicht paßte, und an Blicken, die getauscht wurden, konnte man merken, daß eine ernste Stunde wartete und daß alle wußten, was diese Stunde bringen würde. Wenn solch ein enthüllendes Wort sich hören ließ, genügte ein Wink aus den Augen des Wernherus, um den vorlauten Schwätzer zum Schweigen zu bringen.

Da öffnete sich eine der Türen. Irimbert von Immhof trat in den Kapitelsaal. Er schien die spöttischen Blicke nicht zu gewahren, mit denen man ihn musterte. Nur der bucklige Isengrimm begrüßte ihn freundlich, und der alte Dietmar Scharsach erhob sich, ging müd auf ihn zu und reichte ihm beide Hände. Grobes Lachen übertönte die Stimmen der anderen. Es war der junge Scharsach. Ein höhnendes Wort schien auf seiner Zunge zu liegen. Immer lauter wurde der Lärm.

Die Ungeduld des Wartens verwandelte die erzwungene Heiterkeit in unverschleierten Ärger. Nur Irimbert saß ruhig auf seinem Platz und hörte schweigend an, was ihm der alte Dietmar zuwisperte.

Draußen vor dem Rosettenfenster war es schon dunkler Abend geworden, als der Eschelberger mit rauher Stimme die anderen überschrie: »Wie lange sollen wir noch warten? Ziehet die große Münsterglock! Herr Friedrich muß Wolle in den Ohren haben, weil er nicht hören will.«

»Oder er lauset seinem Falken den Bauch«, rief Linhart Scharsach, »und das kann lang dauern, bis er die letzte gefangen hat. Ein Falk hat mehr Inwohner im Federkleid als der Teufel arme Seelen im Feuer.«

Lautes Gelächter füllte den Kapitelsaal, während der alte Dietmar seinem Sohn entgegentrat: »Schäm dich, Herr Linhart, daß du eine solch' Stallbubenred über deinen Fürsten tust!«

»Wie ein Herr sich führt, so ist die Red über ihn. Du tätest besser auf deinem Sessel sitzen, statt daß du dreinredest in Sachen, für die dein Kopf zu alt ist.«

»Mein Kopf ist alt geworden, ja! Wie er noch jung gewesen, hätt ich ihn mir lieber abschlagen lassen, als daß ich ihn tragen hätt mögen wie du den deinen.«

»Heb das Kinn ein wenig höher, Herr Dietmar! Es tröpfelt dir der müde Zorn auf den seidenen Rock.«

Unwillig trat Wernherus zwischen die beiden. »Haltet Ruh, ihr ewigen Zänker! Da kommt der Herr.«

Propst Friedrich stand auf der Schwelle. Die breite Hutkrempe warf einen Schatten über sein Gesicht, so daß man nicht sah, wohin seine Blicke gingen. Im Saal verstummte der Lärm, die Chorherren nahmen ihre Plätze ein. Man hörte das dumpfe Rauschen des Sturmes, der um die Mauer fuhr. Herr Friedrich entblößte vor dem Kreuzbild das Haupt. Sich wieder bedeckend, stieg er auf die Marmorstaffel. »Ich sehe zwei Stühle, die leer sind. Philipp von Saaleck und Hans Pütrich? Wo sind sie?«

»Sagten sie mir die Wahrheit, so sind sie zum Königssee geritten«, erwiderte Wernherus, »sie erbaten Urlaub. Den gab ich ihnen.«

»Den gibst du nicht gerne sonst. Warum diesen beiden?«

»Weil sie jagen wollten.«

»Oder weil ich im Kapitel zählen kann auf ihre Stimmen?« Herr Friedrich ließ sich auf den Sessel nieder. Abermals entblößte er das Haupt und sprach die lateinische Formel: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes, der uns erleuchten möge! Wir sind versammelt zu Rat und Tat im Dienste Gottes, dem wir hörig sind als gläubige Knechte.« Er betrachtete die Gesichter, und ein Lächeln spielte um seinen Mund. »Der Himmel gieße gerechte Milde in unsere Seelen, frommen Mut in unsere Herzen und gebe Erkenntnis unseren irdischen Sinnen. Flehet um solche Gnade und beginnet die ernste Stunde mit Gebet!«

Gunthar und Pabo, die Kapläne, sprachen die Sätze des Gebetes vor. Bequem in ihren Lehnstühlen sitzend, fielen die Chorherren mit lauten Stimmen ein. Nur Immhof schwieg. Herr Friedrich lächelte noch immer. Als der Choral begann, bei welchem Heinrich von Eschelberg und der junge Scharsach die rauhen Stimmen hoben, als möchten sie den Gesang des Sturmes übersingen, nickte der Propst im Takte vor sich hin und sprach in den Choral hinein:

»Cantant in choro,
Sicut asellus in foro!
«

Die Stimmen schwiegen. Dann beugten sich alle Köpfe vor, alle Blicke waren in Spannung auf Wernherus gerichtet. Nur der alte Scharsach bewegte sich nicht; er hatte die Augen geschlossen, weil er den Sohn nicht sehen wollte, der ihm gegenüber saß.

Der Propst bedeckte das Haupt. Mit Sorge ruhten seine Augen auf Immhof, bevor er zu sprechen begann. »Das Kapitel ist berufen ohne mein fürstliches Gebot. Dekan Wernherus! Das Kapitel zu versammeln, steht dir kraft deines Amtes nur zu, wenn du zu klagen hast.«

Wernherus stand auf. »Ich klage.«

»Gegen wen?«

»Weltlicher Handel soll abgetan werden, ehe wir zu richten haben in geistlicher Sache. Ich klage gegen Hilpot, den Jäger zu Vordereck.«

Man hörte murrende Stimmen: »Narretei! Ist ein Bär zu fahen, so läßt man den Hasen laufen.« Und Herr Friedrich fragte: »Was hat der Jäger verschuldet?«

»Wider seine Pflicht hat er Hilfe geboten zu einer Heimlichkeit, die ein Chorherr gegen Hausgesetz und Regel beging.«

Irimbert erhob sich. »Warum verschweigt Ihr den Namen des Chorherren?«

»Weil ich wußte, daß er sich melden würde.«

Immhof wandte sich an den Propst. »Der Jäger bot mir Gewand und Wehr, daß ich jagen konnte. Er ist ohne Schuld, er gehorchte nur meinem Herrenwort.«

Wernherus lächelte. »Willst du sagen: Der Jäger wußte nicht, daß dein Weg ein heimlicher war?«

Bevor Immhof erwidern konnte, fiel Herr Friedrich ein: »Der Mann war gehorsam. Das ist Tugend, der ich selten begegne. Ich will sie belohnen, nicht strafen. Laßt mir den Jäger in Ruhe!«

»Ich bin dafür!« erklärte der bucklige Isengrimm mit seiner dünnen Stimme. »Ein williger Mann hat seinen Wert. Keiner von euch kann heute wissen, zu welcher Heimlichkeit er den Jäger schon morgen nötig hat.« Der Spott tat seine Wirkung und machte die Chorherren lachen. Mit diesem Gelächter war die Sache entschieden. Es schien auch, als hätte Wernherus ein anderes Urteil nicht erwartet. Keine Spur von Ärger zeigte sich in seinen Mienen. »Der Himmel hat unser Gebet erhört und hat die Herzen der Kapitularen vollgegossen –«

»Mit Stein und Rechberg!« flüsterte Herr Konrad, der Kellermeister.

»Vollgegossen mit kluger Milde. Das läßt mich hoffen für einen Mann, wider den ich ungern klage.«

»Wen du auch meinst«, fiel Herr Friedrich ein, »ich wundere mich über deine linde Rede. In meiner Stube klang sie minder sanft.«

»Eure Wohlmeinung belehrte mich. Ich will geduldig sein und die Kunst des Wartens üben.«

»Wir sind versammelt, um deine Klage zu hören. Auf was wartest du noch?«

»Auf Euer Schweigen!« rief Linhart Scharsach. »Wie soll er klagen, wenn Ihr allweil dazwischenredet?«

»Halte dich ruhig, Linhart!« befahl Wernherus in verweisendem Ton.

Herr Friedrich lachte. »Regt sich schon wieder die Strenge in dir, du Milder? Hart gegen deinen besten Freund? Mild nur gegen jene, die du vernichten möchtest? Das ist verkehrt. Laß deine Milde auch walten über dem Borstenhaupt dieses Rüpels! Der Wein hat ihm die Augen verschleiert, daß er den Kapitelsaal für die Kellerstube hält.« Die Rede des Propstes wurde mit Gelächter und Murren aufgenommen. Der junge Scharsach schwieg und blickte fragend zu Wernherus auf, während er in Ungeduld mit beiden Fäusten auf den Knien trommelte.

»Zur Sache, Dekan! Verliere die Zeit, die dir kostbar schien, nicht mit leeren Worten! Klage! Mehr, als diese Stunde dir bringt, erwartest du nicht, und wenn du auch die Geduld einer Spinne hättest!«

Stille war im Saal. In das Rauschen und Pfeifen des Sturmes mischte sich ein dumpfes Geräusch. Das klang, als käme es aus der Tiefe der Mauern. Waren es Stimmen? Lauschend hatte Wernherus das Gesicht erhoben. Ein spottendes Lächeln lag wie versteinert um seinen Mund: »Ich will Eure Mahnung bedenken, mein edler Fürst! Und erweise Euch den Dienst eines raschen Wortes. Ich klage wider einen Mann, für den mein Erbarmen reden möchte. Gottes Zorn hat schwer auf ihm gelastet. Weil er den Willen des Himmels nicht erkennen wollte, ist Blindheit auf die Augen seines Kindes gefallen, Wahnsinn in die Seele seines Weibes. Hätte der Mann in Demut seinen Nacken gebeugt, wir hätten ihn freundlich aufgerichtet und Gottes Vergebung für ihn erfleht. Er verharrt in Trotz und stiftet Aufruhr wider die Diener Gottes. Das macht mein Erbarmen schweigen. So klag ich gegen Greimold, den Bauer im Gotteslehen.« Diese letzten Worte gingen unter in wirrem Stimmenlärm, der sich auf der Treppe hören ließ, die hinunter zum Kreuzgang führte.

»Dietmar!« rief der Propst. »Sperr die Tür dort hinten und stoße den Riegel vor! Da kommt Gesellschaft, die unserem milden Dekan die sanften Wege stören könnte.«

Herr Dietmar hatte sich erhoben und das den Saal durchschneidende Geländer aufgetan. Da sprang ihm der junge Scharsach in den Weg. »Bleib sitzen, Alter!« Lachend eilte er zum Ende des Saales und riß das eiserne Türlein auf, das die Wendeltreppe verschloß. Hinter Medardus, dem Zinsmeister, drängten die dienenden Brüder in den Saal. Die Chorherren sprangen auf; die einen schwatzten heiter, andere schalten über die Ungebühr der Brüder, und diese Stimmen machten einen Tumult, daß man den Lärm des Sturmes nicht mehr hörte.

Herr Friedrich war aufgesprungen, in Zorn die Fäuste ballend. Dann lachte er, ließ sich wieder auf den Sessel nieder, und als sich der Lärm ein wenig dämpfte, rief er: »Was suchen meine frommen Lämmer hier im Saal?«

Zwanzig Stimmen gaben Antwort. Eine überschrie die andere, so daß kein Wort zu verstehen war. Da trat Wernherus in die Mitte des Saales und hob die Arme. »Haltet Ruh, ihr guten Brüder! Ich spreche für euch.« Wie sein Gesicht, so hatte sich auch seine Stimme verwandelt. Mit hartem Klang erfüllte sie den Raum. »Die Ihr höhnend Eure frommen Lämmer nennt, Herr Friedrich, kommen zu rechter Stunde. Unter ihnen ist einer, dessen Zeugnis das Kapitel hören soll, wenn ich klage wider den Bauer im Gotteslehen.«

»Das Recht dieser Klage bestreite ich Euch, Dekan Wernherus.«

Alle Augen richteten sich auf Irimbert, der diese Worte gerufen hatte.

»Darf der noch reden?« schrie der Eschelberger. »Stopfet ihm das Maul!«

»Rat und Gericht will nüchterne Männer. Du bist betrunken!« Immhof kehrte dem Schreier den Rücken und wandte sich an den Propst. »Solche Klage in diesem Saal ist wider das Recht des Kaisers. Der Mann im Gotteslehen ist dem Kloster nicht hörig. Als freier Bauer steht er unter dem Gericht des Reiches. Nur der kaiserliche Viztum kann richten über ihn.«

Der junge Scharsach sprang auf Immhof zu. »Ein freier Bauer? Wer?«

»Schweig, Linhart!« fiel Wernherus ein. »Rat und Gericht will nüchterne Männer. Da hast du wahr gesprochen, Immhof! Gericht und Rat will aber auch Männer, die ohne Schuld und Makel sind. Solch einer bist du nicht.«

Mit johlendem Beifall drängten die Brüder durch die offene Schranke in den Kapitelsaal. Und Medardus, der wohlwollende Zinsmeister, dem vor Aufregung die Hamsterbacken glühten, kreischte mit der Stimme eines weinenden Kindes: »Wider das eigene Fleisch hat er gebissen. Dem Greimold, den ich festgenommen, weil er geschmäht hat wider Kloster und Himmel, hat er die Stricke zerschnitten. Hat geduldet, daß der Bauer mich bedroht hat mit dem Messer. Hat dazugeholfen, wie des Bauern Gesind mit Stecken über mich her ist.«

Die kreischende Klage ging unter im Geschrei der anderen. Immhofs Stimme hob sich über allen Lärm. »Das lügst du, Medardus! So ehrlos und falsch wie deine Rede, so schuldlos und rechtlich ist der Mann, wider den du in Meineid klagst.«

Da drängten alle gegen ihn und hoben die Fäuste. Herr Friedrich wollte Ruhe gebieten, niemand achtete seines Zornes. Nicht der Propst, sondern Wernherus schien der befehlende Herr im Saale zu sein. Er durfte nur die Hand erheben, und alle hörten auf ihn. »Euer Zorn ist gerecht, doch schweiget, ihr Herren und Brüder! Ich allein, kraft meines Amtes, will rechten mit diesem treulosen Sohn der Kirche, die unsere heilige Mutter ist!« Er trat auf Immhof zu. »Wer bist du? Wie kommt der Mut in dich, das Wort eines Treuen, der in Eifer unserem heiligen Hause dient, als Lüge zu schmähen? Willst du Zeugnis legen? Du? Der selber unter Klage steht. Denn ich klage, Irimbert von Immhof, ich klage wider dich. Du hast gehandelt wider den Vorteil unseres Hauses. Gesetz und Regel hast du gebrochen, als du wider mein Verbot aus dem Kloster wichest. Ein Meineidiger bist du selbst. Und meine Stimme ist die erste, die dich schuldig spricht.«

»Schuldig!« rief der Eschelberger. »Doppelt schuldig!« schrie der junge Scharsach. Und alle schrien es nach: »Schuldig, schuldig!« Nur Herr Dietmar hob wehrend die Hände. Und der bucklige Isengrimm rief mit seiner hohen Stimme in den Lärm: »Das ist Narrengericht! Was der Immhof tat, hat jeder von euch schon dutzendmal getan. Und übler! Der Immhof hat nur den schreienden Hirsch gejagt im Bergwald droben. Ihr anderen pirschet in heimlichen Nächten auf feines Wildbret unter stillem Dach. Ich spreche den Immhof ledig.«

Mit einem Fluch trat der junge Scharsach dem Buckligen entgegen, während der Eschelberger den Tumult der anderen überschrie: »Schuldig mit allen Stimmen gegen zwei! Das Urteil, Dekan! Das Urteil! Für den meineidigen Mann die härteste von allen Bußen!«

Wernherus lächelte. »Die Buße zu bestimmen, ist meines Amtes nicht. Das steht der Würde des Propstes zu. Ich gebiete Schweigen für unseren fürstlichen Herrn!«

Es wurde still im Saal. Im Gesicht des Propstes bewegte sich keine Miene. Er rückte nur, als Wernherus sich ihm näherte, tiefer in den Stuhl zurück.

»Ihr seht, Herr, alle schweigen und harren auf Euer Wort. Ich hoffe, Euer Spruch wird so gerecht und klug sein, als ihn diese Stunde von Euch fordert.«

Herr Friedrich sah die lauernden Blicke, die auf ihn gerichtet waren. »Ich danke deiner ehrlichen Meinung, mein lieber Wernherus! Von meinen treuen Söhnen bis du der treueste, immer bedacht, die Ehre deines fürstlichen Herrn zu wahren. So gerecht deine Klage war, so streng soll der Spruch sein, den ich fällen will. Irimbert von Immhof!«

»Herr?«

»Bekennst du, wider Hausgesetz und Regel gefehlt zu haben?«

»Das bekenne ich.«

»So strafe ich dich erbarmungslos mit der härtesten der Bußen, die das Gesetz bestimmt. Noch in dieser Stunde sollst du unser heiliges Haus verlassen, um auf frommer Bußfahrt –«

Wildes Geschrei unterbrach den Propst.

»Er will ihn retten, er reißt den Schuldigen aus unseren Händen!«

Wernherus hob die Arme, und als der Lärm sich dämpfte, sprach er mit schneidendem Hohn: »Euer Spruch ist zu hart! Seid christlich, Herr! Laßt Euch zur Milde mahnen! Bedenket, wen Ihr so grausam straft! Euren Liebling! Dem Ihr Honig reichtet, wenn Ihr uns bitteres Salz zu schlucken gabt. Seid gnädig, Herr! Mich jammert des Schuldigen, der Eure Liebe verscherzte. Wenn Ihr ihn verbannt aus diesen heiligen Mauern, wo soll er eine Heimat finden, er, den der eigene Bruder aus dem Haus seiner Väter jagte?«

»Wernherus!« flog es wie Stahlklang von Irimberts Lippen.

»Immhof!« mahnte Herr Friedrich. »Bleib ruhig!«

»Redet, Dekan!« schrie der junge Scharsach lachend. »Wir wollen milde sein, wie Ihr es seid!«

»Hört doch diesen Schrei eines Frommen, Herr! Seid gnädig dem Schuldigen! Nicht in Bosheit hat er gesündigt, nur in Sehnsucht nach der Freiheit, die ihm der eigene Bruder nahm. Laßt die Bitternis seines Lebens für ihn sprechen! Vaterlos in der Wiege, mit den leeren Händen des jüngeren, mußte er den älteren Bruder als mächtigen Mann im reichen Erbgut des Vaters sehen. Und dieser Bruder: häßlich, Kraft nur in seinen Fäusten, den eigenen Knechten ein Herr, den sie widerwillig ertrugen! Und dieser jüngere: ein Anblick wie ein Maienmorgen, übergossen mit allen Gnaden der Natur, der Liebling aller Mannen in seines Bruders Burg, der Liebling seiner Mutter.«

Bei diesem Wort war die Ruhe dahin, die sich Immhof unter den mahnenden Blicken des Propstes abgerungen hatte. »Von allem redet! Nur nicht von meiner Mutter!« rief er in Zorn. »Dies Wort auf Eurer Zunge ist Entweihung!«

Wernherus lächelte. »Der Liebling einer Mutter, die für ihn sann in stillen Nächten, für den Liebling Herzen und Fäuste warb, bis der Burgherr die Gefahr erkannte. Ein übler Sturz aus allen irdischen Himmeln! Noch am Abend die stolzen Träume von Macht, von Reichtum, von aller Freude des Lebens. Und am Morgen mit geschorenem Kopf in der Klosterzelle, und hinter ihm der Fluch des Bruders: ›Bastard! Du bist nicht meines Vaters Blut! Deine Mutter gebar dich in sündiger Buhlschaft mit einem fahrenden Gaukler!‹«

Das Gesicht so weiß wie Kalk, stürzte Immhof mit ersticktem Schrei auf Wernherus zu.

Linhart Scharsach, der Eschelberger und andere Chorherren sprangen dazwischen. Wernherus rief: »Eures Schutzes bedarf ich nicht. Mag er sich nach aller Sünde noch vergreifen an einem geweihten Diener Gottes.«

»Gott? Gott?« brach es in Empörung aus Immhof heraus. »Unmensch du! Hast du mir nach solcher Schmähung einer Frau, die aller Frauen reinste und beste war, kein anderes Wort an die Stirn zu werfen als dieses eine: Gott? Wird dieses Wort auf deiner Zunge nicht zu Gift? Ist Wahrheit in diesem Wort, so muß es dich töten. Gott! Fühlst du nicht, Wernherus, daß dieses Wort dich schlägt, härter als meine Faust dich schlagen könnte. Gott!«

»Ihr Herren, hört!« schrie Pabo, der Kaplan. »Hört, wie er den Namen Gottes nennt! Wie ein Heide! Wie einer, der nicht glaubt!« Und Wernherus, mit triumphierendem Blick, als hätte er den Gegner, wo er ihn haben wollte, deutete nach dem Kreuzbild an der Wand: »Solche Rede wagst du im Anblick des Gottes, der vom heiligen Kreuz auf dich niederblickt?«

»Von dem ist nicht die Rede, Wernherus! Der Gott, von dem wir reden, du und ich, das ist ein anderer. Das ist der Gute nicht, der die Liebe predigt und den die Wölfe zerfleischten, weil er in seiner Brust das Herz eines Menschen hatte. Der Gott, den du auf der Zunge und im Herzen trägst, ist der Gott des Hasses, der Gott, der mich ansieht aus euren Augen, an den ich glauben lernte in eurer Mitte, der Gott, der euch und alle Welt erfüllt!«

Erschrocken war Herr Friedrich aufgesprungen: »Immhof! Bist du von Sinnen?«

»Von Sinnen? Ich? Nein, Herr, nie war ich klüger als in dieser Stunde.«

Es war ein Geschrei im Saal, daß nur Irimbert und die zunächst dem Stuhl des Fürsten standen, das in Kummer mahnende Worte des Propstes hörten: »Unseliger, du ermordest dich!«

»Dann ist Tod ein besseres Leben. Sie haben meinen Glauben angezweifelt, sie sollen mein Bekenntnis hören!« Klingend übertönte Irimberts Stimme den tobenden Lärm. »Ich glaube an den Gott, den ich gefunden auf allen Wegen. Glaube an den Gott, der den Wernherus und Medardus schuf. An den Gott, der die Redlichen knechtet und die Schlechten zu ihren fressenden Herren macht. Ich glaube an den Gott, der die Falschheit und Lüge ersann, den Raub und Totschlag und Geschöpfe dazu, die ihre Brüder morden mit solchen Waffen. Ich glaube an den Gott der Söhne, die ihre Mütter entehren, an den Gott, der das Laster beschirmet und die Unschuld würgt. Ich glaube an den Gott, der euer Gebet erhörte, wenn er die Kinder mit Blindheit schlägt und den Müttern die Augen aus den blutigen Höhlen reißt, um eure Schüssel zu füllen. Der Gott, der den Wald bevölkert mit reißenden Tieren und das Wasser mit schnappenden Hechten, das ist der Gott, der allmächtig ist in euch und dessen geweihte Diener ihr seid! Das ist der Gott, der euch in Freude seine treuen Vasallen nennt. Und aller Ekel des Lebens, alle Gier, die Raum hat in wölfischen Seelen, ist euer Gotteslehen!«

Diese letzten Worte erstickten in dem Wutgeschrei, das den Kapitelsaal erfüllte. Jene von den Brüdern, die noch außerhalb der Schranke waren, schwangen sich über das Geländer und warfen die Stühle der Chorherren aus ihrem Weg. »Er beschimpft das Heiligste! Er schmäht die Kirche!« Und die Stimme des Medardus schrillte: »Er hat Gott gelästert! In die Mauer mit ihm!« Das Wort dieses einen wurde das Wort aller anderen. »In die Mauer mit ihm! In die Mauer!«

Der junge Scharsach, der hinter Immhof stand, holte aus mit der Faust. »In die Mauer mit dir! Und diesen frommen Schlag für meinen Herrgott, den du gelästert!«

Irimbert taumelte, von dem heimtückischen Hieb auf die Schläfe getroffen. Da warfen sie sich über ihn, ein ganzer Hauf, zerrten ihn zu Boden, und mit dem Gürtelstrick, den sich Medardus von der Kutte gerissen, fesselten sie ihm die Hände. Niemand wehrte dem Gericht, das da gehalten wurde. Dem buckligen Isengrimm war der lachende Spott vergangen, der alte Scharsach, mit den Händen vor den Augen, stand an die Wand gelehnt, und Herr Friedrich blickte wortlos auf das schreiende Gewühl. Als sie den Gefesselten, der unter Faustschlägen und Fußtritten das Bewußtsein verloren hatte, zum Ende des Saales schleiften und gegen die Treppe, die hinunter zu den Kellern führte, streckte der Propst die Hände, als hätte er, um das Entsetzliche zu hindern, noch ein letztes Wort zu sagen.

Da stand Wernherus vor ihm. »Herr Friedrich? Warum rettet Ihr Euren Liebling nicht?«

Funkelnden Zorn in den Augen, blickte der Propst auf ihn nieder. »Er hat Gott gelästert, der unser Wappen ist und euer Brot. Auf solche Sünde steht die Mauer. Das ist Gesetz. Ich kann und darf ihn nicht retten. Aber komm, Wernherus, ich sage dir was ins Ohr!« Herr Friedrich beugte sich und flüsterte: »Den du vernichtet hast in Haß und Eifersucht, der war besser als du und ich, war gläubiger, als wir alle sind. Er suchte in Hunger. Wir sind satt und verdauen. Und Gott – der gute, Wernherus, nicht der deine – hätte Freude an diesem Leben gehabt, das elend in der Mauer verderben soll!«

Man hörte die Stimme des Eschelbergers, der in der Ecke des Saales hinter dem Gerichteten und dem letzten der Brüder die Tür geschlossen hatte. »Sehet, Herr Friedrich, wie gehorsam ich bin! Ihr habt befohlen, das Türlein zu schließen. Ich tu's und stoße den Riegel vor!« Das Eisen klirrte. »Jetzt sind wir Herren unter uns.« Der Eschelberger kam nach vorne und schlug hinter sich das Gatter der hölzernen Schranke zu. »Richtet die Sessel wieder auf!« Keiner tat es, alle standen im Saal und blickten auf Wernherus, als wäre der Ernst dieser Stunde noch nicht zu Ende. »Oder wollet ihr ständerlings Kapitel halten? Meinethalben! Lang wird's nimmer dauern, bis wir den Spruch getan haben, der noch aussteht.«

Herr Friedrich lachte heiser. »Dem Eschelberger redet der Durst aus der Kehle, die er sich trocken schrie um seinen Gott. Da müssen wir in Erbarmen trachten, daß er bald zu einer Stärkung komme.«

Er wollte sich erheben.

»Herr«, fiel Wernherus ein, »nur halbes Gericht ist gehalten, es soll ein ganzes werden.«

»Gericht? Welches Gericht denn noch?«

»Über den Greimold, gegen den ich klagte.«

Zum Stuhl des Propstes sich vordrängend, schrie der Eschelberger: »So lang, bis das gehalten ist, muß sich mein Durst noch gedulden. Wir haben eine stechende Natter aus unserem Pelz geschüttelt. Jetzt wollen wir Schafschur mit dem Bauer halten.«

»Dann wirst du scheren müssen ohne Schaf!« rief ihm Herr Friedrich zu. Er wandte sich an Wernherus. »Du, der du feurig streitest für alles Gesetz, du hast mich gelehrt, daß ich Gesetze achten muß, die ich als Fürst beschworen. Immhof hat wahr gesprochen, der freie Bauer steht unter dem Spruch des Kaisers. Wenn der kaiserliche Viztum übers Jahr Gedingtag hält im Gaden, dann klaget wider den Greimold. Nicht hier im Saal und nicht vor meinem Stuhl.«

Unter dem Lärm, der sich erhob, flog aus den Augen des Wernherus ein Wink zum jungen Scharsach hinüber. Der sprang auf die marmorne Staffel zu, die den Stuhl des Fürsten trug. »Gedingtag und Viztum, das ist leeres Gewäsch! Der Bauer hat in Aufruhr gelästert wider uns. Das ist bezeugt, und so richten wir ihn.« Er schrie, daß die Wände hallten: »Geht Eure Meinung anderen Weg, Herr Friedrich, so seid Ihr wider unser heiliges Haus. Dann seid Ihr der Herr nicht, den wir gewählt in gutem Vertrauen, daß er unseren Nutzen wahren soll und unser Gut. Zur Schand und uns zum Possen tragt Ihr den gezobelten Mantel, den wir Euch umgetan. Wer geben kann, der kann auch nehmen. Ich bin der erste, der sagt: Herunter mit Euch! Herunter den Mantel, den einer tragen soll, der würdiger ist!«

Er streckte die Hand und wollte den Mantel fassen. Der bucklige Isengrimm stieß ihn zurück und stellte sich neben den Sessel des Propstes. Herr Friedrich war bleich geworden. Lächelnd raffte er seinen Mantel über den Schoß und sagte: »Greif du nach der Weinbitsche! Um die zu heben, reicht deine Kraft noch aus! An meinen Mantel sollst du nicht greifen! Du nicht und kein anderer!«

»Schmähen sollen wir uns auch noch lassen?« brüllte Linhart Scharsach. »Nicht die Weinbitsch will ich heben, meine Stimm erheb ich und ruf zum Fürstengericht. Und klag wider dich, der du über uns Herr bist wie der Stieglitz über den Falken. Fürstengericht, ihr Herren! In aller Ordnung. Dekan, gebt mir das Wort!«

»Hast du zu klagen, so kann ich dir das Wort nicht weigern!« sagte Wernherus. »Sprich!«

Einen Augenblick war Stille im Saal. Dann hörte man die weinerliche Stimme des alten Scharsach: »Euer Tun ist Nacht. Da geh ich lieber und leg mich schlafen.« Bevor ihn sein müder Schritt zur Schwelle brachte, wurde die Tür geöffnet. Zwei Chorherren erschienen, Philipp von Saaleck und Hans Pütrich, im Jagdgewande, mit Armbrust und Weidgehäng, die Mäntel und Kleider triefend vom Regen.

Wernherus, als er die beiden gewahrte, nagte in Zorn an der Lippe und streckte die Hand, als möchte er noch hindern, daß Linhart Scharsach zu sprechen begänne. Der fing seine schreiende Klage schon an: »Friedrich von Ortenburg, ich klag wider dich! Du bist ein Herr ohne Treu und Kraft. Statt für uns zu stehen, die wir dich gewählt haben zu unserem Herrn, stehst du wider uns und wider deinen Eid. Deine Falschheit und dein Unverlaß –« Mit einem Fluch verstummte der Kläger, als er Saaleck und Pütrich sah, die mit blanker Waffe zwischen ihn und den Stuhl des Propstes traten. Ratlos blickte er auf Wernherus.

»Meinen Gruß, ihr Herren! Hat's euch die Jagd verregnet?« fragte der Propst.

»Wir sahen am Kapitelsaal das Fenster leuchten«, erwiderte Hans Pütrich, »und da hab ich mich fragen müssen: Wenn sie Kapitel halten, warum schickt uns der Dekan zur Hirschjagd aus?«

»Er schickte euch?« Herr Friedrich lächelte.

»Da sind wir geritten, was die Rosse laufen konnten. Ich merke, wir kommen zu übler Stund.«

»Üble Stunde? Nein, guter Pütrich! Die ist vorbei. Ihr kommet zum lustigen Nachspiel. Herr Linhart Scharsach hat einen Rausch. Nichts weiter. Steck deinen Fänger ein! Das ist eine Stätte des Friedens hier. Blanke Waffen in geweihtem Raum und unter dem Kreuzbild? Wie häßlich, pfui!« Herr Friedrich lachte. »Wäre es ernst geworden in dieser Stunde, hätt es ein Nüchterner gewagt, an meinen fürstlichen Mantel zu rühren, ich hätte dein Eisen nicht gebraucht. Mich hätte mein treuer Dekan geschützt wider alle Ungebühr. Hab ich recht, Wernherus?«

»Ich hätte getan, was dem Wohl unseres heiligen Hauses dient!« entgegnete Wernherus. Seine Stimme klang ruhig, sein Gesicht war grau wie Asche. Da faßte ihn Linhart Scharsach am Arm. »Zum Teufel mit Eurer Ruhe, Dekan! Der Karren ist angeschoben, jetzt laßt ihn laufen! Redet! Euer Wort hat besseren Hieb als das meinige. Hört, ihr Herren! Jetzt klagt der Dekan.«

»Auch du, Wernherus?« Herr Friedrich erhob sich. »Auch du willst klagen wider deinen Fürsten? Freilich, ich besinne mich – wolltest du nicht fragen vor versammeltem Kapitel, mit welchem Recht ich Botschaft erhalte, die ich deiner Würde verhehle? Ich will dir Antwort geben, eh du fragst. Vor versammeltem Kapitel, wie du es verlangtest, sollst du die Botschaft hören, die mein Vetter Bayern mir und dem Kloster schickte.« Er nahm das Pergament aus dem Mantel und gab es Hans Pütrich. »Lies! Und laut! Meinen treuen Lämmern ist dickes Fell über die Ohren gewachsen.«

Hans Pütrich las: »Im Namen Gottes. Wir, Otto, nach Herzog Ludwig der rechtmäßige Herr und Erbe im Herzogtum Bayern, senden Dir, unserem treulieben Vetter und Propst zu Berchtesgaden, Dir, Friedrich von Ortenburg, wohlmeinenden Gruß und Beistand Deiner gerechten Sache. Wir, nachdem wir Deine Klage wider den Ungehorsam Deiner Kapitularen vernahmen, haben erkannt, Dich gebührend in allen Rechten Deiner Würde zu schützen. Sollte Dich dieser angelobte Beistand nicht der Gefahr entheben, deren Du Dich von der Treuverweigerung Deiner Kapitularen zu versehen hast, so betrachten wir, im Falle einer Schädigung Deiner Person und Würde, das Erbgut Deines Hauses als zu Unrecht an das Stift gefallen und sind gesonnen, hundert Rosse vor die Mauer von Berchtesgaden zu legen, um allen Besitz Deines Namens an die Herzogskrone von Bayern heimzufordern. Auf daß unsere Meinung Dir und Deinen Kapitularen kund und offen würde, haben wir das vorliegende Schreiben aufzeichnen und besiegeln lassen mit unserem Insiegel. Dieser Brief ist gegeben nach unseres Herren Geburt eintausend zweihundert achtunddreißig Jahr. Im Herbstmonat. Am St. Michelstag. Amen.«

Mit verdutzten Gesichtern standen die Chorherren. Der Eschelberger flüsterte: »Dekan, jetzt haben wir Fasttag!« Und Linhart Scharsach schrie: »Er hat uns an den Herzog verkauft! Das ist Verrat am Stift.«

»Nenn's, wie du magst! Das Gift, das man den Ratten legt, ist auch kein Speck!« rief ihm Herr Friedrich zu. »Habt ihr mich für blind und taub gehalten? Ich hab lang gemerkt, was ihr spinnet wider mich, und hab euch den Haspel gestellt, bevor euer Garn ins Laufen kam. Hattet ihr mit Recht eine Klage wider mich, so war's die Klage wider meine Schwäche. Ihr sollt erfahren, daß ich diesen Fehler bessern kann. Nur schade, meine Reu kommt einen Tag zu spät.« Die Stimme des Propstes versank. »Das kostet mich einen, um den mir leid ist.« Er richtete sich auf. »Saaleck und Pütrich! Ihr nehmt den Linhart Scharsach fest wegen Ungebühr wider seinen fürstlichen Herrn und gebt ihn in Gewahr des Vogtes.«

Murrende Stimmen wurden laut. Herr Friedrich schien sie nicht zu hören.

»Heinrich von Eschelberg, du bleibst in Haft deiner Zelle, bis ich dich löse! Und du, mein getreuer Dekan! In dir ist fromme Kraft der Rede. Sprich diesen bockenden Lämmern ins Gewissen und weck in ihnen die Sanftmut, die zu ihrer weißen Wolle paßt! Sie sind auf halbe Kost gesetzt und sollen Wasser trinken, das ihnen gesünder ist als der feurige Frechauer. Der Wein ist ihnen genommen von heute bis zur Heiligen Nacht. Wollen sie schreien dagegen, so sag ihnen, was ich euch allen sage: Noch bin ich euer Herr, und ich denke es zu bleiben, solang ich Leben habe!« Herr Friedrich ging zur Tür, umrauscht von dem schleppenden Seidenmantel.

Wernherus sah ihm nach. »Solang du Leben hast?«

Auf der Schwelle wandte sich der Propst. »Ulrich Thurn! Trage mir den Leuchter nach, wie es als Kämmerer deines Amtes ist! Ich will keine Ehre missen, die meiner Würde zukommt.« Den Mantel raffend, schritt er in den langen Korridor hinaus, den die kleinen Wachslampen nur spärlich erhellten. Hier stand in einer Fensternische der alte Scharsach an die Mauer gelehnt. »Herr«, bettelte seine zittrige Stimme, »seid gnädig, tut dem verführten Buben nit zu weh!«

»Gib dich zufrieden! Ich reiß ihm den Wolfszahn nicht aus dem Leben. Um deinetwillen.« Herr Friedrich lächelte bitter. »Nimm deinen Nachttrunk, Alter, und leg dich schlafen! Besseres hast du nimmer!«

Ulrich von Thurn kam mit eisernem Leuchter, auf dem drei Kerzen flackerten. Im Saal war Schweigen geblieben. Hans Pütrich brach es mit den Worten: »Ergib dich, Linhart! Es ist der Wille des Fürsten.«

»Dekan?« Der junge Scharsach trat vor Wernherus hin. »Das laßt Ihr geschehen? Ihr habt mich hineingehetzt wie den Gimpel ins Garn, jetzt löset mich!«

Wernherus sagte mit kaltem Lächeln: »Es ist der Wille des Fürsten. Gehorche! Und ihr anderen, wenn ich euch raten darf, versöhnet mit einem Fußfall den strengen Herrn! Hätt er nicht so milde zu mir geredet, ich wäre der erste, der es täte. Er hat mich aufgehoben, noch eh es mir einfiel, das Knie zu beugen.« Er ging zur Tür. Vor der Schwelle blieb er lauschend stehen. Man hörte dumpfen Gesang, der aus den Tiefen der Mauern tönte. Mit steinernem Gesicht nickte Wernherus vor sich hin und verließ den Saal.

Die anderen folgten ihm. Als sie den jungen Scharsach durch den Korridor hinausführten, kam ihnen der Alte mit ausgestreckten Händen entgegen. »Sei ohne Sorg, Herr Linhart! Ich hab geredt mit dem Herren.«

»Du?« fuhr der junge Scharsach auf. »Der erste, der wider mich geredet hat, bist du gewesen.« Er schlug dem Greise die Faust ins Gesicht.

Der Saal war leer. Die tränenden Kerzen, die vor dem Erlöschen heftig flackerten, gossen ihr Zitterlicht über die gestürzten Sessel und über das Kreuzbild an der Wand. Es war mit roher Kunst gemeißelt, der Körper weiß bemalt und mit roten Tropfen überspritzt, die Glieder hager und martervoll verrenkt. Bestrahlt von dem rötlichen Flammenglanze, schienen diese Glieder sich zu winden in Qual. Und die blauen Schmerzensaugen, starr geöffnet, blickten über den Saal hinweg wie in weite Ferne.

Um die Mauern tobte der Sturm. Durch die offene Tür klang das Schluchzen des alten Scharsach; er saß im dunklen Winkel einer Fensternische, das Gesicht in die Hände vergraben; Blut und Tränen sickerten ihm durch die Finger.

Undeutlich, erstickt vom Lärm des Regens, tönte durch die marmornen Fliesen herauf der Choral der Brüder, die vor der Mauergruft eines lebendig Begrabenen das Miserere sangen.

 


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